sad children Pixabay

Leere Versprechungen und tote Kinder

LONDON – Unter den 169 Zielen nachhaltiger Entwicklung, die die Vereinten Nationen im vergangenen September inmitten von Glitzerevents, Prominenten, sich gegenseitig auf den Rücken klopfenden Politikern, Hilfsgebern und Nicht-Regierungsorganisationen verabschiedeten, lag das wichtige Ziel begraben, „vermeidbare Kindersterblichkeit” bis 2030 zu beseitigen. Es ist eine Aufgabe für unsere Generation, für deren Bewältigung mehr notwendig sein wird als UN-Kommuniqués.

Die vorherigen internationalen Entwicklungsziele, die Millenniumziele, haben sicherlich wichtige Fortschritte erzielt, die Anzahl an Kindern, die vor Erreichen ihres fünften Geburtstages starben, ist von zehn Millionen im Jahr 2000, als die Millenniumziele verabschiedet wurden, auf 5,9 Millionen 2005 gesunken. Einige der ärmsten Länder der Welt verzeichneten dabei die wichtigsten Erfolge.

Dieser Fortschritt wurde von verschiedenen Faktoren begünstigt, wie einer sinkenden Armutsquote und erheblicher Investition in öffentliche Gesundheitssysteme. Durch den Einsatz von Krankenschwestern, Hebammen und anderem Pflegepersonal ermöglichten diese Systeme eine Erweiterung von Schwangerschaftsvorsorge, einfachen geburtsbegleitenden Maßnahmen, sauberer Abnabelung und postnataler Versorgung. Äthiopien zum Beispiel hat im vergangenen Jahrzehnt eine kleine Armee von 38.000 Gesundheitsarbeitern aufgestellt.

Die internationale Zusammenarbeit war auch entscheidend. Die Hilfe für Kinder- und Müttergesundheit ist erheblich angestiegen und beträgt zurzeit 12 Milliarden US-Dollar. Die Entwicklungshilfe hat nicht nur einen wichtigen Beitrag zum Aufbau von öffentlichen Gesundheitsprogrammen geleistet, sondern auch wesentlich dazu beigetragen, Impfstoffe, Mückennetze und medizinische Behandlungen zu entwickeln und einzusetzen. Das wiederum hat dazu geführt, dass die Kindersterblichkeit bei den wichtigsten tödlichen Infektionskrankheiten - Lungenentzündung, Durchfall, Malaria und Masern - seit 2000 um 70 Prozent gesunken ist.

Und jetzt zu den schlechten Nachrichten. In der Zeit, in der wir diesen Artikel lesen, sterben mehr als 30 Kinder an vermeidbaren oder behandelbaren Ursachen.

Jedes Jahr sterben mehr als eine Million Kinder am Tag ihrer Geburt, eine weitere Million stirbt während ihres ersten Lebensjahres. Fast die Hälfte aller Todesfälle von Kindern ereignen sich in der neonatalen Phase (in den ersten 28 Lebenstagen) - mit steigender Tendenz. Die große Mehrheit dieser Todesfälle kann vermieden werden. Aber wenn wir die aktuellen Trends fortschreiben, wird es bis 2030 immer noch 3,6 Millionen dieser Todesfälle geben.

BLACK FRIDAY SALE: Subscribe for as little as $34.99
BF2024-Onsite-1333x1000

BLACK FRIDAY SALE: Subscribe for as little as $34.99

Subscribe now to gain access to insights and analyses from the world’s leading thinkers – starting at just $34.99 for your first year.

Subscribe Now

Um den Fortschritt zu beschleunigen, müssen wir eine Gesundheitsversorgung und andere Interventionen entwickeln, die an den Ursachen des Gesundheitsrisikos für so viele Kinder und deren Mütter ansetzen: Armut, Verwundbarkeit und Ungleichheit. Wenn Gesundheitsversorgung für eine größere Personenzahl verfügbar gemacht wird, ist das ein Anfang. Aber Arme werden nur zu oft ausgegrenzt, selbst wenn es Krankenhäuser gibt.

Nehmen wir Indien, wo weltweit ein Fünftel aller Sterbefälle bei Kindern verzeichnet werden. Fast allen Frauen aus den reichsten 20 Prozent der Haushalte stehen Schwangerschaftsvorsorge und ausgebildetes Gesundheitspersonal bei der Geburt zur Verfügung. Unter den Ärmsten liegt die Versorgungsquote bei lediglich 10 Prozent, das ist eine schlechtere Quote als in den meisten Teilen der Sahelzone. Das starke Wirtschaftswachstum hat nichts dazu beigetragen, dieses Ungleichgewicht zu mildern.

Und Indien ist nur ein Beispiel. Jedes Jahr gebären 36 Millionen Frauen in Ländern mit mittlerem und niedrigem Einkommen ohne eine qualifizierte Hilfskraft. Eine noch höhere Anzahl an Kindern erhält nach der Geburt keinen Gesundheitscheck. Die große Mehrzahl dieser Frauen und Kinder haben eins gemeinsam: sie sind arm. Mit einer Mutter, die ein niedriges Einkommen hat, steigt das Risiko der Kindersterblichkeit um einen Faktor von 2-3 in vielen Ländern Südasiens und der Sahelzone.

Ungleichbehandlung im Gesundheitssystem hat Folgen, die weit über Schwangerschaft und Geburt hinausgehen. Kinder mit armen Müttern haben eine geringere Wahrscheinlichkeit, geimpft zu werden oder ins Krankenhaus gebracht zu werden, um dort eine Behandlung wegen potenziell tödlicher Krankheiten wie Lungenentzündung und Durchfall zu erhalten.

Umfragen haben ergeben, dass die Kosten zu den größten Hürden gehören, die arme Mütter und ihre Kinder von der Gesundheitsversorgung ausschließen. In bitterster Armut lebende Frauen dazu zu zwingen, die Gesundheitsfürsorge für Mutter und Kind zu bezahlen, ist eine Garantie für Ungleichheit, Ineffizienz und Kindersterblichkeit. Eine öffentlich finanzierte allgemeine Gesundheitsversorgung ist nachweislich das Gegenmittel dagegen. Aber politische Eliten in Ländern mit einer hohen Sterblichkeitsrate wie Indien, Pakistan und Nigeria - dieselben, die die Entwicklungsziele unterschrieben haben - haben bisher noch nicht gehandelt.

Wenn es die Regierungen ernst meinen mit den nachhaltigen Entwicklungszielen und dem Versprechen, die Kindersterblichkeitsrate zu senken, müssen sie in ihren Gesundheitssystemen für Gleichheit sorgen. Sie könnten beginnen, indem sie nationale Ziele einführen, um die Differenz der Sterblichkeitsrate zwischen den reichsten 20 und den ärmsten 20 Prozent in den nächsten sieben Jahren zu halbieren.

Aber Ziele, die nicht finanziell abgedeckt sind, sind das Kommuniqué-Papier nicht wert, auf dem sie gedruckt sind. Die Entwicklungsländer müssen mindestens fünf Prozent ihres Bruttoinlandseinkommens für Gesundheit ausgeben, die Gebühren für die Gesundheitsversorgung von Mutter und Kind abschaffen und sicherstellen, dass Finanzmittel - und qualifiziertes Gesundheitspersonal - so zugewiesen werden, dass die Ungleichheiten in der Versorgung reduziert werden.

Die Entwicklungshilfe aus dem Ausland spielt auch eine wichtige Rolle. Hier muss der Schwerpunkt von krankheitsspezifischen Interventionen auf den Aufbau von Gesundheitssystemen verlagert werden. Wir brauchen eine globale Übereinkunft zur Gesundheit um die Finanzierungslücke zu schließen. Es werden circa 30 Milliarden US-Dollar benötigt, um universalen Zugang zur Gesundheitsversorgung zu erreichen. Dafür muss die allgemeine Bevölkerung eines Landes Zugang zu qualifiziertem Gesundheitspersonal erhalten, um eine effektive Versorgung zu gewährleisten. In der Sahelzone allein müssen eine Million Menschen rekrutiert und in Heilberufen ausgebildet werden, um die allgemeine Gesundheitsversorgung umzusetzen.

Jede Strategie zur Erreichung des Ziels der Beseitigung der Kindersterblichkeit bis 2030 muss über den Gesundheitssektor selbst hinausgehen und sich auf die allgemeineren Ungleichheiten fokussieren, die die Kindersterblichkeit begünstigen, wie zum Beispiel in den Bereichen Ernährung, Bildung und Zugang zu sauberem Wasser und Sanitäreinrichtungen. Mädchen brauchen zusätzlichen Schutz vor frühen Zwangsehen und früher Mutterschaft.

In der ganzen Welt sind Kinder einer tödlichen Kombination aus Ungleichheit, Ungerechtigkeit und Geschlechterdiskriminierung ausgesetzt. Sie haben etwas besseres verdient. Das Versprechen, die vermeidbare Kindersterblichkeit bis 2030 zu beseitigen, ist unsere Chance, dafür zu sorgen, dass sie es auch bekommen.

Aus dem Englischen von Eva Göllner.

https://prosyn.org/40AWM7Dde