World Bank president with Narendra Modi, president of India World Bank Photo Collection/Flickr

Flucht vor der Weltbank

PHILADELPHIA – Das bei der Jahrestagung von Internationalem Währungsfonds und Weltbank in Lima (Peru) totgeschwiegene, aber allzeit präsente Thema waren die von China inspirierte Asiatische Infrastruktur-Investitionsbank (AIIB) und die Neue Entwicklungsbank (oder „BRICS-Entwicklungsbank“, wie sie ursprünglich genannt wurde). Werden diese neuen Organisationen sich wie die Weltbank oder wie die im traditionelleren Sinne „bankartige“ Europäische Investitionsbank (EIB) verhalten? Vor allem: Werden sie als Instrumente fungieren, um Chinas Interessen zu fördern – oder diese paradoxerweise behindern?

Tatsache ist, dass diese neuen Organisationen im kommenden Jahrzehnt als Kreditgeber keine wirklich große Rolle spielen werden. Das eingezahlte Kapital beider beträgt jeweils zehn Milliarden Dollar; sofern sie sich nicht in erheblichem Umfang mit privaten Investitionen eindecken können, wird jede selbst bei einem Einlagen-Kredit-Verhältnis von 20% (dem gegenwärtigen Tiefstwert der Weltbank) im kommenden Jahrzehnt lediglich Kredite von rund 50 Milliarden Dollar ausreichen können – kein Kleingeld, aber nicht wirklich weltbewegend. Entscheidend ist, dass die größeren Schwellenmärkte viel Geld in Organisationen stecken, in denen China die beherrschende Rolle spielen wird – ein Hinweis darauf, wie frustriert sie über die Weltbank und den IWF sind.

Die Weltbank ist wie ein altes Schiff: In den sieben Jahrzehnten ihres Bestehens haben sich Entenmuscheln und aller möglicher sonstiger Bewuchs – schwer wieder loszuwerdende Haushaltsergänzungen und Transaktionskosten – auf ihrem Rumpf festgesetzt, die ihre Beweglichkeit und Leistung stetig verringern. Im Finanzjahr 2015 hat die EIB mehr als doppelt so hohe Kredite vergeben wie die Weltbank, und das mit einem Sechstel des Personals. Egal, ob man dies auf der Basis von Finanzflüssen (Darlehensauszahlungen) oder Bestandszahlen (ausstehendes Kreditvolumen) misst: Die Weltbank hat viel zu viel Personal, und ihr Verwaltungsbudget ist viel höher als das der EIB.

Als die Bank gegründet wurde, war der zentrale Lenkungsmechanismus ein interner Verwaltungsrat, der an ein Direktorium – in der Regel Finanzminister oder ähnlich hochrangige Regierungsvertreter aus Mitgliedsländern – berichtete. Im Laufe der Zeit entstand eine Vielzahl neuer Ämter: eine Innenrevision, ein unabhängiges Bewertungsamt, ein Prüfungsrat, ein Ethikbeauftragter und ein Büro für institutionelle Integrität.

Der Großteil dieser Ausweitung der Bürokratie erfolgte auf Druck aus den Entwicklungsländern, die ihre Bemühungen zeitlich mit der periodischen Wiederauffüllung der Kreditmittel der Internationalen Entwicklungsorganisation (einer Unterorganisation der Weltbank, die Kredite zu Vorzugsbedingungen vergibt) abstimmten. Die Kritik gut organisierter westlicher NGOs setzte die Bank zusätzlich unter Druck und lenkte die Aufmerksamkeit von echten Strukturveränderungen in der Leitung der Organisation ab. Und gewitzte Bankpräsidenten wissen, dass der beste Weg, politischen Druck abzuwehren, in der Einführung von zusätzlichem Firlefanz besteht – insbesondere, wenn dieser deutlich sichtbar ist und die Aufmerksamkeit auf sich lenkt.

Vor rund zwei Jahrzehnten gab es einen Ombudsmann und ein internes Verwaltungstribunal, um Beschwerden von Mitarbeitern anzusprechen. Heute gibt es eine ganze Batterie „interner Gerechtigkeitsservices“: den Beratungsdienst für Respekt am Arbeitsplatz, ein Mediationsbüro – dass ein Meditationsbüro dazukommt, ist vermutlich nur eine Frage der Zeit –, Peer-Review-Gremien, ein Büro für Ethik und Geschäftsverhalten und sogar einen Vizepräsidenten für Integritätsfragen. In Anlehnung an den Komiker Fred Allen könnte man sagen: „Auf Schiffen nennt man sie Entenmuscheln; bei der Weltbank setzen sie sich an Schreibtischen fest und heißen Vizepräsidenten.“ Und seit der letzten Reorganisation gibt es mehr als zwei Dutzend davon.

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Zugleich spiegelt die extreme Risikoscheu der Bank eine rationale Reaktion auf Kritiker wider, die ein Riesentamtam um jedes gescheiterte Projekt oder Programm machen. Kritiker, die gescheiterte Projekte im Bereich der Wirtschaft ohne Weiteres akzeptieren, finden die Bank im Vergleich zum privaten Sektor faultierartig langsam und sind empört, wenn ihre Projekte scheitern. Doch statt zu argumentieren, dass wirtschaftliche Entwicklung per se risikobehaftet ist und ein Projektportfolio mit ausgewogenem Risikoprofil (und risikoadäquaten Kreditzinsen) zu entwickeln, tut die Bank, als könne sie unfehlbar sein. Infolgedessen hat sich das Beste zum Feind des Guten entwickelt.

Wie das Budget der Bank zeigt, geht diese Risikoscheu Hand in Hand mit verzerrten institutionellen Prioritäten. Im Finanzjahr 2015 wurden 623 Millionen Dollar dem Bereich „Kundendialog“ zugewiesen, während fast anderthalb mal so viel – 931,6 Millionen Dollar – in den Bereich „Institutionelles, Leitung und Verwaltung“ ging. (Die verbleibenden 600 Millionen Dollar für den Bereich „Programm- und Verfahrensmanagement“ dienen vorgeblich der Unterstützung des Kreditbetriebs.) Die Kosten allein für den Verwaltungsrat beliefen sich auf 87 Millionen Dollar. Die Bank betont lauthals die Wichtigkeit der Forschung – und gibt dann fast genauso viel – 44 Millionen Dollar – für „Außen- und Unternehmensbeziehungen“ aus.

Viele der Herausforderungen, vor denen die Weltbank steht, sind durch den Druck bedingt, unter den sie von ihren großen Anteilseignern gesetzt wird. Weil diese sich weigern, Macht an die kleineren Anteilseigner abzugeben oder eine wesentliche Erhöhung der Ressourcen zuzulassen, um die viel größeren globalen Anforderungen zu erfüllen, hatten die Schwellenländer kaum eine andere Wahl, als eigene Organisationen zu gründen.

Die Weltbank wird nicht verschwinden: Es gibt zu viele Partikularinteressen (darunter auch Wissenschaftler und NGOs), die gern ihren Anteil vom fremden Geld abhaben möchten. Doch die Leistung der Bank versinnbildlicht, wie selbst gut konzipierte und gebaute Schiffe an Fahrt verlieren, je mehr Bewuchs sich an ihrem Rumpf sammelt – bis sie irgendwann neueren Schiffen Platz machen müssen.

Aus dem Englischen von Jan Doolan

https://prosyn.org/qaneoS1de