m125c Barrie Maguire

Die Rolle des Staates

WASHINGTON – Die Finanzkrise von 2008 hat eine globale Debatte darüber ausgelöst, wie viel staatliche Regulierung die Märkte brauchen und welcher Art. In den Vereinigten Staaten ist dies ein Schlüsselthema der bevorstehenden Präsidentschaftswahlen, das die Politik in Europa und in den Schwellenländern ebenso bestimmt.

Da wäre zunächst China, dessen beachtliche Wachstumsleistung der vergangenen drei Jahrzehnte der Welt ein gutes Beispiel für erfolgreichen „Staatskapitalismus“ gegeben hat. Brasiliens Entwicklungspolitik hat dem Staat ebenfalls eine starke Rolle zugedacht.

Fragen bezüglich der Größe des Staats und der nachhaltigen Rolle der Regierung stehen auch im Zentrum der Debatte über das Schicksal der Eurozone. Viele Kritiker Europas, besonders aus den USA, verknüpfen die Eurokrise mit der übermächtigen Rolle des Staates, obwohl es den skandinavischen Ländern trotz hoher öffentlicher Ausgaben gut geht. In Frankreich steht die neue Mitte-Links-Regierung vor der Herausforderung, ihr Versprechen, die soziale Solidarität zu stärken und gleichzeitig das Haushaltsdefizit zu verringern, auch einzulösen.

Mit den meist wirtschaftlichen Argumenten über die Rolle der Regierung gehen eine weit verbreitete Desillusionierung gegenüber der Politik in den meisten Ländern und eine wachsende Distanz zwischen Bürgern und Regierung (besonders der nationalen Regierung) einher. In vielen Ländern sinkt die Wahlbeteiligung an den nationalen Wahlen, und neue Parteien und Bewegungen, wie die Piratenpartei in Deutschland und die Fünf-Sterne-Bewegung in Italien, sind Ausdruck einer großen Unzufriedenheit mit den derzeitigen Regierungen.

In den USA liegt die Zufriedenheit mit dem Kongress bei dem Rekordtief von 14 Prozent. Viele dort, wie mein Kollege Bruce Katz an der Brookings Institution, glauben, die einzige Lösung wäre, einen größeren Anteil der Regierungs- und Politikimpulse auf die Ebene von Bundesstaaten und Kommunen zu bringen, in enger Zusammenarbeit mit dem privaten Sektor und der Zivilgesellschaft.

Aber auch der Ansatz kann einen Haken haben. Nehmen wir Spanien, dort hat zu viel steuerliche Dezentralisierung dazu geführt, dass die regionalen Regierungen erheblich zur Schwächung der eigentlich starken Staatsfinanzen beitrugen.

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Ein wesentliches Problem dieser globalen Debatte ist, dass sie trotz der Realität der Technologie und Globalisierung des einundzwanzigsten Jahrhunderts immer noch geführt wird, als wären Regierung und Politik fast ausschließlich Sache des Nationalstaats. Um die Debatte an die wirklichen Herausforderungen anzupassen, müssten wir uns auf vier Ebenen der Regierung konzentrieren und ihnen jeweils die geeignetsten politischen Funktionen zuteilen.

Zuerst können viele politische Maßnahmen – wie die Aufrechterhaltung der lokalen Infrastruktur, Flächennutzung, Unterstützung industrieller Produktion und Bildung, Verordnungen im Verkehrswesen und Umweltregulierungen – auf lokaler oder städtischer Ebene festgelegt werden und so die spezifische Situation der lokalen Wählerschaft berücksichtigen.

Natürlich wird die Verteidigungs- und Außenpolitik weiterhin auf der zweiten Ebene stattfinden, der des Nationalstaats. Die meisten Nationalstaaten haben nationale Währungen und müssen daher eine Steuer- und Wirtschaftspolitik im Sinne einer Unterstützung der Währungsunion betreiben. Wie uns die Krise der Eurozone nur zu deutlich in Erinnerung rief, darf die Dezentralisierung nicht zu weit in die Haushaltssphäre eindringen, da sie sonst das Überleben der Gemeinschaftswährung bedroht.

Das US-System ist überschaubar, weil die US-amerikanischen Bundesstaaten größtenteils darauf beschränkt sind, ausgeglichene Haushalte zu überwachen, während die Bundesregierung für die Steuerpolitik zuständig ist. Darüber hinaus sind Bankenregulierung und Einlagenversicherung in den USA zentralisiert, wie es in einer Währungsunion notwendig ist. Die Eurozone hat dies endlich auch eingesehen.

Die staatliche Führung auf Nationalstaatebene bleibt also überaus wichtig und ist eng an die Währungssouveränität geknüpft. Das größte Problem in Europa heute ist die Frage, ob die Mitglieder der Eurozone sich an etwas annähern können, das einem nationalen Bundesstaat gleicht. Tun sie dies nicht, ist es schwierig zu sehen, wie die Gemeinschaftswährung überleben soll.

Es gibt noch eine dritte, regionale oder kontinentale Ebene der Regierungsführung, die in der Europäischen Union am weitesten vorangeschritten ist (und in Lateinamerika, Afrika und Asien getestet wird). Diese Ebene kann sehr nützlich sein. Zollunion, Freihandelsregionen oder ein Einheitsmarkt wie in Europa, erlauben eine größere Mobilität von Waren und Dienstleistungen, was auch den Vorteil hat, dass Skaleneffekte genutzt werden können, was die verbleibenden Handelsbeschränkungen auf globaler Ebene nicht erlauben. Europas grenzenloses Schengengebiet ist ein weiteres Beispiel für eine regionale, staatsübergreifende Regierung. Auch Infrastrukturfragen können am besten auf kontinentaler Ebene angegangen werden.

Und schließlich wäre da noch die globale Ebene. Die Ausbreitung von Infektionskrankheiten, der globale Handel und die globale Finanzen sowie die Cybersicherheit sind nur einige der Themen, die eine breite internationale Kooperation und globale Regierung benötigen.

In der heutigen, von gegenseitigen Abhängigkeiten geprägten Welt sollten die Größe und Funktionen des Staates sowie die Legitimität der öffentlichen Entscheidungsfindung unter viel stärkerer Berücksichtigung der vier Regierungsebenen durchgeführt werden. Die Ebenen werden sich oft überschneiden (Themen wie Infrastruktur und saubere Energie, zum Beispiel), aber die Demokratie würde gestärkt, wenn diese Themen auch mit den Ebenen verbunden würden, auf denen die Entscheidungsfindung am einfachsten ist.

Wie Pascal Lamy, der Direktor der Welthandelsorganisation es ausdrückte, ist es nicht nur das „Lokale“, das ins Verhältnis zum „Globalen“ gesetzt werden muss, sondern die inhärent „lokale“ politische Sphäre muss den globalen oder regionalen Kontext internalisieren. Das ist eine große Herausforderung für Politiker und Kommunikation, aber, wenn sie nicht bewältigt wird, wird es schwierig sein, Demokratie und Globalisierung miteinander zu verbinden. Zu den großen Herausforderungen der kommenden Jahrzehnte wird die Frage gehören, wie die demokratische Debatte in Bezug auf diese lokale, nationale, kontinentale und globale Ebene zu führen ist und wie ein politischer Raum entstehen kann, der den wirtschaftlichen und sozialen Raum besser spiegelt.

Aus dem Englischen von Eva Göllner-Breust

https://prosyn.org/oMQAR3Tde