folke1_Romolo Tavani_Getty Images_globe pandemic Romolo Tavani/Getty Images

Der Wert der Resilienz

STOCKHOLM – Die Coronapandemie hat uns den hohen Preis vor Augen geführt, den wir in Form von Menschenleben, wirtschaftlichen Verlusten und verlorenem menschlichen Potenzial zahlen, wenn wir den Wert der Resilienz unterschätzen. Wenn wir aus diesem Fehler lernen, werden wir künftige Katastrophen vielleicht besser überstehen.

In den letzten Jahrhunderten hatten vielen Gesellschaften eine einfache Formel für Fortschritt und Wohlstand gefunden: Wirtschaftswachstum. Immer mehr Leistung und Produktivität schienen das Allheilmittel gegen Armut und Krankheiten, Lebensmittelknappheit und jedes andere Problem zu sein. Haben wir jetzt den Punkt erreicht, an dem die Strategie des Wachstums zur Falle wird und neue und immer größere Probleme erzeugt?

Es scheint ganz so. Diesen Monat findet unter dem Motto „Unser Planet, unsere Zukunft“ das allererste von Nobelpreisträgern einberufene Gipfeltreffen statt. In einem vorab veröffentlichten Bericht stellen meine Kollegen und ich die These auf, dass die Welt soziale und ökologische Resilienz nicht genug wertschätzt und Katastrophen in diesem Jahrhundert deshalb besonders schwere und zerstörerische Auswirkungen haben, die außerdem für Jahrhundert oder sogar Jahrtausende andauern werden. Wir können jedoch soziale Resilienz aufbauen, indem wir Gleichheit, Vertrauen und Kooperation stärken, und ökologischen Resilienz, indem wir weniger Wert auf Effizienz und Einfachheit legen und mehr auf Vielfalt und Komplexität.

Die Pandemie hat uns auf grausame Weise gezeigt, wie gefährlich es ist, Fragen der Resilienz zu ignorieren. Unsere Volkswirtschaften sind so eng verflochten, dass das Schicksal der einen von der Leistung anderer auf der anderen Seite des Globus abhängt. Unsere Städte, in normalen Zeiten Zentren der Betriebsamkeit und Innovation, sind zu Hotspots der Krankheit geworden. Unsere Verkehrssysteme dienen Krankheitserregern als ideale Verbreitungswege um den gesamten Erdball. Und einige unserer wichtigsten Kommunikationsnetze verbreiten Lügen und Falschinformationen schneller als die Wahrheit und machen es schwer, Fakten und Fiktion zu unterscheiden.

Extreme Ungleichheit schwächt ganz offensichtlich die Resilienz jeder Gesellschaft. Ärmere Länder mit weniger Kliniken und Forschungsinstituten und einer schwächeren Regierung haben im Kampf gegen die Pandemie weniger Möglichkeiten. Aber auch in reichen Ländern sind ärmere Menschen oft besonders gefährdet, weil sie höheren Risiken ausgesetzt sind. Sie atmen schmutzigere Luft, sind häufiger fettleibig und leben dichter beieinander als Reiche. Deshalb verbreitet sich das Virus bei ihnen schneller und trifft sie härter.

Wirtschaftliche Ungleichheit kann die Resilienz aber auch auf andere Weise aushöhlen. In eher ungleichen Gesellschaften genießt die Regierung weniger Vertrauen, weil ärmere Bürger glauben, dass Politiker vor allem die Interessen der Eliten vertreten. Dies erleichtert den Aufstieg von Populisten und erschwert eine langfristige Politik, die allen Bürgern des Landes zugutekommt.

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Dies alles ist schon problematisch genug. In unserem Bericht kommen wir jedoch zu dem Ergebnis, dass die bei weitem schwersten Katastrophen in diesem Jahrhundert vermutlich durch unsere toxische Beziehung zur Natur ausgelöst werden. Die Biosphäre, also die dünne Hülle um die Erde, in der Leben gedeiht, ist mindestens 3,5 Milliarden Jahre alt. Innerhalb einer Lebensspanne, im Wesentlichen seit den 1950er Jahren, hat die Menschheit es jedoch geschafft, die Resilienz ihrer eigenen Heimat systematisch zu schwächen. Klimawandel und Verlust der biologischen Vielfalt sind die Folgen.

Der Mensch zerschneidet, zersiedelt und vereinheitlicht die Biosphäre. Wir bearbeiten 75 Prozent aller bewohnbaren Flächen der Erde, vor allem für die Landwirtschaft. Wir nutzen rund ein Viertel aller Landpflanzen zur Energieerzeugung und nach Masse stellen Menschen und ihre Nutztiere 96 Prozent aller Säugetiere. Wir fressen uns durch Wälder, Feuchtgebiete und Grünflächen und die besonders resilienten Arten, nämlich die Arten, die sich am schnellsten anpassen und auch in einer vom Menschen geprägten Umwelt überleben können, sind Fledermäuse, Ratten und andere Arten, die häufig tödliche Krankheitserreger in sich tragen.

Für ihre Resilienz, also die Fähigkeit, sich zu regenerieren, Katastrophen zu überwinden und sich ständig weiter zu entwickeln, braucht die Biosphäre Vielfalt. Das Leben muss die Chance bekommen, sich zu regenerieren und angesichts einer unsicheren und unbekannten Zukunft neue Wege zu finden. Wir können diese Resilienz stärken, indem wir die Grenzen unseres Planeten respektieren und die ökologische Vielfalt fördern. Aber vor allem müssen wir die globalen Gemeinschaftsgüter neu wertschätzen und bewerten.

Wir sind in großer Gefahr. Wenn wir auf der Erde überleben wollen, müssen wir die Resilienz unserer globalen Zivilisation ganz neu denken und dabei als erstes anerkennen, dass sie zur Biosphäre gehört und von ihr abhängt. Einfach ausgedrückt müssen wir anfangen, mit dem Planeten zu kooperieren, auf dem wir leben. Wir können den Wert des Regenwalds im Amazonasgebiet nicht auf die gleiche Weise berechnen wie den von Amazon. Und der Preis für die Stabilität der Meeresströmungen oder der Antarktis – die beide immer zerbrechlicher werden – lässt sich nicht nach derselben Formel bestimmen wie der von Konsumgütern. Auch Chancengleichheit, Integration, Zusammenarbeit und Vertrauen müssen wir stärker wertschätzen.

Die Coronapandemie ist ein Wendepunkt für unsere Gesellschaften. Wir wissen, dass wir unsere Treibhausgasemissionen bis 2030 halbieren müssen. Wir wissen, dass die vierte industrielle Revolution begonnen hat. Und wir wissen seit der weltweiten Finanzkrise von 2008, dass wir keine wohlhabende und nachhaltige Zukunft aufbauen können, wenn wir einfach weitermachen wie bisher.

Jetzt müssen wir unser Wirtschaftssystem umbauen und dabei den Schwerpunkt auf Vielfalt und Resilienz legen und nicht auf Einfachheit und Effizienz. Das bedeutet vor allem anderen, dass wir die simplen und destruktiven Wachstumsstrategien hinter uns lassen, die uns von dem Planeten entfremden, von dem wir kommen. Stattdessen müssen die Regierung ihre wirtschaftlichen Energien einsetzen, um die Resilienz der Menschheit und ihrer natürlichen Umgebung zu stärken. Der Wert der Resilienz ist der Wert unserer Zukunft.

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