LONDON – Die Nutzung und der Missbrauch von Daten durch Facebook und andere Technologieunternehmen erhalten endlich die offizielle Aufmerksamkeit, die sie verdienen. Werden die Nutzer angesichts der Tatsache, dass sich personenbezogene Daten zum wertvollsten Rohstoff der Welt entwickeln, Herrscher oder Sklaven der Plattformwirtschaft sein?
Die Aussichten auf eine Demokratisierung der Plattformwirtschaft bleiben düster. Die Algorithmen entwickeln sich auf Weisen, die es den Unternehmen erlauben, von unserem vergangenen, gegenwärtigen und künftigen Verhalten – oder dem, was Shoshana Zuboff von der Harvard Business School als unseren „Verhaltensüberschuss“ (behavioral surplus) beschreibt – zu profitieren. In vielen Fällen kennen die digitalen Plattformen unsere Vorlieben bereits besser als wir selbst und können uns zu einem Verhalten anstoßen, von dem sie zusätzlich profitieren. Wollen wir wirklich in einer Gesellschaft leben, in der unsere innersten Wünsche und Manifestationen persönlicher Urheberschaft zum Verkauf stehen?
Der Kapitalismus hat sich schon immer dabei hervorgetan, neue Wünsche und Sehnsüchte hervorzubringen. Doch mit Big Data und Algorithmen haben die Technologieunternehmen diesen Prozess sowohl beschleunigt als auch umgekehrt. Statt in Erwartung dessen, was die Menschen wollen könnten, einfach neue Waren und Dienstleistungen zu erzeugen, wissen sie bereits, was diese Menschen wollen werden, und verkaufen insofern unser künftiges Selbst. Schlimmer noch: Die genutzten algorithmischen Verfahren verstärken häufig geschlechtsbezogene und rassische Voreingenommenheiten und lassen sich manipulieren, um Profit zu machen oder politische Vorteile zu erlangen. Auch wenn wir alle enorm von digitalen Diensten wie der Google-Suche profitieren: Dass unser Verhalten katalogisiert, manipuliert und verkauft wird, war dabei nicht abgesprochen.
Um dies zu ändern, wird es erforderlich sein, sich unmittelbar auf das vorherrschende Geschäftsmodell und insbesondere auf die Quelle der wirtschaftlichen Rentenerträge zu konzentrieren. Genau wie Grundeigentümer im 17. Jahrhundert Rentenerträge aus der Inflation bei den Bodenpreisen zogen und die Räuberbarone von der Knappheit des Öls profitierten, profitieren die heutigen Plattformunternehmen von der Monopolisierung von Such- und E-Commerce-Diensten.
Natürlich ist es vorhersehbar, dass Sektoren mit hohen Netzwerkeffekten – bei denen der Nutzen für den einzelnen Nutzer als Funktion der Gesamtzahl der Nutzer zunimmt – große Unternehmen hervorbringen. Das ist der Grund, warum die Telefongesellschaften in der Vergangenheit so massiv wuchsen. Das Problem ist nicht die Größe, sondern die Art und Weise, wie netzwerkgestützte Unternehmen ihre Marktmacht nutzen.
Die heutigen Technologieunternehmen nutzten ihre großen Netzwerke zunächst, um eine Vielzahl unterschiedlicher Lieferanten an Bord zu holen, wovon die Verbraucher stark profitierten. Amazon erlaubte es Kleinverlegern, Titel zu verkaufen (darunter mein erstes Buch), die es andernfalls nicht in die Regale Ihrer örtlichen Buchhandlung geschafft hätten. Googles Suchmaschine zeigte früher ein breites Spektrum von Anbietern, Waren und Dienstleistungen an.
Inzwischen jedoch nutzen beide Unternehmen ihre marktbeherrschende Stellung, um den Wettbewerb auszuschalten, indem sie steuern, welche Produkte den Nutzern angezeigt werden, und indem sie ihre eigenen Marken (von denen viele scheinbar unabhängige Namen haben) bevorzugen. Unternehmen, die nicht auf diesen Plattformen inserieren, sehen sich derweil einem schweren Nachteil ausgesetzt. Wie Tim O’Reilly argumentiert hat, schwächt ein derartiges Rentenstreben im Laufe der Zeit das Ökosystem von Lieferanten, zu dessen Unterstützung die Plattformen ursprünglich entwickelt wurden.
Statt einfach davon auszugehen, dass Rentenerträge alle gleich sind, sollten die Wirtschaftspolitiker versuchen, zu verstehen, wie die Algorithmen der Plattformen den Nutzen zwischen Verbrauchern, Lieferanten und der Plattform selbst verteilen. Während einige Zuordnungen einen echten Wettbewerb widerspiegeln mögen, sind andere durch eine Wertabschöpfung statt eine Wertschöpfung bedingt.
Wir müssen daher eine neue Governance-Struktur entwickeln, und das fängt bei der Schaffung neuer Begrifflichkeiten an. Die Plattformunternehmen etwa als „Technologie-Giganten“ zu bezeichnen, suggeriert, dass sie in die Technologien investiert haben, von denen sie heute profitieren. Dabei waren es in Wahrheit die Steuerzahler, die die zentralen Grundlagentechnologien – vom Internet bis zum GPS – finanziert haben.
Zudem höhlt die weit verbreitete Nutzung von Steuerarbitrage und Vertragsarbeitern (zur Vermeidung der Kosten für deren Krankenversicherung und sonstige Arbeitgeberleistungen) die Märkte und Institutionen aus, von denen die Plattformwirtschaft abhängig ist. Statt über Regulierung zu reden, müssen wir daher weitergehen und uns Konzepte wie das der Co-Creation zu eigen machen. Die Regierungen können und sollten die Märkte so gestalten, dass gewährleistet ist, dass kollektiv erzeugte Werte kollektiven Zwecken dienen.
Genauso sollte sich die Wettbewerbspolitik nicht allein auf die Frage der Größe konzentrieren. Die Aufspaltung großer Unternehmen würde die Probleme der Wertabschöpfung oder des Missbrauchs individueller Rechte nicht lösen. Es gibt keinen Grund zu der Annahme, dass viele kleinere Googles oder Facebooks anders agieren oder neue, weniger ausbeuterische Algorithmen entwickeln würden.
Die Schaffung eines Umfelds, das echte Wertschöpfung belohnt und Wertabschöpfung bestraft, ist die grundlegende wirtschaftliche Herausforderung unserer Zeit. Zum Glück sind inzwischen auch die Regierungen dabei, neue Plattformen zu erstellen, um Bürger zu identifizieren, Steuern zu erheben und öffentliche Dienstleistungen zu erbringen. Aufgrund von Sorgen vor staatlichem Datenmissbrauch wurde in der Frühphase des Internets ein Großteil der Datenarchitektur durch private Unternehmen errichtet. Doch die staatlichen Plattformen haben nun ein enormes Potenzial, die Effizienz des öffentlichen Sektors zu steigern und die Plattformwirtschaft zu demokratisieren.
Um dieses Potenzial auszuschöpfen, müssen wir die Data Governance überdenken, neue Institutionen entwickeln und, angesichts der Dynamik der Plattformwirtschaft, mit alternativen Eigentumsformen experimentieren. Um nur eines von vielen Beispielen zu nehmen: Die bei der Nutzung von Google Maps oder Citymapper – oder einer beliebigen anderen Plattform, die sich auf vom Steuerzahler finanzierte Technologien stützt – anfallenden Daten sollten zur Verbesserung des öffentlichen Verkehrs und anderer öffentlicher Dienstleistungen verwendet werden statt einfach zu privatem Profit zu werden.
Natürlich werden manche argumentieren, dass die Regulierung der Plattformwirtschaft eine durch den Markt angetriebene Wertschöpfung beeinträchtigen wird. Allerdings sollten die Betreffenden mal wieder in ihren Adam Smith hineinschauen, dessen Ideal eines „freien Marktes“ eines ohne Rentenerträge, aber nicht ohne den Staat war.
Algorithmen und Big Data sollten genutzt werden, um die öffentlichen Dienstleistungen und die Arbeitsbedingungen zu verbessern und das Wohlergehen aller Menschen zu steigern. Derzeit jedoch werden diese Technologien genutzt, um die öffentlichen Dienstleistungen zu untergraben, Null-Stunden-Verträge zu fördern, gegen das Recht des Einzelnen auf Privatsphäre zu verstoßen und die Demokratien unserer Welt zu destabilisieren – und das alles im Interesse persönlichen Profits.
Innovation hat nicht nur eine Progressionsrate, sondern auch eine Richtung. Die von der künstlichen Intelligenz und anderen Technologien ausgehende Bedrohung liegt nicht im Tempo ihrer Entwicklung begründet, sondern darin, wie sie konzipiert und eingesetzt werden. Unsere Herausforderung besteht darin, einen neuen Kurs abzustecken.
Aus dem Englischen von Jan Doolan
LONDON – Die Nutzung und der Missbrauch von Daten durch Facebook und andere Technologieunternehmen erhalten endlich die offizielle Aufmerksamkeit, die sie verdienen. Werden die Nutzer angesichts der Tatsache, dass sich personenbezogene Daten zum wertvollsten Rohstoff der Welt entwickeln, Herrscher oder Sklaven der Plattformwirtschaft sein?
Die Aussichten auf eine Demokratisierung der Plattformwirtschaft bleiben düster. Die Algorithmen entwickeln sich auf Weisen, die es den Unternehmen erlauben, von unserem vergangenen, gegenwärtigen und künftigen Verhalten – oder dem, was Shoshana Zuboff von der Harvard Business School als unseren „Verhaltensüberschuss“ (behavioral surplus) beschreibt – zu profitieren. In vielen Fällen kennen die digitalen Plattformen unsere Vorlieben bereits besser als wir selbst und können uns zu einem Verhalten anstoßen, von dem sie zusätzlich profitieren. Wollen wir wirklich in einer Gesellschaft leben, in der unsere innersten Wünsche und Manifestationen persönlicher Urheberschaft zum Verkauf stehen?
Der Kapitalismus hat sich schon immer dabei hervorgetan, neue Wünsche und Sehnsüchte hervorzubringen. Doch mit Big Data und Algorithmen haben die Technologieunternehmen diesen Prozess sowohl beschleunigt als auch umgekehrt. Statt in Erwartung dessen, was die Menschen wollen könnten, einfach neue Waren und Dienstleistungen zu erzeugen, wissen sie bereits, was diese Menschen wollen werden, und verkaufen insofern unser künftiges Selbst. Schlimmer noch: Die genutzten algorithmischen Verfahren verstärken häufig geschlechtsbezogene und rassische Voreingenommenheiten und lassen sich manipulieren, um Profit zu machen oder politische Vorteile zu erlangen. Auch wenn wir alle enorm von digitalen Diensten wie der Google-Suche profitieren: Dass unser Verhalten katalogisiert, manipuliert und verkauft wird, war dabei nicht abgesprochen.
Um dies zu ändern, wird es erforderlich sein, sich unmittelbar auf das vorherrschende Geschäftsmodell und insbesondere auf die Quelle der wirtschaftlichen Rentenerträge zu konzentrieren. Genau wie Grundeigentümer im 17. Jahrhundert Rentenerträge aus der Inflation bei den Bodenpreisen zogen und die Räuberbarone von der Knappheit des Öls profitierten, profitieren die heutigen Plattformunternehmen von der Monopolisierung von Such- und E-Commerce-Diensten.
Natürlich ist es vorhersehbar, dass Sektoren mit hohen Netzwerkeffekten – bei denen der Nutzen für den einzelnen Nutzer als Funktion der Gesamtzahl der Nutzer zunimmt – große Unternehmen hervorbringen. Das ist der Grund, warum die Telefongesellschaften in der Vergangenheit so massiv wuchsen. Das Problem ist nicht die Größe, sondern die Art und Weise, wie netzwerkgestützte Unternehmen ihre Marktmacht nutzen.
Die heutigen Technologieunternehmen nutzten ihre großen Netzwerke zunächst, um eine Vielzahl unterschiedlicher Lieferanten an Bord zu holen, wovon die Verbraucher stark profitierten. Amazon erlaubte es Kleinverlegern, Titel zu verkaufen (darunter mein erstes Buch), die es andernfalls nicht in die Regale Ihrer örtlichen Buchhandlung geschafft hätten. Googles Suchmaschine zeigte früher ein breites Spektrum von Anbietern, Waren und Dienstleistungen an.
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Inzwischen jedoch nutzen beide Unternehmen ihre marktbeherrschende Stellung, um den Wettbewerb auszuschalten, indem sie steuern, welche Produkte den Nutzern angezeigt werden, und indem sie ihre eigenen Marken (von denen viele scheinbar unabhängige Namen haben) bevorzugen. Unternehmen, die nicht auf diesen Plattformen inserieren, sehen sich derweil einem schweren Nachteil ausgesetzt. Wie Tim O’Reilly argumentiert hat, schwächt ein derartiges Rentenstreben im Laufe der Zeit das Ökosystem von Lieferanten, zu dessen Unterstützung die Plattformen ursprünglich entwickelt wurden.
Statt einfach davon auszugehen, dass Rentenerträge alle gleich sind, sollten die Wirtschaftspolitiker versuchen, zu verstehen, wie die Algorithmen der Plattformen den Nutzen zwischen Verbrauchern, Lieferanten und der Plattform selbst verteilen. Während einige Zuordnungen einen echten Wettbewerb widerspiegeln mögen, sind andere durch eine Wertabschöpfung statt eine Wertschöpfung bedingt.
Wir müssen daher eine neue Governance-Struktur entwickeln, und das fängt bei der Schaffung neuer Begrifflichkeiten an. Die Plattformunternehmen etwa als „Technologie-Giganten“ zu bezeichnen, suggeriert, dass sie in die Technologien investiert haben, von denen sie heute profitieren. Dabei waren es in Wahrheit die Steuerzahler, die die zentralen Grundlagentechnologien – vom Internet bis zum GPS – finanziert haben.
Zudem höhlt die weit verbreitete Nutzung von Steuerarbitrage und Vertragsarbeitern (zur Vermeidung der Kosten für deren Krankenversicherung und sonstige Arbeitgeberleistungen) die Märkte und Institutionen aus, von denen die Plattformwirtschaft abhängig ist. Statt über Regulierung zu reden, müssen wir daher weitergehen und uns Konzepte wie das der Co-Creation zu eigen machen. Die Regierungen können und sollten die Märkte so gestalten, dass gewährleistet ist, dass kollektiv erzeugte Werte kollektiven Zwecken dienen.
Genauso sollte sich die Wettbewerbspolitik nicht allein auf die Frage der Größe konzentrieren. Die Aufspaltung großer Unternehmen würde die Probleme der Wertabschöpfung oder des Missbrauchs individueller Rechte nicht lösen. Es gibt keinen Grund zu der Annahme, dass viele kleinere Googles oder Facebooks anders agieren oder neue, weniger ausbeuterische Algorithmen entwickeln würden.
Die Schaffung eines Umfelds, das echte Wertschöpfung belohnt und Wertabschöpfung bestraft, ist die grundlegende wirtschaftliche Herausforderung unserer Zeit. Zum Glück sind inzwischen auch die Regierungen dabei, neue Plattformen zu erstellen, um Bürger zu identifizieren, Steuern zu erheben und öffentliche Dienstleistungen zu erbringen. Aufgrund von Sorgen vor staatlichem Datenmissbrauch wurde in der Frühphase des Internets ein Großteil der Datenarchitektur durch private Unternehmen errichtet. Doch die staatlichen Plattformen haben nun ein enormes Potenzial, die Effizienz des öffentlichen Sektors zu steigern und die Plattformwirtschaft zu demokratisieren.
Um dieses Potenzial auszuschöpfen, müssen wir die Data Governance überdenken, neue Institutionen entwickeln und, angesichts der Dynamik der Plattformwirtschaft, mit alternativen Eigentumsformen experimentieren. Um nur eines von vielen Beispielen zu nehmen: Die bei der Nutzung von Google Maps oder Citymapper – oder einer beliebigen anderen Plattform, die sich auf vom Steuerzahler finanzierte Technologien stützt – anfallenden Daten sollten zur Verbesserung des öffentlichen Verkehrs und anderer öffentlicher Dienstleistungen verwendet werden statt einfach zu privatem Profit zu werden.
Natürlich werden manche argumentieren, dass die Regulierung der Plattformwirtschaft eine durch den Markt angetriebene Wertschöpfung beeinträchtigen wird. Allerdings sollten die Betreffenden mal wieder in ihren Adam Smith hineinschauen, dessen Ideal eines „freien Marktes“ eines ohne Rentenerträge, aber nicht ohne den Staat war.
Algorithmen und Big Data sollten genutzt werden, um die öffentlichen Dienstleistungen und die Arbeitsbedingungen zu verbessern und das Wohlergehen aller Menschen zu steigern. Derzeit jedoch werden diese Technologien genutzt, um die öffentlichen Dienstleistungen zu untergraben, Null-Stunden-Verträge zu fördern, gegen das Recht des Einzelnen auf Privatsphäre zu verstoßen und die Demokratien unserer Welt zu destabilisieren – und das alles im Interesse persönlichen Profits.
Innovation hat nicht nur eine Progressionsrate, sondern auch eine Richtung. Die von der künstlichen Intelligenz und anderen Technologien ausgehende Bedrohung liegt nicht im Tempo ihrer Entwicklung begründet, sondern darin, wie sie konzipiert und eingesetzt werden. Unsere Herausforderung besteht darin, einen neuen Kurs abzustecken.
Aus dem Englischen von Jan Doolan