BERLIN – Weltweit höhlen die rechten Populisten die Demokratie und die Rechtsstaatlichkeit aus. Aber im Gegensatz zu vielen Diktatoren des zwanzigsten Jahrhunderts versuchen die heutigen Möchtegern-Autokraten, die Fassade der Institutionen, die sie zerstören, aufrecht zu erhalten, was die Oppositionsparteien vor ein Dilemma stellt: Sollen sie weiter nach den Regeln spielen, die zu ihren Ungunsten geändert wurden, oder sollen sie anfangen, ihre eigenen Regeln aufzustellen – und damit riskieren, als die wahren Totengräber der liberalen Demokratie beschuldigt zu werden?
Bisher wurde allgemein angenommen, die Verletzung von Normen führe nur dazu, dass die Demokratie noch schneller zerstört wird. Aber unter bestimmten Umständen sind harte Bandagen im konstitutionellen Bereich angemessen: Wenn autokratische Paragraphenreiter den Text der Gesetze dazu missbrauchen, den Geist demokratischer Institutionen zu verletzen, sollten ihre Gegner genau umgekehrt vorgehen.
In vielen rechtspopulistisch regierten Ländern – wie Ungarn oder Polen – gibt es keine vereinigte Opposition, und die Parteien können den Angeboten der Regierung eine Vielzahl von Maßnahmen als Alternativen entgegen setzen (und nicht alles, was ein rechtspopulistisches Regime tut, ist per se autoritär). Aber wenn grundlegende politische Prinzipien auf dem Spiel stehen, muss sich die Opposition unbedingt zusammentun und den Bürgern ganz klar signalisieren, dass sich die Lage über normale politische Uneinigkeit hinaus entwickelt hat.
Natürlich ist die Unterscheidung zwischen normalen politischen Auseinandersetzungen und tatsächlichen Bedrohungen des Systems mehr eine Kunst als eine Wissenschaft. Wird sie richtig betrieben, kann sie die Verbreitung von Zynismus unter den Wählern aufhalten. Aber eine solche Strategie setzt voraus, dass Bürger mit Argumenten über verfassungsrechtliche Pflichten überzeugt werden können, die alle Demokraten miteinander teilen sollten.
Angesichts dessen, dass der Pluralismus der Medien in vielen Ländern radikal abgebaut wurde, ist dies eine gefährliche Annahme. So sind unter dem ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán und dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan Angriffe auf unabhängige Fernsehsender und Zeitungen heute an der Tagesordnung. Und in den USA haben sich die republikanischen Wähler in einem medialen Ökosystem eingesponnen, das von Fox News und anderen rechten Propagandakanälen dominiert wird.
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Aber selbst wenn alle Wähler korrekt informiert würden, wären einige immer noch geneigt, ihre eigenen politischen Interessen über den Schutz der liberalen demokratischen Institutionen zu stellen. Eine der deprimierendsten politikwissenschaftlichen Erkenntnisse der letzten Jahre ist, dass Bürger selbst dann, wenn sie erkennen, dass Rechtspopulisten eine Gefahr für die Demokratie sind, ihre parteipolitischen Neigungen an erste Stelle setzen. Anders ausgedrückt, sie sind bereit und willens, die Demokratie selbst aufzugeben, um ihre persönlichen politischen oder ideologischen Präferenzen durchzusetzen.
Ein solcher Zynismus ist kein Grund für die Oppositionsparteien, damit aufzuhören, an das Gewissen der Wähler zu appellieren. Aber sie müssen erkennen, dass ihr Publikum nicht nur aus potenziell überzeugbaren Wählern besteht, sondern auch aus Rechtspopulisten und ihren opportunistischen Verbündeten. Beim Umgang mit der zweiten Gruppe reicht es nicht mehr, die Schamlosen dazu bringen zu wollen, sich zu schämen, sondern man muss Feuer durch Feuer bekämpfen.
In den USA beispielsweise profitieren die Republikaner von einem klaren Ungleichgewicht: Während sie alles tun würden, um an die Macht zu kommen und dort zu bleiben, fühlen sich die Demokraten immer noch dem Geist der Regeln verpflichtet und haben sogar die Hoffnung auf parteiübergreifende Zusammenarbeit noch nicht aufgegeben. Hätten die Republikaner allerdings Grund zu der Annahme, dass auch die Demokraten beginnen, machtpolitisch bis an ihre Grenze zu gehen, könnten sie ihr eigenes politisches Kalkül verändern.
Nehmen wir beispielsweise das Dilemma, vor dem die Demokraten nun nach dem Tod der Obersten Richterin Ruth Bader Ginsburg stehen. In ihrer Eile, den freien Posten mit einem konservativen Hardliner zu besetzen, geben die Republikaner im Senat noch nicht einmal mehr vor, im Einklang mit den Positionen zu stehen, die sie noch 2016 vertreten haben. Damals weigerten sie sich kategorisch, Präsident Barack Obamas Richterkandidaten Merrick Garland zu akzeptieren – angeblich aufgrund der Präsidentschaftswahlen später in jenem Jahr.
Wollen die Demokraten die Republikaner zwingen, ihr Verhalten zu ändern, müssen sie jede dieser Normverletzungen einzeln bekämpfen. Versuchen die Republikaner, innerhalb der nächsten Wochen einen Kandidaten für das Oberste Gericht durchzudrücken, sollten die Demokraten den Senat zum Stillstand bringen, indem sie allen normalerweise unumstrittenen Routineanträgen widersprechen. Außerdem sollten sie realistische Pläne aufstellen, um nach einem eventuellen Wahlsieg das oberste Gericht personell zu vergrößern.
Würden solche Ellbogentaktiken die politische Polarisierung des Landes nur noch vertiefen und eine Abwärtsspirale der Normverletzungen auslösen? Dagegen spricht, dass die Polarisierung kaum stärker werden könnte, als sie es bereits ist. Und, konkreter ausgedrückt, nicht alle Normen sind gleich, und sie müssen noch nicht einmal wirklich normativ sein. Trump brach die „Norm“, ein Haustier (normalerweise einen Hund) im Weißen Haus zu halten, aber dies ist wohl kaum eine Angelegenheit grundlegender demokratischer Prinzipien.
Im Gegensatz dazu schlagen die Demokraten vor, den Senat repräsentativer zu machen, indem die Filibuster abgeschafft sowie Puerto Rico und Washington DC als Staaten anerkannt werden sollen. Diese Maßnahmen stünden völlig im Einklang mit demokratischen Prinzipien, und im Namen von Freiheit und Gleichheit wären sie absolut gerechtfertigt – ebenso wie ein stärkerer Schutz der Wählerrechte. Natürlich interpretiert Mitch McConnell, Trumps führender Zuarbeiter und republikanischer Mehrheitsführer im Senat, jeden dieser demokratiefördernden Vorschläge als parteipolitischen Griff nach der Macht. Aber dies liegt daran, dass er in gar keinen anderen Begriffen denken kann. Er hat sich völlig der Tyrannei der Minderheit ergeben – genau dem, was die amerikanischen Gründerväter zu verhindern versucht haben.
Ja, die Entscheidung, politisch mit harten Bandagen zu kämpfen, darf nie leichtfertig getroffen werden. Aber wenn penibles Klammern an Normen zum Wohl der Demokratie den Feinden der Demokratie einen sicheren Sieg beschert, muss sie getroffen werden.
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Despite being a criminal, a charlatan, and an aspiring dictator, Donald Trump has won not only the Electoral College, but also the popular vote – a feat he did not achieve in 2016 or 2020. A nihilistic voter base, profit-hungry business leaders, and craven Republican politicians are to blame.
points the finger at a nihilistic voter base, profit-hungry business leaders, and craven Republican politicians.
Shell-shocked Europeans will be tempted to hunker down and hope that Donald Trump does not make good on his most extreme threats, like sweeping import tariffs and quitting NATO. But this would be a catastrophic mistake; Europeans must swallow their pride and try to capitalize on Trump’s craving for admiration.
outlines a strategy for EU leaders to win over the next US president and mitigate the threat he represents.
Anders Åslund
considers what the US presidential election will mean for Ukraine, says that only a humiliating loss in the war could threaten Vladimir Putin’s position, urges the EU to take additional steps to ensure a rapid and successful Ukrainian accession, and more.
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BERLIN – Weltweit höhlen die rechten Populisten die Demokratie und die Rechtsstaatlichkeit aus. Aber im Gegensatz zu vielen Diktatoren des zwanzigsten Jahrhunderts versuchen die heutigen Möchtegern-Autokraten, die Fassade der Institutionen, die sie zerstören, aufrecht zu erhalten, was die Oppositionsparteien vor ein Dilemma stellt: Sollen sie weiter nach den Regeln spielen, die zu ihren Ungunsten geändert wurden, oder sollen sie anfangen, ihre eigenen Regeln aufzustellen – und damit riskieren, als die wahren Totengräber der liberalen Demokratie beschuldigt zu werden?
Bisher wurde allgemein angenommen, die Verletzung von Normen führe nur dazu, dass die Demokratie noch schneller zerstört wird. Aber unter bestimmten Umständen sind harte Bandagen im konstitutionellen Bereich angemessen: Wenn autokratische Paragraphenreiter den Text der Gesetze dazu missbrauchen, den Geist demokratischer Institutionen zu verletzen, sollten ihre Gegner genau umgekehrt vorgehen.
In vielen rechtspopulistisch regierten Ländern – wie Ungarn oder Polen – gibt es keine vereinigte Opposition, und die Parteien können den Angeboten der Regierung eine Vielzahl von Maßnahmen als Alternativen entgegen setzen (und nicht alles, was ein rechtspopulistisches Regime tut, ist per se autoritär). Aber wenn grundlegende politische Prinzipien auf dem Spiel stehen, muss sich die Opposition unbedingt zusammentun und den Bürgern ganz klar signalisieren, dass sich die Lage über normale politische Uneinigkeit hinaus entwickelt hat.
In den Vereinigten Staaten sind die Bemühungen der Republikanischen Partei, den Patient Protection and Affordable Care Act („Obamacare“) abzuschaffen, zwar grausam und inkohärent, aber sie reichen bereits bis vor Donald Trumps Präsidentschaft zurück, und ihr Erfolg würde nicht das Ende der amerikanischen Demokratie bedeuten. Die dreiste Missachtung hingegen, mit der die Trump-Regierung die Kontrolle durch den Kongress umgeht, ist keine übliche Politik mehr, sondern ein Angriff auf das, was der politische Philosoph John Rawls „verfassungsmäßige Notwendigkeiten“ nannte.
Natürlich ist die Unterscheidung zwischen normalen politischen Auseinandersetzungen und tatsächlichen Bedrohungen des Systems mehr eine Kunst als eine Wissenschaft. Wird sie richtig betrieben, kann sie die Verbreitung von Zynismus unter den Wählern aufhalten. Aber eine solche Strategie setzt voraus, dass Bürger mit Argumenten über verfassungsrechtliche Pflichten überzeugt werden können, die alle Demokraten miteinander teilen sollten.
Angesichts dessen, dass der Pluralismus der Medien in vielen Ländern radikal abgebaut wurde, ist dies eine gefährliche Annahme. So sind unter dem ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán und dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan Angriffe auf unabhängige Fernsehsender und Zeitungen heute an der Tagesordnung. Und in den USA haben sich die republikanischen Wähler in einem medialen Ökosystem eingesponnen, das von Fox News und anderen rechten Propagandakanälen dominiert wird.
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Ein solcher Zynismus ist kein Grund für die Oppositionsparteien, damit aufzuhören, an das Gewissen der Wähler zu appellieren. Aber sie müssen erkennen, dass ihr Publikum nicht nur aus potenziell überzeugbaren Wählern besteht, sondern auch aus Rechtspopulisten und ihren opportunistischen Verbündeten. Beim Umgang mit der zweiten Gruppe reicht es nicht mehr, die Schamlosen dazu bringen zu wollen, sich zu schämen, sondern man muss Feuer durch Feuer bekämpfen.
In den USA beispielsweise profitieren die Republikaner von einem klaren Ungleichgewicht: Während sie alles tun würden, um an die Macht zu kommen und dort zu bleiben, fühlen sich die Demokraten immer noch dem Geist der Regeln verpflichtet und haben sogar die Hoffnung auf parteiübergreifende Zusammenarbeit noch nicht aufgegeben. Hätten die Republikaner allerdings Grund zu der Annahme, dass auch die Demokraten beginnen, machtpolitisch bis an ihre Grenze zu gehen, könnten sie ihr eigenes politisches Kalkül verändern.
Nehmen wir beispielsweise das Dilemma, vor dem die Demokraten nun nach dem Tod der Obersten Richterin Ruth Bader Ginsburg stehen. In ihrer Eile, den freien Posten mit einem konservativen Hardliner zu besetzen, geben die Republikaner im Senat noch nicht einmal mehr vor, im Einklang mit den Positionen zu stehen, die sie noch 2016 vertreten haben. Damals weigerten sie sich kategorisch, Präsident Barack Obamas Richterkandidaten Merrick Garland zu akzeptieren – angeblich aufgrund der Präsidentschaftswahlen später in jenem Jahr.
Die Demokraten müssen erkennen, dass die Republikaner nicht nur gegen die Demokratische Partei kämpfen, sondern auch gegen die Demokratie. Die Republikaner haben einem autoritären Staatschef die Gefolgschaft geschworen, und sie tun noch nicht einmal mehr so, an der Lösung tatsächlicher Probleme interessiert zu sein. So haben sie sich noch nicht einmal bemüht, auf ihrem diesjährigen nationalen Parteitag ein Programm aufzustellen. Mit ihrer höchst unbeliebten plutokratischen Wirtschaftspolitik und ihrer Abhängigkeit von der Verbitterung der Weißen hat sich die GOP völlig damit abgefunden, eine Minderheitspartei zu sein – weshalb sie auch versucht hat, sich verstärkt innerhalb von nicht mehrheitlich entscheidenden Institutionen wie dem Senat (wo die ländliche Wählerschaft über völlig überproportionale Macht verfügt) und den Gerichten zu verankern. Dabei schreckt sie auch nicht davor zurück, die Wähler unverhohlen zu unterdrücken und Nicht-Weiße von der Stimmabgabe abzuhalten.
Wollen die Demokraten die Republikaner zwingen, ihr Verhalten zu ändern, müssen sie jede dieser Normverletzungen einzeln bekämpfen. Versuchen die Republikaner, innerhalb der nächsten Wochen einen Kandidaten für das Oberste Gericht durchzudrücken, sollten die Demokraten den Senat zum Stillstand bringen, indem sie allen normalerweise unumstrittenen Routineanträgen widersprechen. Außerdem sollten sie realistische Pläne aufstellen, um nach einem eventuellen Wahlsieg das oberste Gericht personell zu vergrößern.
Würden solche Ellbogentaktiken die politische Polarisierung des Landes nur noch vertiefen und eine Abwärtsspirale der Normverletzungen auslösen? Dagegen spricht, dass die Polarisierung kaum stärker werden könnte, als sie es bereits ist. Und, konkreter ausgedrückt, nicht alle Normen sind gleich, und sie müssen noch nicht einmal wirklich normativ sein. Trump brach die „Norm“, ein Haustier (normalerweise einen Hund) im Weißen Haus zu halten, aber dies ist wohl kaum eine Angelegenheit grundlegender demokratischer Prinzipien.
Im Gegensatz dazu schlagen die Demokraten vor, den Senat repräsentativer zu machen, indem die Filibuster abgeschafft sowie Puerto Rico und Washington DC als Staaten anerkannt werden sollen. Diese Maßnahmen stünden völlig im Einklang mit demokratischen Prinzipien, und im Namen von Freiheit und Gleichheit wären sie absolut gerechtfertigt – ebenso wie ein stärkerer Schutz der Wählerrechte. Natürlich interpretiert Mitch McConnell, Trumps führender Zuarbeiter und republikanischer Mehrheitsführer im Senat, jeden dieser demokratiefördernden Vorschläge als parteipolitischen Griff nach der Macht. Aber dies liegt daran, dass er in gar keinen anderen Begriffen denken kann. Er hat sich völlig der Tyrannei der Minderheit ergeben – genau dem, was die amerikanischen Gründerväter zu verhindern versucht haben.
Ja, die Entscheidung, politisch mit harten Bandagen zu kämpfen, darf nie leichtfertig getroffen werden. Aber wenn penibles Klammern an Normen zum Wohl der Demokratie den Feinden der Demokratie einen sicheren Sieg beschert, muss sie getroffen werden.
Aus dem Englischen von Harald Eckhoff