Die Schaffung wissenschaftlicher Unsicherheit

Jahrzehntelang hat die Tabakindustrie mehr hergestellt als nur Zigaretten. Neben der aggressiven Vermarktung von Tabakprodukten, betrieb sie auch eine erfolgreiche PR-Kampagne, die darauf abzielte, Unsicherheit über die zerstörerische und tödliche Wirkung ihrer Produkte zu erzeugen. Obwohl die Aufdeckung dieser Bestrebungen für viele Raucher zu spät kam, zeigten Dokumente, die in Gerichtsverfahren auftauchten, dass es konzertierte Bestrebungen gab, die Einführung staatlicher Bestimmungen durch Angriffe auf die Gesundheitswissenschaft und die Forscher zu verhindern.

Es gibt wenige Herausforderungen in der Wissenschaft, die komplexer sind, als Erkenntnisse über Erkrankungen des Menschen zu gewinnen. So können Wissenschaftler beispielsweise nicht einfach Menschen toxische Substanzen verabreichen, um herauszufinden, in welchen Dosen diese Substanzen Krebs erregend sind. Stattdessen sind die Forscher darauf angewiesen, „natürliche Experimente“ für sich zu nutzen, im Zuge derer es bereits zu einer Belastung mit einer gewissen Substanz kam.

Natürlich werden im Labor unter kontrollierten Bedingungen Tierversuche gemacht, um die Wirkung toxischer Substanzen zu erforschen. Aber ebenso wie bei epidemiologischen Ergebnissen gibt es auch bei Laborversuchen viele Unsicherheiten und die Wissenschaftler müssen studienspezifische Ergebnisse extrapolieren, um die Ursächlichkeit zu beurteilen und Schutzmaßnahmen zu empfehlen. Absolute Sicherheit gibt es dabei selten..

Dennoch liegt ein großer Teil der wissenschaftlichen „Unsicherheit“ über die Ursachen von Krankheiten nicht einfach in der Natur der Sache, sondern wird regelrecht produziert. Vor Jahren brachte ein hochrangiger Vertreter der Tabakindustrie den perfekten Slogan für die Desinformationskampagne seiner Branche leichtsinnigerweise zu Papier: „Der Zweifel ist unser Produkt“. Über 50 Jahre hinweg beschäftigte die Tabakindustrie einen Stab von Wissenschaftlern, die (manchmal unter Eid) behaupten mussten, sie glaubten nicht, dass es eindeutige Beweise dafür gibt, dass Zigarettenrauchen Lungenkrebs verursacht.

Weniger bekannt, aber dem gleichen Muster folgend sind Bestrebungen, die darauf abzielen, Studien anzuzweifeln, in denen die gesundheitsschädigenden Auswirkungen von Blei, Quecksilber, Vinylchlorid, Chrom, Beryllium, Benzen sowie vieler Pestizide und anderer giftiger Substanzen nachgewiesen wird. Umweltverschmutzer und Hersteller gefährlicher Produkte engagieren für die von ihnen so bezeichnete „Produktverteidigung“ Experten, die jede den Produzenten nicht genehme Studie zerpflücken und Schwachstellen und Ungereimtheiten hervorheben. Vielfach wird der Zusammenhang zwischen der Belastung mit einer Substanz und einer Krankheit gar nicht bestritten, aber es wird rasch beteuert, dass die „Beweise nicht eindeutig sind“.

In diesen Branchen hat man begriffen, dass man durch die Betonung der wissenschaftlichen Unsicherheit (und der Notwendigkeit weiterer Forschung) eine Diskussion über politische Entscheidungen vermeiden kann. Damit können Ausgaben für den Gesundheits- und Umweltschutz um Jahre hinausgezögert werden.

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Die bekannteste (und wohl auch höchst dotierte) Kampagne zur Erzeugung wissenschaftlicher Unsicherheit wird heute von den Herstellern fossiler Brennstoffe betrieben, um die wissenschaftlichen Arbeiten im Zusammenhang mit dem Klimawandel in Frage zu stellen. Konfrontiert man Industrie und deren Verbündete in der Politik mit der Tatsache, dass sich die Wissenschaft weltweit über den Beitrag menschlicher Aktivitäten zum Klimawandel in den letzten hundert Jahren einig ist, gehen sie den gleichen Weg wie die Tabakindustrie.

Den Beweis dafür lieferte Frank Luntz, führender republikanischer Politikberater, der seinen Klienten im Jahr 2002 eine Mitteilung über das strategische Vorgehen zukommen ließ. Darin schreibt Luntz: „ Die wissenschaftliche Diskussion ist noch nicht entschieden . Die Wähler glauben, dass es hinsichtlich des Klimawandels keinen Konsens gibt. Sollte die Öffentlichkeit den Eindruck bekommen, dass die wissenschaftlichen Fragen geklärt sind, werden sich ihre Ansichten über den Klimawandel entsprechend ändern.“

Gleichzeitig mit den Bestrebungen, gesetzliche Bestimmungen durch behauptete wissenschaftliche Unsicherheit zu verhindern, haben die Umweltverschmutzer und Hersteller von gefährlichen Gütern die so genannte „Junk-Science-Bewegung“ gefördert. Diese versucht die öffentliche Meinung, durch Verhöhnung jener Wissenschaftler zu manipulieren, deren Erkenntnisse mächtigen Interessen im Wege stehen. Vertreter dieser „Junk Science“ behaupten, dass viele wissenschaftliche Studien (und sogar wissenschaftliche Methoden) die für die Entscheidungsfindung im gesetzlichen Bereich herangezogen werden, grundlegend fehlerhaft, widersprüchlich oder unvollständig sind.

Jeder Studienanfänger im Bereich Gesundheitswissenschaft erfährt die Geschichte von John Snow, der in London eine Cholera-Epidemie stoppte. Im September 1854 markierte er in einem Zeitraum von 10 Tagen, in denen über 500 Londoner dieser Krankheit zum Opfer fielen, auf einem Stadtplan die Standpunkte aller Haushalte, die ein Cholera-Opfer zu beklagen hatten. Ihm fiel auf, dass Londoner, die ihr Wasser aus einem bestimmten Brunnen bezogen, das höchste Erkrankungsrisiko hatten und so empfahl er den Schwengel der betreffenden Pumpe abzumontieren.

Durch Nutzung der besten, damals zur Verfügung stehenden Erkenntnisse als Entscheidungsgrundlage, konnten hunderte weitere Todesfälle vermieden werden. Hätten die Verantwortlichen der Stadt London damals auf absoluter Sicherheit bestanden, wäre die Epidemie noch 30 Jahre weitergegangen, bis man das Cholera-Bakterium entdeckte.

Die Schaffung wissenschaftlicher Unsicherheit gefährdet die öffentliche Gesundheit ebenso wie Programme zum Gesundheitsschutz und zur Opferentschädigung. Es ist Zeit, zu den grundlegendsten Prinzipien zurückzukehren: Man bediene sich der besten vorhandenen wissenschaftlichen Erkenntnisse, verlange aber nicht absolute Sicherheit, wo es sie nicht gibt.

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