boskin87_Drew AngererGetty Images_biden Drew Angerer/Getty Images

Bidens wachsendes Glaubwürdigkeitsproblem

STANFORD – So wie Quarterbacks oder Fußball-Torjäger bekommen auch Präsidenten tendenziell zu viel Anerkennung, wenn alles gut läuft oder sind an allem schuld, wenn Dinge schief gehen. Und wie bei Spitzensportlern entzieht sich dieser Aspekt des öffentlichen Lebens weitgehend auch der präsidentiellen Kontrolle. Versuchen Präsidenten jedoch selbst, übertriebene Lorbeeren für angebliche Erfolge einzuheimsen oder vermeintliche Misserfolge herunterzuspielen, kann ihre Glaubwürdigkeit rasch darunter leiden (insbesondere, wenn die Medien dabei ihrer Vorliebe frönen, Dinge über Gebühr aufzubauschen). US-Präsident Joe Biden entwickelt sich zu einem typischen Beispiel.

Bei einer amerikanischen Präsidentschaft geht es nie nur um den Präsidenten. Ebenso bedeutsam sind die politischen Ernennungen in Regierungsbehörden und Verwaltungsabteilungen, vom Kabinett abwärts. In dieser Hinsicht hat sich Biden nicht mit Ruhm bekleckert. Verkehrsminister Pete Buttigieg, einst aufsteigender Stern der Demokratischen Partei, hat aufgrund unzureichender Reaktionen auf Lieferkettenprobleme, Betriebseinstellungen bei Fluglinien und die chemisch-toxischen Auswirkungen eines Zugunglücks in Ohio an Strahlkraft eingebüßt. In ähnlicher Weise hat Heimatschutzminister Alexander Mayorkas wiederholt behauptet, die Südgrenze der USA sei sicher, obwohl sie im vergangenen Jahr von Millionen Menschen illegal überquert wurde, während Kartelle weiterhin riesige Mengen an tödlichem Fentanyl über legale und illegale Einreisepunkte in das Land bringen.

Ähnlich problematisch präsentiert sich Bidens Ansatz im Bereich Gesetzgebung. Da in den meisten dieser Fragen der Kongress das letzte Wort hat (vorbehaltlich des Vetos des Präsidenten und der rechtlichen Überprüfung), sollte die Effektivität eines Präsidenten teilweise daran gemessen werden, wie gut es ihm (bisher waren es immer Männer) gelingt, parteiübergreifende Unterstützung für politische Maßnahmen zu gewinnen, die auch nach seinem Ausscheiden aus dem Amt weiterbestehen. Wie Biden es selbst formuliert: „Für grundlegende Veränderungen ist es wirklich wichtig, einen Konsens zu finden, um zu gewährleisten, dass die Menschen diese Veränderungen mittragen, damit diese auch nachhaltig wirken.”

In der Praxis jedoch hat Biden genau das Gegenteil getan und weitreichende, wenig zielgerichtete Maßnahmen durchgesetzt, deren Nutzen in keinem Verhältnis zu den übermäßigen Kosten besteht und die großteils auch nur mit einer hauchdünnen Mehrheit der Stimmen seiner Partei verabschiedet wurden. Bidens unnötiges 1,9 Billionen Dollar schweres Konjunkturpaket American Rescue Plan trug dazu bei, die Inflation auf den Höchststand der letzten vier Jahrzehnte zu treiben und von den Billionen an neuen Ausgaben, die er durch den Kongress peitschte, erhielt nur ein geringer Teil – nämlich jene für Infrastruktur und die Subventionen der heimischen Halbleiterindustrie – überhaupt die Unterstützung der Republikanischen Partei.

Werden weitreichende politische Maßnahmen ohne Unterstützung der anderen Seite durchgesetzt, ist es viel wahrscheinlicher, dass diese wieder rückgängig gemacht werden, sobald die Oppositionspartei an die Macht kommt. Seit Präsident Ronald Reagans historischen Steuersenkungen und -reformen in den 1980er Jahren hat daher jeder nachfolgende Präsident in einem nicht enden wollenden Gezerre die Steuersätze entweder angehoben oder wieder gesenkt. Diese Art der Politikgestaltung führt zu wirtschaftlicher Unsicherheit und erschwert die langfristige Planung für Haushalte und Unternehmen erheblich.

Bidens fortgeschrittenes Alter und seine häufigen Aussetzer (wenn er nicht vom Teleprompter abliest) haben das Glaubwürdigkeitsproblem noch verschärft. Zahlreiche Beobachter, darunter auch viele Demokraten, fragen sich, ob er überhaupt eine zweite Amtszeit anstreben sollte (an deren Ende er 86 Jahre alt wäre). Laut einer aktuellen NBC-Umfrage hält nur etwa ein Drittel der Menschen in Amerika Biden für ehrlich und vertrauenswürdig oder für fähig, mit Krisen umzugehen und nur 28 Prozent sind der Meinung, er verfüge über die für das Amt „notwendige geistige und körperliche Gesundheit.“ Obwohl er im Hinblick auf seinen Umgang mit dem Ukraine-Krieg besser abschneidet, hat sich sein öffentliches Ansehen nach dem desaströsen Rückzug aus Afghanistan nie wieder erholt. Biden versuchte dieses Debakel als einen mit dem Militär abgestimmten „außerordentlichen Erfolg” zu verkaufen, doch das wurde von hochrangigen Militärs bald als Lüge entlarvt.

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Oder man denke an Bidens Behauptung, das Haushaltsdefizit um rekordverdächtige 1,4 Billionen Dollar gesenkt zu haben. Tatsächlich geht aus den Daten hervor, dass die Verringerung des Defizits von 2021 auf 2022 ausschließlich auf das Auslaufen massiver, pandemiebedingter Ausgabenprogramme zurückzuführen ist. „Das Weiße Haus verdreht bewusst die Fakten,” warnte Maya MacGuineas vom Ausschuss für verantwortungsvolle Haushaltspolitik. Auch Dan White von Moody’s Analytics kommt zu dem Schluss, dass „die Politik der Regierung das Defizit unter dem Strich vergrößert und nicht verringert hat.”

Und dann ist da noch Bidens Behauptung, es sei nicht seine Schuld, dass die Inflation so hoch ist wie seit 1981 nicht mehr. Als er kürzlich zu diesem Thema befragt wurde, antwortete er, die Inflation sei „schon dagewesen, als ich hier anfing, Mann. Wissen Sie noch, wie die Wirtschaft aussah, als ich hierher kam? Die Arbeitsplätze brachen massenhaft weg, die Inflation stieg.” Das ist schlichtweg falsch. Als Biden das Amt übernahm, lag die jährliche Inflation bei 1,4 Prozent – auf einem Fünfjahres-Tief – und auf dem Arbeitsmarkt waren bereits 12,5 jener 22 Millionen Jobs wieder zurückgewonnen, die neun Monate zuvor aufgrund der staatlich angeordneten Lockdowns während Pandemie verloren gegangen waren.

Jede Führungsperson, deren Behauptungen nicht einmal annähernd der Realität entsprechen, läuft Gefahr, an Glaubwürdigkeit zu verlieren. Doch Glaubwürdigkeit ist das wertvollste Gut eines Präsidenten, wenn es darum geht, wichtige Ziele zu erreichen. Bidens größte Hoffnung für das Jahr 2024 - wenn die Republikaner voraussichtlich wieder die Kontrolle im Senat zurückerobern werden – besteht darin, dass die GOP erneut den früheren Präsidenten Donald Trump als Kandidaten nominiert.

Bidens Wunsch könnte in Erfüllung gehen. Da es bei den Republikanern eine große Anzahl interessanter Kandidaten gibt, könnten wir eine Neuauflage von 2016 erleben, als sich 16 Kandidaten alle Stimmen, die nicht auf Trump entfielen, teilen mussten, so dass Trump die Nominierung der Partei leicht für sich entscheiden konnte. Floridas erfolgreicher Gouverneur Ron DeSantis ist der einzige Kandidat, dessen Beliebtheitswerte unter der republikanischen Wählerschaft überhaupt an Trumps diesbezügliche Werte heranreichen.  Biden sollte jedoch vorsichtig sein, was er sich wünscht. In einem jüngst von Harvard CAPS-Harris veröffentlichten hypothetischen Match-up lag Trump mit 46 zu 41 Prozent vorn.

Außerdem wird Biden in den nächsten zwei Jahren erneut mit Gegenwind konfrontiert sein. Eine neue Umfrage von ABC News/Washington Post zeigt, dass ein historisch hoher Anteil von 41 Prozent der Menschen das Gefühl haben, dass es ihnen nicht so gut geht wie früher– and das trotz eines starken Arbeitsmarktes und einer Arbeitslosenquote von 3,4 Prozent und jeder Menge offener Stellen. Der Grund dafür ist einfach: die Menschen in Amerika leiden unter sinkenden Reallöhnen aufgrund der hohen Inflation, die Biden mitverursacht hat. Wenig überraschend auch, dass die in dieser Umfrage ausgewiesene Unzufriedenheit mit Bidens Leistung auf dem zweithöchsten Stand seiner Amtszeit liegt. Nur 7 Prozent der Befragten wären von einer zweiten Amtszeit Bidens begeistert, wohingegen 30 Prozent darüber verärgert wären (bei Trump liegen die entsprechenden Werte bei 17 bzw. 36 Prozent).

Bidens Chancen würden sich freilich verbessern, wenn es der Federal Reserve gelänge, die Inflation bis Anfang 2024 einzudämmen. Doch Amerika steht sowohl im eigenen Land als auch im Ausland vor großen Herausforderungen: der Expansionismus Russlands und China, die nuklearen Ambitionen des Iran, Terrorismus, Rekordverschuldung, hartnäckig hohe Inflation, politische Polarisierung und langfristige Klimarisiken. Wenig überraschend sind die Menschen in Amerika durchaus pessimistisch hinsichtlich der wirtschaftlichen, haushaltspolitischen und geopolitischen Zukunft. Wir brauchen dringend eine tatkräftige, umsichtige, ehrliche und einigende Führung, die uns durch eine potenziell gefährliche Phase der Weltgeschichte steuert. Wer wird das bieten?

Aus dem Englischen von Helga Klinger-Groier

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