ms7664c.jpg Margaret Scott

Die Illusion vom Endspiel in Afghanistan

STOCKHOLM – Während meines jüngsten Besuchs in Afghanistan und Pakistan sind mir die immer häufigeren internationalen Forderungen nach einem „Endspiel“ in Afghanistan nicht entgangen. Aber ein Endspiel für dieses Land ist eine gefährliche Illusion: Das Spiel wird nicht enden, ebenso wenig wie die Geschichte. Einzig und allein die internationale Aufmerksamkeit für Afghanistan und das Engagement in diesem Land könnten zu Ende gehen und das wiederum könnte sehr wohl katastrophale Folgen haben.

Das internationale Augenmerk richtet sich momentan auf das Jahr 2014. Bis zu diesem  Zieldatum soll die Verantwortung für die Sicherheit des Landes schrittweise von den internationalen Truppen auf die afghanische Regierung übertragen werden. Dieser Prozess ist nicht ohne Herausforderungen, aber es gibt Grund zur Annahme, dass er mehr oder weniger planmäßig und im Einklang mit dem aktuellen Fahrplan abgeschlossen werden kann.  

Persönlich glaube ich, dass Afghanistan im Jahr 2014 mit einer viel problematischeren Herausforderung konfrontiert sein wird: der Wahl eines neuen Präsidenten. In einem System, wo der Präsident im Zentrum einer immensen – offenen und verborgenen, verfassungsmäßigen und traditionellen - Machtfülle steht, könnten die Wahlen leicht in eine kompromisslose Schlacht um die Zukunft des Landes ausarten.   

Die Präsidentenwahl des Jahres 2009 – bei der Hamid Karzai für eine zweite Amtszeit wiedergewählt wurde – war eine höchst umstrittene Angelegenheit, bei der sich weder das politische System Afghanistans noch die internationale Gemeinschaft mit Ruhm bekleckerten. In Kombination mit der Auseinandersetzung um die zukünftige Rolle der Taliban im Land, könnten während des Machtkampfs 2014 alte Trennlinien aufbrechen, die das Land wieder an den Abgrund eines Bürgerkriegs bringen, wenn die liberalen Technokraten in Kabul zwischen einer wieder erstarkenden Nördlichen Allianz  und einem umfassenderen „Paschtunischen Pakt“ aufgerieben werden.

Ein derartiges Szenario würde in Afghanistan natürlich in die Katastrophe führen. Aber die Auswirkungen wären noch weitreichender. Wir dürfen die ernsthaften Gefahren für Pakistan nicht vergessen, wo eine neue Welle dschihadistischer Rhetorik und Mobilisierung fatale Folgen für die Hoffnungen haben könnte, ein stabiles und sicheres Land aufzubauen. Wir sollten die Lehren aus den 1980er Jahren gezogen haben: Unwissenheit ist kein Segen.  

Wie sollte nun die angemessene Politik der internationalen Gemeinschaft aussehen?

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Zunächst müssen wir uns auf den wichtigsten Aspekt konzentrieren – nämlich den Übergang zu einem System nach der Ära Karzai, das von allen Seiten als einigermaßen legitim anerkannt wird. In erster Linie ist das eine Frage der Gestaltung möglichst freier und fairer Wahlen und in diesem Bereich wird die Rolle der Vereinten Nationen von entscheidender Bedeutung sein. Karzai kann kein besseres politisches Vermächtnis hinterlassen als einen geordneten Übergang. Außerdem hat er kein Interesse, all das von ihm Erreichte in Flammen aufgehen zu sehen.  

Zweitens müssen wir einen echten regionalen Dialog anregen, um zu verhindern, dass Afghanistan zum Schlachtfeld verheerender Stellvertreterkriege wird. In dieser Hinsicht besteht die Schlüsselaufgabe in der Überbrückung der Kluft zwischen der pakistanischen Regierung und den Truppen in Nord-Afghanistan. Pakistan muss das Nötige tun, um alle Seiten davon zu überzeugen, dass das Land keine verborgene Agenda mit den Taliban verfolgt – vorausgesetzt natürlich, dass man keine derartigen Absichten hat.   

Ebenso wichtig ist, dass Pakistan und Indien in einen offenen Dialog eintreten, der für Vertrauen und Transparenz hinsichtlich ihrer jeweiligen Politik gegenüber Afghanistan sorgt. Heute besteht dieser Dialog kaum und die von Misstrauen geschürten wechselseitiges Manöver der beiden Länder könnten ihren schwächeren Nachbarn leicht destabilisieren.

Aus historischen, geographischen und kulturellen Gründen kann und soll schließlich die Rolle des Iran in Afghanistan nicht unbeachtet bleiben.

Es besteht kein Grund, die strategischen Ziele des Westens im Hinblick auf Afghanistan in den nächsten Jahren grundlegend zu ändern. Der Schlüssel liegt momentan in der richtigen Ordnung der Prioritäten. Die Sicherstellung eines geordneten politischen Übergangs und die Anregung eines tiefen und weitreichenden regionalen Dialogs sollten gegenwärtig an der obersten Stelle der internationalen Agenda für Afghanistan stehen. Diese Ziele sind nicht nur für sich selbst gesehen wichtig, sie sind auch ein zentraler Bestandteil bei der Schaffung eines Rahmens für ein Übereinkommen zwischen den verschiedenen afghanischen Parteien und den Taliban.  

Mancherorts wird momentan argumentiert, dass das großflächige Engagement in Afghanistan ein Fehler war. Aber im Spiegel der Geschichte ist zu erkennen, dass der größere Fehler in der vollkommenen Abkehr von diesem Land bestanden hat. 

Afghanistan verbindet Zentral- und Südasien und ein Zusammenbruch der Ordnung wäre mit ernsthaften Gefahren in beiden  Richtungen verbunden. Außerdem würde die Welt – und nicht nur der Westen, sondern auch Russland und China – eine globale Weiterverbreitung von Drogen, Waffen und Terror riskieren..

Die Aufgabe besteht nun darin, kein illusorisches Endspiel anzustreben. Das Buch ist noch nicht zu Ende – wir schlagen lediglich ein neues Kapitel auf.  Nun gilt es, ein Rahmenwerk für ein stabileres Afghanistan und für nachhaltiges internationales Engagement in einer Region zu schaffen, die für die globale Stabilität von entscheidender Bedeutung ist.

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