STOCKHOLM: Seit 2014 und insbesondere seit 2022 ist die russische Wirtschaft strengen internationalen Sanktionen ausgesetzt. Die Auswirkungen dieser Sanktionen werden allerdings sehr unterschiedlich bewertet. Der russische Präsident Wladimir Putin und seine Kumpane rühmen sich, dass die Sanktionen Russland stärker machen, fordern aber unablässig die Aufhebung aller Beschränkungen. Gleichzeitig behaupten viele, dass die Sanktionen kaum Wirkung gezeigt hätten, während andere argumentieren, dies läge daran, dass die Sanktionen zu zaghaft seien.
Meiner Einschätzung nach kostet das derzeitige Sanktionsregime Russland jährlich 2-3 % vom BIP und verurteilt es nahezu zur Stagnation. Darüber hinaus wird sich die Situation für Putin nur weiter verschlimmern und womöglich sogar seinen Angriffskrieg gegen die Ukraine behindern.
Auf der YES-Strategiekonferenz in Kiew am 14. September berichtete der ukrainische General Kyrylo Budanow, dass der ukrainische Militärgeheimdienst an russische Dokumente gelangt sei, die darauf hindeuten, dass der Kreml aus wirtschaftlichen Gründen Ende 2025 um Frieden bitten will. Ob das nun stimmt oder nicht: Dieses Szenario würde Sinn ergeben. Die finanziellen, technologischen und demografischen Hürden, vor denen die russische Wirtschaft steht, sind gewaltiger als gemeinhin angenommen, und Putins Krieg hat durch seine Grausamkeit und Dummheit schon jetzt Geschichte geschrieben.
Unabhängig vom Ausgang auf dem Schlachtfeld wird Russland der größte Verlierer sein. Kriege sind kostspielig, und die russische Wirtschaft ist seit der illegalen Inbesitznahme ukrainischer Gebiete im Jahr 2014 im Durchschnitt nur um 1 % pro Jahr gewachsen. Das russische BIP ist von 2,3 Billionen Dollar im Jahr 2013 auf 1,9 Billionen (in aktuellen Dollars) eingebrochen. Russland ist keine Supermacht mehr, sondern – in den denkwürdigen Worten des verstorbenen US-Senators John McCain – „eine Tankstelle, die sich als Land ausgibt“. Jedoch hat seine Unzuverlässigkeit seine Glaubwürdigkeit als Energielieferant verringert. Die einzigen Sektoren der russischen Wirtschaft, die wachsen, sind die für militärische und verbundene Infrastruktur, wo staatliche Unternehmen zu (wahrscheinlich überhöhten) administrierten Preisen an den Staat verkaufen. Der Rest der Wirtschaft stagniert bestenfalls.
Das ist genau das, was sich in der Vergangenheit in der Sowjetunion ereignete, für die der Wirtschaftswissenschaftler Grigorij Chanin und der Journalist Wassili Seljunin eine versteckte jährliche Inflation von etwa 3 % pro Jahr ermittelten. Ein Indikator dafür ist, dass die russische Zentralbank heute einen Zinssatz von 19 % beibehält, während sie behauptet, die jährliche Inflation betrage lediglich 9,1 %. Niemand sollte diesen Zahlen Glauben schenken. Höchstwahrscheinlich verkaufen die Behörden die Preissteigerungen als reales Wachstum.
Die versteckte Inflation deutet zudem darauf hin, dass die westlichen Finanzsanktionen weit wirksamer sind als viele Beobachter annehmen. Zwar ist Russlands Auslandsverschuldung insgesamt von 729 Milliarden Dollar Ende 2013 auf nur noch 303 Milliarden Dollar Ende März 2024 gesunken, und die Staatsverschuldung beträgt nur 14 % vom BIP. Dem Land allerdings hilft das nicht viel, denn es kann im Ausland keine Kredite aufnehmen. Stattdessen muss es von Steuereinnahmen und Reserven leben, und die Hälfte seiner Devisenreserven ist seit Februar 2022 in westlichen Ländern eingefroren. Die liquiden Reserven in Russlands Staatsfonds sind derweil von ihrem Höchststand von 183 Milliarden Dollar im Jahr 2021 auf 55 Milliarden Dollar – oder 2,8 % vom BIP – im März 2024 geschrumpft, und der Rest wurde überwiegend investiert und ist nicht liquide.
At a time when democracy is under threat, there is an urgent need for incisive, informed analysis of the issues and questions driving the news – just what PS has always provided. Subscribe now and save $50 on a new subscription.
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Aufgrund dieser Sachzwänge musste Russland sein jährliches Haushaltsdefizit seit Beginn der großangelegten Invasion (2022-2024) auf 2 % vom BIP begrenzen. Bei einem BIP von 1,9 Billionen Dollar kosten derartige Defizite etwa 40 Milliarden Dollar jährlich, was bedeutet, dass, wie Budanow andeutete, die staatlichen Reserven im nächsten Jahr erschöpft sein dürften. Zwar hebt Russland derzeit seine Einkommensteuer und seine Körperschaftsteuer an, doch wird dies angesichts einer stagnierenden Wirtschaft nicht viel bringen, und im Inland kann die Regierung kaum Anleihen verkaufen.
Auch die technologischen Sanktionen des Westens wirken sich weiterhin negativ aus. Nicht nur ist Russland extrem isoliert; die Massenauswanderung seiner gebildeten jungen Menschen, die sowjetähnliche Repression und Putins Kleptokratie haben seinen technologischen Rückstand noch verschlimmert. Zwar ist es dem Kreml gelungen, die schlimmsten Auswirkungen abzumildern, indem er sanktionierte westliche Technologie aus China, der Türkei und zentralasiatischen Ländern bezog, doch hat der Westen diese Kanäle durch Sekundärsanktionen allmählich geschlossen.
Zugleich sind die Waffenexporte Russlands eingebrochen, weil das Land sie sämtlich für den eigenen Bedarf benötigt. Zu seiner großen Beschämung war der Kreml gezwungen, Artilleriegeschosse von seinem noch rückständigeren Nachbarn Nordkorea zu importieren. Russland hat seine Produktion zwar fortgesetzt, aber seine Waffen haben sich als minderwertig erwiesen. Es sei daran erinnert, dass die Rüstungsproduktion Nazideutschlands trotz monatelanger intensiver westlicher Bombardements im Juli 1944 ihren Höhepunkt erreichte. Letztendlich ist es die Qualität, nicht die Quantität, die den Unterschied machen kann.
Putin gehen zudem die Soldaten aus. Die USA schätzen, dass bereits 120.000 russische Soldaten getötet und weitere 180.000 verletzt wurden. Obwohl Putin gerade erst eine Aufstockung des russischen Militärs um 180.000 Mann verfügt hat, deutet die russische Arbeitslosenquote von 2,4 % darauf hin, dass die Verfügbarkeit potenzieller Rekruten bereits stark begrenzt ist. Da allein im Jahr 2022 mehr als eine Million gesunder Russen aus dem Land geflohen sind, gehen viele davon aus, dass Putin es nicht wagen würde, eine weitere große Mobilmachung auszurufen.
Einschließlich aller versteckten Kosten wird Russland in diesem Jahr wahrscheinlich etwa 190 Milliarden Dollar oder 10 % vom BIP für den Krieg ausgeben, und diese Zahl stellt angesichts der dem Land durch die westlichen Finanzsanktionen auferlegten Beschränkungen vermutlich den Höchststand dar. Sobald Russland kein Haushaltsdefizit mehr finanzieren kann, muss es die öffentlichen Ausgaben kürzen, und die nichtmilitärischen Ausgaben wurden bereits bis auf die Knochen zurückgeschnitten.
Im Vergleich dazu hat die Ukraine Russland in einer Pattsituation gehalten, indem sie etwa 100 Milliarden Dollar pro Jahr für den Krieg ausgab – zur Hälfte aus ihrem eigenen Haushalt und zur Hälfte in Form von Waffenlieferungen aus dem Ausland. Bedenkt man, dass Russland seinen Soldaten (und den Familien der toten Soldaten) viel mehr zahlt und dass seine Waffen minderwertig sind, könnte die Ukraine den Krieg gewinnen, wenn sie zusätzlich 50 Milliarden Dollar pro Jahr zur Verfügung hätte und grünes Licht für die Bombardierung militärischer Ziele in Russland erhielte.
Der Westen kann sich diese Summe sichern, indem er das eingefrorene russische Staatsvermögen in Höhe von 300 Milliarden Dollar beschlagnahmt. Dieses Geld ist entscheidend für die Fähigkeit der Ukraine, den Aggressor abzuwehren und ihre territoriale Integrität wiederherzustellen.
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Bashar al-Assad’s fall from power has created an opportunity for the political and economic reconstruction of a key Arab state. But the record of efforts to stabilize post-conflict societies in the Middle East is littered with failure, and the next few months will most likely determine Syria's political trajectory.
say that Syrians themselves must do the hard work, but multilateral assistance has an important role to play.
The US president-elect has vowed to round up illegal immigrants and raise tariffs, but he will probably fail to reinvigorate the economy for the masses, who will watch the rich get richer on crypto and AI. America has been here before, and if Trump doesn’t turn on the business class and lay the blame at its feet, someone else will.
thinks the next president will be forced to choose between big business and the forgotten man.
STOCKHOLM: Seit 2014 und insbesondere seit 2022 ist die russische Wirtschaft strengen internationalen Sanktionen ausgesetzt. Die Auswirkungen dieser Sanktionen werden allerdings sehr unterschiedlich bewertet. Der russische Präsident Wladimir Putin und seine Kumpane rühmen sich, dass die Sanktionen Russland stärker machen, fordern aber unablässig die Aufhebung aller Beschränkungen. Gleichzeitig behaupten viele, dass die Sanktionen kaum Wirkung gezeigt hätten, während andere argumentieren, dies läge daran, dass die Sanktionen zu zaghaft seien.
Meiner Einschätzung nach kostet das derzeitige Sanktionsregime Russland jährlich 2-3 % vom BIP und verurteilt es nahezu zur Stagnation. Darüber hinaus wird sich die Situation für Putin nur weiter verschlimmern und womöglich sogar seinen Angriffskrieg gegen die Ukraine behindern.
Auf der YES-Strategiekonferenz in Kiew am 14. September berichtete der ukrainische General Kyrylo Budanow, dass der ukrainische Militärgeheimdienst an russische Dokumente gelangt sei, die darauf hindeuten, dass der Kreml aus wirtschaftlichen Gründen Ende 2025 um Frieden bitten will. Ob das nun stimmt oder nicht: Dieses Szenario würde Sinn ergeben. Die finanziellen, technologischen und demografischen Hürden, vor denen die russische Wirtschaft steht, sind gewaltiger als gemeinhin angenommen, und Putins Krieg hat durch seine Grausamkeit und Dummheit schon jetzt Geschichte geschrieben.
Unabhängig vom Ausgang auf dem Schlachtfeld wird Russland der größte Verlierer sein. Kriege sind kostspielig, und die russische Wirtschaft ist seit der illegalen Inbesitznahme ukrainischer Gebiete im Jahr 2014 im Durchschnitt nur um 1 % pro Jahr gewachsen. Das russische BIP ist von 2,3 Billionen Dollar im Jahr 2013 auf 1,9 Billionen (in aktuellen Dollars) eingebrochen. Russland ist keine Supermacht mehr, sondern – in den denkwürdigen Worten des verstorbenen US-Senators John McCain – „eine Tankstelle, die sich als Land ausgibt“. Jedoch hat seine Unzuverlässigkeit seine Glaubwürdigkeit als Energielieferant verringert. Die einzigen Sektoren der russischen Wirtschaft, die wachsen, sind die für militärische und verbundene Infrastruktur, wo staatliche Unternehmen zu (wahrscheinlich überhöhten) administrierten Preisen an den Staat verkaufen. Der Rest der Wirtschaft stagniert bestenfalls.
Das ist genau das, was sich in der Vergangenheit in der Sowjetunion ereignete, für die der Wirtschaftswissenschaftler Grigorij Chanin und der Journalist Wassili Seljunin eine versteckte jährliche Inflation von etwa 3 % pro Jahr ermittelten. Ein Indikator dafür ist, dass die russische Zentralbank heute einen Zinssatz von 19 % beibehält, während sie behauptet, die jährliche Inflation betrage lediglich 9,1 %. Niemand sollte diesen Zahlen Glauben schenken. Höchstwahrscheinlich verkaufen die Behörden die Preissteigerungen als reales Wachstum.
Die versteckte Inflation deutet zudem darauf hin, dass die westlichen Finanzsanktionen weit wirksamer sind als viele Beobachter annehmen. Zwar ist Russlands Auslandsverschuldung insgesamt von 729 Milliarden Dollar Ende 2013 auf nur noch 303 Milliarden Dollar Ende März 2024 gesunken, und die Staatsverschuldung beträgt nur 14 % vom BIP. Dem Land allerdings hilft das nicht viel, denn es kann im Ausland keine Kredite aufnehmen. Stattdessen muss es von Steuereinnahmen und Reserven leben, und die Hälfte seiner Devisenreserven ist seit Februar 2022 in westlichen Ländern eingefroren. Die liquiden Reserven in Russlands Staatsfonds sind derweil von ihrem Höchststand von 183 Milliarden Dollar im Jahr 2021 auf 55 Milliarden Dollar – oder 2,8 % vom BIP – im März 2024 geschrumpft, und der Rest wurde überwiegend investiert und ist nicht liquide.
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Auch die technologischen Sanktionen des Westens wirken sich weiterhin negativ aus. Nicht nur ist Russland extrem isoliert; die Massenauswanderung seiner gebildeten jungen Menschen, die sowjetähnliche Repression und Putins Kleptokratie haben seinen technologischen Rückstand noch verschlimmert. Zwar ist es dem Kreml gelungen, die schlimmsten Auswirkungen abzumildern, indem er sanktionierte westliche Technologie aus China, der Türkei und zentralasiatischen Ländern bezog, doch hat der Westen diese Kanäle durch Sekundärsanktionen allmählich geschlossen.
Zugleich sind die Waffenexporte Russlands eingebrochen, weil das Land sie sämtlich für den eigenen Bedarf benötigt. Zu seiner großen Beschämung war der Kreml gezwungen, Artilleriegeschosse von seinem noch rückständigeren Nachbarn Nordkorea zu importieren. Russland hat seine Produktion zwar fortgesetzt, aber seine Waffen haben sich als minderwertig erwiesen. Es sei daran erinnert, dass die Rüstungsproduktion Nazideutschlands trotz monatelanger intensiver westlicher Bombardements im Juli 1944 ihren Höhepunkt erreichte. Letztendlich ist es die Qualität, nicht die Quantität, die den Unterschied machen kann.
Putin gehen zudem die Soldaten aus. Die USA schätzen, dass bereits 120.000 russische Soldaten getötet und weitere 180.000 verletzt wurden. Obwohl Putin gerade erst eine Aufstockung des russischen Militärs um 180.000 Mann verfügt hat, deutet die russische Arbeitslosenquote von 2,4 % darauf hin, dass die Verfügbarkeit potenzieller Rekruten bereits stark begrenzt ist. Da allein im Jahr 2022 mehr als eine Million gesunder Russen aus dem Land geflohen sind, gehen viele davon aus, dass Putin es nicht wagen würde, eine weitere große Mobilmachung auszurufen.
Einschließlich aller versteckten Kosten wird Russland in diesem Jahr wahrscheinlich etwa 190 Milliarden Dollar oder 10 % vom BIP für den Krieg ausgeben, und diese Zahl stellt angesichts der dem Land durch die westlichen Finanzsanktionen auferlegten Beschränkungen vermutlich den Höchststand dar. Sobald Russland kein Haushaltsdefizit mehr finanzieren kann, muss es die öffentlichen Ausgaben kürzen, und die nichtmilitärischen Ausgaben wurden bereits bis auf die Knochen zurückgeschnitten.
Im Vergleich dazu hat die Ukraine Russland in einer Pattsituation gehalten, indem sie etwa 100 Milliarden Dollar pro Jahr für den Krieg ausgab – zur Hälfte aus ihrem eigenen Haushalt und zur Hälfte in Form von Waffenlieferungen aus dem Ausland. Bedenkt man, dass Russland seinen Soldaten (und den Familien der toten Soldaten) viel mehr zahlt und dass seine Waffen minderwertig sind, könnte die Ukraine den Krieg gewinnen, wenn sie zusätzlich 50 Milliarden Dollar pro Jahr zur Verfügung hätte und grünes Licht für die Bombardierung militärischer Ziele in Russland erhielte.
Der Westen kann sich diese Summe sichern, indem er das eingefrorene russische Staatsvermögen in Höhe von 300 Milliarden Dollar beschlagnahmt. Dieses Geld ist entscheidend für die Fähigkeit der Ukraine, den Aggressor abzuwehren und ihre territoriale Integrität wiederherzustellen.
Aus dem Englischen von Jan Doolan