delaney1_Jose JimenezGettyImages_bahamas_dorian Jose Jimenez/Getty Images

Eine finanzielle Trendwende für kleine Inselstaaten

NASSAU/MALÉ – Kleine Inselentwicklungsländer sind die Hauptleidtragenden des Klimawandels. Obwohl sie am wenigsten zu den globalen Treibhausgasemissionen beitragen, sind sie durch den Anstieg des Meeresspiegels, durch Extremwetterereignisse sowie die Erwärmung und Versauerung der Meere bedroht. Dies stellt mittlerweile eine existenzielle Gefahr für unsere Lebensweise, unsere Lebensgrundlagen und buchstäblich den Boden unter unseren Füßen dar.

Angesichts unserer unverhältnismäßig starken Abhängigkeit vom Meer sind wir kleinen Inselentwicklungsländer besonders gut positioniert, diese sensible, aber lebenswichtige Ressource zu erhalten. In diesen Ländern befinden sich 40 Prozent der weltweiten Korallenriffe, die ein Viertel aller Meereslebewesen beherbergen und die Lebensgrundlage von 500 Millionen Menschen unmittelbar sichern. Doch obwohl unsere Ökosysteme eine entscheidende Rolle bei der globalen Eindämmung des Klimawandels und der Anpassung daran spielen, sind die kleinen Inselentwicklungsländer aufgrund einer Vielzahl miteinander verbundener wirtschaftlicher und ökologischer Herausforderungen mit negativen Rückkopplungsschleifen konfrontiert.

Auf den Malediven, die aus fast 1.200 Inseln bestehen und 3 Prozent der weltweiten Korallenriffe beherbergen, entfallen bis zu 36 Prozent des BIP auf Fischerei und Tourismus, während rund 98 Prozent der Exporte aus dem Meer stammen. Da die Wirtschaft von der Gesundheit der Korallenriffe und der Meereslebewesen abhängig ist, verheißen die verstärkte Korallenbleiche und sinkende Fischbestände wirtschaftliche Probleme. Darüber hinaus hat der Klimawandel zu Süßwasserknappheit geführt. Aus diesem Grund sind die Malediven auf Wasser in Flaschen angewiesen, wodurch wiederum der Plastikmüll im Meer zunimmt.

Ähnlich verhält es sich auf den Bahamas, die aus 700 Inseln bestehen und das drittgrößte Barriereriff der Welt beherbergen. Der Tourismus spielt für die Wirtschaft der Bahamas sogar eine noch zentralere Rolle: Der Sektor trägt etwa 50 Prozent zum BIP bei und beschäftigt fast 70 Prozent der Arbeitskräfte. Doch trotz seiner zentralen wirtschaftlichen Bedeutung bringt der Tourismus auch Herausforderungen mit sich. So entsorgen etwa Kreuzfahrtschiffe Plastik, Treibstoff und andere Abfälle im Meer und zerstören damit genau die Naturschätze, die Besucher anlocken.

In vielen kleinen Inselentwicklungsländern dient der Ozean auch als wichtige Verkehrsader. Eine Bevölkerung, die über Atolle oder Inselgruppen verstreut lebt, ist hinsichtlich der Beförderung von Menschen und lebenswichtigen Gütern – darunter Lebensmittel, medizinische Hilfsgüter, Trinkwasser und Treibstoff – von Post- und Lastschiffen abhängig, die zwischen den Inseln verkehren und von widrigen Wetterbedingungen besonders stark betroffen sind. Immer häufigere und heftigere Wetterereignisse – eine Folge des Klimawandels – könnten dazu führen, dass Gemeinden nicht ausreichend versorgt werden und keine Gewissheit darüber besteht, wann die nächsten Lieferungen eintreffen.

Abgesehen von der Unterbrechung der Versorgungsketten können Klimakatastrophen auch die Infrastruktur zerstören. Im vergangenen Jahr erlitten St. Vincent und die Grenadinen durch Hurrikan Beryl einen wirtschaftlichen Schaden in der Höhe von schätzungsweise 230 Millionen US-Dollar, das entspricht 22 Prozent des BIP. Hurrikan Dorian vernichtete 2019 über 25 Prozent des BIP der Bahamas. Dominica war 2017 von einem noch schlimmeren Schicksal betroffen, als Hurrikan Maria 95 Prozent der Wohngebäude beschädigte oder zerstörte und wirtschaftliche Verluste in Höhe von 226 Prozent des BIP verursachte. Diese katastrophalen Ereignisse beeinträchtigen jeden Lebensbereich auf unseren Inseln, und die hohen Kosten für den Wiederaufbau führen zu einer weiteren negativen Rückkopplungsschleife: Höhere wirtschaftliche Verluste aufgrund anfälliger Infra­struktur verringern unsere Möglichkeiten, in Resilienz zu investieren.

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Auf den Malediven werden 35 Prozent der Finanzierung für die Klimaanpassung aus dem Staatshaushalt bereitgestellt, während 34 Prozent aus Krediten stammen, die irgendwann zurückgezahlt werden müssen. Diese Ausgaben lenken Ressourcen von anderen dringenden Erfordernissen ab, wie etwa der Verbesserung der Bildungs- und Gesundheitsdienste und der Stärkung der demokratischen Regierungsführung. Darüber hinaus verleitet der finanzielle Druck durch Klimaschocks dazu, den Tiefseebergbau und andere riskante Unternehmungen als kurzfristige Lösung zur Steigerung der Einnahmen in Betracht zu ziehen, trotz der langfristigen Schäden für die marinen Ökosysteme.

Der Schlüssel zur Überwindung dieser Rückkopplungsschleifen liegt in zusätzlichen Finanzmitteln. Das Problem besteht darin, dass viele kleine Inselentwicklungsländer bereits überschuldet sind oder Gefahr laufen, in eine derartige Situation zu geraten, wodurch neue Kredite unerschwinglich werden. Auch Länder, die den Status eines „am wenigsten entwickelten Landes“ hinter sich lassen konnten, haben Schwierigkeiten, genügend Investitionen zu tätigen, weil sie keinen Zugang zu verschiedenen Fördermöglichkeiten und Finanzierungen zu Vorzugsbedingungen mehr haben. Kleine Inselentwicklungsländer laufen also Gefahr, in eine Schuldenspirale zu geraten.

Eine vielversprechende Lösung besteht darin, verstärkt grüne und blaue Anleihen zu nutzen, die eine erschwinglichere Finanzierung der Anpassung an den Klimawandel sowie der Erhaltung der Biodiversität bieten und es den kleinen Inselentwicklungsländern ermöglichen, lebenswichtige Ökosysteme zu schützen und ihre wirtschaftliche Widerstandsfähigkeit zu stärken. Auf den Bahamas beispielsweise soll das kürzlich angekündigte Projekt Nature Bonds - eine sektorübergreifende Initiative von Banken, NGOs und der Regierung der Bahamas - in den nächsten 15 Jahren schätzungsweise 124 Millionen US-Dollar für den Meeresschutz generieren, ohne die Schuldenlast des Landes zu erhöhen. Programme wie der Blue Bond Accelerator der Ocean Risk and Resilience Action Alliance, einer neuen gemeinnützigen Einrichtung, die Regierungen, private Emittenten und Investoren bei der Strukturierung dieser Instrumente unterstützt, werden ebenfalls dazu beitragen, langfristiges Kapital für kleine Inselentwicklungsländer zu erschließen.

Ebenso überzeugen Biodiversitäts- und CO2-Zertifikate, die die entscheidende Rolle der kleinen Inselentwicklungsländer bei der Eindämmung des Klimawandels anerkennen. Die Korallenriffe, Mangroven und die Seegraswiesen dieser Inseln sind wichtige Speicher für Artenvielfalt und Kohlenstoff. Sie absorbieren große Mengen an CO2 und bieten wertvolle wirtschaftliche Vorteile. Mit der Einbeziehung dieser Beiträge in die Compliance-Märkte sowie in die Märkte für freiwillige Emissionszertifikate würden neue Finanzierungsquellen für die kleinen Inselentwicklungsländer erschlossen und sichergestellt, dass sie für ihre Erhaltungsbemühungen finanziell belohnt werden.

Mit diesen Instrumenten können kleine Inselentwicklungsländer unsere einzigartigen Ökosysteme und natürlichen Ressourcen nutzen und auf diese Weise eine widerstandsfähigere und nachhaltigere Zukunft erreichen. Ja, diese Länder stehen an vorderster Front im Kampf gegen den Klimawandel. Aber kleine Inselentwicklungsländer beherbergen auch einige der wertvollsten Naturschätze der Welt. Der Erhalt dieser kostbaren Ressourcen erfordert nachhaltige Wirtschaftsstrategien, innovative Finanzlösungen und - vielleicht am wichtigsten - koordinierte internationale Unterstützung.

Aus dem Englischen von Helga Klinger-Groier

https://prosyn.org/lavqQKFde