BEIJING – Die Entwicklungsländer rüsten sich vor dem Weltklimagipfel, der nächsten Monat in Ägypten stattfinden wird, zum Kampf. Das Treffen bietet Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen die Gelegenheit, ihrem berechtigten Unmut über ihre unverhältnismäßig hohen Klimakosten Luft zu machen – und die reichen Länder bekommen die Chance, endlich einen fairen Anteil an diesen Kosten zu tragen.
Die heutigen Industrieländer haben 200 Jahre lang davon profitiert, dass sie enorme Mengen Treibhausgase ausgestoßen haben. Und jetzt verlangen sie von den Entwicklungsländern, zur Rettung der Erde ihre Zukunft zu opfern. Wenn wir die weltweite Klimaneutralität erreichen wollen, muss die internationale Gemeinschaft dafür sorgen, dass die Energiewende Ländern mit niedrigem Einkommen und allen voran den vom Klimawandel besonders betroffenen Ländern neue Chancen eröffnet.
Nirgends zeigt sich die Spannung zwischen dem Wunsch nach mehr Wachstum und dem Kampf gegen den Klimawandel so deutlich wie in Asien. Trotz eines schwierigen geopolitischen Umfelds haben sich die Volkswirtschaften Asiens dank neuer regionaler Abkommen und erweiterter Wertschöpfungsketten inzwischen von der Coronakrise erholt und genießen ein starkes Wachstum und blühende Handelsbeziehungen. Gleichzeitig haben viele asiatische Regierungen mit der starken Verschmutzung ihrer Städte und immer häufiger auftretenden schweren Stürmen und Überschwemmungen zu kämpfen. Heute verursachen die kohlenstoffintensiven Wirtschaftssysteme Asien weltweit die größte Menge an Treibhausgasen. Gleichzeitig liegen 99 der 100 durch den Klimawandel am stärksten gefährdeten Städte in Asien.
Der Übergang zu einer klimaneutralen Wirtschaft ist ein gewaltiges Unterfangen und erfordert starke staatliche Kapazitäten. Wie ein neuer Bericht der Asiatischen Infrastruktur-Investitionsbank zeigt, stellt er die größte Herausforderung dar, die die Schwellen- und Entwicklungsländer je bewältigen mussten. Träge staatliche Unternehmen mit übergroßem CO2-Fußabdruck und staatlich kontrollierte Banken, die viel zu lange in fossile Brennstoffe investiert haben, müssen jetzt vorangehen und den Ausbau der erneuerbaren Energien forcieren. Und Regierungen müssen zielgerichtete Initiativen entwickeln und umsetzen, die einen angemessene CO2-Preis gewährleisten, Anreize für grüne Innovationen setzen und die Abhängigkeit von Öl und Kohle auf eine sozial und politisch nachhaltige Weise abbauen.
Einige staatliche Unternehmen haben bereits auf diese Herausforderungen reagiert. Seit der indische Premierminister Narendra Modi die Klimaneutralität bis 2070 zum Staatsziel erklärt hat, konzentriert sich das staatliche Bergbauunternehmen Coal India zunehmend auf die Erneuerbaren und besonders die Solarenergie. Auch in China hat die Regierung die „Großen Fünf“ Elektrizitätsunternehmen in Staatsbesitz angewiesen, beim Aufbau eines klimaschonenden Systems eine Führungsrolle zu übernehmen. Auch die staatlichen Finanzinstitute sind Teil des Wandels: So hat Chinas Exim Bank beispielsweise grüne Leitlinien für ihre Tätigkeit im Inland verabschiedet.
Ohne umfassende Beiträge des privaten Sektors können wir die weltweite Klimaneutralität jedoch nicht erreichen. In diesem Zusammenhang ist meist von der finanziellen Leistungsfähigkeit privater Unternehmen die Rede. Noch wichtiger sind jedoch die Kompetenzen und Technologien, mit denen sie die grüne Wende voranbringen können. Eine blühende Privatwirtschaft braucht jedoch einen Staat, der stark genug ist, um Korruption zu bekämpfen, fair Wettbewerbsbedingungen durchzusetzen und Eigentumsrechte zu schützen. Deshalb ist in Ländern ohne angemessene staatliche Kapazitäten auch die private Wirtschaft schwach.
In vielen Länder wie Indien und Indonesien wurden die erneuerbaren Energien fast ausschließlich von privaten Unternehmen entwickelt. Dies hat einen schnellen Ausbau der Wind- und Solarenergie ermöglicht, aber auch eine Dichotomie zwischen staatlich finanzierten fossilen Branchen und einem erneuerbaren Sektor geführt, der vorwiegend im Besitz privater Unternehmen ist. Initiativen zur Diversifizierung sind wichtig, um den Einstieg in eine klimafreundliche Wirtschaft zu beschleunigen, ohne Anreize für die Privatwirtschaft zu untergraben.
Egal ob Schwellen-, Entwicklungs- oder Industrieland: der schwierigste Aspekt der Klimawende besteht darin, dass sie nur gelingen kann, wenn alle Segmente der Wirtschaft ihre Entscheidungen stärker als je zuvor aufeinander abstimmen und koordinieren. Den nötigen Rahmen für diese Koordination bietet ein CO2-Preis, der die tatsächliche Klimafolgen möglichst vieler wirtschaftlicher Tätigkeiten genau widerspiegelt. Bisher haben China, Indien und viele weitere Länder jedoch noch Probleme bei der angemessenen Bepreisung von CO2, die in den meisten Fällen außerdem nur für wenige Sektoren gilt.
Hohe CO2-Preise allein reichen jedoch nicht aus, um die Klimaneutralität schnell genug zu erreichen. Wie Mariana Mazzucato und andere zeigen, braucht es dafür „Mondflüge“, d. h. epochemachende staatliche Projekte, die eine missionsorientierte Industriepolitik inspirieren. In diesem Sinne entwickelt Singapur zurzeit Rahmenbedingungen, die eine enge Zusammenarbeit von staatlichen Finanzinstitutionen und privaten Unternehmen unter dem Leitbild der Klimaneutralität ermöglichen. Ihr Ziel können diese Institutionen aber nur erreichen, wenn sie ein gemeinsames Engagement für ihre Mission entwickeln.
Große koordinierte Anstrengungen setzen die Kapazitäten des Staates unter enormen Druck. Die Priorisierung bestimmter Sektoren und Technologien ist immer eine schwierige Aufgabe und anfällig für die Einflussnahme externer Akteure und die Vereinnahmung der Regulierungsbehörden durch Branchenlobbyisten. Aus diesem Grund haben der UN-Sonderbeauftragte Mark Carney und andere Beobachter vorgeschlagen, dass Entwicklungspartner den Ländern beim Aufbau wichtiger staatlicher Kapazitäten helfen, die sie zur Erreichung der Klimaneutralität brauchen. Pakistan, die Philippinen und mehrere andere Länder verfügen bereits über Pilotprojekte für derartige „Länderplattformen“.
Leider sind die Länder, die von den Auswirkungen des Klimawandels besonders stark betroffen sind, auch diejenigen mit den geringsten staatlichen Kapazitäten. Die internationale Gemeinschaft muss besonders hilfsbedürftige Länder wie Afghanistan, Myanmar, Bangladesch und die Malediven beim Aufbau der Kapazitäten unterstützen, die sie für den Übergang zu einer klimaneutralen Wirtschaft brauchen.
Dieser Übergang kann jedoch nur gelingen, wenn er als fair wahrgenommen wird. Er darf die Ungleichheit zwischen reichen und armen Ländern nicht zementieren und er muss auch die sozioökonomischen Ungleichheiten innerhalb der einzelnen Länder überbrücken. Dazu braucht es Programme, die Arbeitnehmern neue Kompetenzen vermitteln und wertvolle Kenntnisse aus den fossilen Branchen in die erneuerbare Wirtschaft hinüberretten. Solche Programme erfordern Investitionen und eine durchdachte Umsetzung.
Das Wichtigste ist jedoch, dass die Schwellen- und Entwicklungsländer in Asien und weltweit ihre eigenen „Mondflüge“ entwickeln. Als Antriebsmotor für den erfolgreichen Umstieg von klimaschädlichen Technologien zu grünen Alternativen brauchen sie eine positive Vision des gemeinsamen Wohlstands. Der klimafreundliche Umbau unserer Wirtschaftssysteme ist der einzige Weg, um die schlimmsten Folgen des Klimawandels noch abzuwenden. Aber wenn sich die Entwicklungsländer auf diesem Weg allein gelassen fühlen, werden sie ihn gar nicht erst antreten.
BEIJING – Die Entwicklungsländer rüsten sich vor dem Weltklimagipfel, der nächsten Monat in Ägypten stattfinden wird, zum Kampf. Das Treffen bietet Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen die Gelegenheit, ihrem berechtigten Unmut über ihre unverhältnismäßig hohen Klimakosten Luft zu machen – und die reichen Länder bekommen die Chance, endlich einen fairen Anteil an diesen Kosten zu tragen.
Die heutigen Industrieländer haben 200 Jahre lang davon profitiert, dass sie enorme Mengen Treibhausgase ausgestoßen haben. Und jetzt verlangen sie von den Entwicklungsländern, zur Rettung der Erde ihre Zukunft zu opfern. Wenn wir die weltweite Klimaneutralität erreichen wollen, muss die internationale Gemeinschaft dafür sorgen, dass die Energiewende Ländern mit niedrigem Einkommen und allen voran den vom Klimawandel besonders betroffenen Ländern neue Chancen eröffnet.
Nirgends zeigt sich die Spannung zwischen dem Wunsch nach mehr Wachstum und dem Kampf gegen den Klimawandel so deutlich wie in Asien. Trotz eines schwierigen geopolitischen Umfelds haben sich die Volkswirtschaften Asiens dank neuer regionaler Abkommen und erweiterter Wertschöpfungsketten inzwischen von der Coronakrise erholt und genießen ein starkes Wachstum und blühende Handelsbeziehungen. Gleichzeitig haben viele asiatische Regierungen mit der starken Verschmutzung ihrer Städte und immer häufiger auftretenden schweren Stürmen und Überschwemmungen zu kämpfen. Heute verursachen die kohlenstoffintensiven Wirtschaftssysteme Asien weltweit die größte Menge an Treibhausgasen. Gleichzeitig liegen 99 der 100 durch den Klimawandel am stärksten gefährdeten Städte in Asien.
Der Übergang zu einer klimaneutralen Wirtschaft ist ein gewaltiges Unterfangen und erfordert starke staatliche Kapazitäten. Wie ein neuer Bericht der Asiatischen Infrastruktur-Investitionsbank zeigt, stellt er die größte Herausforderung dar, die die Schwellen- und Entwicklungsländer je bewältigen mussten. Träge staatliche Unternehmen mit übergroßem CO2-Fußabdruck und staatlich kontrollierte Banken, die viel zu lange in fossile Brennstoffe investiert haben, müssen jetzt vorangehen und den Ausbau der erneuerbaren Energien forcieren. Und Regierungen müssen zielgerichtete Initiativen entwickeln und umsetzen, die einen angemessene CO2-Preis gewährleisten, Anreize für grüne Innovationen setzen und die Abhängigkeit von Öl und Kohle auf eine sozial und politisch nachhaltige Weise abbauen.
Einige staatliche Unternehmen haben bereits auf diese Herausforderungen reagiert. Seit der indische Premierminister Narendra Modi die Klimaneutralität bis 2070 zum Staatsziel erklärt hat, konzentriert sich das staatliche Bergbauunternehmen Coal India zunehmend auf die Erneuerbaren und besonders die Solarenergie. Auch in China hat die Regierung die „Großen Fünf“ Elektrizitätsunternehmen in Staatsbesitz angewiesen, beim Aufbau eines klimaschonenden Systems eine Führungsrolle zu übernehmen. Auch die staatlichen Finanzinstitute sind Teil des Wandels: So hat Chinas Exim Bank beispielsweise grüne Leitlinien für ihre Tätigkeit im Inland verabschiedet.
Ohne umfassende Beiträge des privaten Sektors können wir die weltweite Klimaneutralität jedoch nicht erreichen. In diesem Zusammenhang ist meist von der finanziellen Leistungsfähigkeit privater Unternehmen die Rede. Noch wichtiger sind jedoch die Kompetenzen und Technologien, mit denen sie die grüne Wende voranbringen können. Eine blühende Privatwirtschaft braucht jedoch einen Staat, der stark genug ist, um Korruption zu bekämpfen, fair Wettbewerbsbedingungen durchzusetzen und Eigentumsrechte zu schützen. Deshalb ist in Ländern ohne angemessene staatliche Kapazitäten auch die private Wirtschaft schwach.
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In vielen Länder wie Indien und Indonesien wurden die erneuerbaren Energien fast ausschließlich von privaten Unternehmen entwickelt. Dies hat einen schnellen Ausbau der Wind- und Solarenergie ermöglicht, aber auch eine Dichotomie zwischen staatlich finanzierten fossilen Branchen und einem erneuerbaren Sektor geführt, der vorwiegend im Besitz privater Unternehmen ist. Initiativen zur Diversifizierung sind wichtig, um den Einstieg in eine klimafreundliche Wirtschaft zu beschleunigen, ohne Anreize für die Privatwirtschaft zu untergraben.
Egal ob Schwellen-, Entwicklungs- oder Industrieland: der schwierigste Aspekt der Klimawende besteht darin, dass sie nur gelingen kann, wenn alle Segmente der Wirtschaft ihre Entscheidungen stärker als je zuvor aufeinander abstimmen und koordinieren. Den nötigen Rahmen für diese Koordination bietet ein CO2-Preis, der die tatsächliche Klimafolgen möglichst vieler wirtschaftlicher Tätigkeiten genau widerspiegelt. Bisher haben China, Indien und viele weitere Länder jedoch noch Probleme bei der angemessenen Bepreisung von CO2, die in den meisten Fällen außerdem nur für wenige Sektoren gilt.
Hohe CO2-Preise allein reichen jedoch nicht aus, um die Klimaneutralität schnell genug zu erreichen. Wie Mariana Mazzucato und andere zeigen, braucht es dafür „Mondflüge“, d. h. epochemachende staatliche Projekte, die eine missionsorientierte Industriepolitik inspirieren. In diesem Sinne entwickelt Singapur zurzeit Rahmenbedingungen, die eine enge Zusammenarbeit von staatlichen Finanzinstitutionen und privaten Unternehmen unter dem Leitbild der Klimaneutralität ermöglichen. Ihr Ziel können diese Institutionen aber nur erreichen, wenn sie ein gemeinsames Engagement für ihre Mission entwickeln.
Große koordinierte Anstrengungen setzen die Kapazitäten des Staates unter enormen Druck. Die Priorisierung bestimmter Sektoren und Technologien ist immer eine schwierige Aufgabe und anfällig für die Einflussnahme externer Akteure und die Vereinnahmung der Regulierungsbehörden durch Branchenlobbyisten. Aus diesem Grund haben der UN-Sonderbeauftragte Mark Carney und andere Beobachter vorgeschlagen, dass Entwicklungspartner den Ländern beim Aufbau wichtiger staatlicher Kapazitäten helfen, die sie zur Erreichung der Klimaneutralität brauchen. Pakistan, die Philippinen und mehrere andere Länder verfügen bereits über Pilotprojekte für derartige „Länderplattformen“.
Leider sind die Länder, die von den Auswirkungen des Klimawandels besonders stark betroffen sind, auch diejenigen mit den geringsten staatlichen Kapazitäten. Die internationale Gemeinschaft muss besonders hilfsbedürftige Länder wie Afghanistan, Myanmar, Bangladesch und die Malediven beim Aufbau der Kapazitäten unterstützen, die sie für den Übergang zu einer klimaneutralen Wirtschaft brauchen.
Dieser Übergang kann jedoch nur gelingen, wenn er als fair wahrgenommen wird. Er darf die Ungleichheit zwischen reichen und armen Ländern nicht zementieren und er muss auch die sozioökonomischen Ungleichheiten innerhalb der einzelnen Länder überbrücken. Dazu braucht es Programme, die Arbeitnehmern neue Kompetenzen vermitteln und wertvolle Kenntnisse aus den fossilen Branchen in die erneuerbare Wirtschaft hinüberretten. Solche Programme erfordern Investitionen und eine durchdachte Umsetzung.
Das Wichtigste ist jedoch, dass die Schwellen- und Entwicklungsländer in Asien und weltweit ihre eigenen „Mondflüge“ entwickeln. Als Antriebsmotor für den erfolgreichen Umstieg von klimaschädlichen Technologien zu grünen Alternativen brauchen sie eine positive Vision des gemeinsamen Wohlstands. Der klimafreundliche Umbau unserer Wirtschaftssysteme ist der einzige Weg, um die schlimmsten Folgen des Klimawandels noch abzuwenden. Aber wenn sich die Entwicklungsländer auf diesem Weg allein gelassen fühlen, werden sie ihn gar nicht erst antreten.