mazzucato42_Pedro VilelaGetty Images_global health Pedro Vilela/Getty Images

Ein neuerliches Bekenntnis zur Pandemiebereitschaft

OSLO: Vor vier Jahren, auf dem Höhepunkt der der COVID-19-Pandemie, mühten sich die Regierungen hektisch, ihre Bevölkerungen zu schützen und einen wirtschaftlichen Zusammenbruch zu verhindern. Niemand würde bestreiten, dass die Bewältigung dieser existenziellen Bedrohung damals oberste politische Priorität war.

Als ehemalige Ministerpräsidentin und Generaldirektorin der Weltgesundheitsorganisation war ich von der koordinierten internationalen Reaktion auf COVID-19 beeindruckt. Sicherlich gab es große Ungleichheiten innerhalb und zwischen Ländern, was dazu führte, dass die Schwächsten der Gesellschaft einen zu hohen Preis zahlten, insbesondere was den Zugang zu Impfstoffen anging. Aber ich sah Grund zur Hoffnung, dass die verheerenden Auswirkungen der Pandemie zu einem politischen Umdenken und stärkerem Engagement für die künftige Pandemiebereitschaft, -prävention und -bekämpfung führen würde.

Ich habe mich geirrt. Es ist deprimierend offensichtlich, dass die Lehren aus COVID-19 bereits wieder in Vergessenheit geraten. Die Welt bleibt in dem vertrauten Kreislauf aus Panik und Nachlässigkeit gefangen, der die vergangene Pandemie kennzeichnete. Die Politik ignoriert weitgehend die aktuellen Bedrohungen, darunter COVID-19 (das, auch wenn es keinen Notfall im Bereich der öffentlichen Gesundheit mehr darstellt, noch nicht Geschichte ist), die Vogelgrippe H5N1 und das Dengue-Fieber. Und neue Pandemien mit potenziell katastrophalen Folgen werden mit ziemlicher Sicherheit auftreten, vor allem, wenn Klimawandel und Umweltzerstörung zunehmen.

Dies sind keine hypothetischen Risiken. Am Mittwoch erklärte der Generaldirektor der WHO, Tedros Adhanom Ghebreyesus, den jüngsten Mpox-Ausbruch in Ostafrika zum „gesundheitlichen Notfall von internationaler Tragweite“. Die internationale Gemeinschaft muss sich jetzt nicht nur hinter die betroffenen afrikanischen und am stärksten gefährdeten Länder stellen, sondern sich auch auf eine mögliche Ausbreitung in weitere Länder weltweit vorbereiten.

Schon vor dem Ausbruch von COVID-19 warnte ich, dass unser Versäumnis, diesen Teufelskreis zu durchbrechen, uns großen Gefahren aussetzen würde. Im September 2019 veröffentlichte das Global Preparedness Monitoring Board (dessen Co-Vorsitzende ich bin) einen Bericht, in dem auf die akute Gefahr einer verheerenden globalen Epidemie oder Pandemie hingewiesen wurde. Wir wussten nicht, wie vorausschauend unsere Warnungen waren.

Und nun befinden wir uns in einer neuen Phase der Vernachlässigung, die sich nur als Versagen des politischen Willens verstehen lässt. Trotz aller in der COVID-19-Ära geäußerten frommen Worte versäumen es die Staats- und Regierungschefs, die Ungleichheiten zu beseitigen, die die Erholungsbemühungen behindert haben. Es ist nicht hinnehmbar, dass die reichen Länder so wenig getan haben, um die nächste Pandemie gerechter – und damit wirksamer – zu bekämpfen.

PS Events: Climate Week NYC 2024
image (24)

PS Events: Climate Week NYC 2024

Project Syndicate is returning to Climate Week NYC with an even more expansive program. Join us live on September 22 as we welcome speakers from around the world at our studio in Manhattan to address critical dimensions of the climate debate.

Register Now

Im Juni beispielsweise gelang es auf der 77. Weltgesundheitsversammlung nicht, ein neues Pandemieabkommen zu beschließen – trotz zweijähriger Arbeit des zwischenstaatlichen Verhandlungsgremiums (Intergovernmental Negotiating Body, INB) an dem globalen Abkommen, das eine Wiederholung von COVID-19 verhindern soll. Die Mitgliedsstaaten haben die Gespräche nun um bis zu zwölf Monate verlängert. Entscheidend ist jedoch, dass sie nach wie vor nicht bereit sind, den Verhandlungsführern die erforderliche politische Unterstützung zu gewähren, um sich auf Maßnahmen zur Beseitigung der Ungleichheiten bei der Pandemiebereitschaft, -bekämpfung und -erholung zu einigen.

Das Unvermögen, einen Konsens in inhaltlichen Fragen zu finden, ist symptomatisch für das wachsende Vertrauensdefizit zwischen Industrie- und Schwellenländern und die Ineffektivität des multilateralen Systems in einer Zeit wachsender geopolitischer Spannungen. Dies kann jedoch keine Entschuldigung dafür sein, Maßnahmen gegen eine der größten Bedrohungen unserer Zeit aufzuschieben. Das INB braucht einen neuen Ansatz, der ein maximales Engagement unabhängiger Experten und zivilgesellschaftlicher Organisationen ermöglicht und zugleich sicherstellt, dass sich die Mitgliedstaaten auf die Verbesserung der globalen Gerechtigkeit konzentrieren statt lediglich Lippenbekenntnisse dazu abzulegen.

Wenn uns die letzten vier Jahre irgendetwas gelehrt haben, dann, dass die von der WHO geleiteten Prozesse allein nicht ausreichen, um der existenziellen Bedrohung durch Pandemien zu begegnen. Auch andere multilaterale Institutionen sollten sich für die Verbesserung der Pandemiebereitschaft engagieren. Der Zukunftsgipfel der Vereinten Nationen im September sowie die bevorstehenden Treffen der G7 und der G20 müssen die Dringlichkeit dieser Herausforderung unterstreichen und die Staats- und Regierungschefs zum Handeln bewegen. Ein deutlicheres Eintreten für die Sicherheit der Weltgesundheit in diesen Foren könnte entscheidend sein, um die politische Führung und die Finanzmittel sicherzustellen, die für sinnvolle Veränderungen notwendig sind.

Zu diesem Zweck setzt sich die als „The Elders“ bekannte Gruppe ehemaliger Spitzenpolitiker dafür ein, auf dem Zukunftsgipfel ein Notfallprogramm zu verabschieden – eine Reihe von Protokollen, die es der UN-Spitze ermöglichen würden, schnell auf globale Schocks zu reagieren. Darüber hinaus sollten sich die Mitglieder der Welthandelsorganisation wie von Kolumbien vorgeschlagen darauf einigen, die Umsetzung des Übereinkommens über handelsbezogene Aspekte der Rechte an geistigem Eigentum (TRIPS) zu überprüfen. Das TRIPS-Abkommen regelt den Patentschutz für Impfstoffe und Behandlungsmethoden und spielt daher eine Schlüsselrolle bei der Pandemiebekämpfung.

Ein neuerliches Bekenntnis zur Pandemievorsorge ist unerlässlich. Aber es sollte zugleich Teil einer umfassenderen Wiederbelebung des Multilateralismus sein. Nur durch Kompromisse und Zusammenarbeit können wir die größten Herausforderungen der Menschheit bewältigen.

Aus dem Englischen von Jan Doolan

https://prosyn.org/yyf4xuwde