Ich bin heute hier, um über die Eurokrise zu sprechen. Angesichts der jüngsten Entwicklungen werden Sie mir glaube ich alle zustimmen, dass die Krise noch lange nicht ausgestanden ist. Sie hat bereits finanziell wie politisch enorme Schäden verursacht sowie erheblichen menschlichen Tribut gefordert. Und sie hat die Europäische Union in etwas radikal anderes verwandelt als ursprünglich beabsichtigt. Die Europäische Union war als freiwillige Vereinigung gleichberechtigter Staaten gedacht, doch die Krise hat sie in eine Hierarchie verwandelt, in der Deutschland und andere Gläubiger das Sagen haben und die hochverschuldeten Länder zu Mitgliedern zweiter Klasse degradiert wurden. Zwar kann Deutschland die Politik nicht diktieren, doch sind politische Vorschläge in der Praxis unmöglich, ohne dass zuerst Deutschlands Erlaubnis eingeholt wird. Die Lage wird noch dadurch verschlimmert, dass die von Deutschland geförderte Austeritätspolitik die Krise verlängert und die Unterordnung der Schuldnerländer zum Dauerzustand macht.
Dies hat politische Spannungen hervorgerufen, wie sie durch das politische Patt in Italien demonstriert werden. In Italien ist inzwischen eine Mehrheit gegen den Euro, und dieser Trend dürfte sich noch verstärken. Es besteht nun eine echte Gefahr, dass die Eurokrise die Europäische Union letztlich zerstören wird. Ein ungeordnetes Auseinanderbrechen würde Europa in schlechterem Zustand hinterlassen als jenem, in dem es sich vor Beginn des kühnen Experiments der Schaffung einer Europäischen Union befand. Dies wäre eine Tragödie von historischem Ausmaß, die sich nur mittels deutscher Führung verhindern lässt. Deutschland hat keine dominante Stellung angestrebt und zögert bisher, die damit einhergehenden Verantwortlichkeiten und Verpflichtungen zu akzeptieren. Dies ist einer der Gründe für das Entstehen der aktuellen Situation. Aber ob es das will oder nicht: Deutschland sitzt am Lenker, und das ist der Grund, warum ich heute hier bin.
Wie ist Europa in diesen Schlammassel geraten? Und wie kann es sich daraus befreien? Dies sind die beiden Fragen, die ich ansprechen möchte. Die Antwort auf die erste Frage ist äußerst kompliziert, weil die Eurokrise extrem komplex ist. Sie hat sowohl eine politische wie eine finanzielle Dimension. Und die finanzielle Dimension lässt sich in mindestens drei Bestandteile zerlegen: eine staatliche Schuldenkrise und eine Bankenkrise sowie Unterschiede bei der Wettbewerbsfähigkeit. Die verschiedenen Aspekte greifen ineinander, was die Probleme so kompliziert macht, dass es einen überwältigt. Aus meiner Sicht lässt sich die Eurokrise nur dann wirklich verstehen, wenn man sich die entscheidende Rolle bewusst macht, die Fehler und falsche Vorstellungen bei ihrer Schaffung gespielt haben. Die Krise ist fast völlig selbst beigebracht. Sie hat die Qualität eines Alptraums.
Die Antwort auf die zweite Frage ist dagegen äußerst einfach. Sobald wir die Probleme richtig verstanden haben, bietet sich die Lösung praktisch von selbst an.
Ich werde argumentieren, dass Deutschland einen großen Teil der Verantwortung für die politischen Fehler trägt, die die Krise herbeigeführt haben. Aber ich möchte vorab klarstellen, dass ich Deutschland hierfür keine Schuld gebe. Wer immer die Verantwortung gehabt hätte, hätte ähnliche Fehler gemacht. Ich kann aus persönlicher Erfahrung sagen, dass niemand die Situation in all ihrer Komplexität zum Zeitpunkt ihrer Entfaltung verstanden hätte.
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Ich bin mir bewusst, dass ich Gefahr laufe, Sie zu verärgern, indem ich Deutschland die Verantwortung zuweise. Aber nur Deutschland kann die Dinge in Ordnung bringen. Ich bin ein großer Anhänger der Europäischen Union und möchte sie nicht zerstört sehen. Mich bedrückt zudem das enorme, und unnötige, Maß an menschlichem Leid, das die Eurokrise verursacht, und ich möchte alles mir Mögliche tun, um dieses zu lindern. Meine Interpretation der Eurokrise unterscheidet sich stark von den in Deutschland vorherrschenden Ansichten. Indem ich Ihnen eine andere Perspektive anbiete, hoffe ich, Sie zu bewegen, Ihre Position zu überdenken, bevor weiterer Schaden angerichtet ist. Dies ist das Ziel, das mich hierher geführt hat.
Die Europäische Union war ein kühnes Projekt, das die Fantasie vieler Menschen befeuerte, darunter auch meine. Ich betrachtete die Europäische Union als die Verkörperung einer offenen Gesellschaft – eine freiwillige Assoziation gleichberechtigter Staaten, die einen Teil ihrer Souveränität für das gemeinsame Wohl aufgaben. Die Europäische Union umfasste fünf große Mitgliedsstaaten und eine Anzahl kleinerer, und sie alle machten sich die Grundsätze von Demokratie, individueller Freiheit, Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit zu Eigen. Keine Nation oder Nationalität hatte eine vorherrschende Position inne.
Der Integrationsprozess wurde von einer kleinen Gruppe weitsichtiger Staatsmänner angeführt, die erkannten, dass Perfektion unerreichbar war, und die praktizierten, was Karl Popper als „Sozialtechnik der kleinen Schritte“ bezeichnet hat. Sie setzten sich begrenzte Ziele und feste Zeitpläne und mobilisierten dann den politischen Willen zu einem kleinen Schritt nach vorn – wobei ihnen völlig klar war, dass, wenn sie diesen getan hätten, seine Unzulänglichkeit deutlich werden und einen weiteren Schritt erforderlich machen würde. Der Prozess zehrte von seinem eigenen Erfolg, ganz ähnlich einer Boom-Bust-Sequenz an den Finanzmärkten. Auf diese Weise verwandelte sich die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl allmählich zur Europäischen Union – Schritt für Schritt.
Frankreich und Deutschland standen einst an vorderster Front dieser Bemühungen. Als der Zerfall des Sowjetreichs einsetzte, erkannte die deutsche Führung, dass eine Wiedervereinigung nur im Kontext eines stärker geeinten Europas möglich sein würde, und sie war gewillt, beträchtliche Opfer zu bringen, um sie herbeizuführen. Bei Verhandlungen war sie bereit, etwas mehr zu geben und etwas weniger zu nehmen als andere, und erleichterte so eine Einigung. Damals erklärten deutsche Staatsmänner, dass Deutschland keine unabhängige Außenpolitik hätte, sondern nur eine europäische. Dies führte zu einer drastischen Beschleunigung des Prozesses, der in der Wiedervereinigung Deutschlands 1990 und im Vertrag von Maastricht 1992 gipfelte. Es folgte eine Phase der Konsolidierung, die bis zur Finanzkrise von 2007/08 dauerte.
Leider hatte der Vertrag von Maastricht grundlegende Fehler. Den Architekten des Euro war bewusst, dass er ein unvollständiges Konstrukt war: eine Währungsunion ohne eine politische Union. Sie hatten jedoch Grund zu der Annahme, dass sich, wenn sich die Notwendigkeit ergäbe, der politische Wille mobilisieren lassen würde, den nächsten Schritt zu tun. Schließlich hatte der Integrationsprozess bis dahin auf diese Weise funktioniert.
Der Euro hatte jedoch viele weitere Mängel, die weder seinen Architekten noch den Mitgliedstaaten völlig bewusst waren. So nahm der Vertrag von Maastricht als gegeben an, dass nur der öffentliche Sektor chronische Defizite produzieren könne, weil der private Sektor seine eigenen Exzesse immer korrigieren würde. Die Finanzkrise von 2007/08 bewies, dass das nicht stimmt. Sie zeigte zudem einen beinahe tödlichen Konstruktionsfehler des Euro auf: Durch Schaffung einer unabhängigen Zentralbank verschuldeten sich die Mitgliedstaaten in einer Währung, die sich nicht kontrollierten. Dies setzte sie einem Ausfallrisiko aus.
Für entwickelte Länder besteht kein Ausfallgrund, weil sie immer Geld drucken können. Ihre Währung mag abwerten, doch das Risiko eines Zahlungsausfalls besteht praktisch nicht. Für weniger entwickelte Länder dagegen, die Kredite in Fremdwährungen aufnehmen müssen, besteht ein Ausfallrisiko. Verschlimmert wird dies noch dadurch, dass die Finanzmärkte derartige Länder durch Baisse-Manöver in den Zahlungsausfall treiben können. Das Ausfallrisiko degradierte einige Mitgliedsländer auf den Status von in einer Fremdwährung überschuldeten Dritte-Welt-Ländern.
Vor der Finanzkrise von 2007/08 hatten Behörden und Finanzmärkte dieses Merkmal des Euro ignoriert. Als der Euro eingeführt wurde, galten Staatsanleihen als risikolose Anlagen. Die Aufsichtsbehörden erlaubten es den Geschäftsbanken, unbegrenzte Mengen an Staatsanleihen aufzukaufen, ohne Eigenkapital zur Seite zu legen, und die Europäische Zentralbank akzeptierte über ihre Refinanzierungsstelle alle Staatsanleihen zu gleichen Bedingungen. Dies schuf einen Fehlanreiz für die Geschäftsbanken, sich mit Anleihen der schwächeren Mitgliedsländer einzudecken, für die höhere Zinsen gezahlt wurden, um ein paar Basispunkte mehr zu verdienen. Dadurch verschwand das Zinsgefälle zwischen den verschiedenen Staatsanleihen praktisch völlig.
Die Konvergenz der Zinssätze führte zu einer Divergenz der Wirtschaftsleistung. Die sogenannten Peripherieländer, insbesondere Spanien und Irland, erlebten einen Immobilien-, Investment- und Konsumboom, der sie weniger wettbewerbsfähig machte, während das durch die Kosten der Wiedervereinigung belastete Deutschland weitreichende Arbeitsmarkt- und sonstige Strukturreformen einleitete, die es wettbewerbsfähiger machten.
In der Woche nach dem Konkurs von Lehman Brothers kam es zum buchstäblichen Ausfall der globalen Finanzmärkte, für die lebenserhaltende Maßnahmen eingeleitet werden mussten. Dabei mussten die Kredite der Finanzinstitute, deren Standing beschädigt war, durch staatliche Kredite (in Form von Zentralbankgarantien und Haushaltsdefiziten) ersetzt werden. Das auf staatliche Kredite gelegte Gewicht enthüllte das bisher ignorierte Merkmal des Euro: nämlich dass die Euroländer mit Schaffung einer unabhängigen Zentralbank einen Teil ihrer Souveränität aufgegeben hatten.
Dies wäre der Moment gewesen, um den nächsten Schritt in Richtung einer Fiskalunion –zusätzlich zur Währungsunion – zu unternehmen, aber es fehlte der politische Wille. Das durch die Kosten der Wiedervereinigung belastete Deutschland stand nicht länger an vorderster Front der Integration. Bundeskanzlerin Merkel las die öffentliche Meinung richtig, als sie erklärte, dass sich jedes Land selbst um seine Finanzinstitute kümmern sollte – und nicht die Europäische Union gemeinsam. Dies war ein Schritt zurück. Im Rückblick war es der Anfang eines Desintegrationsprozesses.
Es dauerte mehr als ein Jahr, bis die Finanzmärkte die Implikationen von Kanzlerin Merkels Erklärung realisierten, was ein Beleg dafür ist, dass auch sie auf einer alles andere als perfekten Wissensgrundlage operieren. Erst Ende 2009, als das Ausmaß des griechischen Defizits deutlich wurde, wurde den Finanzmärkten klar, dass ein Mitgliedsland tatsächlich als Schuldner ausfallen könnte. Dann aber erhöhten die Märkte die Risikoaufschläge der schwächeren Länder vehement. Damit waren Geschäftsbanken, deren Bilanzen mit diesen Anleihen aufgeladen waren, potenziell insolvent, und dies führte sowohl eine staatliche Schuldenkrise als auch eine Bankenkrise herbei. Beide sind verknüpft wie siamesische Zwillinge.
Es gibt eine enge Parallele zwischen der Eurokrise und der internationalen Bankenkrise von 1982. Damals retteten der IWF und die internationalen Bankenbehörden das internationale Bankensystem, indem sie den schwer verschuldeten Ländern gerade genug Geld liehen, sodass diese einen Zahlungsausfall vermeiden konnten. Der Preis war freilich, dass diese Länder in eine langfristige Depression gedrückt wurden. Lateinamerika erlitt ein verlorenes Jahrzehnt.
Heute spielt Deutschland dieselbe Rolle wie damals der IWF. Die Umstände sind andere, aber die Wirkung ist die gleiche. Die Gläubiger bürden den Schuldnerländern faktisch alle Anpassungslasten auf und entziehen sich ihrer eigenen Verantwortung für die Ungleichgewichte. Es ist interessant, wie sich nahezu unbemerkt die Begriffe „Zentrum“ und „Peripherie“ in den Sprachgebrauch eingeschlichen haben, obwohl es in politischer Hinsicht offensichtlich unangemessen ist, Italien und Spanien als Peripherie der Europäischen Union zu bezeichnen. Praktisch jedoch hat der Euro ihre Staatsanleihen in Anleihen von Dritte-Welt-Ländern verwandelt, die mit einem Ausfallrisiko behaftet sind. Diese Tatsache wurde von den Behörden ignoriert und wird noch immer nicht richtig wahrgenommen. Das ist die Grundursache der Eurokrise.
Genau wie in den 1980er Jahren entfielen alle Schuldzuweisungen und Lasten auf die „Peripherie“, und die Verantwortung des „Zentrums“ wurde nie richtig eingestanden. Man kritisiert die Peripherieländer wegen ihrer mangelnden Haushaltsdisziplin und Arbeitsethik, aber es steckt mehr hinter der Sache. Zugegeben, die Peripherieländer müssen Strukturreformen umsetzen, so wie es Deutschland nach der Wiedervereinigung tat. Doch zu bestreiten, dass der Euro selbst strukturelle Probleme aufweist, die man beheben muss, heißt, die Grundursache der Eurokrise zu ignorieren. Genau das aber geschieht.
In diesem Zusammenhang spielt das deutsche Wort „Schuld“ eine Schlüsselrolle. Wie Sie wissen, bezeichnet es sowohl eine Verbindlichkeit als auch Verantwortung oder Fehlverhalten. Dies macht es für die öffentliche Meinung in Deutschland selbstverständlich, die schwer verschuldeten Länder für ihr Unglück verantwortlich zu machen. Die unverfrorenen Regelverstöße Griechenlands stützen diese Haltung. Andere Länder wie Spanien und Irland jedoch hielten sich an die Regeln, und Spanien galt sogar als Muster an Tugend. Die Fehler liegen ganz klar im System, und das Unglück der schwer verschuldeten Länder wurde großteils durch die für den Euro geltenden Regeln verursacht. Das ist der Punkt, den ich heute unmissverständlich klarstellen möchte.
Meiner Meinung liegt die „Schuld“ oder Verantwortung heute noch viel stärker beim „Zentrum“ als während der Bankenkrise von 1982. Es mag 1982 politisch akzeptabel gewesen sein, weniger entwickelte Ländern zur Austerität zu zwingen, um das internationale Finanzsystem zu retten, doch dasselbe heute innerhalb der Eurozone zu tun, ist mit der Vorstellung der Europäischen Union als freiwillige Assoziation gleichberechtigter Staaten unvereinbar. Es besteht ein ungelöster Konflikt zwischen dem Diktat finanzieller Notwendigkeit und dem, was politisch akzeptabel ist. Dies müsste nach den jüngsten italienischen Wahlen klar sein.
Die Last der Verantwortung fällt überwiegend Deutschland zu. Die Bundesbank half, die Pläne für den Euro zu entwickeln, deren Mängel Deutschland ans Steuer gebracht haben. Dies hat zwei Probleme geschaffen: ein politisches Problem und ein Finanzproblem. Es ist die Kombination der beiden, die die Situation so vertrackt macht.
Das politische Problem ist, dass Deutschland die dominante Position, in die es geworfen wurde, nicht gewollt hat und nicht bereit ist, die damit einhergehenden Verantwortlichkeiten und Verpflichtungen zu übernehmen. Deutschland möchte verständlicherweise nicht als „tiefe Tasche“ für den Euro herhalten. Darum gewährt es gerade genug Unterstützung, um Zahlungsausfälle zu vermeiden, aber nicht mehr, und sobald der Druck der Finanzmärkte nachlässt, ist es bestrebt, die Bedingungen zu verschärfen, unter denen diese Unterstützung gewährt wird.
Das Finanzproblem ist, dass Deutschland der Eurozone die falsche Politik aufzwingt. Austerität funktioniert nicht. Sie können die Schuldenlast nicht durch Verkleinerung des Haushaltsdefizits reduzieren. Die Schuldenlast ist das Verhältnis zwischen nominalen Schulden und nominalem BIP. Und bei einer unzureichenden Nachfrage verursachen Haushaltseinschnitte einen überproportionalen Rückgang des BIP – in der Fachsprache sagt man, der fiskalische Multiplikator ist größer als eins.
Die deutsche Öffentlichkeit findet dies schwer verständlich. Die von der Regierung Schröder durchgeführten Haushalts- und Strukturreformen haben 2006 funktioniert; warum sollten sie für die Eurozone ein paar Jahre später nicht funktionieren? Die Antwort ist, dass Austerität durch Steigerung der Exporte und Verringerung der Importe funktioniert. Wenn alle dasselbe machen, klappt das einfach nicht.
Die Eurokrise erreichte im vergangenen Sommer einen Höhepunkt. Die Finanzmärkte begannen, ein mögliches Auseinanderbrechen zu antizipieren, und die Risikoaufschläge erreichten untragbare Höhen. Als letztes Mittel unterstützte Kanzlerin Merkel den Präsidenten der Europäischen Zentralbank, Mario Draghi, gegen ihren eigenen Kandidaten, Jens Weidmann. Draghi zeigte sich der Lage gewachsen. Er erklärte, die EZB würde tun, „was immer erforderlich ist“, um den Euro zu schützen, und stellte dies durch Einführung der sogenannten Offenmarktgeschäfte unter Beweis. Die Finanzmärkte waren beruhigt und begannen eine gewaltige Erholungsrally. Aber der Jubel war verfrüht. Sobald der Druck der Finanzmärkte nachließ, begann Deutschland, die Versprechen, die es auf dem Höhepunkt der Krise gemacht hatte, abzuschwächen.
Bei der Rettung Zyperns ist Deutschland zu weit gegangen. Um die Kosten der Rettungsaktion zu minimieren, beharrte es auf der Beteiligung der Einleger. Dies war verfrüht. Nach Einrichtung einer Bankenunion und der Rekapitalisierung der Banken wäre es vielleicht eine gesunde Entwicklung gewesen. Doch es erfolgte zu einer Zeit, in der sich das Bankensystem in nationale Silostrukturen zurückzog und noch sehr anfällig war. Was in Zypern passierte, untergrub das Geschäftsmodell der europäischen Banken, das in hohem Maße auf Einlagen beruht. Bisher hatten die Behörden keine Mühe gescheut, die Einleger zu schützen. Zypern hat das geändert. Die Aufmerksamkeit konzentriert sich derzeit auf die Auswirkungen der Rettung auf Zypern, doch viel wichtiger sind die Auswirkungen auf das Bankensystem. Die Banken werden künftig Risikoaufschläge bezahlen müssen, die schwächere Banken und Banken schwächerer Länder sehr viel stärker treffen werden. Die tückische Verbindung zwischen den Kosten von Staatsverschuldung und Bankenschulden wird gestärkt. Das Wettbewerbsumfeld wird jetzt noch ungleicher als bisher.
Kanzlerin Merkel hätte die Eurokrise gern bis mindestens nach den Wahlen auf Eis gelegt, doch diese ist mit aller Kraft zurück. Der deutschen Öffentlichkeit mag dies nicht bewusst sein, weil Zypern ein enormer politischer Sieg für Merkel war. Kein Land wird es wagen, ihren Willen herauszufordern. Zudem ist Deutschland von der sich vertiefenden Depression, die die Eurozone umfasst, bisher relativ wenig betroffen. Ich erwarte freilich, dass Deutschland bis zum Wahltag ebenfalls in der Rezession stecken wird. Der Grund dafür ist, dass die von der Eurozone verfolgte Geldpolitik nicht mit der der anderen wichtigen Währungen im Einklang steht. Die anderen betreiben eine quantitative Lockerung. Die Bank von Japan war die letzte Bastion, aber sie hat kürzlich die Seiten gewechselt. Ein schwächerer Yen wird im Verbund mit der Schwäche in Europa die deutschen Exporte zwangsläufig beeinträchtigen.
Falls meine Analyse korrekt ist, bietet sich eine einfache Lösung an. Sie lässt sich in einem Wort zusammenfassen: Eurobonds.
Eurobonds sind gesamtschuldnerische Verpflichtungen aller Mitgliedsstaaten. Würde man jenen Ländern, die den Fiskalpakt einhalten, gestatten, alle ihre bestehenden Staatsanleihen in Eurobonds umzuwandeln, wäre die positive Wirkung kaum weniger als wunderbar. Die Gefahr von Zahlungsausfällen würde verschwinden, und dasselbe gilt für die Risikoaufschläge. Die Bilanzen der Banken würden einen unmittelbaren Schub erhalten, und Gleiches gilt für die Haushalte der schwer verschuldeten Länder, weil es diese weniger kosten würde, ihre bestehenden Staatsanleihen zu bedienen. Italien etwa würde bis zu vier Prozent seines BIP sparen. Es hätte damit einen Haushaltsüberschuss, und statt eine Austeritätspolitik zu verfolgen, könnte die Regierung steuerliche Impulse setzen. Die Konjunktur würde anziehen und die Schuldenquote würde sinken. Die meisten der scheinbar unlösbaren Probleme würden sich in Luft auflösen. Nur die Unterschiede bei der Wettbewerbsfähigkeit blieben ungelöst. Einzelne Länder würden immer noch Strukturreformen benötigen, aber der wichtigste strukturelle Defekt des Euro wäre behoben. Es wäre wahrhaftig, als würde man aus einem Alptraum erwachen.
Der Fiskalpakt bietet angemessene Sicherheiten gegen die mit einer gesamtschuldnerischen Verpflichtung verknüpften Risiken. Die Mitgliedsländer dürften im Rahmen des Fiskalpakts neue Anleihen und Schatzwechsel nur zu dem Zweck ausgeben, fällig werdende Papiere zu ersetzen, mehr jedoch nicht, und nach fünf Jahren hätte man die ausstehenden Verbindlichkeiten allmählich auf 60% vom BIP zurückgeführt. Bei Regelverstößen eines Landes würde es durch Beschränkung der Menge der Eurobonds, die es ausgeben dürfte, bestraft; es müsste den Rest dann in eigenem Namen aufnehmen und hohe Risikoaufschläge zahlen.
Deutschland lehnt Eurobonds mit der Begründung ab, dass sich, wenn diese erst einmal eingeführt sind, nicht gewährleisten lasse, dass die sogenannten Peripherieländer die Regeln nicht erneut brächen. Ich halte diese Befürchtungen für verfehlt. Der Verlust des Privilegs der Ausgabe von Eurobonds und die Verpflichtung zur Zahlung hoher Risikoaufschläge wären ein starker Anreiz, die Regeln einzuhalten. Tatsächlich wäre diese Strafe so schmerzhaft, dass die Regeln nur kleine Dosen davon vorsehen dürften, um die Finanzlage des verstoßenden Landes nicht zu abrupt zu verschlimmern. Zugleich würde eine hierfür zuständige Fiskalbehörde strengere Kontrollen ausüben, und Ungehorsam würde durch weitere Verringerungen der Menge an Eurobonds, die ausgegeben werden dürften, bestraft. Keine Regierung könnte diesem Druck widerstehen.
Es gibt außerdem weit verbreitete Befürchtungen, dass Eurobonds Deutschlands Kreditrating ruinieren würden. Eurobonds werden häufig mit dem Marshallplan verglichen. Dabei wird argumentiert, dass der Marshallplan Amerikas BIP nur ein paar Prozentpunkte kostete, während Eurobonds das deutsche BIP ein Vielfaches kosten würden. Hier werden Äpfel mit Birnen verglichen. Der Marshallplan war eine echte Ausgabe, während Eurobonds eine Garantie umfassen würden, die nie in Anspruch genommen werden wird. Die Kosten, die Deutschland bei einer Zustimmung zu Eurobonds entstünden, werden stark übertrieben.
Garantien haben eine merkwürdige Eigenschaft: Je überzeugender sie sind, desto unwahrscheinlicher ist, dass sie in Anspruch genommen werden. Die USA mussten die bei der Umwandlung der Schulden der Einzelstaaten in US-Bundesobligationen übernommen Verbindlichkeiten nie zurückzahlen. Deutschland war bisher nur bereit, das Minimum zu tun; dies ist der Grund, warum es seine Verpflichtungen immer weiter erhöhen musste und warum ihm tatsächliche Verluste entstehen. Der durch eine gut funktionierende Fiskalbehörde gestützte Fiskalpakt würde das Ausfallrisiko praktisch eliminieren. Eurobonds würden im Vergleich zu den Anleihen der USA, Großbritanniens und Japans an den Finanzmärkten gut dastehen. Zwar müsste Deutschland höhere Zinsen auf seine eigenen Schulden zahlen als heute, doch sind die außergewöhnlich niedrigen Renditen von Bundesanleihen ein Symptom der Krankheit, die die Peripherie heimsucht. Der indirekte Nutzen, den Deutschland aus der Erholung der Peripherie zöge, würde die zusätzlichen Kosten, die ihm in Bezug auf seine eigene Staatsschuld entstünden, deutlich überwiegen.
Eurobonds sind sicher kein Allheilmittel. Erstens ist der Fiskalpakt selbst ein schlecht konzipiertes Instrument. Die Einführung von Eurobonds würde der Eurozone einen Schub geben, aber das reicht möglicherweise nicht aus. In diesem Fall wären weitere fiskal- und geldpolitische Impulse nötig. Doch das wäre ein Luxusproblem.
Zweitens braucht die Europäische Union zusätzlich eine Bankenunion und letztlich eine politische Union. Die Rettung Zyperns hat diese Notwendigkeiten verschärft, indem sie das Geschäftsmodell der europäischen Banken, das in starkem Maße auf Einlagen beruht, infrage gestellt hat.
Das wesentliche Manko von Eurobonds ist, dass sie die Unterschiede bei der Wettbewerbsfähigkeit nicht beseitigen würden. Einzelne Länder müssten nach wie vor Strukturreformen durchführen. Diejenigen, die das nicht täten, würden sich dauerhaft in Inseln der Armut und der Abhängigkeit verwandeln, ähnlich jenen, die in vielen reichen Ländern fortbestehen. Sie würden anhand begrenzter Unterstützung durch europäische Strukturfonds und durch Geldsendungen überleben. Doch wenn Deutschland Eurobonds akzeptierte, würde das die politische Atmosphäre völlig verändern und die zusätzlich erforderlichen Strukturreformen erleichtern.
Es bleibt die Tatsache, dass eine große Mehrheit der deutschen Öffentlichkeit Eurobonds entschieden ablehnt. Seit dem Veto von Bundeskanzlerin Merkel gegen Eurobonds wurden die Argumente, die ich hier vorgetragen habe, noch nicht einmal in Betracht gezogen. Die Leute erkennen nicht, dass die Zustimmung zu Eurobonds viel weniger kosten würde, als nur das Minimum zur Bewahrung des Euro zu tun.
Es liegt bei Deutschland, ob es bereit ist, Eurobonds zu autorisieren oder nicht. Doch hat Deutschland kein Recht, die schwer verschuldeten Länder zu hindern, ihrem Elend zu entgehen, indem sie sich zusammentun und Eurobonds ausgeben. Anders ausgedrückt: Falls Deutschland keine Eurobonds will, sollte es in Betracht ziehen, den Euro zu verlassen, und die anderen Länder Eurobonds einführen lassen.
Dabei würde ein überraschendes Ergebnis herauskommen: Von einer Eurozone ohne Deutschland ausgegebene Eurobonds würden im Vergleich zu denen der USA, Großbritanniens und Japans immer noch gut dastehen. Die Nettoverschuldung dieser drei Länder als Anteil ihres BIP ist tatsächlich höher als die der Eurozone ohne Deutschland.
Dieses überraschende Ergebnis lässt sich erklären, indem man die Folgen eines deutschen Ausstiegs aus dem Euro mit dem eines schwer verschuldeten Landes wie Italiens vergleicht.
Da alle bestehenden Schulden auf Euro lauten, ist entscheidend, welches Land beim Euro bestimmend bleibt. Bei einem Ausstieg Deutschlands würde der Euro abwerten. Die Schuldnerländer würden ihre Wettbewerbsfähigkeit zurückgewinnen. Ihre Schulden würden sich real verringern, und mit der Ausgabe von Eurobonds würde die Gefahr von Zahlungsausfällen verschwinden. Die Schuldenstände dieser Länder wären damit plötzlich zu bewältigen. Die größten Lasten der Anpassung würden auf die Länder entfallen, die den Euro verlassen. Ihre Exporte würden an Wettbewerbsfähigkeit verlieren, und sie würden auf ihren Heimatmärkten auf starke Konkurrenz aus dem Euroraum treffen. Sie müssten zudem Verluste bei ihren auf Euro lautenden Forderungen und Kapitalanlagen hinnehmen. Das Maß der Verluste würde vom Maß der Abwertung abhängen; daher hätten sie ein Interesse daran, die Abwertung in Grenzen zu halten. Nach anfänglichen Verzerrungen würde das letztliche Ergebnis John Maynard Keynes’ Traum von einem internationalen Währungssystem erfüllen, in dem Gläubiger und Schuldner die Verantwortung für die Wahrung von Stabilität gemeinsam wahrnehmen. Und Europa würde der sich abzeichnenden Depression entgehen.
Wenn im Gegensatz dazu Italien den Euro verließe, würde seine auf Euro lautende Schuldenlast untragbar, und Italien müsste restrukturiert werden. Dies würde das übrige Europa und die restliche Welt in eine Finanzkrise stürzen, deren Beherrschung die Fähigkeiten der Währungsbehörden durchaus übersteigen könnte. Der Zusammenbruch des Euro würde vermutlich zu einem ungeordneten Zerfall der Europäischen Union führen, und Europa stünde dann schlechter da als zu Beginn des noblen Experiments der Schaffung einer Europäischen Union.
Offensichtlich wäre ein Ausstieg Deutschlands besser als ein Ausstieg Italiens, und genauso offensichtlich wäre es besser, wenn Deutschland Eurobonds zustimmen würde als wenn es aus dem Euro ausstiege. Das Problem ist, dass Deutschland bisher nicht vor diese Wahl gestellt wurde und dass es über eine weitere Alternative verfügt: Es kann an seinem aktuellen Kurs festhalten und immer das Mindestmaß tun, um den Euro zu bewahren, aber nicht mehr.
Wenn meine Analyse richtig ist, dann ist das nicht die beste Alternative für Deutschland, außer in einem sehr kurzfristigen Rahmen. Die Lage verschlechtert sich und wird irgendwann unhaltbar werden. Je länger dies dauert, desto größer der Schaden. Trotzdem ist es Deutschlands bevorzugte Alternative, zumindest bis nach den Wahlen.
Es spricht viel dafür, dass Deutschland eine endgültige Entscheidung treffen sollte, ob es Eurobonds zustimmt oder den Euro verlässt. Dies aufzuzeigen ist der Grund meines Hierseins.
Ich habe lange und schwer darüber nachgedacht, ob ich meine Argumente jetzt vorlegen oder bis nach den Wahlen warten sollte. Letztlich entschied ich mich, es jetzt zu tun, und zwar aus zwei Gründen. Erstens haben Ereignisse eine Eigendynamik, und es ist wahrscheinlich, dass sich die Krise noch vor den Wahlen verschärft. Die Rettung Zyperns hat mir Recht gegeben. Zweitens unterscheidet sich meine Interpretation der Ereignisse von der in Deutschland vorherrschenden so radikal, dass es seine Zeit dauern wird, bis sie richtig angekommen ist, und je eher ich sie vorlege, desto besser.
Lassen Sie mich meine Argumentation zusammenfassen. Ich behaupte, dass Europa besser bedient wäre, wenn sich Deutschland zwischen Eurobonds und Ausstieg entscheiden würde, als wenn es seinen bisherigen Kurs, das Minimum zu tun, um den Euro zusammenzuhalten, weiterverfolgt. Dies gilt, egal ob Deutschland Eurobonds zustimmt oder sich zum Euroausstieg entschließt, und es gilt nicht nur für Europa, sondern auch für Deutschland, außer im sehr kurzfristigen Rahmen.
Welche der beiden Alternativen für Deutschland besser ist, ist nicht so eindeutig. Nur die deutschen Wähler sind qualifiziert, das zu entscheiden. Würde man heute ein Referendum veranstalten, würden die Euroskeptiker zweifellos gewinnen. Intensiveres Nachdenken könnte dazu führen, dass die Menschen ihre Meinung ändern. Sie würden entdecken, dass die Kosten der Autorisierung von Eurobonds für Deutschland stark übertrieben und die Kosten eines Euroausstiegs untertrieben wurden.
Meine eigene Sicht ist folgende: Meine Erstpräferenz sind Eurobonds, meine Zweitpräferenz, dass Deutschland den Euro verlässt. Beides ist unendlich viel besser, als sich nicht zu entscheiden und die Krise zu perpetuieren. Am schlimmsten wäre es, wenn ein Schuldnerland wie Italien den Euro verlassen würde, denn das würde zu einer ungeordneten Auflösung der Europäischen Union führen.
Ich habe hier einige überraschende Behauptungen aufgestellt, insbesondere darüber, wie gut Eurobonds auch ohne Deutschland funktionieren könnten. Meine proeuropäischen Freunde können dies einfach nicht glauben. Sie können sich einen Euro ohne Deutschland nicht vorstellen. Ich glaube, sie setzen den Euro mit der Europäischen Union gleich. Die beiden sind nicht dasselbe. Die Europäische Union ist das Ziel, und der Euro ein Mittel zum Zweck. Daher sollte man nicht zulassen, dass der Euro die Europäische Union zerstört.
Aber vielleicht bin ich zu rational in meiner Analyse. Die Europäische Union ist mit dem Euro nicht nur in der öffentlichen Vorstellung verschmolzen, sondern auch rechtlich. Infolgedessen wird die Europäische Union einen Ausstieg Deutschlands aus dem Euro möglicherweise nicht überstehen. In diesem Fall müssen wir alles in unserer Macht Stehende tun, um die deutsche Öffentlichkeit zu überzeugen, einige ihrer eingefleischtesten Vorurteile und Fehlvorstellungen aufzugeben und Eurobonds zu akzeptieren.
Ich möchte schließen, indem ich betone, wie wichtig die Europäische Union ist – nicht nur für Europa, sondern für die Welt. Die EU war als die Verkörperung der Prinzipien einer offenen Gesellschaft gedacht. Dies bedeutet, dass vollkommenes Wissen unerreichbar ist. Niemand ist frei von Vorurteilen und falschen Vorstellungen, und man sollte niemandem eine Schuld für gemachte Fehler zuweisen. Schuld beginnt erst, wenn ein Fehler oder eine falsche Vorstellung erkannt, aber nicht berichtigt wird. Dies wäre ein Betrug an den Grundsätzen, auf denen die Europäische Union errichtet wurde. In diesem Geist sollte Deutschland Eurobonds zustimmen und die Europäische Union retten.
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Folglich finden Sie eine erweiterte Version des Artikels von George Soros „Deutschlands Entscheidung“.
Ich bin heute hier, um über die Eurokrise zu sprechen. Angesichts der jüngsten Entwicklungen werden Sie mir glaube ich alle zustimmen, dass die Krise noch lange nicht ausgestanden ist. Sie hat bereits finanziell wie politisch enorme Schäden verursacht sowie erheblichen menschlichen Tribut gefordert. Und sie hat die Europäische Union in etwas radikal anderes verwandelt als ursprünglich beabsichtigt. Die Europäische Union war als freiwillige Vereinigung gleichberechtigter Staaten gedacht, doch die Krise hat sie in eine Hierarchie verwandelt, in der Deutschland und andere Gläubiger das Sagen haben und die hochverschuldeten Länder zu Mitgliedern zweiter Klasse degradiert wurden. Zwar kann Deutschland die Politik nicht diktieren, doch sind politische Vorschläge in der Praxis unmöglich, ohne dass zuerst Deutschlands Erlaubnis eingeholt wird. Die Lage wird noch dadurch verschlimmert, dass die von Deutschland geförderte Austeritätspolitik die Krise verlängert und die Unterordnung der Schuldnerländer zum Dauerzustand macht.
Dies hat politische Spannungen hervorgerufen, wie sie durch das politische Patt in Italien demonstriert werden. In Italien ist inzwischen eine Mehrheit gegen den Euro, und dieser Trend dürfte sich noch verstärken. Es besteht nun eine echte Gefahr, dass die Eurokrise die Europäische Union letztlich zerstören wird. Ein ungeordnetes Auseinanderbrechen würde Europa in schlechterem Zustand hinterlassen als jenem, in dem es sich vor Beginn des kühnen Experiments der Schaffung einer Europäischen Union befand. Dies wäre eine Tragödie von historischem Ausmaß, die sich nur mittels deutscher Führung verhindern lässt. Deutschland hat keine dominante Stellung angestrebt und zögert bisher, die damit einhergehenden Verantwortlichkeiten und Verpflichtungen zu akzeptieren. Dies ist einer der Gründe für das Entstehen der aktuellen Situation. Aber ob es das will oder nicht: Deutschland sitzt am Lenker, und das ist der Grund, warum ich heute hier bin.
Wie ist Europa in diesen Schlammassel geraten? Und wie kann es sich daraus befreien? Dies sind die beiden Fragen, die ich ansprechen möchte. Die Antwort auf die erste Frage ist äußerst kompliziert, weil die Eurokrise extrem komplex ist. Sie hat sowohl eine politische wie eine finanzielle Dimension. Und die finanzielle Dimension lässt sich in mindestens drei Bestandteile zerlegen: eine staatliche Schuldenkrise und eine Bankenkrise sowie Unterschiede bei der Wettbewerbsfähigkeit. Die verschiedenen Aspekte greifen ineinander, was die Probleme so kompliziert macht, dass es einen überwältigt. Aus meiner Sicht lässt sich die Eurokrise nur dann wirklich verstehen, wenn man sich die entscheidende Rolle bewusst macht, die Fehler und falsche Vorstellungen bei ihrer Schaffung gespielt haben. Die Krise ist fast völlig selbst beigebracht. Sie hat die Qualität eines Alptraums.
Die Antwort auf die zweite Frage ist dagegen äußerst einfach. Sobald wir die Probleme richtig verstanden haben, bietet sich die Lösung praktisch von selbst an.
Ich werde argumentieren, dass Deutschland einen großen Teil der Verantwortung für die politischen Fehler trägt, die die Krise herbeigeführt haben. Aber ich möchte vorab klarstellen, dass ich Deutschland hierfür keine Schuld gebe. Wer immer die Verantwortung gehabt hätte, hätte ähnliche Fehler gemacht. Ich kann aus persönlicher Erfahrung sagen, dass niemand die Situation in all ihrer Komplexität zum Zeitpunkt ihrer Entfaltung verstanden hätte.
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Die Europäische Union war ein kühnes Projekt, das die Fantasie vieler Menschen befeuerte, darunter auch meine. Ich betrachtete die Europäische Union als die Verkörperung einer offenen Gesellschaft – eine freiwillige Assoziation gleichberechtigter Staaten, die einen Teil ihrer Souveränität für das gemeinsame Wohl aufgaben. Die Europäische Union umfasste fünf große Mitgliedsstaaten und eine Anzahl kleinerer, und sie alle machten sich die Grundsätze von Demokratie, individueller Freiheit, Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit zu Eigen. Keine Nation oder Nationalität hatte eine vorherrschende Position inne.
Der Integrationsprozess wurde von einer kleinen Gruppe weitsichtiger Staatsmänner angeführt, die erkannten, dass Perfektion unerreichbar war, und die praktizierten, was Karl Popper als „Sozialtechnik der kleinen Schritte“ bezeichnet hat. Sie setzten sich begrenzte Ziele und feste Zeitpläne und mobilisierten dann den politischen Willen zu einem kleinen Schritt nach vorn – wobei ihnen völlig klar war, dass, wenn sie diesen getan hätten, seine Unzulänglichkeit deutlich werden und einen weiteren Schritt erforderlich machen würde. Der Prozess zehrte von seinem eigenen Erfolg, ganz ähnlich einer Boom-Bust-Sequenz an den Finanzmärkten. Auf diese Weise verwandelte sich die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl allmählich zur Europäischen Union – Schritt für Schritt.
Frankreich und Deutschland standen einst an vorderster Front dieser Bemühungen. Als der Zerfall des Sowjetreichs einsetzte, erkannte die deutsche Führung, dass eine Wiedervereinigung nur im Kontext eines stärker geeinten Europas möglich sein würde, und sie war gewillt, beträchtliche Opfer zu bringen, um sie herbeizuführen. Bei Verhandlungen war sie bereit, etwas mehr zu geben und etwas weniger zu nehmen als andere, und erleichterte so eine Einigung. Damals erklärten deutsche Staatsmänner, dass Deutschland keine unabhängige Außenpolitik hätte, sondern nur eine europäische. Dies führte zu einer drastischen Beschleunigung des Prozesses, der in der Wiedervereinigung Deutschlands 1990 und im Vertrag von Maastricht 1992 gipfelte. Es folgte eine Phase der Konsolidierung, die bis zur Finanzkrise von 2007/08 dauerte.
Leider hatte der Vertrag von Maastricht grundlegende Fehler. Den Architekten des Euro war bewusst, dass er ein unvollständiges Konstrukt war: eine Währungsunion ohne eine politische Union. Sie hatten jedoch Grund zu der Annahme, dass sich, wenn sich die Notwendigkeit ergäbe, der politische Wille mobilisieren lassen würde, den nächsten Schritt zu tun. Schließlich hatte der Integrationsprozess bis dahin auf diese Weise funktioniert.
Der Euro hatte jedoch viele weitere Mängel, die weder seinen Architekten noch den Mitgliedstaaten völlig bewusst waren. So nahm der Vertrag von Maastricht als gegeben an, dass nur der öffentliche Sektor chronische Defizite produzieren könne, weil der private Sektor seine eigenen Exzesse immer korrigieren würde. Die Finanzkrise von 2007/08 bewies, dass das nicht stimmt. Sie zeigte zudem einen beinahe tödlichen Konstruktionsfehler des Euro auf: Durch Schaffung einer unabhängigen Zentralbank verschuldeten sich die Mitgliedstaaten in einer Währung, die sich nicht kontrollierten. Dies setzte sie einem Ausfallrisiko aus.
Für entwickelte Länder besteht kein Ausfallgrund, weil sie immer Geld drucken können. Ihre Währung mag abwerten, doch das Risiko eines Zahlungsausfalls besteht praktisch nicht. Für weniger entwickelte Länder dagegen, die Kredite in Fremdwährungen aufnehmen müssen, besteht ein Ausfallrisiko. Verschlimmert wird dies noch dadurch, dass die Finanzmärkte derartige Länder durch Baisse-Manöver in den Zahlungsausfall treiben können. Das Ausfallrisiko degradierte einige Mitgliedsländer auf den Status von in einer Fremdwährung überschuldeten Dritte-Welt-Ländern.
Vor der Finanzkrise von 2007/08 hatten Behörden und Finanzmärkte dieses Merkmal des Euro ignoriert. Als der Euro eingeführt wurde, galten Staatsanleihen als risikolose Anlagen. Die Aufsichtsbehörden erlaubten es den Geschäftsbanken, unbegrenzte Mengen an Staatsanleihen aufzukaufen, ohne Eigenkapital zur Seite zu legen, und die Europäische Zentralbank akzeptierte über ihre Refinanzierungsstelle alle Staatsanleihen zu gleichen Bedingungen. Dies schuf einen Fehlanreiz für die Geschäftsbanken, sich mit Anleihen der schwächeren Mitgliedsländer einzudecken, für die höhere Zinsen gezahlt wurden, um ein paar Basispunkte mehr zu verdienen. Dadurch verschwand das Zinsgefälle zwischen den verschiedenen Staatsanleihen praktisch völlig.
Die Konvergenz der Zinssätze führte zu einer Divergenz der Wirtschaftsleistung. Die sogenannten Peripherieländer, insbesondere Spanien und Irland, erlebten einen Immobilien-, Investment- und Konsumboom, der sie weniger wettbewerbsfähig machte, während das durch die Kosten der Wiedervereinigung belastete Deutschland weitreichende Arbeitsmarkt- und sonstige Strukturreformen einleitete, die es wettbewerbsfähiger machten.
In der Woche nach dem Konkurs von Lehman Brothers kam es zum buchstäblichen Ausfall der globalen Finanzmärkte, für die lebenserhaltende Maßnahmen eingeleitet werden mussten. Dabei mussten die Kredite der Finanzinstitute, deren Standing beschädigt war, durch staatliche Kredite (in Form von Zentralbankgarantien und Haushaltsdefiziten) ersetzt werden. Das auf staatliche Kredite gelegte Gewicht enthüllte das bisher ignorierte Merkmal des Euro: nämlich dass die Euroländer mit Schaffung einer unabhängigen Zentralbank einen Teil ihrer Souveränität aufgegeben hatten.
Dies wäre der Moment gewesen, um den nächsten Schritt in Richtung einer Fiskalunion –zusätzlich zur Währungsunion – zu unternehmen, aber es fehlte der politische Wille. Das durch die Kosten der Wiedervereinigung belastete Deutschland stand nicht länger an vorderster Front der Integration. Bundeskanzlerin Merkel las die öffentliche Meinung richtig, als sie erklärte, dass sich jedes Land selbst um seine Finanzinstitute kümmern sollte – und nicht die Europäische Union gemeinsam. Dies war ein Schritt zurück. Im Rückblick war es der Anfang eines Desintegrationsprozesses.
Es dauerte mehr als ein Jahr, bis die Finanzmärkte die Implikationen von Kanzlerin Merkels Erklärung realisierten, was ein Beleg dafür ist, dass auch sie auf einer alles andere als perfekten Wissensgrundlage operieren. Erst Ende 2009, als das Ausmaß des griechischen Defizits deutlich wurde, wurde den Finanzmärkten klar, dass ein Mitgliedsland tatsächlich als Schuldner ausfallen könnte. Dann aber erhöhten die Märkte die Risikoaufschläge der schwächeren Länder vehement. Damit waren Geschäftsbanken, deren Bilanzen mit diesen Anleihen aufgeladen waren, potenziell insolvent, und dies führte sowohl eine staatliche Schuldenkrise als auch eine Bankenkrise herbei. Beide sind verknüpft wie siamesische Zwillinge.
Es gibt eine enge Parallele zwischen der Eurokrise und der internationalen Bankenkrise von 1982. Damals retteten der IWF und die internationalen Bankenbehörden das internationale Bankensystem, indem sie den schwer verschuldeten Ländern gerade genug Geld liehen, sodass diese einen Zahlungsausfall vermeiden konnten. Der Preis war freilich, dass diese Länder in eine langfristige Depression gedrückt wurden. Lateinamerika erlitt ein verlorenes Jahrzehnt.
Heute spielt Deutschland dieselbe Rolle wie damals der IWF. Die Umstände sind andere, aber die Wirkung ist die gleiche. Die Gläubiger bürden den Schuldnerländern faktisch alle Anpassungslasten auf und entziehen sich ihrer eigenen Verantwortung für die Ungleichgewichte. Es ist interessant, wie sich nahezu unbemerkt die Begriffe „Zentrum“ und „Peripherie“ in den Sprachgebrauch eingeschlichen haben, obwohl es in politischer Hinsicht offensichtlich unangemessen ist, Italien und Spanien als Peripherie der Europäischen Union zu bezeichnen. Praktisch jedoch hat der Euro ihre Staatsanleihen in Anleihen von Dritte-Welt-Ländern verwandelt, die mit einem Ausfallrisiko behaftet sind. Diese Tatsache wurde von den Behörden ignoriert und wird noch immer nicht richtig wahrgenommen. Das ist die Grundursache der Eurokrise.
Genau wie in den 1980er Jahren entfielen alle Schuldzuweisungen und Lasten auf die „Peripherie“, und die Verantwortung des „Zentrums“ wurde nie richtig eingestanden. Man kritisiert die Peripherieländer wegen ihrer mangelnden Haushaltsdisziplin und Arbeitsethik, aber es steckt mehr hinter der Sache. Zugegeben, die Peripherieländer müssen Strukturreformen umsetzen, so wie es Deutschland nach der Wiedervereinigung tat. Doch zu bestreiten, dass der Euro selbst strukturelle Probleme aufweist, die man beheben muss, heißt, die Grundursache der Eurokrise zu ignorieren. Genau das aber geschieht.
In diesem Zusammenhang spielt das deutsche Wort „Schuld“ eine Schlüsselrolle. Wie Sie wissen, bezeichnet es sowohl eine Verbindlichkeit als auch Verantwortung oder Fehlverhalten. Dies macht es für die öffentliche Meinung in Deutschland selbstverständlich, die schwer verschuldeten Länder für ihr Unglück verantwortlich zu machen. Die unverfrorenen Regelverstöße Griechenlands stützen diese Haltung. Andere Länder wie Spanien und Irland jedoch hielten sich an die Regeln, und Spanien galt sogar als Muster an Tugend. Die Fehler liegen ganz klar im System, und das Unglück der schwer verschuldeten Länder wurde großteils durch die für den Euro geltenden Regeln verursacht. Das ist der Punkt, den ich heute unmissverständlich klarstellen möchte.
Meiner Meinung liegt die „Schuld“ oder Verantwortung heute noch viel stärker beim „Zentrum“ als während der Bankenkrise von 1982. Es mag 1982 politisch akzeptabel gewesen sein, weniger entwickelte Ländern zur Austerität zu zwingen, um das internationale Finanzsystem zu retten, doch dasselbe heute innerhalb der Eurozone zu tun, ist mit der Vorstellung der Europäischen Union als freiwillige Assoziation gleichberechtigter Staaten unvereinbar. Es besteht ein ungelöster Konflikt zwischen dem Diktat finanzieller Notwendigkeit und dem, was politisch akzeptabel ist. Dies müsste nach den jüngsten italienischen Wahlen klar sein.
Die Last der Verantwortung fällt überwiegend Deutschland zu. Die Bundesbank half, die Pläne für den Euro zu entwickeln, deren Mängel Deutschland ans Steuer gebracht haben. Dies hat zwei Probleme geschaffen: ein politisches Problem und ein Finanzproblem. Es ist die Kombination der beiden, die die Situation so vertrackt macht.
Das politische Problem ist, dass Deutschland die dominante Position, in die es geworfen wurde, nicht gewollt hat und nicht bereit ist, die damit einhergehenden Verantwortlichkeiten und Verpflichtungen zu übernehmen. Deutschland möchte verständlicherweise nicht als „tiefe Tasche“ für den Euro herhalten. Darum gewährt es gerade genug Unterstützung, um Zahlungsausfälle zu vermeiden, aber nicht mehr, und sobald der Druck der Finanzmärkte nachlässt, ist es bestrebt, die Bedingungen zu verschärfen, unter denen diese Unterstützung gewährt wird.
Das Finanzproblem ist, dass Deutschland der Eurozone die falsche Politik aufzwingt. Austerität funktioniert nicht. Sie können die Schuldenlast nicht durch Verkleinerung des Haushaltsdefizits reduzieren. Die Schuldenlast ist das Verhältnis zwischen nominalen Schulden und nominalem BIP. Und bei einer unzureichenden Nachfrage verursachen Haushaltseinschnitte einen überproportionalen Rückgang des BIP – in der Fachsprache sagt man, der fiskalische Multiplikator ist größer als eins.
Die deutsche Öffentlichkeit findet dies schwer verständlich. Die von der Regierung Schröder durchgeführten Haushalts- und Strukturreformen haben 2006 funktioniert; warum sollten sie für die Eurozone ein paar Jahre später nicht funktionieren? Die Antwort ist, dass Austerität durch Steigerung der Exporte und Verringerung der Importe funktioniert. Wenn alle dasselbe machen, klappt das einfach nicht.
Die Eurokrise erreichte im vergangenen Sommer einen Höhepunkt. Die Finanzmärkte begannen, ein mögliches Auseinanderbrechen zu antizipieren, und die Risikoaufschläge erreichten untragbare Höhen. Als letztes Mittel unterstützte Kanzlerin Merkel den Präsidenten der Europäischen Zentralbank, Mario Draghi, gegen ihren eigenen Kandidaten, Jens Weidmann. Draghi zeigte sich der Lage gewachsen. Er erklärte, die EZB würde tun, „was immer erforderlich ist“, um den Euro zu schützen, und stellte dies durch Einführung der sogenannten Offenmarktgeschäfte unter Beweis. Die Finanzmärkte waren beruhigt und begannen eine gewaltige Erholungsrally. Aber der Jubel war verfrüht. Sobald der Druck der Finanzmärkte nachließ, begann Deutschland, die Versprechen, die es auf dem Höhepunkt der Krise gemacht hatte, abzuschwächen.
Bei der Rettung Zyperns ist Deutschland zu weit gegangen. Um die Kosten der Rettungsaktion zu minimieren, beharrte es auf der Beteiligung der Einleger. Dies war verfrüht. Nach Einrichtung einer Bankenunion und der Rekapitalisierung der Banken wäre es vielleicht eine gesunde Entwicklung gewesen. Doch es erfolgte zu einer Zeit, in der sich das Bankensystem in nationale Silostrukturen zurückzog und noch sehr anfällig war. Was in Zypern passierte, untergrub das Geschäftsmodell der europäischen Banken, das in hohem Maße auf Einlagen beruht. Bisher hatten die Behörden keine Mühe gescheut, die Einleger zu schützen. Zypern hat das geändert. Die Aufmerksamkeit konzentriert sich derzeit auf die Auswirkungen der Rettung auf Zypern, doch viel wichtiger sind die Auswirkungen auf das Bankensystem. Die Banken werden künftig Risikoaufschläge bezahlen müssen, die schwächere Banken und Banken schwächerer Länder sehr viel stärker treffen werden. Die tückische Verbindung zwischen den Kosten von Staatsverschuldung und Bankenschulden wird gestärkt. Das Wettbewerbsumfeld wird jetzt noch ungleicher als bisher.
Kanzlerin Merkel hätte die Eurokrise gern bis mindestens nach den Wahlen auf Eis gelegt, doch diese ist mit aller Kraft zurück. Der deutschen Öffentlichkeit mag dies nicht bewusst sein, weil Zypern ein enormer politischer Sieg für Merkel war. Kein Land wird es wagen, ihren Willen herauszufordern. Zudem ist Deutschland von der sich vertiefenden Depression, die die Eurozone umfasst, bisher relativ wenig betroffen. Ich erwarte freilich, dass Deutschland bis zum Wahltag ebenfalls in der Rezession stecken wird. Der Grund dafür ist, dass die von der Eurozone verfolgte Geldpolitik nicht mit der der anderen wichtigen Währungen im Einklang steht. Die anderen betreiben eine quantitative Lockerung. Die Bank von Japan war die letzte Bastion, aber sie hat kürzlich die Seiten gewechselt. Ein schwächerer Yen wird im Verbund mit der Schwäche in Europa die deutschen Exporte zwangsläufig beeinträchtigen.
Falls meine Analyse korrekt ist, bietet sich eine einfache Lösung an. Sie lässt sich in einem Wort zusammenfassen: Eurobonds.
Eurobonds sind gesamtschuldnerische Verpflichtungen aller Mitgliedsstaaten. Würde man jenen Ländern, die den Fiskalpakt einhalten, gestatten, alle ihre bestehenden Staatsanleihen in Eurobonds umzuwandeln, wäre die positive Wirkung kaum weniger als wunderbar. Die Gefahr von Zahlungsausfällen würde verschwinden, und dasselbe gilt für die Risikoaufschläge. Die Bilanzen der Banken würden einen unmittelbaren Schub erhalten, und Gleiches gilt für die Haushalte der schwer verschuldeten Länder, weil es diese weniger kosten würde, ihre bestehenden Staatsanleihen zu bedienen. Italien etwa würde bis zu vier Prozent seines BIP sparen. Es hätte damit einen Haushaltsüberschuss, und statt eine Austeritätspolitik zu verfolgen, könnte die Regierung steuerliche Impulse setzen. Die Konjunktur würde anziehen und die Schuldenquote würde sinken. Die meisten der scheinbar unlösbaren Probleme würden sich in Luft auflösen. Nur die Unterschiede bei der Wettbewerbsfähigkeit blieben ungelöst. Einzelne Länder würden immer noch Strukturreformen benötigen, aber der wichtigste strukturelle Defekt des Euro wäre behoben. Es wäre wahrhaftig, als würde man aus einem Alptraum erwachen.
Der Fiskalpakt bietet angemessene Sicherheiten gegen die mit einer gesamtschuldnerischen Verpflichtung verknüpften Risiken. Die Mitgliedsländer dürften im Rahmen des Fiskalpakts neue Anleihen und Schatzwechsel nur zu dem Zweck ausgeben, fällig werdende Papiere zu ersetzen, mehr jedoch nicht, und nach fünf Jahren hätte man die ausstehenden Verbindlichkeiten allmählich auf 60% vom BIP zurückgeführt. Bei Regelverstößen eines Landes würde es durch Beschränkung der Menge der Eurobonds, die es ausgeben dürfte, bestraft; es müsste den Rest dann in eigenem Namen aufnehmen und hohe Risikoaufschläge zahlen.
Deutschland lehnt Eurobonds mit der Begründung ab, dass sich, wenn diese erst einmal eingeführt sind, nicht gewährleisten lasse, dass die sogenannten Peripherieländer die Regeln nicht erneut brächen. Ich halte diese Befürchtungen für verfehlt. Der Verlust des Privilegs der Ausgabe von Eurobonds und die Verpflichtung zur Zahlung hoher Risikoaufschläge wären ein starker Anreiz, die Regeln einzuhalten. Tatsächlich wäre diese Strafe so schmerzhaft, dass die Regeln nur kleine Dosen davon vorsehen dürften, um die Finanzlage des verstoßenden Landes nicht zu abrupt zu verschlimmern. Zugleich würde eine hierfür zuständige Fiskalbehörde strengere Kontrollen ausüben, und Ungehorsam würde durch weitere Verringerungen der Menge an Eurobonds, die ausgegeben werden dürften, bestraft. Keine Regierung könnte diesem Druck widerstehen.
Es gibt außerdem weit verbreitete Befürchtungen, dass Eurobonds Deutschlands Kreditrating ruinieren würden. Eurobonds werden häufig mit dem Marshallplan verglichen. Dabei wird argumentiert, dass der Marshallplan Amerikas BIP nur ein paar Prozentpunkte kostete, während Eurobonds das deutsche BIP ein Vielfaches kosten würden. Hier werden Äpfel mit Birnen verglichen. Der Marshallplan war eine echte Ausgabe, während Eurobonds eine Garantie umfassen würden, die nie in Anspruch genommen werden wird. Die Kosten, die Deutschland bei einer Zustimmung zu Eurobonds entstünden, werden stark übertrieben.
Garantien haben eine merkwürdige Eigenschaft: Je überzeugender sie sind, desto unwahrscheinlicher ist, dass sie in Anspruch genommen werden. Die USA mussten die bei der Umwandlung der Schulden der Einzelstaaten in US-Bundesobligationen übernommen Verbindlichkeiten nie zurückzahlen. Deutschland war bisher nur bereit, das Minimum zu tun; dies ist der Grund, warum es seine Verpflichtungen immer weiter erhöhen musste und warum ihm tatsächliche Verluste entstehen. Der durch eine gut funktionierende Fiskalbehörde gestützte Fiskalpakt würde das Ausfallrisiko praktisch eliminieren. Eurobonds würden im Vergleich zu den Anleihen der USA, Großbritanniens und Japans an den Finanzmärkten gut dastehen. Zwar müsste Deutschland höhere Zinsen auf seine eigenen Schulden zahlen als heute, doch sind die außergewöhnlich niedrigen Renditen von Bundesanleihen ein Symptom der Krankheit, die die Peripherie heimsucht. Der indirekte Nutzen, den Deutschland aus der Erholung der Peripherie zöge, würde die zusätzlichen Kosten, die ihm in Bezug auf seine eigene Staatsschuld entstünden, deutlich überwiegen.
Eurobonds sind sicher kein Allheilmittel. Erstens ist der Fiskalpakt selbst ein schlecht konzipiertes Instrument. Die Einführung von Eurobonds würde der Eurozone einen Schub geben, aber das reicht möglicherweise nicht aus. In diesem Fall wären weitere fiskal- und geldpolitische Impulse nötig. Doch das wäre ein Luxusproblem.
Zweitens braucht die Europäische Union zusätzlich eine Bankenunion und letztlich eine politische Union. Die Rettung Zyperns hat diese Notwendigkeiten verschärft, indem sie das Geschäftsmodell der europäischen Banken, das in starkem Maße auf Einlagen beruht, infrage gestellt hat.
Das wesentliche Manko von Eurobonds ist, dass sie die Unterschiede bei der Wettbewerbsfähigkeit nicht beseitigen würden. Einzelne Länder müssten nach wie vor Strukturreformen durchführen. Diejenigen, die das nicht täten, würden sich dauerhaft in Inseln der Armut und der Abhängigkeit verwandeln, ähnlich jenen, die in vielen reichen Ländern fortbestehen. Sie würden anhand begrenzter Unterstützung durch europäische Strukturfonds und durch Geldsendungen überleben. Doch wenn Deutschland Eurobonds akzeptierte, würde das die politische Atmosphäre völlig verändern und die zusätzlich erforderlichen Strukturreformen erleichtern.
Es bleibt die Tatsache, dass eine große Mehrheit der deutschen Öffentlichkeit Eurobonds entschieden ablehnt. Seit dem Veto von Bundeskanzlerin Merkel gegen Eurobonds wurden die Argumente, die ich hier vorgetragen habe, noch nicht einmal in Betracht gezogen. Die Leute erkennen nicht, dass die Zustimmung zu Eurobonds viel weniger kosten würde, als nur das Minimum zur Bewahrung des Euro zu tun.
Es liegt bei Deutschland, ob es bereit ist, Eurobonds zu autorisieren oder nicht. Doch hat Deutschland kein Recht, die schwer verschuldeten Länder zu hindern, ihrem Elend zu entgehen, indem sie sich zusammentun und Eurobonds ausgeben. Anders ausgedrückt: Falls Deutschland keine Eurobonds will, sollte es in Betracht ziehen, den Euro zu verlassen, und die anderen Länder Eurobonds einführen lassen.
Dabei würde ein überraschendes Ergebnis herauskommen: Von einer Eurozone ohne Deutschland ausgegebene Eurobonds würden im Vergleich zu denen der USA, Großbritanniens und Japans immer noch gut dastehen. Die Nettoverschuldung dieser drei Länder als Anteil ihres BIP ist tatsächlich höher als die der Eurozone ohne Deutschland.
Dieses überraschende Ergebnis lässt sich erklären, indem man die Folgen eines deutschen Ausstiegs aus dem Euro mit dem eines schwer verschuldeten Landes wie Italiens vergleicht.
Da alle bestehenden Schulden auf Euro lauten, ist entscheidend, welches Land beim Euro bestimmend bleibt. Bei einem Ausstieg Deutschlands würde der Euro abwerten. Die Schuldnerländer würden ihre Wettbewerbsfähigkeit zurückgewinnen. Ihre Schulden würden sich real verringern, und mit der Ausgabe von Eurobonds würde die Gefahr von Zahlungsausfällen verschwinden. Die Schuldenstände dieser Länder wären damit plötzlich zu bewältigen. Die größten Lasten der Anpassung würden auf die Länder entfallen, die den Euro verlassen. Ihre Exporte würden an Wettbewerbsfähigkeit verlieren, und sie würden auf ihren Heimatmärkten auf starke Konkurrenz aus dem Euroraum treffen. Sie müssten zudem Verluste bei ihren auf Euro lautenden Forderungen und Kapitalanlagen hinnehmen. Das Maß der Verluste würde vom Maß der Abwertung abhängen; daher hätten sie ein Interesse daran, die Abwertung in Grenzen zu halten. Nach anfänglichen Verzerrungen würde das letztliche Ergebnis John Maynard Keynes’ Traum von einem internationalen Währungssystem erfüllen, in dem Gläubiger und Schuldner die Verantwortung für die Wahrung von Stabilität gemeinsam wahrnehmen. Und Europa würde der sich abzeichnenden Depression entgehen.
Wenn im Gegensatz dazu Italien den Euro verließe, würde seine auf Euro lautende Schuldenlast untragbar, und Italien müsste restrukturiert werden. Dies würde das übrige Europa und die restliche Welt in eine Finanzkrise stürzen, deren Beherrschung die Fähigkeiten der Währungsbehörden durchaus übersteigen könnte. Der Zusammenbruch des Euro würde vermutlich zu einem ungeordneten Zerfall der Europäischen Union führen, und Europa stünde dann schlechter da als zu Beginn des noblen Experiments der Schaffung einer Europäischen Union.
Offensichtlich wäre ein Ausstieg Deutschlands besser als ein Ausstieg Italiens, und genauso offensichtlich wäre es besser, wenn Deutschland Eurobonds zustimmen würde als wenn es aus dem Euro ausstiege. Das Problem ist, dass Deutschland bisher nicht vor diese Wahl gestellt wurde und dass es über eine weitere Alternative verfügt: Es kann an seinem aktuellen Kurs festhalten und immer das Mindestmaß tun, um den Euro zu bewahren, aber nicht mehr.
Wenn meine Analyse richtig ist, dann ist das nicht die beste Alternative für Deutschland, außer in einem sehr kurzfristigen Rahmen. Die Lage verschlechtert sich und wird irgendwann unhaltbar werden. Je länger dies dauert, desto größer der Schaden. Trotzdem ist es Deutschlands bevorzugte Alternative, zumindest bis nach den Wahlen.
Es spricht viel dafür, dass Deutschland eine endgültige Entscheidung treffen sollte, ob es Eurobonds zustimmt oder den Euro verlässt. Dies aufzuzeigen ist der Grund meines Hierseins.
Ich habe lange und schwer darüber nachgedacht, ob ich meine Argumente jetzt vorlegen oder bis nach den Wahlen warten sollte. Letztlich entschied ich mich, es jetzt zu tun, und zwar aus zwei Gründen. Erstens haben Ereignisse eine Eigendynamik, und es ist wahrscheinlich, dass sich die Krise noch vor den Wahlen verschärft. Die Rettung Zyperns hat mir Recht gegeben. Zweitens unterscheidet sich meine Interpretation der Ereignisse von der in Deutschland vorherrschenden so radikal, dass es seine Zeit dauern wird, bis sie richtig angekommen ist, und je eher ich sie vorlege, desto besser.
Lassen Sie mich meine Argumentation zusammenfassen. Ich behaupte, dass Europa besser bedient wäre, wenn sich Deutschland zwischen Eurobonds und Ausstieg entscheiden würde, als wenn es seinen bisherigen Kurs, das Minimum zu tun, um den Euro zusammenzuhalten, weiterverfolgt. Dies gilt, egal ob Deutschland Eurobonds zustimmt oder sich zum Euroausstieg entschließt, und es gilt nicht nur für Europa, sondern auch für Deutschland, außer im sehr kurzfristigen Rahmen.
Welche der beiden Alternativen für Deutschland besser ist, ist nicht so eindeutig. Nur die deutschen Wähler sind qualifiziert, das zu entscheiden. Würde man heute ein Referendum veranstalten, würden die Euroskeptiker zweifellos gewinnen. Intensiveres Nachdenken könnte dazu führen, dass die Menschen ihre Meinung ändern. Sie würden entdecken, dass die Kosten der Autorisierung von Eurobonds für Deutschland stark übertrieben und die Kosten eines Euroausstiegs untertrieben wurden.
Meine eigene Sicht ist folgende: Meine Erstpräferenz sind Eurobonds, meine Zweitpräferenz, dass Deutschland den Euro verlässt. Beides ist unendlich viel besser, als sich nicht zu entscheiden und die Krise zu perpetuieren. Am schlimmsten wäre es, wenn ein Schuldnerland wie Italien den Euro verlassen würde, denn das würde zu einer ungeordneten Auflösung der Europäischen Union führen.
Ich habe hier einige überraschende Behauptungen aufgestellt, insbesondere darüber, wie gut Eurobonds auch ohne Deutschland funktionieren könnten. Meine proeuropäischen Freunde können dies einfach nicht glauben. Sie können sich einen Euro ohne Deutschland nicht vorstellen. Ich glaube, sie setzen den Euro mit der Europäischen Union gleich. Die beiden sind nicht dasselbe. Die Europäische Union ist das Ziel, und der Euro ein Mittel zum Zweck. Daher sollte man nicht zulassen, dass der Euro die Europäische Union zerstört.
Aber vielleicht bin ich zu rational in meiner Analyse. Die Europäische Union ist mit dem Euro nicht nur in der öffentlichen Vorstellung verschmolzen, sondern auch rechtlich. Infolgedessen wird die Europäische Union einen Ausstieg Deutschlands aus dem Euro möglicherweise nicht überstehen. In diesem Fall müssen wir alles in unserer Macht Stehende tun, um die deutsche Öffentlichkeit zu überzeugen, einige ihrer eingefleischtesten Vorurteile und Fehlvorstellungen aufzugeben und Eurobonds zu akzeptieren.
Ich möchte schließen, indem ich betone, wie wichtig die Europäische Union ist – nicht nur für Europa, sondern für die Welt. Die EU war als die Verkörperung der Prinzipien einer offenen Gesellschaft gedacht. Dies bedeutet, dass vollkommenes Wissen unerreichbar ist. Niemand ist frei von Vorurteilen und falschen Vorstellungen, und man sollte niemandem eine Schuld für gemachte Fehler zuweisen. Schuld beginnt erst, wenn ein Fehler oder eine falsche Vorstellung erkannt, aber nicht berichtigt wird. Dies wäre ein Betrug an den Grundsätzen, auf denen die Europäische Union errichtet wurde. In diesem Geist sollte Deutschland Eurobonds zustimmen und die Europäische Union retten.