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Die neue EU-Führung muss gegenüber China geeint auftreten

KOPENHAGEN – Schon bald wird die Außenpolitik der Europäischen Union unter neuer Leitung stehen. Ursula von der Leyen scheint zwar die besten Aussichten zu haben, um als Präsidentin der Europäischen Kommission weiterzumachen, doch das Amt des Präsidenten des Europäischen Rates sowie eines neuen Außenpolitik-Chefs sind neu zu besetzen.  Beide künftigen Amtsinhaber werden eine undankbare Agenda übernehmen, zu der auch die Auseinandersetzung mit der russischen Invasion in der Ukraine und dem anhaltenden Krieg zwischen Israel und der Hamas in Gaza gehören. Wenn es allerdings darum geht, Europas Platz in der Welt zu bestimmen, wird die wichtigste Frage darin bestehen, wie die EU auf ein zunehmend aggressives China reagiert.

Einst hoffte Europa auf eine Zukunft, in der China als vertrauenswürdiges Mitglied einer regelbasierten internationalen Ordnung nach und nach unsere Werte übernehmen würde, doch die heutige Realität ist von dieser Vision weit entfernt. China setzt seine enormen Produktionskapazitäten ein, um europäische Unternehmen mit Billigwaren zu unterbieten. Überdies nutzt das Land regelmäßig sein wirtschaftliches Gewicht zur Bestrafung kleinerer Länder, die sich den Wünschen des chinesischen Präsidenten Xi Jinping widersetzen und es unterstützt den russischen Präsidenten Wladimir Putin wirtschaftlich und politisch, damit er seinen Krieg in der Ukraine fortsetzen kann.

Am meisten beunruhigt jedoch die Möglichkeit einer Krise in der Taiwanstraße. Im vergangenen Monat hielt Taiwans neuer Präsident William Lai eine Rede anlässlich seines Amtsantritts, in der er eine „neue Ära voller Herausforderungen, aber auch grenzenloser Hoffnung“ verkündete. Darauf reagierte China innerhalb weniger Tage mit groß angelegten Militärübungen rund um die Insel. Kampfflugzeuge mit scharfer Munition flogen an den Grenzen des taiwanesischen Luftraums, und inszenierte Schiffskontrollen dienten als Warnung vor der chinesischen Bereitschaft, das importabhängige Taiwan auszuhungern. Im Vorfeld von Putins Invasion in der Ukraine verfolgte Europa eine Strategie des „Hoffens auf das Beste” doch diesen Fehler darf man im Falle Xis nicht wiederholen.  

Es ist von der Leyens anzurechnen, dass sie gegenüber China eine deutlich härtere Haltung eingenommen hat als ihre Vorgänger. Sie hat von der Notwendigkeit der Risikominderung (wenn auch nicht einer Entkopplung) gesprochen und auch ein „Instrument gegen Zwangsmaßnahmen” eingeführt, um der wirtschaftlichen Erpressung durch China zu begegnen. Außerdem hat man unter ihrer Führung mit der Gewährung überaus großzügiger eigener Subventionen energischer auf Chinas Versuche reagiert, europäische Hersteller zu unterbieten. Nach monatelangen Untersuchungen kündigte die Europäische Kommission kürzlich die Einhebung erheblicher Zölle auf Elektrofahrzeuge aus China an.

Doch trotz dieses entschlosseneren Vorgehens gegen die wirtschaftliche Bedrohung durch China bleibt Europa im Hinblick auf Provokationen gegen Taiwan gespalten und schwach. Im Rahmen offizieller Reisen nach Peking haben europäische Staats- und Regierungschefs kurzfristige wirtschaftliche Überlegungen über europäische Werte und langfristige Interessen gestellt. Im Zusammenhang mit den Spannungen zwischen China und Taiwan merkte der französische Präsident Emmanuel Macron letztes Jahr bedenklicherweise an, dass Europa „sich nicht in Krisen verstricken darf, die nicht unsere sind.“ Die Rhodium Group schätzt jedoch, dass ein Konflikt in der Taiwanstraße Wirtschaftsaktivitäten im Ausmaß von über 2 Billionen US-Dollar gefährden würde. Eine Krise im Südchinesischen Meer wäre auch eine Krise für Europa.

Auf der anderen Seite des Atlantiks hat US-Präsident Joe Bidenwiederholt erklärt, Amerika würde Taiwan im Falle eines chinesischen Angriffs verteidigen. Auch wenn Europa nicht in der Lage ist, militärisch zu reagieren, kann seine neue Führung zumindest klarstellen, dass jeder Versuch Chinas, den Status quo in Taiwan mit Gewalt zu ändern, auf eine entschiedene und geschlossene Reaktion stoßen würde. Dazu sollte unter anderem die Vorbereitung von Sanktionen gehören, die über die bereits beispiellosen Maßnahmen gegen Russland hinausgehen.

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Bislang hat Europa widersprüchliche Signale ausgesendet, wie es auf die chinesische Aggression reagieren würde. Das hat die Gefahr von Fehleinschätzungen nur noch erhöht. Da China zur Stützung seines Wirtschaftswachstums weit mehr als Russland auf die globalen Märkte angewiesen ist, hätte eine deutliche Benennung der wirtschaftlichen Konsequenzen eines Übergriffs stark abschreckende Wirkung.

Würde man es Xi ermöglichen, Taiwan mit Waffengewalt zu annektieren, wäre die regelbasierte internationale Ordnung am Ende. Eine Welt, in der das Recht des Stärkeren gilt, ist eine Gefahr für jedes demokratische Land. Die von Russland geschürte Instabilität würde sich schnell auf Asien und darüber hinaus ausbreiten.

Die Autokraten dieser Welt sehen Schwäche als Chance. Wie Putin versteht auch Xi nur Stärke und Entschlossenheit. Putin hat die kollektive Selbstgefälligkeit des Westens als Einladung verstanden, einen brutalen Krieg gegen die Ukraine zu beginnen. Wenn sich Chinas Kriegsschiffe das nächste Mal um Taiwan scharen und seine Kampfjets Angriffe auf die Insel simulieren, darf Europa nicht den gleichen Fehler wieder machen und tatenlos zusehen.

Wenn es darum geht, einem autokratischen und aggressiven China entgegenzutreten, verfolgen Europa, die USA und die übrige demokratische Welt im Grunde dieselben Interessen. Für das neue Führungsteam der EU gilt es, dies zu verstehen und gegenüber Xi eine klare Sprache zu sprechen. Gelingt dies, bleibt Taiwans Traum von der „grenzenlosen Hoffnung“ weiterhin realisierbar. Wenn nicht, werden künftige EU-Führungen mit einer noch gefährlicheren Situation konfrontiert sein.

Übersetzung: Helga Klinger-Groier

https://prosyn.org/w7dExbHde