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Könnte der Krieg zwischen Israel und der Hamas zum Frieden führen?

WASHINGTON, D.C.: Der mörderische Überfall der Hamas auf den Süden Israels am 7. Oktober hat eine neue Runde schrecklichen Blutvergießens im Nahen Osten ausgelöst. Selbst wenn Israels in Reaktion auf die Gräueltaten eingeleitete militärische Kampagne die Hamas erfolgreich unschädlich macht, wird sie in Gaza eine gebeutelte, leidende und wütende Bevölkerung hinterlassen. Darüber hinaus wird der Krieg Israels Beziehungen zur breiteren palästinensischen Gemeinschaft und ihren arabischen Brüdern in der Region beschädigen. Die Scherben aufzukehren wird einige Zeit dauern.

Es ist schwer, in diesem schrecklichen Gewaltausbruch einen Silberstreif zu erkennen. Dennoch lohnt die Überlegung, ob der durch den Krieg verursachte Schock den scheinbar unlösbaren israelisch-palästinensischen Konflikt in Richtung einer letztlichen Lösung drängen könnte. Könnte diese Tragödie, die Israelis wie Palästinenser zum Blick in den Abgrund gezwungen hat, ein Wendepunkt sein, der den Weg zu einem dauerhaften Frieden ebnet?

Diese Möglichkeit ernst zu nehmen und ganz allgemein über den Horizont hinauszublicken ist kein bloßes Wunschdenken. Zu erforschen, wie der aktuelle Flächenbrand die Bühne für einen Frieden bereiten könnte, kann Israelis, Palästinensern und der internationalen Gemeinschaft eine Roadmap bieten, der sie folgen können, wenn sich der Staub erst einmal gelegt hat.

Umfang und Intensität des Konflikts könnten Israelis wie Palästinensern verdeutlichen, dass sie den Zyklus der Gewalt, die die Region seit Jahrzehnten heimsucht, durchbrechen müssen. Allerdings haben frühere Ausbrüche von Gefechten die Haltungen auf beiden Seiten im Laufe der Zeit verhärtet, und das aus nachvollziehbaren Gründen.

Die Israelis haben auf die sporadischen Angriffe von palästinensischer Seite tendenziell mit Vergeltungsmaßnahmen reagiert und strenge Beschränkungen für das palästinensische Volk verhängt – ein Ansatz, der sich zum Teil aus Israels früherer Geschichte in Gaza entwickelt hat. Als sich Israel 2005 aus dem Gazastreifen zurückzog, ebnete es damit nur den Weg für die Machtübernahme der Hamas und den Beginn einer Serie von Angriffen. Im Verbund mit fortgesetzten Gewaltakten der Palästinenser im Westjordanland hat diese Erfahrung viele Israelis überzeugt, dass auf die Rückgabe weiterer Gebiete abzielende Friedensbemühungen töricht wären und dass die Aufrechterhaltung des Status quo eine viel sicherere Alternative darstellt.

Das Problem ist, dass der Status quo – die Besetzung des Westjordanlandes und die Einschnürung von Gaza – für die Palästinenser, die Israels Mischung aus Repression und diplomatischer Unnachgiebigkeit als Kriegsgrund betrachten, unerträglich und inakzeptabel ist. Viele Palästinenser sind überzeugt, dass aktiver Widerstand einschließlich von Gewalt der einzige Weg ist, um den Israelis zu verdeutlichen, dass ihr komfortabler Status quo so komfortabel nicht ist.

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Infolgedessen kämpfen die Palästinenser weiter, und die Israelis reagieren, indem sie ihren Griff verstärken. Jede Seite gibt der anderen die Schuld, und der Zyklus der Gewalt geht weiter.

Das Ende der Selbstgefälligkeit

Diesmal jedoch könnte es anders sein. Die Israelis sind fassungslos über das Versagen der vielgerühmten nationalen Sicherheitseinrichtungen ihres Landes. Militärische Überlegenheit, Abschreckungsdrohungen, allgegenwärtige Überwachung, Zäune, Mauern und Kontrollpunkte: Diese Säulen der israelischen Verteidigungspolitik konnten nicht verhindern, dass die Hamas am 7. Oktober mehr als 1400 Menschen abschlachtete. Es muss sich etwas ändern.

Gleiches gilt für die Palästinenser. Der nihilistische Terror der Hamas hat nur Tod und Zerstörung über Gaza gebracht und die Notwendigkeit eines Kurswechsels verdeutlicht. Tatsächlich waren viele Bewohner von Gaza schon vor dem aktuellen Gewaltausbruch bereit für eine Alternative zum Extremismus der Hamas.

Eine wenige Tage vor dem Angriff durchgeführte Meinungsumfrage zeigte, dass 67 % der Bevölkerung von Gaza wenig oder gar kein Vertrauen in die von der Hamas geführte Regierung hatten. Darüber hinaus wählten nur 27 % der Bevölkerung die Hamas als ihre bevorzugte Partei, und sogar noch weniger – nur 20 % – unterstützten den Aufruf der Hamas zur Zerstörung Israels. Die große Mehrheit der Menschen in Gaza bevorzugte eine friedliche Lösung des Konflikts, wobei mehr als 50 % eine Zweistaatenlösung befürworteten.

Wenn die derzeitige Kriegsrunde zugleich politische Veränderungen in Gaza, im Westjordanland und in Israel bewirkt, könnte sie zu einem gegenseitigen Erwachen führen und nicht bloß zu einer weiteren Wende im fortdauernden Zyklus der Gewalt. In Gaza dürfte es infolge der israelischen Kampagne zu ihrer Zerschlagung und der wachsenden Unzufriedenheit unter der lokalen Bevölkerung mit der Herrschaft der Hamas vorbei sein.

Im Westjordanland taumelt die sklerotische Palästinensische Autonomiebehörde – die von den Bewohnern sowohl des Westjordanlands als auch von Gaza als korrupt und ineffektiv angesehen wird – weitgehend ohne öffentliche Unterstützung weiter vor sich hin. Obwohl er 2005 für eine vierjährige Amtszeit gewählt wurde, bleibt Präsident Mahmud Abbas im Amt; Präsidentschaftswahlen wurden seitdem nicht mehr abgehalten. Etwa 80 % der Palästinenser glauben, dass der 87-jährige Präsident zurücktreten sollte. Offensichtlich hat die Führungsriege der PA ihr Verfallsdatum längst überschritten.

In Israel ist die politische Karriere von Premierminister Benjamin Netanjahu wahrscheinlich ebenfalls vorbei. Der tödlichste Tag in der Geschichte des Landes ereignete sich während seiner Amtszeit – ein verheerender Schlag für einen Politiker, dessen Marke auf der Idee aufgebaut war, dass nur seine Führung den Israelis Sicherheit bieten könne. Es hilft auch nicht, dass die Justizreformen, die seine Regierung vor Kriegsausbruch verfolgt hatte, lähmende Zwietracht in der israelischen Gesellschaft hervorbrachten. Netanjahus Umfragewerte sind im Sturzflug begriffen, während er die Schuld für die aktuelle Krise von sich abzuwälzen sucht und die Vorwürfe zunehmen, seine spaltende Führung habe die Bühne für das schwere Sicherheitsversagen vom 7. Oktober bereitet.

Sicherlich könnte die Aussicht auf einen gleichzeitigen Regierungswechsel in Gaza, dem Westjordanland und Israel zu einer längeren Phase der Unsicherheit führen und noch radikalere Kräfte stärken. Doch könnte sie auch eine neue Generation israelischer und palästinensischer Führer an die Macht bringen, die eher bereit ist, dem Frieden eine Chance zu geben.

Auftritt China

Die jüngste Kriegsrunde zwischen Israel und der Hamas hat Auswirkungen über den Nahen Osten hinaus, was genau der Grund ist, warum sich die USA und die breitere internationale Gemeinschaft derzeit in intensiver Diplomatie üben. Mit Blick auf die Zukunft sollte die internationale Gemeinschaft ihr zunehmendes Engagement in der Region nutzen, um einen Friedensprozess wiederzubeleben, der faktisch zum Erliegen gekommen ist.

Trotz höflicher Verweise auf die Notwendigkeit einer Zweistaatenlösung haben amerikanische Diplomaten fast nichts unternommen, um ihren Worten Taten folgen zu lassen. Nun aber ist der israelisch-palästinensische Konflikt komplett in den Mittelpunkt gerückt: US-Präsident Joe Bidenfliegt ins kriegsgeplagte Tel Aviv statt ins kriegsgeplagte Kiew. Wenn das aktuelle Blutvergießen vorbei ist, müssen die amerikanischen Politiker diese Gelegenheit nutzen, um Verhandlungen voranzutreiben.

Die USA werden dabei erhebliche Hilfe benötigen. Das liegt insbesondere daran, dass sich das diplomatische Schachbrett im Nahen Osten, hauptsächlich aufgrund der Ankunft Chinas auf der Bildfläche, verschoben hat. Allein 2023 vermittelte China die Normalisierung der Beziehungen zwischen Saudi-Arabien und dem Iran, empfing Abbas in Peking zu Gesprächen über den Friedensprozess und vertiefte die Beziehungen zu Saudi-Arabien, den Vereinigten Arabischen Emiraten und anderen Golfmonarchien.

Der Krieg zwischen Israel und der Hamas hat eine Gelegenheit für die USA und China geschaffen, zusammenzuarbeiten, um die Friedensaussichten im Nahen Osten – ein Thema, das während des Besuchs des chinesischen Außenministers Wang Yi im Oktober in Washington weit oben auf der Tagesordnung stand – voranzutreiben. Da beide Länder interessiert scheinen, Wege zur Eindämmung der sich verschärfenden geopolitischen Rivalität zwischen ihnen zu finden, wäre eine Zusammenarbeit zur Förderung des Friedens zwischen Israelis und Palästinensern ein guter Anfang.

Das diplomatische Engagement Chinas könnte insbesondere wichtig sein, um den Iran zu zügeln, der im Nahen Osten ein gefährlicher Puppenspieler bleibt und der Hamas, der Hisbollah und anderen extremistischen Gruppen Geld und Waffen zur Verfügung stellt. China ist größter Handelspartner des Iran, was der chinesischen Regierung erheblichen Einfluss auf die Islamische Republik verleiht. Der isolierte Iran seinerseits betrachtet China als seinen diplomatischen Rettungsanker.

Vor dem Hintergrund der Gräueltaten der Hamas und der durch die israelischen Vergeltungsmaßnahmen angerichteten Verheerungen scheint eine Friedensregelung in weiter Ferne zu liegen. Aber niemand hätte sich inmitten des Schocks des Jom-Kippur-Krieges von 1973 vorstellen können, dass Israel und Ägypten sechs Jahre später einen Friedensvertrag unterzeichnen würden. Kriege können zu neuen Anfängen führen, da sie die Kampfparteien mit harten Realitäten konfrontieren, die Lösungen erfordern.

Für Israelis und Palästinenser besteht die harte Realität darin, dass zwischen Jordan und Mittelmeer rund sieben Millionen israelische Juden und sieben Millionen Palästinenser leben, wobei Letztere dabei sind, eine Bevölkerungsmehrheit zu erlangen. Unter diesen Umständen ist eine Einstaatenlösung ein Ding der Unmöglichkeit. Die Israelis werden niemals zulassen, dass ihr Land von einer palästinensischen Mehrheit regiert wird. Zugleich kann Israel nicht dauerhaft über Millionen von Palästinensern herrschen, die in einem Schwebezustand der Staatenlosigkeit leben.

Der einzige Weg zum Frieden ist eine Zweistaatenlösung, in der Israelis und Palästinenser sicher nebeneinander leben. Der Schock dieses Krieges könnte beide Seiten dazu bringen, diese Realität anzuerkennen.

Aus dem Englischen von Jan Doolan

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