desalegn2_Gabriel AponteGetty Images_cop16 Gabriel Aponte/Getty Images

Die Biodiversitätskrise ist eine Sicherheitskrise

ADDIS ABEBA – Unser langfristiger Wohlstand und das Wohlergehen künftiger Generationen befinden sich in Gefahr, da der Verlust der biologischen Vielfalt und der Zusammenbruch kritischer Ökosysteme nicht nur unsere Umwelt bedrohen, sondern auch Risiken für Wirtschaft, öffentliche Gesundheit, nationale Sicherheit und globale Stabilität mit sich bringen. Auf der aktuell in der kolumbianischen Stadt Cali stattfindenden Biodiversitätskonferenz der Vereinten Nationen 2024 wird man dieser Krise endlich mit dem erforderlichen politischen Engagement und den entsprechenden finanziellen Mitteln begegnen müssen.

Unter Biodiversität versteht man in der Regel die Vielfalt des Lebens auf der Erde – also die Zahl der Pflanzen- und Tierarten sowie der Mikroorganismen. Ihre Bedeutung kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Die Biodiversität bildet die Grundlage für lebenserhaltende Ökosystemleistungen wie etwa Wasserreinigung, Hochwasserschutz und Klimaregulierung. Der rapide Rückgang von Arten und Ökosystemen – eine Million Pflanzen- und Tierarten stehen aktuell kurz vor dem Aussterben – stellt daher eine existenzielle Bedrohung dar.

Ohne Gegenmaßnahmen wird der Verlust der biologischen Vielfalt den Klimawandel beschleunigen sowie dessen Folgen verstärken und damit zu einer Zunahme von Naturkatastrophen und Marktschocks beitragen. Darüber hinaus werden unsere landwirtschaftlichen Systeme zunehmend anfällig für Gefahren – von Schädlingen und Krankheitserregern bis hin zu extremen Wetterereignissen – und die Ozeane werden ihrer lebenswichtigen Fischbestände beraubt. Diese Entwicklung wird sich sowohl auf Preise als auch auf die Verfügbarkeit von Lebensmitteln auswirken, zu einer Verknappung im globalen Süden führen und die Unsicherheit in ohnehin schon fragilen Gesellschaften noch verstärken.

Aufgrund dieser Trends wird einer wachsenden Zahl von Menschen nichts anderes übrig bleiben, als auf der Suche nach besseren Lebensbedingungen aus ihrer Heimat zu fliehen. Laut der Denkfabrik Institute for Economics and Peace könnten Naturkatastrophen und andere ökologische Bedrohungen bis 2050 bis zu 1,2 Milliarden Menschen in die Flucht treiben. Diese „Umweltflüchtlinge“ könnten Zielländer destabilisieren, die internationalen Beziehungen belasten und bestehende Sicherheitsgefüge in Frage stellen. Da die gesamte bewohnbare Fläche des Planeten schrumpft und der Wettbewerb um Ressourcen zunimmt, werden Konflikte nahezu unvermeidlich sein.

Der Verlust der biologischen Vielfalt bedroht zudem die öffentliche Gesundheit, die untrennbar mit den uns umgebenden Ökosystemen in Verbindung steht. Viele Krankheiten – darunter neu auftretende Infektionskrankheiten wie Mpox – können direkt auf Veränderungen der Biodiversität zurückgeführt werden. Da die Zerstörung von Lebensräumen dazu führt, dass Wildtiere in engeren Kontakt mit der menschlichen Bevölkerung kommen, steigt das Risiko für Zoonosen wie Covid-19.

Um eine derartige Zukunft abzuwenden, muss der Verlust der biologischen Vielfalt in allen Ländern als Sicherheitsproblem anerkannt werden. Das heißt, Überlegungen zur biologischen Vielfalt sind in die jeweilige Verteidigungs- und Außenpolitik einzubeziehen. Und es bedeutet, Gegenmaßnahmen ebenso entschlossen wie bei jeder anderen Sicherheitskrise zu finanzieren. Unter anderem sind Investitionen in Verfahren zum Schutz von Ökosystemen zu tätigen und ehrgeizige Maßnahmen zu ergreifen, um die Ursachen des Verlusts der biologischen Vielfalt, wie die Zerstörung von Lebensräumen und den Klimawandel, zu bekämpfen.

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Schätzungen zufolge werden bis 2030 jährlich zusätzliche 700 Milliarden US-Dollar benötigt, um die Biodiversitätskrise zu bewältigen. Glücklicherweise einigte man sich auf der UN-Biodiversitätskonferenz (COP15) im Jahr 2022 darauf, diese Lücke durch die schrittweise Abschaffung oder Umwidmung abträglicher Subventionen in Höhe von 500 Milliarden US-Dollar und die Beschaffung der restlichen 200 Milliarden US-Dollar zu schließen. Die Finanzmittel, die entwickelte Volkswirtschaften an ihre Partner in Entwicklungsländern vergeben, sollen bis 2025 mindestens 20 Milliarden US-Dollar pro Jahr und bis 2030 mindestens 30 Milliarden US-Dollar jährlich erreichen.

Das mag viel erscheinen, ist aber ein Klacks im Vergleich zu den Kosten, die entstehen, wenn wir nichts tun. Prognosen des Environmental Change Institute der Universität Oxford zufolge könnten die durch den Verlust der biologischen Vielfalt und die Schädigung der Ökosysteme verursachten Schocks für die Weltwirtschaft in nur fünf Jahren bis zu 5 Billionen US-Dollar an Kosten verursachen. Der weltweite Finanzierungsbedarf zur Erhaltung der Biodiversität wird auch durch die derzeitigen Verteidigungsausgaben in den Schatten gestellt, die sich 2022 auf 2,24 Billionen US-Dollar beliefen. Da Investitionen in die Natur eine der kosteneffizientesten langfristigen Verteidigungsstrategien überhaupt darstellen, sollten sie von den Ländern mit den höchsten Verteidigungsausgaben, allen voran den USA, übernommen werden.

Wie im Falle jeder guten Sicherheitsstrategie muss die Finanzierung mit internationaler Zusammenarbeit einhergehen. Die Folgen des Biodiversitätsverlusts machen nicht an Landesgrenzen halt. Die Staaten müssen zusammenarbeiten, um wichtige Lebensräume zu schützen, Umweltvorschriften durchzusetzen und nachhaltige Entwicklungspraktiken zu fördern.

Daher sollten multilaterale Gruppen wie die High Ambition Coalition for Nature and People weiterhin eine führende Rolle bei der Ausarbeitung internationaler Abkommen und Aktionspläne übernehmen, in denen die Erhaltung der Biodiversität als Eckpfeiler der globalen Sicherheit verankert ist. Die Politik muss sich weiterhin darauf konzentrieren, das „30x30“-Ziel des Biodiversitätsrahmens zu erreichen und zwar durch Förderung und Erleichterung staatlicher Maßnahmen zum Schutz von 30 Prozent der weltweiten Land- und Meeresflächen bis 2030. Darüber hinaus gilt es für die Mitglieder der Gruppe aus dem Globalen Norden, die finanzielle Unterstützung für Länder im Globalen Süden zu erhöhen, damit diese die notwendigen Ausweisungen von Schutzgebieten vornehmen können. Insbesondere hat der Norden dabei seiner Verpflichtung nachzukommen, bis 2025 jährlich mindestens 20 Milliarden US-Dollar für die Naturschutzfinanzierung bereitzustellen.

Schließlich müssen wir die Öffentlichkeit einbeziehen und informieren. Bildungs- und Sensibilisierungskampagnen, im Rahmen derer die Bedeutung des Schutzes der biologischen Vielfalt erklärt wird, ermöglichen es Einzelpersonen und Gemeinschaften, sich für politische Maßnahmen zum Schutz unserer natürlichen Ressourcen einzusetzen und so den notwendigen politischen Willen zu erzeugen.

Im Falle einer Bedrohung der Wirtschaft, der öffentlichen Gesundheit, der nationalen Sicherheit und der globalen Stabilität durch einen feindlichem Staat würden wir alles daransetzen, uns zu verteidigen. Die Biodiversitätskrise stellt auch eine derartige Bedrohung dar.

Aus dem Englischen von Helga Klinger-Groier

https://prosyn.org/0WeWP3tde