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Nachhaltige Entwicklung beginnt bei den Kindern

NEW YORK – „Unser Haus brennt”, warnte die junge Klimaaktivistin Greta Thunberg auf dem letztjährigen Treffen des Weltwirtschaftsforums in Davos. Ihre pointierte Formulierung – mit der sie die Erwachsenen beschuldigte, untätig herumzusitzen, während der Planet brennt – brachte einen ganzen Raum voller globaler Führungspersönlichkeiten zum Schweigen, inspirierte junge Aktivisten auf der ganzen Welt und unterstrich die Bedeutung, Kinder in den Mittelpunkt weltweiter Aktivitäten zum Aufbau einer besseren Zukunft zu stellen.  

Der Klimawandel ist im Gange. Das zeigte sich an den jüngsten beispiellosen Buschbränden in Australien, bei denen 18 Millionen Hektar Bodenfläche verbrannten und schätzungsweise 1 Milliarde Tiere verendeten. Erkennbar war die Entwicklung auch an der Hitzewelle des Jahres 2019 in Indien, die zu den längsten und intensivsten der vergangenen Jahrzehnte zählte. Und ein sich erwärmender Planet trägt zur globalen Ausbreitung des Denguefiebers, einer von Mücken übertragenen Virusinfektion, bei.

Doch obwohl uns die Zeit zur Vermeidung einer Katastrophe davonläuft, nimmt der globale Klimaschutz nicht die erforderliche Fahrt auf. Wie Thunberg und andere jugendliche Aktivisten betonen, werden unsere Kinder die Hauptleidtragenden dieser Fehlentwicklung sein, weil sie einen zunehmend unwirtlichen Planeten erben.

Der Klimawandel ist nicht der einzige Bereich, in dem wir unsere Kinder im Stich lassen. Aggressives, auf Kinder und ihre Erziehungsberechtigten abzielendes Marketing trägt zum weit verbreiteten Konsum ungesunder Produkte wie Alkohol, Tabak, E-Zigaretten und zuckergesüßten Getränken bei. Die weltweiten wirtschaftlichen Verluste im Zusammenhang mit unsachgemäßer Anwendung von Muttermilchersatzprodukten – die mit verminderter Intelligenz, Fettleibigkeit und einem erhöhten Risiko für Diabetes und andere nicht übertragbare Krankheiten in Verbindung gebracht wird – belaufen sich auf geschätzte 302 Milliarden US-Dollar.

Kinder sind unsere wertvollste Ressource, und sie verdienen es, ein langes, gesundes und produktives Leben zu führen. Um einen Weg zu finden, wie genau das ermöglicht werden kann, haben Weltgesundheitsorganisation, Unicef und die Fachzeitschrift The Lancet kürzlich eine zukunftsweisende Kommission ins Leben gerufen – der ich gemeinsam mit der senegalesischen Staatsministerin Awa Marie Coll-Seck vorsitze und der 40 Experten aus den Bereichen Gesundheit und Wohlergehen von Kindern angehören.

Wie in dem Bericht der Kommission unter dem Titel „A Future for the World’s Children?” festgestellt wird,  ist es von entscheidender Bedeutung in Menschen zu investieren, wenn diese jung sind. Es ist erwiesen, dass sich hungernde Kinder in einem schlechteren gesundheitlichen Zustand befinden, dass bei ihnen die Bildungsergebnisse schlechter ausfallen und dass sie als Erwachsene weniger verdienen. Kinder, die Gewalt erleben, begehen mit höherer Wahrscheinlichkeit selbst Gewalttaten. Umgekehrt wachsen Kinder, die gut ernährt und angemessen betreut wurden sowie hochwertige Bildung genossen haben zu  gesunden, produktiven Bürgern heran, die vermutlich besser in der Lage sind, selbst gesunde, produktive Kinder großzuziehen.

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Kurzum, Investitionen in die Kinder von heute bringen ihnen lebenslange und sogar generationenübergreifende Vorteile. Und das ergibt einen Wert für die ganze Gesellschaft.  So trug ein von 1973 bis 1979 in Indonesien durchgeführtes Schulbauprogramm dazu bei, den heutigen Lebensstandard in diesem Land zu verbessern und die aktuellen Steuereinnahmen zu erhöhen.  

Die Rendite der Investitionen in Kinder ist bemerkenswert hoch. In den Vereinigten Staaten wurde festgestellt, dass jeder Dollar, der in ein Vorschulprogramm investiert wird, pro Person gesellschaftliche Vorteile im Ausmaß von 7-12 Dollar bringt, und zwar durch den Abbau aggressiven Verhaltens und verbesserte Bildungsabschlüsse. In Ländern mit niedrigem bis mittlerem Einkommen kann jeder in die Gesundheit von Mutter und Kind investierte Dollar Vorteile in der Höhe von mehr als 11 Dollar bringen.

Allerdings sollten wir diese Investitionen nicht nur aufgrund der Zahlen tätigen. Wenn wir die Zukunft unserer Kinder nicht schützen können, stellt sich die Frage, was denn das Maß unserer Menschlichkeit ist?

Die WHO-UNICEF-Lancet-Kommission appelliert an die Verantwortlichen auf allen Ebenen, von Staats- und Regierungschefs bis hin zu Führungspersönlichkeiten der Zivilgesellschaft und lokaler Gemeinden, Kinder in den Mittelpunkt der Strategien für eine nachhaltige Entwicklung zu stellen. Das erfordert eine langfristige Vision, im Rahmen derer Präsidenten und Premierminister dafür sorgen müssen, dass die dazu notwendigen Programme mit ausreichend finanziellen Mitteln dotiert werden und die wirksame Zusammenarbeit zwischen Ministerien und Behörden unterstützt wird.

Beim Aufbau einer kindergerechten Welt hat jeder Sektor eine Rolle zu spielen. So sind beispielsweise Verkehrsunfälle die Todesursache Nummer eins bei Kindern und jungen Menschen im Alter von 5 bis 29 Jahren. Daraus ergibt sich, dass Maßnahmen zur Verbesserung der Verkehrssicherheit dringend erforderlich sind. Auch eine Reform des Wohnungswesens ist unerlässlich, da 40 Prozent der Kinder weltweit in informellen  Siedlungen leben - die durch Überbevölkerung, schlechten Zugang zu staatlichen Leistungen und Gefährdung durch Brände und Überschwemmungen gekennzeichnet sind.

Einige Länder erkennen die Bedeutung höherer öffentlicher Investitionen in Kinder. In meiner Heimat Neuseeland hat die Regierung unter Premierministerin Jacinda Ardern den weltweit ersten Haushalt des Wohlergehens eingeführt, in dem  insbesondere die am stärksten gefährdeten Menschen, wie etwa die Kinder, an erster Stelle stehen. Der Haushalt sieht Milliarden neuseeländischer Dollar für psychiatrische Dienste, Kinderarmut und Maßnahmen zur Bekämpfung von Gewalt in der Familie vor.

Allerdings stößt Neuseeland immer noch viel zu viel Kohlendioxid aus – nämlich 183 Prozent des Wertes, der laut unserem Bericht notwendig wäre, um das im Pariser Klimaschutzabkommen festgehaltene Ziel für 2030 zu erreichen. Auch andere reiche Länder – wie Norwegen und Südkorea – engagieren sich heute stark für das Wohlergehen der Kinder, emittieren allerdings ebenfalls viel zu viel CO2, um sicherzustellen, dass es auch den Kindern von morgen so gut geht. Unterdessen sind einige weniger wohlhabende Länder - wie Armenien, Costa Rica und Sri Lanka - auf dem Weg, die Emissionsziele bis 2030 zu erreichen, und sie leisten auch gute Arbeit, um zu gewährleisten, dass ihre Kinder gesund, mit guten Bildungschancen und sicher aufwachsen.  

„Ich will eure Hoffnung nicht,” teilte Thunberg den Führungspersönlichkeiten dieser Welt in Davos mit. „Ich will, dass ihr in Panik verfällt… und handelt.” Sie hat Recht.  Wenn wir der Generation Thunbergs und den nachfolgenden Generationen eine nachhaltige Zukunft hinterlassen wollen, müssen unsere Führungen mutig handeln - und zwar sofort. Das ist der Stoff, aus dem Vermächtnisse sind.

Aus dem Englischen von Helga Klinger-Groier

https://prosyn.org/yThtKirde