Auf der ganzen Welt haben nur wenige Frauen Spitzenpositionen in der akademischen Forschung inne. An öffentlichen Forschungsinstitutionen und Universitäten in den USA und Frankreich werden nur etwa 14 Prozent der leitenden Positionen von Frauen bekleidet. Das ist ohnehin schon Maximalstandard, denn in Italien sind es nur elf, in Japan sieben und in Deutschland und den Niederlanden nur fünf Prozent. Hinzu kommt: Je höher das Prestige der Institution, desto niedriger die Frauenquote. An der Universität Cambridge beispielsweise sind nur 6 Prozent aller Professoren Frauen, der britische Gesamtdurchschnitt beträgt 8 Prozent.
Neu und interessant an der heutigen Situation ist allerdings, dass niemand glücklich darüber ist – weder Dekane, noch Universitätsrektorinnen oder Mitglieder nationaler gesetzgebender Körperschaften. In Deutschland und Japan gibt es die Forderung, dass im Jahre 2005 beziehungsweise 2010, 20 Prozent aller Vollprofessuren von Frauen bekleidet werden sollen. Auch die Franzosen haben ihr Vertrauen auf
liberté
und
fraternité
gegen die Politik der
parité
eingetauscht. Seit die Europäische Union 1998 die Initiative „Frauen und Wissenschaft“ ins Leben rief und sehr viel Geld in dieses Projekt investierte, wetteifern nun die Mitgliedsländer darum, wer die höchste Frauenquote in der Wissenschaft aufweist.
In demokratischen Gesellschaften setzt man auch stark auf individuelle Leistung und auf das damit verbundene Prinzip, wonach ungehinderter Wettbewerb hervorragende Leistungen fördert. Dieses Prinzip steht jedoch oftmals im Widerspruch zu staatlichen Reformen, die eher Gleichheit anstreben. So wurde beispielsweise der Vorschlag der deutschen Regierung zur Schaffung von Frauenquoten in der öffentlich finanzierten Forschung allgemein kritisiert, weil dadurch die Anforderungen an die Bewerberinnen verringert werden. Diese Argumentation erinnert an die „Affirmative Action“-Debatten über Rassengleichstellung in den USA. Wohlmeinendere Kritiker vertreten die Ansicht, dass Quoten die Leistungen entwerten und die Kompetenz jener Frauen infrage stellen, die auch ohne diese Quoten aufgenommen worden wären.
War Wissenschaft aber jemals eine reine „Meritokratie“? Waren ihre Maßstäbe jemals geschlechtsneutral? Im Jahre 1910 verweigerte die renommierte Académie des Sciences in Paris Marie Curie – der ersten Person, die den Nobelpreis zweimal bekam – lieber die Aufnahme, als von ihrer ausschließlich männlich dominierten Tradition abzuweichen. Die weltbekannte deutsche Physikerin Lise Meitner wurde im Kaiser-Wilhelm-Institut in Berlin mit ihrer Arbeit in den Keller verbannt, da mit Ausnahme der Putzfrauen kein weibliches Wesen die oberen Stockwerke betreten durfte. Heute sind die Barrieren subtiler: Kürzlich zeigte beispielsweise eine schwedische Studie, dass Frauen erheblich mehr wissenschaftliche Publikationen hervorbringen müssen als Männer, um in den Genuss von Förderungen des Schwedischen Rates für Medizinische Forschung zu kommen.
Tatsächlich neigen Gegner von Quotenregelungen zu übersehen, wie Quoten in der Vergangenheit von Regierungen, Universitäten und Forschungslaboratorien eingesetzt wurden - zum Vorteil der Männer. Die Entwicklung der Demokratie erwies sich dabei als zweischneidiges Schwert: Während sie die Entstehung einer männlich dominierten Meritokratie ermöglichte, wurden einflussreiche aristokratische Frauen aus der Öffentlichkeit in das traute Heim verbannt und von der Berufsausübung ausgeschlossen, was auch akademische Karrieren unmöglich machte. Bis in das späte 19. Jahrhundert wurde ihnen der Zugang zur Forschung an Universitäten verweigert, und führende Institutionen hatten bis in die dreißiger Jahre des vorigen Jahrhunderts strikte Aufnahmequoten für Frauen. In den USA war sogar noch in den fünfziger Jahren in Stellenanzeigen für wissenschaftliche Positionen häufig zu lesen, dass „Bewerbungen von Frauen nicht berücksichtigt werden“.
Glücklicherweise wurden gesetzliche Barrieren für das Fortkommen von Frauen in der Wissenschaft in den USA durch den Equal Pay Act aus dem Jahre 1963 und den Equal Opportunity Employment Act von 1972 abgebaut. Ähnliche Bestimmungen gab es auch in anderen Teilen der Welt. Dennoch dürfen wir nicht vergessen, dass sich die Universitäten als Institution männlichen Bedürfnissen entsprechend entwickelt haben. Um nur ein besonders krasses Beispiel zu nennen: Dutzende Frauen am Institut für Entwicklungsbiologie der Universität Tübingen, ließen aus Angst, dass Mutterschaft ihre akademischen Karrieren beenden würde, Abtreibungen vornehmen.
Noch schlimmer ist, dass die institutionelle Voreingenommenheit der Wissenschaft gegenüber Frauen auch vor der wissenschaftlichen Forschung selbst nicht Halt macht und dadurch das Leben und Wohlergehen der Frauen gefährdet. So wurden in den USA weibliche Versuchspersonen aus umfassenden und bedeutenden medizinischen Studien überhaupt ausgeschlossen –– auch aus so grundlegenden Studien wie jenen über die Auswirkungen von hohem Blutdruck, Rauchen und Cholesterin auf Herz- und Gefäßkrankheiten. 1992 stellte sich heraus, dass nur die Hälfte der gebräuchlichsten Medikamente in den USA auf ihre unterschiedliche geschlechtsspezifische Wirkung untersucht worden waren. Anschließend wurde nachgewiesen, dass der Abbau von Azetaminophen, ein Wirkstoff in vielen Schmerzmitteln, im weiblichen Organismus nur ungefähr 60 Prozent der Abbaurate des männlichen Organismus erreicht. Auf welcher Grundlage wurden die Dosisempfehlungen für Frauen bis dahin formuliert?
Die Aufdeckung dieser geschlechtsdiskriminierenden Forschung führte jedoch unglaublicher Weise nicht zur Überarbeitung der wichtigsten Studienmaterialien. Die angeblich neutralen Mechanismen der Selbstkorrektur in der Wissenschaft wurden erst durch legislative Maßnahmen in Gang gebracht. 1986 brachten die Nationalen Gesundheitsinstitute der USA Richtlinien heraus, in denen gefordert wurde, dass ein repräsentativer Anteil weiblicher Versuchspersonen in jedes von der Regierung finanzierte Forschungsprojekt aufzunehmen sei. Diese Richtlinien wurden 1987 und 1990 abermals herausgegeben – vergebens. Um die Einbeziehung weiblicher Versuchspersonen in grundlegende medizinische Forschungen sicherzustellen, bedurfte es eines Bundesgesetzes, das erst 1993 in Kraft trat.
Ebenso wie unsere Vorfahren keine Hemmungen hatten, Gesetze gegen Frauen zu schaffen, sollten wir keine Hemmungen haben, Gesetze für Frauen zu schaffen. Um die Jahrhunderte währende Politik gegen Frauen in der Wissenschaft zu kompensieren, wird es von Expertinnen erarbeitete und von Fachleuten gebilligte Reformen geben müssen. Schließlich kann und soll vom Establishment der wissenschaftlichen Forschung nicht erwartet werden, Probleme zu lösen, die vor allem kulturell bedingt sind.
Andererseits entlässt dies Universitäten und Forschungslaboratorien nicht aus ihrer Verantwortung. Ganz im Gegenteil: Sie müssen sich für grundlegende institutionelle und intellektuelle Veränderungen öffnen, die das Ziel, die Rolle der Frauen in der Wissenschaft zu stärken, mit sich bringt. Es liegt an ihnen, althergebrachte Vorstellungen, von der Rollenverteilung im Haushalt und den damit verbundenen Auswirkungen auf das Berufsleben bis hin zur Definition von Wissen und der Formulierung von Forschungszielen, zu erkennen und neu zu überdenken. Wir alle wünschen uns eine leistungsorientierte und strenger Selbstkontrolle unterworfene Wissenschaft, aber wir sollten uns nichts vormachen: Nur die konsequente Analyse geschlechtsspezifischer Fragen und eine entschlossene Politik werden uns helfen, dieses Ziel zu erreichen.
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