oneill104_KIRILL KUDRYAVTSEVAFP via Getty Images_russiacurrency Kirill Kudryavtsev/AFP via Getty Images

Führen die Russland-Sanktionen zu einer Umgestaltung des Währungssystems?

LONDON – Die brutalen Kämpfe in der Ukraine werfen vielerorts die Frage auf, ob die vermeintliche strategische Brillanz des russischen Präsidenten Wladimir Putin tatsächlich so großartig ist, wie behauptet. Zwar rechnete Putin damit, dass die Nato auf seinen Krieg militärisch nicht reagieren würde, aber die Solidaritätsbereitschaft des Westens hat er wohl unterschätzt. Die Vereinigten Staaten sowie ihre Verbündeten und Partner haben bereits beispiellos drastische Wirtschafts- und Finanzsanktionen gegen Putins Regime verhängt und die Entscheidung, Russlands Zentralbank von den internationalen Finanzmärkten auszuschließen (und damit praktisch die Devisenreserven des Landes einzufrieren) ist wohl eine Meisterleistung.

Zwar hat sich Russland in den letzten Jahren zunehmend aus dem Dollar verabschiedet und seine Reserven diversifiziert, doch angesichts des Ausmaßes der internationalen Reaktion und ihrer unmittelbaren Auswirkungen auf die russische Wirtschaft scheint diese Strategie nicht auszureichen, um Zugang zu den benötigten Finanzmitteln zu erhalten. Sogar die Schweiz ließ verlauten, dass sie sich am neuen Sanktionsregime beteiligen und russische Vermögenswerte einfrieren wird. Wenn Russland also nicht über umfangreiche Reserven in chinesischen Renminbi oder in Währungen jener Länder verfügt, die das Land noch unterstützen, wird seine Wirtschaft unausweichlich unter Druck geraten.

Ungeachtet dessen, wie Russland reagieren wird, lautet nun die Frage, was diese Schritte des Westens - und fast aller Finanzzentren der Welt - für künftige Währungsangelegenheiten und das internationale Währungssystem bedeuten werden. Sind wir Zeugen einer weiteren Konsolidierung US-amerikanischer Macht auf Grundlage eines Dollar-dominierten Systems, oder wird dieses Vorgehen die Voraussetzungen für jene Art der Fragmentierung des Devisen- und Finanzsystems schaffen, die einige Analysten seit langem erwarten?

Als jemand, der selbst schon Artikel über die Zukunft des Dollars verfasste, kann ich mich an keine frühere politische Verlautbarung erinnern, die den weltweiten währungspolitischen Einsatz derart hoch schraubte. Die unmittelbare Auswirkung der Russland-Sanktionen besteht darin, dass die fortgesetzte Dominanz der USA hervorgehoben wird. Doch viele Schwellenländer könnten sich gezwungen sehen, den lehrbuchmäßigen Ansatz zum Aufbau von Devisenreserven als Schutz vor Wirtschaftskrisen zu überdenken. Die Notwendigkeit einer derartigen Selbstversicherung war die große Lehre aus der asiatischen Finanzkrise der Jahre 1997-1998. Doch nun, da die russische Zentralbank nicht mehr in der Lage ist, ihre Devisen in Rubel zu konvertieren, scheint diese Strategie mit neuen Risiken verbunden zu sein.

Das gilt insbesondere für Länder, deren Ambitionen – wie etwa die Bedrohung und der anschließende Einmarsch in ein kleineres Nachbarland  - im Widerspruch zu den in der demokratischen Welt des Westens vorherrschenden Normen stehen. Man muss kein Genie sein, um zu erkennen, dass China sowohl ob der Unverfrorenheit des russischen Krieges als auch der westlichen Reaktionen alarmiert und verärgert ist. Sollte China militärisch gegen Taiwan vorgehen, könnte das Land ebenfalls damit rechnen, einen Großteil seines Zugangs zum globalen Finanzsystem zu verlieren.

Man kann verstehen, warum die Überwindung dieser starken Abhängigkeit vom westlich kontrollierten Währungssystem für einige Länder jetzt möglicherweise zu einer der obersten Prioritäten avanciert. Wären Renminbi, Rubel, indische Rupien und weitere Währungen für andere Länder einfacher konvertierbar, könnte ein völlig anderes internationales Währungssystem entstehen - in dem die gegen Russland verhängten Sanktionen keine so starke Wirksamkeit entfalten würden. Allerdings scheint ein derartiges Szenario aus zwei Gründen unwahrscheinlich.

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Zunächst hat es ja einen Grund, warum sich China nicht stärker engagierte, um den Renminbi als internationale Währung zu etablieren. Auf den vielen Konferenzen über die weltweite Währungsordnung, an denen ich teilgenommen habe, war die Botschaft der chinesischen Wissenschaftler schon lange klar: deren bevorzugte Methode zur Verbesserung des aktuellen Systems besteht in der Ausweitung der Rolle der Sonderziehungsrechte, also der Reserveguthaben des Internationalen Währungsfonds.

Das ergibt durchaus Sinn, wenn man bedenkt, welche Entwicklungen eine Internationalisierung des Renminbi mit sich brächte. Da China weitaus größere Freiheit hinsichtlich der Verwendung seiner Währung im Ausland zulassen müsste, wäre das Land gezwungen, seine Möglichkeiten im Bereich Kapitalkontrollen aufzugeben. Bisher war man dazu nicht bereit. Doch ohne Liberalisierung des Kapitalverkehrs würde wohl kein Land – nicht einmal ein finanziell derart angeschlagenes wie Russland – seine Reserven in Renminbi veranlagen wollen.

Zweitens müsste eine Großmacht wie China, selbst wenn sie auf die veränderten Umstände mit umfassenden Finanzreformen reagieren würde, immer noch glaubwürdige Zusicherungen hinsichtlich der Sicherheit und Liquidität der außerhalb der westlichen Währungen gehaltenen Reserven geben. Warum sollte sonst jemand das Risiko eingehen?

Auch in diesem Fall scheint es unwahrscheinlich, dass China Reformen umsetzt, die radikale Veränderungen des eigenen Wirtschafts- und Regulierungsmodells erfordern würden. Sollte China doch über seinen Schatten springen und sein Finanzsystem öffnen, würde dies mit ziemlicher Sicherheit zu strukturellen Veränderungen der globalen Währungsordnung führen. Aber selbst in diesem Fall könnten die Änderungen nicht rechtzeitig eintreten, um Russland die Folgen des schauderhaften Verhaltens seines Präsidenten zu ersparen.

Aus dem Englischen von Helga Klinger-Groier

https://prosyn.org/1FiQMrpde