dupre2_Jose A. Bernat Bacete_getty images_euro notes Jose A. Bernat Bacete/Getty Images

Die riskante grüne Taxonomie der EU

PARIS – Demnächst wollen die Mitgliedstaaten der Europäischen Union und das Europäische Parlament eine so genannte „Taxonomie“ zur Klassifizierung grüner Investitionen einführen, nachdem sie sich im letzten Monat auf eine Liste „nachhaltiger“ Wirtschaftsaktivitäten geeinigt haben. Sobald das neue System, wahrscheinlich in diesem Jahr, in Kraft tritt, wird die Europäische Kommission anhand dieser Liste bestimmen, welche Finanzanlagen und -produkte nachhaltig sind.

Diese Klassifizierung ist der Kern des Regulierungspakets der Kommission zur nachhaltigen Finanzierung, Damit strebt sie das ehrgeizige Ziel an, „Kapitalflüsse in nachhaltige Investitionen umzuleiten, um nachhaltiges und inklusives Wachstum zu erzielen“. Die Kommission hofft, das neue Kennzeichnungssystem werde als Grundlage für politische Anreize zur Förderung nachhaltiger Investitionen dienen und verhindern, dass Marktteilnehmer nicht nachhaltige Finanzprodukte „grün waschen“.

Um dies zu erreichen, muss die Klassifizierung drei wichtige Fragen berücksichtigen. Aber leider ignoriert der eindimensionale Ansatz der EU zwei von ihnen, was gefährliche Folgen haben könnte.

Dass sich die Kommission auf die Frage konzentriert, welche Wirtschaftsaktivitäten nachhaltig sind, beinhaltet die Definition und Auflistung aller Aktivitäten, die zur Energiewende beitragen, wie der Erzeugung erneuerbarer Energien oder der Herstellung von Elektroautos. Dabei ging es in den Debatten hauptsächlich darum, ob Nuklearenergie oder Erdgas einbezogen oder ob es statt einem binären System mehrere „Abstufungen von Grün“ geben sollte.

Aber die EU-Klassifizierung müsste eigentlich auch eine zweite große Frage berücksichtigen: Welche grünen Aktivitäten leiden eigentlich unter einer Finanzierungslücke? Immerhin bezweckt der Umleitung von Finanzflüssen hin zu solchen Aktivitäten – in Hinsicht auf die Umwelt – nur, Finanzierungsprobleme zu überbrücken. Und nicht alle in der geplanten Klassifizierung aufgelisteten nachhaltigen Aktivitäten sind notwendigerweise unterfinanziert. In der Praxis wird das Wachstum bestimmter grüner Aktivitäten von anderen Faktoren begrenzt – wie mangelnder Konsumentennachfrage, einem nachteiligen Steuersystem oder technologischen Hindernissen. Tatsächlich könnte ein niedriges Finanzierungsniveau nicht der Grund für diese Schwierigkeiten sein, sondern ihre Folge.

Und ist eine Finanzierungslücke tatsächlich vorhanden, bezieht sie sich nicht notwendigerweise auf das gesamte Kapitalspektrum. Normalerweise betrifft sie eine bestimmte Phase wie das so genannte „Tal des Todes“ zwischen Wagniskapital und Private Equity.

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So betrachtet verwässert eine Umleitung der Finanzierung hin zu allen als „nachhaltig“ definierten Aktivitäten, einschließlich solchen, die gar nicht unterfinanziert sind, nicht nur die Effekte möglicher Anreize (wie des von der Kommission vorgesehenen „grünen Unterstützungsfaktors“), sondern erhöht auch die Gefahr einer Anlageblase. Bis jetzt hat die EU diese möglichen Probleme allerdings einfach ignoriert.

Und schließlich hat die Kommission versäumt, sich mit der Frage zu beschäftigen, welche Finanzinstrumente und -produkte die Realwirtschaft eigentlich effektiv beeinflussen.

Man würde erwarten, dass die europäischen Politiker Investitionen in Instrumente und Produkte fördern, die dazu beitragen, nachhaltige Wirtschaftsaktivitäten auszuweiten. Beispielsweise ergab eine aktuelle Zusammenfassung der akademischen Forschung zu diesem Thema, ein „relativ verlässlicher Mechanismus“ dafür, ein solches Ergebnis zu erzielen, sei die Verwendung der Aktionärsrechte durch die Investoren, um ökologische Lösungen zu unterstützen. Und dieser Ansatz gewinnt momentan durchaus an Fahrt, wie die jüngste Entscheidung von BlackRock zeigt, der „Klimaschutz 100+“-Koalition von Investoren beizutreten, die solche Strategien fördert. Gleichzeitig allerdings stellt der Bericht fest, es gebe „momentan keine empirische Studie, die Kapitalzuweisungsentscheidungen nachhaltiger Investoren mit Unternehmenswachstum oder der Verbesserung unternehmerischer Praktiken in Verbindung bringt“.

Die Kommission bezieht sich auf diese Untersuchung, aber hat sich entschieden, gegen die wissenschaftlichen Erkenntnisse zu handeln und ihre Regulierung nachhaltiger Finanzierung an alternativen Fakten auszurichten. Einerseits erkennt der Regulierungsrahmen die Beteiligung von Portfolios an nachhaltigen Aktivitäten als einzigen Weg an, um ökologische Ergebnisse zu erzielen. Oder, wie es die Kommission ausdrückt: „Grünheit entsteht daraus, wie die [Finanzprodukte oder -investitionen] in den ihnen zu Grunde liegenden Anlagen oder Aktivitäten Verwendung finden“. Andererseits berücksichtigt das Regulierungspaket nicht, dass das Engagement der Aktionäre als Mittel zur Umleitung von Investitionen in nachhaltige Aktivitäten dienen kann.

Der eindimensionale Ansatz der EU erhöht die Gefahr dreier besonders schädlicher Effekte: Erstens steigert er die Wahrscheinlichkeit falscher Verkäufe. Bald könnten den 40% der europäischen Privatanlegern, denen (laut unserer aktuellsten Umfrage, die 2020 erscheint) der ökologische Einfluss ihrer Ersparnisse wichtig ist, systematisch unpassende Produkte angeboten werden. Darüber hinaus könnte das Regulierungswerk den Wettbewerb behindern, indem er Eintrittsbarrieren für echte ökologisch beeinflusste Investitionsstrategien schafft. Und schließlich könnten die EU-Regeln dadurch, dass sie erkenntnisorientierte Ansätze im Finanzwesen ablehnen, den Wandel des Sektors verlangsamen – und damit die globalen Bemühungen gegen den Klimawandel behindern.

Als Mitglied der hochrangigen Expertengruppe, die den Aktionsplan für nachhaltige Finanzierung vorgeschlagen hat, habe ich die Kommission wiederholt auf diese Thema angesprochen und finde ihre Entscheidungen immer noch problematisch. Denn wenn es um die Bewältigung komplexer, multidimensionaler sozialer Probleme durch einfache, eindimensionale Lösungen geht, gibt es einen interessanten Präzedenzfall:

Vor nicht allzu langer Zeit hat die Regierung der Vereinigten Staaten gemeinsam mit der Finanzindustrie versucht, sich mit einer weniger komplexen Herausforderung als dem Klimawandel zu beschäftigen: der Förderung des Hauseigentums gering verdienender Haushalte. Dabei setzten sie auf hochriskante Hypotheken – gemeinsam mit dem Zaubermittel der Verbriefung. Dann dachten die Entscheidungsträger, diese Subprime-Hypotheken stärker dem Markt auszusetzen sei ein guter Ersatz dafür, gering verdienende Haushalten beim Immobilienerwerb zu unterstützen, und dass dazu keine weitere Untersuchung notwendig sei. Wie dies ausgegangen ist, wissen wir alle.

Aus dem Englischen von Harald Eckhoff

https://prosyn.org/4AD6ZPGde