rojasurrego3_Anuwar HazarikaNurPhoto via Getty Images_wetland Anuwar Hazarika/NurPhoto via Getty Images

Natürliche Bewältigung der Wasserknappheit

GLAND – Der menschliche Wasserverbrauch übersteigt schon seit langem die Regenerationsrate. Inzwischen warnen Wissenschaftler, dass diese unverzichtbare natürliche Ressource zur Neige geht. Wenn wir diesen Trend umkehren wollen, sind Investitionen in natürliche Lösungen unsere beste Hoffnung.

Weniger als 1% des gesamten Wassers auf der Erde ist zugängliches bzw. nutzbares Trinkwasser. Das meiste davon befindet sich in Feuchtgebieten im Landesinneren: Flüssen, Seen, Marschen, Torfmooren und Grundwasserreservoirs. Diese Feuchtgebiete sind die natürlichen Wassersammler, -reiniger und -bankiers der Natur. Durch Aufnahme, Reinigung, Speicherung und bedarfsgerechte Abgabe von Regen- und Flutwasser ermöglichen Sie den weltweiten Wasserkreislauf, der eine konstante Versorgung gewährleistet.

Die vollständige Einbeziehung der Feuchtgebiete in die Planung und Steuerung der Wasserversorgung weltweit über alle Wirtschaftssektoren hinweg hätte weitreichende Vorteile. Ein ausreichendes Wasserangebot könnte das Wirtschaftswachstum anregen, Konflikte verringern und Umweltbelastungen reduzieren. Doch erfordert dies beträchtliche nachhaltige Investitionen, um die steil steigende Nachfrage zu befriedigen.

Der Trinkwasserverbrauch hat sich während der letzten 100 Jahre versechstfacht, und die Nachfrage steigt weiter. Neunzig Prozent der Gesamtmenge entfallen dabei auf die Landwirtschaft, die Industrie und den Energiesektor. Bis 2050 sind mindestens 55% mehr Wasser erforderlich, um die vom Wirtschaftswachstum, der Urbanisierung und einer Weltbevölkerung von fast zehn Milliarden Menschen ausgehende Nachfrage zu befriedigen.

Schon jetzt steht pro Person beträchtlich weniger Wasser zur Verfügung als noch vor zwei Jahrzehnten. Daher sehen sich über drei Milliarden Menschen gravierender Wasserknappheit ausgesetzt, die häufig gewaltsame Konflikte anheizt. Bis 2050 wird die Wasserversorgung von mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung gefährdet sein; in trockenen Regionen wird der Klimawandel die Wasserknappheit noch verschärfen.

Dabei ist der Klimawandel nicht die einzige Bedrohung. Auch die Umweltverschmutzung verschärft die Wasserkrise. Unsicheres Trinkwasser ist eine potenziell tödliche Realität für Menschen überall auf der Welt. Praktisch alle Trinkwasserquellen sind inzwischen in gewissem Umfang verunreinigt; nicht einmal die Schneedecke des Mount Everest ist verschont geblieben.

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Warum also bewahren und schützen wir die Feuchtgebiete nicht? Ihre Vielseitigkeit ist besonders relevant, wenn man bedenkt, dass Wasserkrisen von ihren Folgen her laut dem Weltwirtschaftsforum zu den fünf größten globalen Risiken zählen. Besonders wichtig ist ihre Fähigkeit, das Wasser sowohl über als auch unter der Erde nutzbar zu machen, was Dürren, Überflutungen und den Auswirkungen des Abschmelzens der Gletscher entgegenwirkt. Doch obwohl sie den größten Teil unseres Trinkwassers zur Verfügung stellen, sind seit Beginn der Industriellen Revolution fast 90% aller Feuchtgebiete verschwunden, und dieser Verlust beschleunigt sich im Einklang mit der Globalisierung. Viele noch verbleibende Feuchtgebiete sind ernsthaft in Gefahr.

Besonders gefährdet sind Feuchtgebiete, weil sie häufig als Brachland betrachtet werden, das in Acker- oder Bauland umgewandelt werden sollte, oder als krankheitsverseuchte Gebiete, die urbar gemacht werden müssten. Diese Tendenz unterstreicht das mangelnde Verständnis der wichtigen Rolle der Feuchtgebiete, das der weltweiten Wasserkrise zugrundeliegt. Um eine sichere, ungefährdete und ausreichende Wasserversorgung sicherzustellen, müssen wir uns auf die Verbindung zwischen der menschlichen Abhängigkeit vom Wasser und unserem Umgang mit Feuchtgebieten konzentrieren.

Zwar gibt es andere Möglichkeiten, unsere Wasserhaushalte zu vergrößern, doch ist keine davon ideal. Die Entsalzung von Meerwasser schafft mehr Probleme, als sie löst. Das „Wolkenimpfen“ wirft beunruhigende Fragen auf. Und der massenhafte Bau von Anlagen zum Auffangen von Wasser erfordert beträchtliche Investitionen und destabilisiert häufig lokale Volkswirtschaften und örtliche Lebensweisen. Zudem können diese Optionen anders als Feuchtgebiete nicht gleichzeitig Nahrung, Medikamente, Einkünfte für jeden siebten Menschen und eine Heimat für zahllose Tier- und Pflanzenarten bieten oder den Klimawandel abmildern.

Angesichts der Tatsache, dass die Hälfte des globalen BIP von Ökosystemleistungen abhängig ist, sollte der Schutz der Feuchtgebiete eine Spitzenpriorität bei der Gestaltung einer „grünen“ Erholung von der COVID-19-Krise spielen. Die Wiederherstellung der uralten Feuchtgebiete im indischen Chennai mit dem Ziel, einen weiteren „Tag Null“ zu verhindern – wie jenen im Jahr 2019, als der Stadt das Wasser ausging –, ist ein Modell für andere.

Ganz wichtig dabei: Wir müssen unser Vorgehen im Bereich der Landwirtschaft – dem deutlich größten Wasserverbraucher – überdenken und ändern, um mehr Ernteertrag pro verbrauchter Wassermenge zu erzielen. Anreize für eine intensive Bewirtschaftung, die Feuchtgebiete, Wasserverunreinigung und Artenvielfalt außer Acht lassen, sollten schnell schrittweise abgebaut werden. Die neue britische „Environmental Land Management Initiative“ ist ein Beispiel für ein Programm, das Landwirte belohnt, die auf einen schonenden Umgang mit Wasserressourcen und die Bewahrung von Feuchtgebieten als Säulen ihrer Landbewirtschaftung achten. Ähnliche Programme sollten weltweit in passendem Maßstab umgesetzt werden.

Auch die Industrie muss sich gleichermaßen partnerschaftlich am Schutz und der wirtschaftlichen Nutzung von Wasserressourcen beteiligen. Der Schutz von Ökosystemen und ein attraktives Wirtschaftsumfeld waren früher womöglich scheinbar unvereinbar. Heute ist eine gesunde natürliche Umwelt für das Überleben der Wirtschaft unverzichtbar. In Anerkenntnis dieser Tatsache haben sich Danone und andere Unternehmen zum verantwortungsvollen Umgang mit Wasserressourcen und zum Schutz von Wassereinzugsgebieten verpflichtet, und viele Unternehmen weltweit beteiligen sich an eine Vielzahl von Partnern umfassenden Wasserfonds, um ihre durch die rapide Urbanisierung bedingten Anforderungen mittels einer nachhaltigen Bewirtschaftung von Feuchtgebieten zu erfüllen. Dank eines Wasserfonds dieses Typs führt der River Tana in Nairobi nach nur drei Jahren täglich 27 Millionen Liter Wasser zusätzlich.

Unter Wasserknappheit leidende Länder wie Südafrika müssen hiervon nicht länger überzeugt werden. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung des Landes und zwei Drittel seiner Volkswirtschaft werden von einer kleinen Anzahl von Feuchtgebieten gestützt. Die Politiker im Lande wissen, dass der Schutz der Feuchtgebiete und deren Einbindung in die Wasserbewirtschaftung unverzichtbar sind, um jene sichere Wasserversorgung zu gewährleisten, von der die wirtschaftliche Entwicklung des Landes abhängt.

Feuchtgebiete sind die besten Lösungen des Planeten für das existenzielle Problem der Trinkwasserversorgung. Wir können genug Wasser auf der Erde haben, ohne außerhalb ihrer Grenzen danach zu suchen. Wir müssen dafür nichts weiter tun, als die natürlichen Lösungen zu schützen, die uns bereits zur Verfügung stehen, und sie klug zu nutzen.

Aus dem Englischen von Jan Doolan

https://prosyn.org/ZufNbSOde