haass175_Citizens of the PlanetGettyImages_oil_rig_solar_panels

Die Energiewende, die nicht gelingen konnte

NEW YORK – Vorstellungen und die Worte, mit denen wir sie formulieren, sind wichtig. Als der Kalte Krieg zu Ende ging, suggerierte beispielsweise der Ausdruck „das Ende der Geschichte“, dass der Zusammenbruch des Sowjetkommunismus die liberale Demokratie und die Marktwirtschaft unanfechtbar machen würde. Diese Vorstellung setzte sich bei den westlichen Politikern durch und verleitete sie zu der Annahme, sie könnten sich entspannt zurücklegen. Drei Jahrzehnte später erscheint „das Ende der Geschichte“ und die Politik, die daraus folgte, als völlig verfehlt.

Heute ist es die „Energiewende“, die die politischen Entscheidungsträger in ihren Bann zieht. Der Begriff suggeriert zwar die Notwendigkeit, von fossilen Brennstoffen auf erneuerbare Energien umzusteigen ‑ eine scheinbar zwingende Idee, die im Einklang mit Klimazielen und technologischer Innovation steht ‑, beschreibt aber ungenau, was geschieht (und geschehen wird), und hat einige Regierungen dazu verleitet, kostspielige und kontraproduktive Maßnahmen zu ergreifen. Und es hat dazu geführt, dass Ziele gegeneinander ausgespielt werden, die sich eigentlich ergänzen sollten: die Bekämpfung des Klimawandels und die Förderung der Energiesicherheit.

Um es klar zu sagen: Energiewenden ‑ der Wechsel von einer Energieform zu einer anderen ‑ hat es im Laufe der Geschichte immer wieder gegeben, und zwar parallel zu den wirtschaftlichen Veränderungen, die die Nachfrage nach der neuen Energiequelle schufen. Nach dem Beginn der industriellen Revolution trieben die Dampfmaschine, der Verbrennungsmotor und der Aufstieg des verarbeitenden Gewerbes die Gesellschaften dazu, von Holz auf Kohle und später auf Öl und Gas umzusteigen.

Die Unterstützung für den Ausstieg aus der Nutzung fossiler Brennstoffe spiegelt die Besorgnis über die tatsächlichen und prognostizierten Kosten des Klimawandels wider sowie die Tatsache, dass die Erwärmung der Erdatmosphäre und der Ozeane mit der Freisetzung von Kohlendioxid und anderen Treibhausgasen (hauptsächlich Methan) durch die Verbrennung von Kohle, Öl und Erdgas in Verbindung gebracht wird. Das Ziel der Abkehr von fossilen Brennstoffen ist die Erreichung von „Netto-Null-Emissionen“ (im Idealfall bis 2050), indem fossile Brennstoffe nach und nach durch erneuerbare Energien wie Sonnen-, Wind- und Kernenergie ersetzt werden.

Dies ist nicht der Fall. Auch eine „Entfossilisierung“ findet nicht statt. Fossile Brennstoffe, wie Öl, Gas und Kohle, liefern immer noch mehr als 80 % der weltweiten Energie. Seit 2013 ist der weltweite Öl- und Gasverbrauch um 14 % gestiegen, was auf einen Anstieg von 25 % in den Entwicklungsländern zurückzuführen ist. Der Kohleverbrauch bleibt für die Versorgung Chinas, Indiens und anderer Entwicklungsländer unverzichtbar und hat 2023 ein Rekordhoch erreicht. Erneuerbaren Energien wachsen zwar schnell, verdrängen die Kohlenwasserstoffe aber nicht, zumindest nicht im Moment.

Der Grund dafür ist einfach: Die Energienachfrage steigt jährlich um 2 bis 3 %, und technologische Fortschritte wie das Fracking haben Kohlenwasserstoffe billiger und reichlicher verfügbar gemacht. Die USA ‑ bereits der größte Ölproduzent der Welt ‑ werden unter Präsident Donald Trump noch mehr Öl fördern, und das Bevölkerungs- und Wirtschaftswachstum im globalen Süden wird für eine robuste Nachfrage sorgen.

Secure your copy of PS Quarterly: The Year Ahead 2025
PS_YA25-Onsite_1333x1000

Secure your copy of PS Quarterly: The Year Ahead 2025

Our annual flagship magazine, PS Quarterly: The Year Ahead 2025, has arrived. To gain digital access to all of the magazine’s content, and receive your print copy, subscribe to PS Digital Plus now.

Subscribe Now

Auch aufkommende Technologien wie künstliche Intelligenz, elektrifizierter Verkehr und Hyperscale-Rechenzentren treiben die Energienachfrage in die Höhe, die durch erneuerbare Energien allein nicht zuverlässig gedeckt werden kann, was die Rolle fossiler Brennstoffe stärkt. Auch für energieintensive Branchen wie Luftfahrt, Schifffahrt und Schwerindustrie bleiben fossile Energieträger unverzichtbar. Erneuerbare Energien sind zwar für die Stromerzeugung effizient, können aber den Bedarf dieser Sektoren nur schwer decken.

Regulatorische und politische Erwägungen haben ebenfalls dazu beigetragen, die Energiewende zu behindern, indem sie die Genehmigungsverfahren für Atom- und Windenergie verlangsamt haben. Und viele Länder haben ihre Steuersysteme noch nicht in einer Weise reformiert, die Verbraucher und Unternehmen zu einer Abkehr von fossilen Brennstoffen bewegen würde.

Da es unwahrscheinlich ist, dass die Faktoren, die die Energiewende untergraben, in absehbarer Zeit verschwinden werden, besteht eine Möglichkeit darin, die Beweise zu ignorieren und weiterzumachen wie bisher. Dies scheint der bevorzugte Ansatz vieler Teilnehmer der jährlichen UN-Klimakonferenzen zu sein. In Dubai wurde Ende 2023 eine abschließende Vereinbarung verabschiedet (die von fast 200 Regierungen unterzeichnet wurde), in der ausdrücklich dazu aufgerufen wird, „die Abkehr von fossilen Brennstoffen in den Energiesystemen auf gerechte, geordnete und ausgewogene Weise zu vollziehen und die Maßnahmen in diesem entscheidenden Jahrzehnt zu beschleunigen.“

Europa hat sich dazu verpflichtet, indem es ehrgeizige Ziele für erneuerbare Energien festgelegt und die Kohlenstoffpreise auf ein Niveau angehoben hat, das Energie und Wirtschaftstätigkeit verteuert. Der europäische Green Deal, der das Wirtschaftswachstum von der Ressourcennutzung abkoppeln und Europa bis 2050 zum ersten kohlenstoffneutralen Kontinent der Welt machen sollte, hat stattdessen zu einer Verlangsamung des Wachstums beigetragen. Darüber hinaus haben fehlende Investitionen in die Energieversorgung große Teile des Kontinents in eine gefährliche Abhängigkeit von russischem Gas gebracht. Kurzum, die verfrühte Energiewende hat sowohl die Wirtschaftsleistung als auch die Energiesicherheit geschwächt.

Wie Thomas Kuhn in seinem Buch Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen vortrefflich argumentiert hat, bleiben die vorherrschenden intellektuellen Rahmenbedingungen so lange bestehen, bis ihre Grenzen nicht mehr zu leugnen sind und den Weg für ein neues Paradigma ebnen. Die „Energiewende“ hat diesen Punkt erreicht. Ihr Fehlen im Abschlussdokument der diesjährigen Weltklimakonferenz in Baku ist bezeichnend. Wir brauchen ein neues Paradigma: die Energiekoexistenz.

Ein solches Paradigma würde akzeptieren, dass der Energieverbrauch auf absehbare Zeit weiter steigen wird, wobei sowohl fossile Brennstoffe als auch erneuerbare Energien eine größere Rolle spielen werden. Es geht nicht um ein Entweder-oder, sondern um ein Sowohl-als-auch, um mehr von allem, um mehr Sicherheit, Widerstandsfähigkeit und Bezahlbarkeit zu erreichen.

Das Paradigma der Energiekoexistenz erfordert gezielte Investitionen und politische Reformen. Die Modernisierung der Energienetze zur Integration verschiedener Energiequellen und zur Steigerung der Effizienz ist ebenso wichtig wie die Verbreitung von Technologien zur Kohlenstoffabscheidung und -speicherung, um die Emissionen zu verringern. Eine Förderung der Entwicklung erneuerbarer Energien durch die Unterstützung öffentlich-privater Partnerschaften und die Lockerung von Standortbeschränkungen wäre hilfreich. Die Umstellung von Kohle, dem größten Emissionsverursacher, auf emissionsärmeres Gas und erneuerbare Energien sollte ebenfalls hohe Priorität haben.

Man könnte einwenden, dass die Energiekoexistenz eine Absage an die dringend notwendigen Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels darstellt. Die Bekämpfung des Klimawandels darf jedoch nicht auf Kosten der Energieversorgung oder der Energieversorgungssicherheit gehen. Angesichts der politischen Lage wird dies auch nicht geschehen.

Es ist wahrscheinlicher, dass die für die Bekämpfung des Klimawandels erforderliche Unterstützung zustande kommt, wenn die Politik nicht als feindlich gegenüber allen fossilen Brennstoffen angesehen wird. Eine Veränderung der Energiewende wäre ein guter erster Schritt.

Deutsch von Andreas Hubig

https://prosyn.org/og6gAlfde