NEW YORK – Seit Ausbruch der globalen Finanzkrise ist inzwischen ein Jahrzehnt vergangen. Für die Vereinigten Staaten stellt sich 2018 deutlich anders dar als 2008. Die Wirtschaft, die am Rande des Zusammenbruchs stand, droht dank einer während einer Phase ohnehin robusten Wachstums verabschiedeten massiven Steuersenkung nun zu überhitzen. Auch die Einstellung gegenüber China hat sich drastisch verändert. Die Erkenntnis, dass eine Zusammenarbeit mit China notwendig sei, um die globale Nachfrage zu steuern, hat Protektionismus und Feindseligkeit Platz gemacht.
Doch für China fühlt sich 2018 in einer wichtigen Hinsicht ganz ähnlich an wie 2008: Es geht von negativen Erschütterungen, die ihren Ursprung in den USA haben, eine beträchtliche Bedrohung für Chinas Wirtschaftswachstum aus. Im Jahr 2008 bestand die Erschütterung aus einem Rückgang der Nachfrage nach chinesischen Exporten, bedingt durch den Zusammenbruch von Lehman Brothers und die darauf folgende globale Finanzkrise. Heute besteht sie aus dem von US-Präsident Donald Trumps Regierung eingeleiteten Handelskrieg.
Die Risiken, vor denen China steht, sind für das Land nicht völlig unkontrollierbar. Die Situation könnte sich verschlimmern, wenn China die politischen Reaktionen des Jahres 2008 wiederholt – wenn es sich also zur Stützung der Nachfrage ausschließlich auf massive fiskal- und geldpolitische Konjunkturimpulse stützt.
Während die Reaktion der Regierung vor einem Jahrzehnt tatsächlich eine scharfe Rezession verhinderte, bereitete sie zugleich den Weg für viele andere Probleme, darunter die steil gestiegene Verschuldung der Kommunen und staatseigenen Unternehmen, die Ausweitung des Schattenbankenwesens, den neuerlichen Aufbau von Überkapazitäten in verschiedenen Sektoren und einen Rückgang der relativen Stärke der privaten Unternehmen. Die Trump-Regierung beruft sich zur Rechtfertigung ihres Handelskrieges auf einige dieser Folgen.
China könnte unter diesen Umständen versucht sein, die Ankurbelung der Gesamtnachfrage mittels kurzfristiger Maßnahmen wie der Kanalisierung weiterer Infrastruktur-Investitionen durch die Kommunen und einer weiteren Lockerung der Kreditbedingungen für staatseigene Unternehmen noch zu forcieren. Doch ginge mit diesem Ansatz das Risiko eines weiteren Jahrzehnts von Problemen einher. Eine bessere Strategie bestünde darin, sich auf Strukturreformen zu konzentrieren.
Zunächst einmal müssen die privaten Unternehmen wissen, dass sie mit den Staatsunternehmen zu fairen Bedingungen konkurrieren, was die Regulierung und die Durchsetzung der Gesetze, den Zugriff auf Bankkredite und andere Ressourcen und die Chancen auf den Erhalt staatlicher Aufträge angeht. Nicht-staatseigene Unternehmen waren in den vergangenen vier Jahrzehnten die wichtigste Wachstumsquelle; daher ist es ermutigend, dass der Gouverneur der chinesischen Notenbank Yi Gang diesen Grundsatz der „Wettbewerbsneutralität“ in einer jüngsten Rede betont hat. Bisher wurde dieser Begriff von hochrangigen Führungsmitgliedern noch nicht wieder aufgegriffen. Doch sollte ihn die Regierung als ein Leitprinzip der Wirtschaftslenkung offiziell übernehmen.
At a time when democracy is under threat, there is an urgent need for incisive, informed analysis of the issues and questions driving the news – just what PS has always provided. Subscribe now and save $50 on a new subscription.
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Was den Handel mit dem Ausland und die Investitionstätigkeit ausländischer Unternehmen angeht, sollte sich China in ähnlicher Weise einen Grundsatz der „Regierungsneutralität“ bei der Regulierung von Zusammenarbeit und Vertragsverhandlungen, einschließlich von Technologietransfers, zwischen aus- und inländischen Unternehmen zu eigen machen. Allgemeiner gesehen sollte China die Hürden für die Handels- und Investitionstätigkeit ausländischer Firmen im Lande abbauen, indem es u. a. die angekündigte Lockerung von Beschränkungen gegenüber in China aktiven ausländischen Finanzunternehmen umsetzt. Derartige Maßnahmen würden – durch Erhöhung ihrer Kaufkraft – die Realeinkommen der chinesischen Haushalte steigen lassen, und zugleich die Wettbewerbsfähigkeit des chinesischen Unternehmenssektors steigern, da sie Druck auf weniger effiziente inländische Unternehmen ausüben würden. Chinas eigene Erfahrung nach seinem Beitritt zur Welthandelsorganisation legt nahe, dass größere Offenheit den chinesischen Haushalten letztlich mehr Wohlstand bringt.
Größere Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt herbeizuführen ist die dritte Strukturreform, die China braucht. Seit Mitte der 1990er Jahre ist der kombinierte verbindliche Beitragssatz für die Rente, die Krankenversicherung und andere Sozialleistungen offiziell sehr hoch. Er beläuft sich auf etwa 50% des Lohns, was höher ist als der mittlere Beitragssatz in den OECD-Ländern. Doch hatte eine schwache Durchsetzung lange Zeit zur Folge, dass inländische Unternehmen diese Kosten weitgehend ignorierten. Im Jahr 2008 begannen die Behörden dann, den Beitragssatz strikt durchzusetzen, was die Unternehmen unter Druck setzte. Dazu kommt noch die Verpflichtung, dass Unternehmen allen Beschäftigten nach zwei aufeinanderfolgenden Kurzzeitverträgen einen langfristigen Arbeitsvertrag anbieten müssen, und dass sie ihnen hohe Abfindungen zahlen müssen, falls sie ihre Belegschaft verkleinern müssen. Infolgedessen hat sich die Fähigkeit der Volkswirtschaft, negative Erschütterungen zu bewältigen und die Zusammensetzung der Beschäftigung anzupassen, stark verringert.
Angesichts von Chinas Produktivitätsniveau und Entwicklungsphase wäre ein kombinierter verbindlicher Beitragssatz von etwa 35-40% für alle staatlichen Sozialleistungen angemessener. Die Verabschiedung eines derartigen Satzes zusammen mit anderen Maßnahmen zur Steigerung der Flexibilität des Arbeitsmarktes könnte Chinas wirtschaftliche Widerstandsfähigkeit beträchtlich erhöhen.
Eine letzte Reform, die stark dazu beitragen würde, die chinesische Volkswirtschaft zu stärken, wäre eine vorübergehende Senkung der Körperschaftsteuer- und Einkommensteuersätze. Ich empfehle eine vorübergehende Steuersenkung aus zwei Gründen. Eine derartige Steuersenkung würde den Staatshaushalt deutlich weniger unter Druck setzen als eine dauerhafte Senkung, und sie würde den Unternehmen gleichzeitig einen stärkeren Anreiz zu Investitionen bieten. In diesem Sinne liefe eine derartige Senkung sowohl auf eine angebotsorientierte Reform als auch auf eine Maßnahme zu Steuerung der Gesamtnachfrage hinaus.
Die chinesische Führung ist sich der Notwendigkeit der meisten dieser Reformen bewusst; tatsächlich hat sie angebotsorientierte Reformen zu ihrem offiziellen politischen Mantra gemacht. Bisher jedoch konzentriert sie sich auf den Abbau der Überkapazitäten und die Entschuldung statt auf Maßnahmen, die das Vertrauen der Unternehmer stärken, die Anfälligkeit der Volkswirtschaft gegenüber Erschütterungen verringern und das Wachstum absichern. Angesichts der Tatsache, dass zwei dieser Reformen – Wettbewerbsneutralität und größere Offenheit sowohl inländischen Privatunternehmen als auch internationalen Unternehmen gegenüber – zugleich dazu beitragen würden, die USA zu beschwichtigen, könnte der Moment zum Handeln gar nicht besser sein.
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South Korea's latest political crisis is further evidence that the 1987 constitution has outlived its usefulness. To facilitate better governance and bolster policy stability, the country must establish a new political framework that includes stronger checks on the president and fosters genuine power-sharing.
argues that breaking the cycle of political crises will require some fundamental reforms.
Among the major issues that will dominate attention in the next 12 months are the future of multilateralism, the ongoing wars in Ukraine and the Middle East, and the threats to global stability posed by geopolitical rivalries and Donald Trump’s second presidency. Advances in artificial intelligence, if regulated effectively, offer a glimmer of hope.
asked PS contributors to identify the national and global trends to look out for in the coming year.
NEW YORK – Seit Ausbruch der globalen Finanzkrise ist inzwischen ein Jahrzehnt vergangen. Für die Vereinigten Staaten stellt sich 2018 deutlich anders dar als 2008. Die Wirtschaft, die am Rande des Zusammenbruchs stand, droht dank einer während einer Phase ohnehin robusten Wachstums verabschiedeten massiven Steuersenkung nun zu überhitzen. Auch die Einstellung gegenüber China hat sich drastisch verändert. Die Erkenntnis, dass eine Zusammenarbeit mit China notwendig sei, um die globale Nachfrage zu steuern, hat Protektionismus und Feindseligkeit Platz gemacht.
Doch für China fühlt sich 2018 in einer wichtigen Hinsicht ganz ähnlich an wie 2008: Es geht von negativen Erschütterungen, die ihren Ursprung in den USA haben, eine beträchtliche Bedrohung für Chinas Wirtschaftswachstum aus. Im Jahr 2008 bestand die Erschütterung aus einem Rückgang der Nachfrage nach chinesischen Exporten, bedingt durch den Zusammenbruch von Lehman Brothers und die darauf folgende globale Finanzkrise. Heute besteht sie aus dem von US-Präsident Donald Trumps Regierung eingeleiteten Handelskrieg.
Die Risiken, vor denen China steht, sind für das Land nicht völlig unkontrollierbar. Die Situation könnte sich verschlimmern, wenn China die politischen Reaktionen des Jahres 2008 wiederholt – wenn es sich also zur Stützung der Nachfrage ausschließlich auf massive fiskal- und geldpolitische Konjunkturimpulse stützt.
Während die Reaktion der Regierung vor einem Jahrzehnt tatsächlich eine scharfe Rezession verhinderte, bereitete sie zugleich den Weg für viele andere Probleme, darunter die steil gestiegene Verschuldung der Kommunen und staatseigenen Unternehmen, die Ausweitung des Schattenbankenwesens, den neuerlichen Aufbau von Überkapazitäten in verschiedenen Sektoren und einen Rückgang der relativen Stärke der privaten Unternehmen. Die Trump-Regierung beruft sich zur Rechtfertigung ihres Handelskrieges auf einige dieser Folgen.
China könnte unter diesen Umständen versucht sein, die Ankurbelung der Gesamtnachfrage mittels kurzfristiger Maßnahmen wie der Kanalisierung weiterer Infrastruktur-Investitionen durch die Kommunen und einer weiteren Lockerung der Kreditbedingungen für staatseigene Unternehmen noch zu forcieren. Doch ginge mit diesem Ansatz das Risiko eines weiteren Jahrzehnts von Problemen einher. Eine bessere Strategie bestünde darin, sich auf Strukturreformen zu konzentrieren.
Zunächst einmal müssen die privaten Unternehmen wissen, dass sie mit den Staatsunternehmen zu fairen Bedingungen konkurrieren, was die Regulierung und die Durchsetzung der Gesetze, den Zugriff auf Bankkredite und andere Ressourcen und die Chancen auf den Erhalt staatlicher Aufträge angeht. Nicht-staatseigene Unternehmen waren in den vergangenen vier Jahrzehnten die wichtigste Wachstumsquelle; daher ist es ermutigend, dass der Gouverneur der chinesischen Notenbank Yi Gang diesen Grundsatz der „Wettbewerbsneutralität“ in einer jüngsten Rede betont hat. Bisher wurde dieser Begriff von hochrangigen Führungsmitgliedern noch nicht wieder aufgegriffen. Doch sollte ihn die Regierung als ein Leitprinzip der Wirtschaftslenkung offiziell übernehmen.
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Größere Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt herbeizuführen ist die dritte Strukturreform, die China braucht. Seit Mitte der 1990er Jahre ist der kombinierte verbindliche Beitragssatz für die Rente, die Krankenversicherung und andere Sozialleistungen offiziell sehr hoch. Er beläuft sich auf etwa 50% des Lohns, was höher ist als der mittlere Beitragssatz in den OECD-Ländern. Doch hatte eine schwache Durchsetzung lange Zeit zur Folge, dass inländische Unternehmen diese Kosten weitgehend ignorierten. Im Jahr 2008 begannen die Behörden dann, den Beitragssatz strikt durchzusetzen, was die Unternehmen unter Druck setzte. Dazu kommt noch die Verpflichtung, dass Unternehmen allen Beschäftigten nach zwei aufeinanderfolgenden Kurzzeitverträgen einen langfristigen Arbeitsvertrag anbieten müssen, und dass sie ihnen hohe Abfindungen zahlen müssen, falls sie ihre Belegschaft verkleinern müssen. Infolgedessen hat sich die Fähigkeit der Volkswirtschaft, negative Erschütterungen zu bewältigen und die Zusammensetzung der Beschäftigung anzupassen, stark verringert.
Angesichts von Chinas Produktivitätsniveau und Entwicklungsphase wäre ein kombinierter verbindlicher Beitragssatz von etwa 35-40% für alle staatlichen Sozialleistungen angemessener. Die Verabschiedung eines derartigen Satzes zusammen mit anderen Maßnahmen zur Steigerung der Flexibilität des Arbeitsmarktes könnte Chinas wirtschaftliche Widerstandsfähigkeit beträchtlich erhöhen.
Eine letzte Reform, die stark dazu beitragen würde, die chinesische Volkswirtschaft zu stärken, wäre eine vorübergehende Senkung der Körperschaftsteuer- und Einkommensteuersätze. Ich empfehle eine vorübergehende Steuersenkung aus zwei Gründen. Eine derartige Steuersenkung würde den Staatshaushalt deutlich weniger unter Druck setzen als eine dauerhafte Senkung, und sie würde den Unternehmen gleichzeitig einen stärkeren Anreiz zu Investitionen bieten. In diesem Sinne liefe eine derartige Senkung sowohl auf eine angebotsorientierte Reform als auch auf eine Maßnahme zu Steuerung der Gesamtnachfrage hinaus.
Die chinesische Führung ist sich der Notwendigkeit der meisten dieser Reformen bewusst; tatsächlich hat sie angebotsorientierte Reformen zu ihrem offiziellen politischen Mantra gemacht. Bisher jedoch konzentriert sie sich auf den Abbau der Überkapazitäten und die Entschuldung statt auf Maßnahmen, die das Vertrauen der Unternehmer stärken, die Anfälligkeit der Volkswirtschaft gegenüber Erschütterungen verringern und das Wachstum absichern. Angesichts der Tatsache, dass zwei dieser Reformen – Wettbewerbsneutralität und größere Offenheit sowohl inländischen Privatunternehmen als auch internationalen Unternehmen gegenüber – zugleich dazu beitragen würden, die USA zu beschwichtigen, könnte der Moment zum Handeln gar nicht besser sein.
Aus dem Englischen von Jan Doolan