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Harris spielt Schach, Trump Dame

CAMBRIDGE, MASS.: Unabhängig davon, ob Vizepräsidentin Kamala Harris oder Ex-Präsident Donald Trump die US-Präsidentschaftswahlen im November gewinnt, gibt es wenig Zweifel, dass das Ergebnis tiefgreifende Auswirkungen auf das politische Klima des Landes haben wird. Weniger klar jedoch sind angesichts von Trumps mangelndem Interesse an Politik und der Versuche von Harris’ Wahlkampfteam, die Aufmerksamkeit vom Anstieg der Lebensmittelpreise unter Joe Biden abzulenken, die wirtschaftlichen Auswirkungen.

Bislang stehen die Finanzmärkte der Wahl weitgehend gleichgültig gegenüber. Das könnte daran liegen, dass die Anleger davon ausgehen, dass weder Harris noch Trump die Kontrolle über beide Häuser des Kongresses erlangen wird, was ihre Möglichkeiten, zur Umsetzung weitreichender Gesetzesvorhaben einschränkt. Da Umfragen und Wettmärkte ein außergewöhnlich knappes Rennen vorhersagen, liegt der Schluss nahe, dass ein politisches Patt das wahrscheinlichste Ergebnis ist. Aber stimmt das? Meiner Meinung nach steigen die Chancen auf einen Sieg der Demokraten, und die Anleger täten gut daran, dies zu beachten.

Seit dem Rückzug Bidens und dem Beginn von Harris’ bemerkenswertem Aufstieg scheinen die Republikaner – oder genauer gesagt Trump – Dame zu spielen, während die Demokraten Schach spielen. Obwohl es der republikanischen Partei nicht an cleveren Strategen mangelt, ignoriert der Parteiführer deren Ratschläge entweder oder es fehlt ihm an der nötigen Konzentration, um sie zu befolgen.

Im Gegensatz dazu führen die Demokraten einen bemerkenswert disziplinierten Wahlkampf. Sie halten Harris weitgehend von Presseinterviews und Improvisation erfordernden Momenten fern; die einzige Ausnahme war bisher ein Interview am Donnerstag mit einem ihr sehr wohlgesonnenen CNN-Korrespondenten, bei dem ihr zudem Tim Walz – ihr vorgesehener Vizepräsident – unterstützend zur Seite stand. Diese Strategie hat sich als äußerst wirksam erwiesen: Harris strahlte in ihren sorgfältig ausgearbeiteten Reden Charisma und Energie aus und konnte sich in ihrem ersten Interview problemlos behaupten. Trump, der ein Jahrzehnt lang die Nachrichten beherrschte, sieht sich ins Abseits gedrängt und tut sich schwer, die öffentliche Aufmerksamkeit zurückzugewinnen.

Sollten die Demokraten das Weiße Haus gewinnen, den Senat halten und das Repräsentantenhaus zurückerobern, wird Harris in der Lage sein, weitreichende Wirtschaftsreformen umzusetzen. Die Abschaffung der Filibuster-Regel im Senat, wie sie die Demokraten wiederholt versprochen haben, würde es ihrer Regierung ermöglichen, die republikanische Opposition selbst mit einer knappen Mehrheit zu überrollen. Diese Strategie würde den Republikanern zweifellos den Weg ebnen, dasselbe zu tun, wenn sie irgendwann wieder an die Macht kommen. Das könnte zu langfristigen Unwägbarkeiten führen, doch scheint die demokratische Führung davon unbeeindruckt.

Die Kontrolle über Exekutive und Legislative würde es Harris und den Demokraten jedoch ermöglichen, das US-Defizit – das 2024 voraussichtlich 1,9 Billionen Dollar erreichen wird – und die steigende langfristige Verschuldung durch Verabschiedung dringend erforderlicher Steuererhöhungen zumindest teilweise anzugehen. Harris hat bereits vorgeschlagen, die Steuern für Reiche und Unternehmen zu erhöhen, um im nächsten Jahrzehnt neue Einnahmen in Höhe von fünf Billionen Dollar zu erzielen. Aber sie wird sich schwertun, ihre ehrgeizigen progressiven Pläne umzusetzen, ohne das Defizit zu erhöhen oder ihr Versprechen zu brechen, dass es unter ihr keine Steuererhöhungen auf Einkommen unter 400.000 Dollar pro Jahr geben würde. Harris sagt zwar, sie wolle nach Donald Trump und dem vergangenen Jahrzehnt der amerikanischen Politik „ein neues Kapitel aufschlagen“, aber sie hat wenig Klarheit darüber geboten, wie das nächste Kapitel aussehen könnte.

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Trump hat ebenfalls Steuererhöhungen vorgeschlagen, allerdings in Form eines allgemeinen Einfuhrzolls von 10 % und eines Zolls von 60 % auf chinesische Waren. Angesichts der Tatsache, dass die USA 2023 Waren im Wert von mehr als drei Billionen Dollar importieren, könnte dies in der Tat erhebliche Einnahmen generieren. Vor allem in Entwicklungsländern mit schwachen Steuererhebungssystemen sind Zölle üblich.

Doch trotz Trumps gegenteiliger Behauptungen würden die von ihm vorgeschlagenen Zölle – obwohl sie technisch gesehen gegenüber ausländischen Unternehmen erhoben würden – letztlich zu höheren Preisen für die US-Verbraucher führen, die die Hauptlast der Kosten tragen würden. Darüber hinaus würden andere Länder unweigerlich Vergeltungsmaßnahmen ergreifen und die Kosten für Importwaren weiter in die Höhe treiben.

Weder Trump noch Harris scheinen an einer Verringerung des Defizits sonderlich interessiert zu sein. Harris’ Wirtschaftsplan enthält eine Reihe kostspieliger Maßnahmen – z. B. die Wiedereinführung der Steuergutschrift der Biden-Regierung für Kinder und Subventionen für Erstwohnungskäufer. In Anbetracht von Harris’ Hintergrund als progressive Demokratin aus Kalifornien ist zu vermuten, dass ihr Ausgabenprogramm letztlich weit über diese ersten Vorschläge hinausgehen wird.

Trump hat Steuersenkungen für alle versprochen und erklärt, er werde die Leistungen der Sozialversicherung nicht nur für einkommensschwache Rentner steuerfrei stellen, sondern auch für die Wohlhabenden, die höhere Steuersätze zahlen und daher am meisten davon profitieren würden. Man muss kaum erwähnen, dass dieser Ansatz unverantwortlich ist.

Was die US-Notenbank geht, wird der Kontrast zwischen beiden Kandidaten noch deutlicher. Harris hat versprochen, die Unabhängigkeit der Fed zu respektieren, obwohl sie wahrscheinlich „taubenhafte“ Banker ernennen würde, die selbst auf die Gefahr eines Anstiegs der Inflation hin favorisieren würden, die Zinssätze niedrig zu halten. Trump seinerseits hat vorgeschlagen, dass der Präsident ein Mitspracherecht bei den Diskussionen der Fed haben sollte – ein Rückfall in die Zeit vor der Autonomie der Notenbank. In Anbetracht von Trumps Neigung, Gespräche zu monopolisieren, muss man sich fragen, ob überhaupt noch jemand zu Wort kommen würde.

Im Idealfall wird keine der beiden Seiten aus den Wahlen im November mit der Macht hervorgehen, ihren Willen durchzusetzen. Aber falls eine Partei am Ende das Weiße Haus und beide Häuser des Kongresses kontrolliert, dann dürften es mit viel höherer Wahrscheinlichkeit die Demokraten sein als die Republikaner. Für Amerikas Seele wäre ein Sieg der Harris-Partei zwar besser. Aber was er für die Wirtschaft bedeuten würde, ist weit weniger klar.

Aus dem Englischen von Jan Doolan

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