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Parteien brauchen Programme

BERLIN – Der jüngste Nationale Parteitag der Republikaner war aus viele Gründen skandalös – vom Missbrauch des Weißen Hauses als Wahlkampfkulisse (wodurch der Hatch Act und traditionelle Normen verletzt wurden) und der dreisten Verlogenheit seiner Sprecher bis hin zur Parade der Trumpschen Familienmitglieder. Beim diesem geschmacklosen Spektakel der GOP, die zu einer Filiale des Trump-Organisation geworden ist, fiel ein schockierender Aspekt besonders ins Auge: Die Partei hatte kein Programm zu bieten. Offensichtlich besteht das einzige Ziel der Republikaner darin, „die America-First-Agenda des Präsidenten enthusiastisch zu unterstützen“.

In gewisser Weise könnte die Vermeidung eines politischen Programms als kluge Strategie betrachtet werden, um die Partei von Trump zu isolieren. Sollte der Präsident im November besiegt werden, könnten die Mitglieder der GOP ihre Hände von ihm reinwaschen und behaupten, er sei nur ein unbeliebter Staatschef, der verloren hat – und die traditionellen Ziele der Partei blieben unangetastet.

Plausibler ist aber, dass die giftige Polarisierung und die extreme Parteilichkeit in Amerika eine neue Ebene erreicht haben. Mindestens eine der beiden großen politischen Parteien wurde völlig ausgehöhlt und erfüllt ihre grundlegende demokratische Funktion nicht mehr.

Diese Funktion erfordert nicht nur, dass Parteien den Wählern eine Wahl bieten, sondern auch, dass sie regeln müssen, wie politische Kämpfe geführt werden. Indem Parteien einige Gruppen stärker ansprechen als andere, zeichnen sie Linien in den Sand, und indem sie bestimmte politische Fronten gegenüber anderen betonen, schmieden sie Koalitionen, die sehr anders ausgesehen hätten, wenn andere, genauso wichtige Themen in den Vordergrund gestellt worden wären.

Der Sinn der Demokratie ist nicht, zu jedem Thema einen Konsens zu finden, sondern mit widersprüchlichen Interessen und Verpflichtungen umzugehen. Aber wenn Parteien oder Politiker die Legitimität anderer Kandidaten offen dämonisieren oder leugnen, können Demokratien zusammenbrechen. Solche Taktiken sind seit langem die Spezialität rechtsgerichteter Populisten, die Kulturkriege führen, um alle politischen Konflikte auf die Frage der Zugehörigkeit zu reduzieren. Also kümmert sich Trump nicht um die Argumente seiner Gegner, sondern verunglimpft alle Kritiker als „unamerikanisch“.

Wie die Politikwissenschaftler Jacob S. Hacker und Paul Pierson gezeigt haben, geht der Hang der Republikaner zum Kulturkrieg größtenteils auf die Tatsache zurück, dass ihre wirtschaftspolitische Agenda überaus unbeliebt ist. Da sie die Steuern für die Reichen gesenkt haben und angesichts der COVID-19-Pandemie kläglich gescheitert sind, müssen Trump und seine Partei potenzielle Wähler von materiellen Anliegen ablenken.

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Dieser „plutokratische Populismus“ ist, wie Hacker und Pierson zeigen, das Ergebnis der völligen Unfähigkeit der Republikaner, neue politische Ideen zu finden. Es geht ihnen lediglich um die immer gleichen Steuersenkungen und unklugen Deregulierungen, während sie nicht in der Lage waren, eine stimmige Alternative zum Affordable Care Act („Obamacare“) von 2010 zu bieten, obwohl sie immer versprochen haben, dieses Gesetz durch „etwas Fabelhaftes“ zu ersetzen.

Ebenso wie die GOP ihre Identität an die Kulturkrieger der rechtsextremen Fernsehkanäle und Webseiten ausgelagert hat, hat sie ihre intellektuelle Arbeit an die Thinktanks delegiert, von denen die meisten eher daran interessiert sind, ihre Geldgeber zu befriedigen, als allgemein beliebte und effektive politische Vorschläge zu entwerfen.

Dies sind natürlich nicht nur amerikanische Probleme. Überall im Westen wurden die traditionellen Parteien durch Neubewerber herausgefordert, die meist keine ernsthaften internen Debatten führen – ganz zu schweigen davon, dass es ihnen an demokratischer Entscheidungsfindung mangelt. In den Niederlanden hat die Partei des rechtsextremen Populisten Geert Wilders nur zwei offizielle Mitglieder: Wilders selbst und eine Stiftung, deren einziges Mitglied wiederum er selbst ist. Auch die britische Brexit-Partei prahlt mit über 110.000 „zahlenden Unterstützern“, ist aber tatsächlich nur ein Unternehmen mit beschränkter Haftung mit vier Angestellten und nur einer registrierten „Person mit wesentlicher Kontrolle“: dem allgegenwärtigen Brexiteer und ständigen Polarisierer Nigel Farage.

Sicherlich sind politische Parteien keine Debattierclubs. Aber sie sollen neue Ideen und politische Pläne ins Leben rufen, was eine Einmannshow oder ein Familienunternehmen wahrscheinlich nicht können. Auch wenn Parteien bestimmte, von ihren Mitgliedern geteilte Prinzipien vertreten müssen, wird die Entscheidung über solche Prinzipien immer umstritten sein, und sie zu vertreten geschieht nicht automatisch.

US-Präsident Lyndon Johnson beobachtete einst, dass das „was der Mann auf der Straße will, keine große Debatte über grundlegende Themen ist, sondern er will ein wenig medizinische Versorgung, einen Teppich auf dem Boden, ein Bild an der Wand“. Aber wie Johnsons Demokratische Partei auf die harte Tour lernen musste, kann sogar „ein wenig medizinische Versorgung“ grundlegende Konflikte auslösen.

Solche Wettkämpfe werden am besten nicht nur mit der gegnerischen Partei ausgefochten, sondern auch in einer offenen, pluralistischen internen Debatte. Wenn mit Disputen so umgegangen wird, ist es wahrscheinlicher, dass die Verlierer die Niederlage akzeptieren und gegenüber der Partei loyal bleiben können. Massenhafte Beifallsbekundungen der Art, wie sie die Republikaner für Trump veranstalten, neigen hingegen dazu, einige Parteimitglieder in Richtung Ausgang zu treiben.

Das Markenzeichen einer gut funktionierenden Partei ist die Fähigkeit, langfristig Menschen mit stabilem parteipolitischen Engagement anzuziehen. Paradoxerweise flößt eine Partei, die ihren Mitgliedern Kritik ermöglicht, ohne dass sie dafür als Verräter gebrandmarkt werden, ihren Anhängern letztlich tiefere Loyalität ein.

Es geht nicht darum, innerhalb der Partei partizipatorische Demokratie zu idealisieren. Aber trotzdem gibt es einen Grund dafür, warum beispielsweise die Verfassungen von Deutschland, Spanien und Portugal einen internen Parteipluralismus vorsehen. Indem dieses Modell die Menschen an demokratische Debatten gewöhnt und zu der Sichtweise zwingt, dass auch die andere Seite recht haben könnte, verkörpert es das, was im Zeitalter der Polarisierung verloren gegangen ist.

Parteien, die im Innern autoritär sind, regieren wahrscheinlich auch autoritärer als andere. Ein System gut funktionierender politischer Parteien reicht für die Demokratie nicht aus, aber es ist notwendig. Obwohl der Staat den Parteien nicht vorschreiben kann, intensive interne Diskussionen zu führen, könnten und sollten strengere Richtlinien für innerparteilichen Pluralismus und Verantwortlichkeit vorgeschrieben werden. Unternehmen mit beschränkter Haftung und Familienunternehmen haben zwar ihre gesellschaftliche Funktion, aber diese besteht nicht darin, Politik zu betreiben.

Aus dem Englischen von Harald Eckhoff

https://prosyn.org/vFcy5APde