yu78_Kevin FrayerGetty Images_empty steel mill Kevin Frayer/Getty Images

Wie der Abbau chinesischer Überkapazitäten gelingen kann

PEKING – In den letzten Monaten waren die chinesischen Überkapazitäten ein zentrales - und kontrovers diskutiertes - Thema unter Ökonomen und politischen Entscheidungsträgern in aller Welt. Die Sorgen sind zwar nicht völlig unbegründet, aber doch überzogen und das Problem durchaus lösbar.

Im Laufe der letzten vier Jahrzehnte entwickelte sich China von einer durch Mangel gekennzeichneten Planwirtschaft zu einer Marktwirtschaft, die zwischen unzureichender Gesamtnachfrage und Überhitzung pendelt. Aus diesem Grund hat die chinesische Regierung häufig versucht, Überkapazitäten zu beseitigen, sobald diese auftraten. Im Jahr 2003 beispielsweise griff man rigoros gegen Überkapazitäten in der Stahlindustrie durch, was zur Schließung vieler Stahlwerke führte.

Nach der weltweiten Finanzkrise 2008 brachen Chinas Exporte ein, weswegen sich die Wirtschaft deutlich abkühlte. Im ersten Quartal 2009 wuchs das chinesische BIP nur noch um 6,1 Prozent, den niedrigsten Wert in mehr als einem Jahrzehnt. Um diesem Schock entgegenzuwirken, setzte die chinesische Regierung ein Konjunkturprogramm im Ausmaß von 4 Billionen Renminbi (517 Milliarden Euro) um. Gestützt auf massive Investitionen – die Anlageinvestitionen stiegen 2009 um 30,1 Prozent und 2010 um 23,8 Prozent (im Jahresvergleich) - erholte sich Chinas Wirtschaft deutlich und erreichte 2010 ein Wachstum von 10,6 Prozent.

Obwohl die Gesamtnachfrage ebenfalls rasch anzog, konnte das Gesamtangebot nicht Schritt halten, da es eine gewisse Zeit dauert, bis sich neue Investitionen in erhöhter Produktionskapazität niederschlagen. (Die Dauer der Verzögerung hängt von der Art der Investition ab.) Dieses Ungleichgewicht trug zu einem Anstieg der Inflation bei, wobei der Verbraucherpreisindex 2010 um 3 Prozent stieg.

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Als das Wachstum des Verbraucherpreisindex im März 2011 einen Höchststand von 5,4 Prozent erreichte, kündigte die chinesische Regierung an, oberste politische Priorität des Jahres sei die Eindämmung der Inflation. Und das gelang auch eindrucksvoll: Von 2009 bis 2011 sank das Verhältnis zwischen Haushaltsdefizit und BIP in China von 2,8 Prozent auf 1,1 Prozent, und die Neukreditvergabe ging von 9,6 Billionen Renminbi auf 7,5 Billionen Renminbi zurück.

Doch die mit den zuvor getätigten Investitionen einhergehenden Produktionskapazitäten waren bereits im Entstehen, wenn nicht gar schon in Betrieb. Als die fiskalische und geldpolitische Straffung die Gesamtnachfrage verringerte, entstand folglich ein neues Missverhältnis, und die Überkapazitäten stiegen in zahlreichen Branchen, darunter Stahl, Automobile, Zement, Aluminium-Elektrolyse, Pestizide, Photovoltaik und Glas drastisch an.

Zu diesem Zeitpunkt war das VPI-Wachstum auf unter 3 Prozent gefallen, und der Erzeugerpreisindex lag im negativen Bereich. Unter diesen Umständen wäre die typische Reaktion auf steigende Überkapazitäten eine Rückkehr zur fiskalischen und monetären Expansion gewesen, um die Wirtschaft anzukurbeln. Stattdessen beschloss die chinesische Regierung jedoch, die Straffung fortzusetzen. Infolgedessen sank das BIP-Wachstum 2012 auf 7,7 Prozent und ist seitdem kontinuierlich zurückgegangen.

Im Nachhinein erscheint es durchaus möglich, dass der Inflationsdruck auch ohne die fiskal- und geldpolitische Straffung im Jahr 2011 aufgrund des allmählichen Aufbaus neuer Produktionskapazitäten nachgelassen hätte. Wäre die Politik zu einer moderaten fiskal- und geldpolitischen Expansion übergegangen und hätte gleichzeitig den Markt ermutigt, beim Abbau sektoraler Überkapazitäten im Jahr 2012 eine entscheidende Rolle zu spielen, wäre es durchaus denkbar, dass China in den darauffolgenden Jahren höhere BIP-Wachstumsraten erzielt hätte.

Wir können die Vergangenheit nicht ändern, sehr wohl aber können wir die Lehren daraus ziehen, um eine bessere Zukunft zu sichern. Im Falle Chinas heißt das, eine expansivere Finanz- und Geldpolitik zu betreiben. Dies würde dazu beitragen auf makroökonomischer Ebene „Überkapazitäten“ abzubauen, was einem „Mangel an effektiver Nachfrage“ gleichkäme. Gleichzeitig wäre mehr Raum für den Abbau von Überkapazitäten auf sektoraler Ebene zu schaffen - ein Prozess, bei dem Chinas Regierung dem Markt eine entscheidende Rolle überlassen sollte.

Alle diese Maßnahmen würden erheblich zu einer Verbesserung der chinesischen Handelsbilanz beitragen. Obwohl es nicht zu rechtfertigen ist, dass Länder im Namen ihrer „nationalen Sicherheit“ eine protektionistische Handelspolitik verfolgen - wie es beispielsweise die Vereinigten Staaten tun - muss China sicherstellen, alle Regeln der Welthandelsorganisation einzuhalten.

In dieser Hinsicht verlief die dritte Plenartagung des 20. Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Chinas, die Anfang dieses Monats stattfand, ermutigend. Wie im Kommuniqué der Tagung festgehalten, plant China, „die Fähigkeit zur Öffnung“ seiner Wirtschaft zu verbessern, „neue Impulse für den Außenhandel“ zu fördern und durch die erweiterte Zusammenarbeit mit anderen Ländern „neue Institutionen“ zur Unterstützung einer offenen Weltwirtschaft zu entwickeln. Solange sich alle Parteien zu wechselseitig vorteilhaften - und respektvollen - Beziehungen verpflichten, ist kein Handelsstreit unlösbar.

Übersetzung: Helga Klinger-Groier

https://prosyn.org/bv6N7Iode