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Politik, Wirtschaft und Kohlendioxid im Jahr 2019

STANFORD – Für viele der weltweiten Volkswirtschaften, Finanzmärkte, Regierungschefs und CO2-Maßnahmen hatte 2018 kein gutes Ende: Die Narben der weltweiten Finanzkrise und großen Rezession – gemeinsam mit strukturellen wirtschaftlichen, technologischen, kulturellen und demografischen Langfristtrends – haben dazu geführt, dass sich große Bevölkerungsteile vieler Länder politisch vernachlässigt, kulturell herabgesetzt und/oder wirtschaftlich beeinträchtigt fühlen. Und dass die Bürger ihren Sorgen bei den Wahlen, im Internet und auf der Straße Ausdruck verliehen haben, hat die Politiker erheblich geschwächt.

In Deutschland hat sich die viermalige Kanzlerin Angela Merkel oft an die Spitze der Europäischen Union gestellt. Dann traf sie 2015 ihre folgenschwere Entscheidung, über eine Million Flüchtlinge in Deutschland aufzunehmen. Dies führte zu mehr Druck auf die öffentlichen Dienste, Finanzen und Strafverfolgungsbehörden – ganz zu schweigen von politischer Panikmache. Dadurch wurde Merkel so sehr geschwächt, dass sie sich im Dezember nicht mehr als Parteivorsitzende zur Wahl stellte. Außerdem wird sie 2021, nach Ende ihrer Amtszeit, auch nicht mehr als Kanzlerin zur Verfügung stehen.

Die einwanderungsfeindliche Stimmung beschränkt sich nicht nur auf Deutschland. Von Italien bis nach Polen hat sie die populistischen Parteien gestärkt. In Ungarn wurden Stacheldrahtzäune aufgestellt, um Flüchtlinge abzuwehren. Dänemark konfiszierte den Besitz von Einwanderern und wird nun hunderte „unerwünschte“ Asylbewerber auf eine abgelegene, unbewohnte Insel verschiffen, die einst zur Erforschung kranker Tiere verwendet wurde.

Der Widerstand gegen Einwanderung und die Angst davor, Souveränität an die EU abzugeben, hat auch zu einer weiteren wichtigen Entwicklung der letzten Jahre beigetragen: dem britischen Brexit-Referendum von 2016. Nachdem der damalige Premierminister David Cameron eine Volksabstimmung über den Austritt aus der EU versprach, um seine Wahlmehrheit von 2015 auszubauen, waren die Politiker der Union nicht flexibel genug, die Einwanderung stärker zu kontrollieren und eine Mehrheit der britischen Wähler dazu zu bewegen, sich für einen Verbleib zu entscheiden.

2018 ging das Brexit-Drama in die nächste Runde. Premierministerin Theresa May fand einen Kompromiss mit der EU, fürchtete aber eine haushohe Niederlage im Parlament und verschob die Abstimmung auf den Januar. Der Widerstand ihrer Parteigenossen gegen das Abkommen war so groß, dass sich May einem Misstrauensvotum der Konservativen Partei stellen musste.

Diese Hürde hat May zwar genommen, aber sie sitzt weiterhin zwischen zwei Stühlen – der Weigerung der EU, weitere Zugeständnisse zu machen, und den tiefen Spaltungen im eigenen Land. Umfragen zeigen nun, dass Jeremy Corbin, der linksextreme und vermutlich antisemitische Labour-Parteiführer, wahrscheinlich der nächste britische Premierminister wird.

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Und dann ist da Frankreich, wo Präsident Emmanuel Macron – der einst als der nächste De-Fakto-Anführer Europas bejubelt wurde – in den letzten Wochen eine Welle von Protesten und zivilem Ungehorsam über sich ergehen lassen musste. Bereits vorher hatte Macron Probleme, seine wachstumsfreundliche Reform-Agenda umzusetzen, mit der er den ausufernden französischen Wohlfahrtsstaat maßvoll beschneiden wollte.

Der Auslöser für die Proteste der so genannten Gelbwesten war aber letztlich eine Erhöhung der Benzinsteuer, die als Maßnahme zur Verringerung der Kohlendioxid-Emissionen gedacht war. In dieser großen Volkswirtschaft mit den weltweit höchsten Steuern hatten die Bürger offensichtlich genug von der politischen Klasse, die ihrer Ansicht nach nicht die unmittelbaren Bedürfnisse der Wähler im Blick hat, sondern ein weit entferntes globales Ziel.

In Kanada steht Ministerpräsident Justin Trudeau in den vier (von zehn) kanadischen Provinzen, die seine Emissionsverringerungspolitik ablehnen, vor ähnlichen Hindernissen. Dies könnte ihn im nächsten Jahr seinen Job kosten. Die erhöhten Spannungen zwischen den Zentralregierungen und ihren subnationalen Gegenstücken ist – auch wenn darüber nicht viel berichtet wurde – einer der wichtigsten Trends der letzten Jahre.

Auch anderswo stößt der Klimaschutz auf Widerstand: Bei der Klimakonferenz der Vereinten Nationen (COP24), die im Dezember in der polnischen Bergbaustadt Katowice stattfand, konnten sich die Verhandler kaum auf ein Regelwerk zur Umsetzung des Pariser Klimaabkommens einigen – einschließlich einer konsistenten Methodologie zur Messung von Fortschritten.

Bezeichnenderweise wurde bei der COP24 deutlich, dass viele Länder ihre Verpflichtungen von Paris nicht erfüllt haben (die, selbst wenn sie erfüllt werden, wahrscheinlich noch nicht einmal ausreichen, um die globalen Emissionsziele zu erreichen). Zu diesen Ländern gehört auch Deutschland, wo Merkels Politik der erneuerbaren Energiequellen und der Ausstieg aus der Kernkraft dazu geführt haben, dass mehr schmutzige Braunkohle verbrannt wird, um neben Wind- und Solarenergie die Versorgungssicherheit zu gewährleisten.

Zu Beginn der Konferenz drehte sich die Kritik hauptsächlich um die Vereinigten Staaten, da sich Präsident Donald Trump entschieden hat, so bald wie möglich (also im Jahr 2020) aus dem Pariser Abkommen auszusteigen. Aber trotz des wachsenden Widerstands im Land gegen neue Maßnahmen zum Klimaschutz zählt Amerika in Bezug auf Emissionsminderung zu den besten Ländern der Welt.

Die Bundesstaaten Washington, Arizona und Colorado lehnten kürzlich Initiativen ab, mit denen die Verbrennung fossiler Energieträger verringert werden sollten. Sogar im ultragrünen Kalifornien wurde eine bereits durchgesetzte Erhöhung der Kraftstoffsteuer beinahe wieder aufgehoben. Sie hat nur überlebt, weil die Wähler sich fragten, wie sonst die Reparaturen der vernachlässigten Straßen und Autobahnen des Landes bezahlt werden sollten.

Das Klima ist bei weitem nicht die einzige Sorge, die die Trump-Regierung umtreibt. Bei den letzten Zwischenwahlen hat seine Republikanische Partei die Kontrolle über das US-Repräsentantenhaus verloren. Die makroökonomischen Indikatoren sind zwar weiterhin stark, aber viele fürchten höhere Zinsen, nachlassendes Wachstum im Ausland und die Wirtschafts- und Markttendenzen eines abnehmenden Wirtschaftszyklus. Verstärkt werden diese Sorgen noch durch Trumps Zölle, insbesondere gegen China. Diese können die bereits bestehenden Probleme noch verstärken, indem sie die wachstumsfördernden Effekte der Steuer- und Regulierungsreformen dämpfen.

Weiter im Osten musste die hindu-nationalistische Bharatiya-Janata-Partei des indischen Ministerpräsidenten Narendra Modi in fünf Bundesstaaten schwere Verluste hinnehmen. Auch dort sind zunehmende wirtschaftliche Sorgen dafür verantwortlich. Vor ähnlichen Problemen steht auch China. Das Wachstum sinkt, und der Handelsstreit mit den USA eskaliert. Weltweite Beschwerden über Cyber-Spionage, erzwungene Technologietransfers und die ehrgeizige „Made in China 2025“-Industriepolitik führten zu Restriktionen gegen die Produkte einiger chinesischer Technologiekonzerne. Allerdings bleibt der chinesische Präsident Xi Jinping sicher im Sattel der Macht.

Die politischen Veränderungen in den weltweit größten Volkswirtschaften verdeutlichen, dass das Ausmaß und die Geschwindigkeit der Einwanderung, die eine Gesellschaft ohne übermäßige Störungen absorbieren kann, begrenzt ist. Auch die Bereitschaft der Bürger, sich einer zentralisierten oder gar übernationalen Regierung zu beugen und wirtschaftliche Einbußen in Kauf zu nehmen, stößt an ihre Grenzen. Zu Beginn des Jahres 2019 müssen sich die Politiker auf innenpolitische Themen des täglichen Lebens konzentrieren und gleichzeitig flexible und dezentralisierte politische Modelle entwickeln, die einer diversifizierten Bevölkerung angemessen sind. Dies wird nicht nur die Stabilität der einzelnen Länder verbessern, sondern auch eine stärkere Grundlage für die Zusammenarbeit bei wichtigen internationalen Themen schaffen – vom Handel bis hin zum Klimawandel.

Aus dem Englischen von Harald Eckhoff

https://prosyn.org/F2DPc2ude