Demokratiedefizit bei der Weltbank

Der Präsident der Weltbank, James Wolfensohn, hat seinen Rückzug angekündigt und so beginnt die Suche nach einem neuen Chef für die weltweit wichtigste multilaterale Organisation zur Entwicklungsförderung. Vor allem in einer Zeit, da die Armut in der Dritten Welt endlich als unser Hauptproblem und unsere größte Herausforderung anerkannt wird, kommt dieser Personalentscheidung eine besondere Bedeutung zu.

Die Bezeichnung „Bank“ spiegelt die Bedeutung und die mannigfaltigen Aufgaben der Weltbank nur unzureichend wider. Diese Institution verleiht Geld an Länder, damit diese vielfältige Projekte finanzieren können und um ihnen bei der Bewältigung von Krisen beizustehen (wie beispielsweise mit den 10 Milliarden Dollar, die man in den Jahren 1997 und 1998 Korea zur Verfügung stellte). Weltweit spielte die Weltbank eine entscheidende Rolle beim Wiederaufbau nach Konflikten und tut dies immer noch.

Außerdem gewährt die Bank finanzielle Unterstützung, vergibt Niedrigzinskredite an die ärmsten Länder, vor allem für Bildung und Gesundheit, und berät sie über Entwicklungsstrategien. Oftmals tut man sich mit dem IWF zusammen, um den Ländern die „Beratung“ aufzunötigen: Entweder sie tun, was man von ihnen verlangt oder sie werden von den Mittelzuflüssen des IWF und der Weltbank, aber auch der anderen Geberländer abgeschnitten und die Kapitalmärkte verlieren die Motivation, Mittel zur Verfügung zu stellen.

In manchen Fällen – so die Kritiker – ist der Rat des IWF und der Weltbank unsinnig. Das galt gewiss für die 1980er und frühen 1990er Jahre, als eine rechtsgerichtete Ideologie vorherrschte, die für sämtliche Probleme eine Standardlösung parat hatte, zu der Privatisierung, Liberalisierung und makroökonomische Stabilität (gemeint ist Preisstabilität) gehörten. Auf Beschäftigung, Gerechtigkeit oder Umwelt wurde wenig Augenmerk gelegt.

Der Ausdruck „Bank“ ist aber auch in anderer Hinsicht eine Fehlbezeichnung: Obwohl die Weltbank ihre Mitglieder als „Shareholder“ bezeichnet, handelt es sich bei ihr wohl kaum um eine private Bank. Ganz im Gegenteil, die Weltbank ist eine globale öffentliche Institution. Aber während die in der Bank federführenden G-7-Länder ihr Bekenntnis zu Demokratie und guter Regierungsführung verkünden – und deren Förderung als eines ihrer zentralen Ziele nennt – klafft eine gähnende Lücke zwischen dem gesprochenen Wort und der Praxis.

So ist der ganze Auswahlprozess für die Chefs dieser internationalen Institutionen ein historischer Anachronismus, der ihre Leistungsfähigkeit untergräbt und das Engagement der G-7-Länder für Demokratie zur Farce degradiert. Dieser vor 60 Jahren konzipierte Prozess ist eingebettet in ein Übereinkommen, wonach der Chef der Weltbank ein Amerikaner und der Leiter des IWF ein Europäer zu sein hat. Der amerikanische Präsident bestimmt den Chef der Weltbank und Europa entscheidet kollektiv über den IWF-Chef. Dabei herrscht gegenseitiges Einverständnis, dass die jeweils andere Seite ihr Vetorecht nur dann ausübt, wenn ein Kandidat gänzlich inakzeptabel erscheint.

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In den Vereinigten Staaten müssen alle wichtigen Ernennungen des Präsidenten vom Senat ratifiziert werden. Und obwohl Ablehnungen selten vorkommen, ist dieser Überprüfungsprozess durchaus von Bedeutung, weil er dem Präsidenten Grenzen vorgibt. Das Amt des Weltbankpräsidenten ist allerdings ein seltener Leckerbissen für den Präsidenten – die Ernennung ist nicht einmal Gegenstand einer Anhörung im Kongress.

Wie kann man Ratschläge zu demokratischen Reformen ernst nehmen, wenn jene multilateralen Institutionen, die sie erteilen, nicht einmal bei sich selbst die von ihnen propagierten Maßstäbe für Offenheit, Transparenz und Mitbestimmung anlegen? Warum sollte die Suche nach einem Nachfolger für Wolfensohn auf Amerikaner (und vor allem auf speziell einer politischen Partei zugewandten Amerikaner) beschränkt sein? Warum findet die Suche hinter verschlossenen Türen statt? Sollten diese internationalen öffentlichen Institutionen sich nicht nach der Person mit den besten Qualifikationen ohne Rücksicht auf ethnische Zugehörigkeit, Religion, Geschlecht oder Nationalität umsehen?

Die beiden Namen, die bis jetzt – vermutlich als Versuchsballons - ins Spiel gebracht wurden, sind besonders bedenklich. Um es offen zu sagen: Angesichts der Bedeutung der Weltbank wurde die Nennung der beiden präsumtiven Kandidaten der USA, nämlich des stellvertretenden Verteidigungsministers Paul Wolfowitz und der früheren Hewlett-Packard-Vorstandvorsitzenden Carleton Fiorina auf der ganzen Welt höchst kontrovers aufgenommen. Selbst wenn der amerikanische Präsident traditionell den Chef der Weltbank ernennen darf, so hängt der Erfolg der Organisation vom Vertrauen der anderen ab. Weder Wolfowitz noch Fiorina verfügen über irgendeine Ausbildung oder Erfahrung in den Bereichen Wirtschaftsentwicklung oder Finanzmärkte.

Gewiss, manche der früheren Weltbankchefs erledigten ihren Job besser als erwartet. Sie wuchsen mit ihrer Aufgabe, trotz mangelnder Qualifikationen, aufgrund derer sie es in einem offenen und objektiven Auswahlverfahren niemals in die engere Auswahl geschafft hätten. Sie bewiesen, dass die Möglichkeit über sich hinauszuwachsen, immer besteht. Allerdings wird dadurch das Risiko mangelnder Leistung nicht aufgehoben. Darum ist die beste Strategie die Suche nach dem besten Kandidaten.

Es gibt ein paar absolut erstklassige Kandidaten für diesen Job, Personen, die ihre Fähigkeiten im Bereich der Wirtschaftsentwicklung ebenso unter Beweis gestellt haben wie ihren Intellekt, ihre persönliche Integrität sowie ihre politischen und organisatorischen Fähigkeiten. Zu diesen potenziellen Kandidaten gehören der ehemalige mexikanische Präsident Ernesto Zedillo, der an der Universität Yale ausgebildet wurde, heute dort unterrichtet und in einem Leitartikel in der Financial Times stark favorisiert wurde. Überdies zu nennen sind Arminio Fraga, ausgebildet an der Universität Princeton und ehemaliger Chef der brasilianischen Zentralbank sowie Kemal Dervis, ehemaliger Vizepräsident der Weltbank, der in Princeton unterrichtete und die Türkei als Finanzminister erfolgreich aus einer ihrer Krisen führte. Warum sollte sich die Welt mit weniger als Kandidaten dieses Kalibers zufrieden geben?

Es ist an der Zeit, dass die G-7-Länder ihr verbales Engagement für Demokratie auch mit Taten untermauern. Viele stellten sich den USA entgegen, als sie auf einen Krieg im Irak drängten. Sie lagen richtig mit ihrer Skepsis gegenüber den amerikanischen Behauptungen einer unmittelbaren Gefahr durch Massenvernichtungswaffen.

Was hier auf dem Spiel steht ist nicht weniger wichtig: das Leben und Wohlergehen von Milliarden Menschen in der Dritten Welt hängt von einem globalen Krieg gegen die Armut ab. Die Wahl des richtigen Generals in diesem Krieg ist keine Garantie für den Sieg, aber die Wahl des falschen erhöht bestimmt die Wahrscheinlichkeit für eine Niederlage.

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