lkrueger1_Leonardo CarratoBloomberg_deforestation Leonardo Carrato/Bloomberg/Getty Images

Ein transformativer Deal für die Natur

NEW YORK – In diesem Oktober versammeln sich die Vertreter der 196 Parteien der Konvention für biologische Vielfalt der Vereinten Nationen (CBD, Convention on Biological Diversity) in chinesischen Kunming, um ein neues Rahmenwerk für Biologische Vielfalt zu verabschieden. Wie das Pariser Klimaabkommen von 2015 könnte diese neue Vereinbarung bei der Art, wie wir unser Verhältnis zur Natur gestalten, zu einen Wendepunkt führen.

Aber die Fürsprecher der Artenvielfalt müssen von den Klimaaktivisten eine wichtige Lektion lernen: Die globale Klimapolitik hat erst dann an Fahrt gewonnen, als klar war, dass es bei dem Thema nicht nur um die Umwelt geht, sondern auch beim Transport, in der Landwirtschaft, im Energiesektor, in der Infrastruktur und in vielen Industriebereichen Veränderungen stattfinden müssen. Auch bei dem schnellen Verlust an Biodiversität, dessen Zeuge wir gerade sind, geht es um mehr als nur Naturschutz: Der Zusammenbruch der Ökosysteme bedroht das Wohlergehen und den Lebenserwerb aller Menschen auf dem Planeten. Dementsprechend muss die CBD über traditionelle Konzepte des „Naturschutzes“ hinausgehen und mit allen relevanten Sektoren der Wirtschaft und Zivilgesellschaft in Verbindung treten.

Seit ihrer Gründung nach dem Erdgipfel von Rio 1992 hat die CBD – weitgehend erfolgreich – versucht, die Länder zu neuen Schutzgebieten zu bewegen. Fast 15% der weltweiten Landflächen sind heute als irgendeine Form von Park ausgewiesen (auch wenn der Anteil der geschützten Meeresflächen viel kleiner ist). Aber trotz dieses relativen Erfolgs ist der Verlust an Artenvielfalt weitergegangen, was darauf schließen lässt, dass Naturschutzgebiete zwar nötig sind, aber nicht ausreichen. Um den rapiden Rückgang von Arten und Lebensräumen zu verlangsamen und zu stoppen, müssen wir uns damit beschäftigen, wie die menschlichen Gesellschaften Land, Meeresflächen und die daraus gewonnen Ressourcen verwalten.

Momentan sind alle unsere wirtschaftlichen Anreize darauf ausgerichtet, Aktivitäten zu fördern, die zum Verlust der Artenvielfalt beitragen. Landwirtschaft, Infrastruktur und Stadtgebiete vergrößern sich schnell, und auch die Industrien zur Rohstoffförderung wie Bergbau und Fischereiwesen weiten sich immer mehr aus. Solche Praktiken verändern nicht nur direkt die Landschaft, sondern stören auch die Naturräume und tragen zur Abwertung viel größerer Gebiete bei, indem sie Zugangspunkte für illegale Jagd, Abholzung und andere Aktivitäten schaffen. Noch mehr Probleme entstehen durch Schadstoffe, Nährstoffeinträge sowie industriellen und landwirtschaftlichen Wasserverbrauch.

Nur noch 5% der Landfläche des Planeten ist von menschlicher Nutzung unberührt, und wenn wir nichts ändern, wird dieser Anteil wahrscheinlich bald weiter zurückgehen. Halten die aktuellen Trends an, droht der Bau von Straßen und Infrastruktur für (auch erneuerbare) Energie gemeinsam mit dem Bergbau und der Landwirtschaft laut einer Studie von Wissenschaftlern der Nature Conservancy von 2015 dazu zu führen, dass sich bis 2050 die Umwandlung verbleibender intakter Wildnisgebiete in Südamerika verdoppelt und die umgewandelten Landflächen in Afrika verdreifachen.

Die Verantwortung für den Schutz der natürlichen Welt liegt traditionell bei den Umweltministerien, Parkmanagern und Umweltschützern, die auch in diesem Jahr alle am Verhandlungstisch sitzen. Um aber einen echten Wandel einleiten zu können, muss das Rahmenwerk zur Globalen Biodiversität nach 2020 auch Finanz-, Planungs-, Transport-, Energie- und Landwirtschaftsvertreter einbeziehen – insbesondere jene, die einflussreich genug sind, um über ganze Wirtschaftsbereiche hinweg Veränderungen einleiten zu können.

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Für den Schutz natürlicher Lebensräume und Korridore der Artenvielfalt für Bestäuber und andere Wildtiere sind beispielsweise die Landwirtschaftsministerien von entscheidender Bedeutung. Um die Veränderung der Lebensräume zu verlangsamen, könnten die Regierungen landwirtschaftliche Subventionen von ökologischen Kriterien abhängig machen und ausländische Agrarkonzerne zum Nachweis verpflichten, dass Importe ohne die Umwandlung von Naturräumen produziert wurden.

Auch die Energiegewinnung, das Transportwesen und die Infrastruktur sind starke Antriebskräfte für Biodiversitätsverluste. Dies erfordert eine viel robustere Planung und Vermittlung durch Ministerien, die weit über diejenigen zum Schutz der Umwelt hinaus geht. Ob nun durch Regulierung oder Anreize: Die Regierungen müssen mehr tun, als einfach nur den Einfluss dieser Aktivitäten auf die Natur zu minimieren. Und wenn eine Vermeidung unmöglich ist, sollten Projekte verpflichtend sein, die den Verlust der Artenvielfalt ausgleichen, indem sie in die Erneuerung degradierter oder abgeholzter Landflächen investieren. Dazu muss das neue Rahmenwerk Richtlinien enthalten, wie sich bestimmte Sektoren mit der Zeit verbessern können.

Um echte Verantwortung und Transparenz zu erreichen, brauchen wir eine klare Agenda. Aber für was genau sollten die Länder verantwortlich sein? The Nature Conservancy hat dazu ein Messsystem vorgeschlagen, das auf einem „Nettogewinn für die Natur“ beruht und es den Beteiligten ermöglicht, jährliche Verbesserungen des Zustands natürlicher Lebensräume und der Artenvielfalt innerhalb von Produktionsflächen wie Landwirtschaftsgebieten aufzuzeigen.

Zugegebenermaßen ist diese Art Indikator schwerer messbar als die üblicheren Kriterien wie beispielsweise der Anteil der Schutzgebiete. Aber mit neuen und kostengünstigen räumlichen Technologien wie GPS, geografischen Informationssystemen und Fernerkundung sind die Daten, die zur Fortschrittsbestimmung erforderlich sind, durchaus in Reichweite. Idealerweise würden wir den Zustand aller Lebensräume weltweit bewerten und damit ein detailliertes Verständnis aller Ökosysteme aufbauen. Und mit diesen Daten könnten wir dann je nach Land, Ökosystem oder Biom die erzielten Fortschritte bestimmen.

Der Schutz der Natur ist nicht nur die Aufgabe der Regierungen, sondern der ganzen Gesellschaft. Sogar bei optimaler Gesetzgebung und Durchsetzung können die stärksten Triebkräfte hinter dem Verlust der Artenvielfalt nicht durch die Staaten allein beseitigt werden. Dazu brauchen sie die Unterstützung von Unternehmen, Lokalregierungen, indigenen Gemeinschaften, zivilgesellschaftlichen Gruppen und Glaubensgemeinschaften. Ein sektoraler Ansatz, der die „Nettogewinne für die Natur“ unterstützt, kann zu einer Plattform führen, über die sich alle Interessengruppen im Rahmen unserer allgemeinen Ziele freiwillig verpflichten können.

Die internationale Gemeinschaft hat weniger als ein Jahr Zeit, um ein Rahmenwerk auszuhandeln, das unser Verhältnis zur Natur verändern kann. Wollen die Regierungen das CBD-Treffen in Kunming zu einem Wendepunkt machen, müssen sie hart daran arbeiten, unseren Umgang mit Land- und Meeresressourcen zu ändern – und zwar in allen Phasen des Abbaus, der Produktion und des Konsums. Dies kann nur geschehen, wenn die Verhandlungsführer erkennen, dass das Rahmenwerk für Biologische Vielfalt nicht nur eine Angelegenheit der Umweltschützer ist.

Aus dem Englischen von Harald Eckhoff

https://prosyn.org/MRZxvtbde