owhite5_Oliver Llaneza HesseConstruction PhotographyAvalonGetty Images_coppermine Oliver Llaneza Hesse/Construction Photography/Avalon/Getty Images

Unsere globalen Verbindungen neu denken

SAN FRANCISCO – Europa sieht sich mit Unterbrechungen in der Energieversorgung konfrontiert. Der Nahe Osten und Afrika haben mit einer Getreideknappheit zu kämpfen. Und praktisch jeder hat Schwierigkeiten, an Halbleiter zu kommen. Da es immer häufiger zu Unterbrechungen der Versorgung mit lebenswichtigen Produkten kommt, müssen Volkswirtschaften und Unternehmen wichtige Entscheidungen treffen. Die grundlegendste scheint zu sein, ob man sich von der globalen Integration zurückziehen oder sie neu gestalten will.

Für viele mag die Versuchung groß sein, sich zurückzuziehen. Ob Russlands Krieg gegen die Ukraine oder die chinesisch-amerikanische Rivalität – die Weltordnung ist zunehmend umstritten, und wenn Wertschöpfungsketten global sind, kann sich eine einzige Störung auf den ganzen Planeten auswirken. Doch wie wir in einem neuen Forschungspapier zeigen, wäre ein Rückzug aus diesen Wertschöpfungsketten nicht annähernd so einfach, wie man annehmen könnte.

Jahrzehntelang hat die Welt eine schnelle und umfassende wirtschaftliche Integration angestrebt – und das aus gutem Grund. Durch eine stärkere Spezialisierung und Größenvorteile haben die globalen Wertschöpfungsketten die Effizienz gesteigert, die Preise gesenkt und das Angebot an Waren und Dienstleistungen erweitert und verbessert. Durch die Förderung des Wirtschaftswachstums wurden Einkommen und Beschäftigung angekurbelt – wenn auch nicht für alle –, was dazu beitrug, Menschen aus der Armut zu befreien.

Mit der Integration kam die Interdependenz. Wie wir in unserem Papier zeigen, ist heute keine Region auch nur annähernd autark. Jede größere Weltregion importiert mehr als 25 % mindestens einer wichtigen Ressource oder eines Industriegutes.

In vielen Fällen liegen die Zahlen sogar noch viel höher. Lateinamerika, Afrika südlich der Sahara, Osteuropa und Zentralasien importieren mehr als 50 % der von ihnen benötigten Elektronik. Die Europäische Union importiert mehr als 50 % ihrer Energieressourcen. Der asiatisch-pazifische Raum importiert über 25 % seiner Energieressourcen. Selbst Nordamerika, das weniger Gebiete mit sehr hoher Abhängigkeit aufweist, ist auf die Einfuhr von Rohstoffen und Industriegütern angewiesen.

Dies birgt zweifellos Risiken, vor allem wenn es sich um Güter handelt, deren Produktion stark konzentriert ist. So wird beispielsweise der größte Teil der weltweiten Lithium- und Graphitvorräte – die beide in Batterien für Elektrofahrzeuge verwendet werden – hauptsächlich in drei oder weniger Ländern abgebaut. Die hohe Konzentration von Naturgraphit ist nicht auf die Reserven zurückzuführen, sondern darauf, dass mehr als 80 % in China raffiniert werden.

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In der Demokratischen Republik Kongo werden 69 % des weltweiten Kobalts gewonnen, Indonesien liefert 32 % des weltweiten Nickels und Chile produziert 28 % des weltweiten Kupfers. Eine Unterbrechung der Versorgung aus einer dieser Quellen hätte weitreichende Folgen.

Die Frage ist, ob Länder – und Unternehmen – diese Risiken abmildern können, ohne auf die unzähligen Vorteile des globalen Handels zu verzichten. Einige Länder setzen bereits auf Diversifizierung. Viele Unternehmen der Unterhaltungselektronik haben ihre Produktionsstandorte in Indien und Vietnam erweitert, um die Abhängigkeit von China zu verringern und neue Märkte zu erschließen. Auch die Vereinigten Staaten, die EU, Südkorea, China und Japan haben Maßnahmen angekündigt, um die heimische Produktion von Halbleitern zu erhöhen. Obwohl Halbleiter weniger als 10 % des gesamten Handels ausmachen, machen Produkte, die direkt oder indirekt von ihnen abhängen, schätzungsweise 65 % aller Warenexporte aus.

Eine Diversifizierung kann jedoch Zeit in Anspruch nehmen und erfordert oft erhebliche Vorabinvestitionen. Mineralien – eines der am stärksten konzentrierten Produkte im globalen System – sind ein typisches Beispiel. Die Internationale Energieagentur hat darauf hingewiesen, dass die Erschließung neuer Vorkommen kritischer Mineralien in der Vergangenheit im Durchschnitt über 16 Jahre gedauert hat.

Dabei geht es nicht nur um die Erschließung neuer Minen; die Länder müssen auch ihre Verarbeitungskapazitäten ausbauen und Arbeitskräfte mit den entsprechenden Qualifikationen beschaffen. Und all dies muss so geschehen, dass die erheblichen Auswirkungen des Abbaus und der Verarbeitung auf die Umwelt gemildert werden.

Innovationen könnten es den Akteuren ermöglichen, diese Hürden zu umgehen. Es werden bereits Anstrengungen unternommen, um Technologien zu entwickeln, die weniger auf Naturgraphit angewiesen sind, und Hersteller von Elektroautos experimentieren mit Ansätzen, die weniger oder gar kein Kobalt verwenden. Angesichts der steigenden Palladiumpreise hat der Chemiekonzern BASF eine neue Katalysatortechnologie entwickelt, die eine teilweise Substitution durch Platin ermöglicht.

Eine weitere Möglichkeit, die Widerstandsfähigkeit zu erhöhen, könnte darin bestehen, dass wir unseren Ansatz bei der Beschaffung ändern. Unternehmen können untereinander und mit Regierungen im Rahmen von öffentlich-privaten Partnerschaften zusammenarbeiten, um ihre gebündelte Kaufkraft zu nutzen, ihre Versorgung mit lebenswichtigen Gütern zu verbessern und zum Aufbau einer nachhaltigeren Wirtschaft beizutragen.

Modelle für eine solche Zusammenarbeit sind bereits im Entstehen begriffen. Der Canada Growth Fund zielt darauf ab, mit öffentlichen Mitteln privates Kapital anzuziehen, um die Einführung von Technologien zu beschleunigen, die für die Dekarbonisierung der Wirtschaft erforderlich sind, u. a. durch die Steigerung der einheimischen Produktion von kritischen Materialien wie Zink, Kobalt und Seltene Erden. Und die First Movers Coalition, der weltweit mehr als 50 Privatunternehmen angehören, hat sich verpflichtet, ihre kollektive Kaufkraft einzusetzen, um Märkte für innovative saubere Technologien in acht Sektoren zu schaffen, deren Übergang sich schwerer gestaltet.

Solche Strategien zeigen, dass wir Risiken abmildern und wirtschaftliche Widerstandsfähigkeit aufbauen können, ohne die Vernetzung aufzugeben, die es mehr als einer Milliarde Menschen in den letzten Jahrzehnten ermöglicht hat, der Armut zu entkommen. Anstatt zu versuchen, sich aus der globalen Wirtschaft zurückzuziehen, müssen wir sie neu gestalten.

Übersetzung: Andreas Hubig

https://prosyn.org/t4yGGgdde