Fairerweise sei angemerkt, dass Harris in ihrem Grundsatzprogramm das Haushaltsdefizit anspricht und es auch während der Debatte zweimal thematisierte, wobei sie argumentierte, dass die Steuerpläne des ehemaligen Präsidenten Donald Trump das Defizit noch vergrößern würden und ihre Politik in fiskalischer Hinsicht verantwortungsvoller sei. Aber abgesehen von der einen oder anderen kurzen Erwähnung lässt sich keiner der Kandidaten auf eine ernsthafte Diskussion über den katastrophalen haushaltspolitischen Kurs des Landes ein.
Amerikas Verschuldung befindet sich auf einem gefährlichen Kurs, und Schweigen ist keine Lösung. In den 1980er und 1990er Jahren lag die Schuldenquote der USA bei etwa 39 Prozent des BIP; bis 2010 hatte sie 60,6 Prozent erreicht. Das überparteiliche Congressional Budget Office (CBO) prognostiziert, dass die Staatsverschuldung über die nächsten Jahrzehnte stetig anwachsen wird, wobei sie bis 2025 dem Gesamtwert der Wirtschaftsleistung entsprechen wird und bis 2034 auf 122,4 Prozent des BIP weiter ansteigen soll.
Manche mögen argumentieren, dass es sich um irreführende Buchhaltung oder eine politisch motivierte Wirtschaftsanalyse handelt, wenn man die Schuld für das strukturelle Defizit entweder der Ausgaben- oder der Einnahmenseite zuweist, da dieses Defizit ja eine Differenz darstellt (Einnahmen minus Ausgaben). Ich bin anderer Meinung. Amerikas fiskalisches Ungleichgewicht wird nicht durch zu geringe Steuereinnahmen, sondern durch zu hohe Staatsausgaben verursacht.
Zwischen 1974 und 2023 lagen die Steuereinnahmen im Durchschnitt bei 17,3 Prozent des BIP, während die Staatsausgaben im gleichen Zeitraum durchschnittlich 21 Prozent des BIP betrugen. Bis 2034 werden die Steuereinnahmen laut Prognose des Congressional Budget Office (CBO) mit 18 Prozent des BIP leicht über diesem Durchschnitt liegen, die Staatsausgaben mit 24,9 Prozent des BIP jedoch deutlich höher. Die steigende Staatsverschuldung ist somit auf Ausgaben zurückzuführen, die voraussichtlich schneller wachsen werden als die Einnahmen.
Darüber hinaus werden in den nächsten zehn Jahren laut Prognosen nur drei Ausgabenkategorien einen Anstieg verzeichnen: Sozialversicherung, Medicare und Zinszahlungen für ausstehende Schulden (die in diesem Jahr voraussichtlich den Verteidigungshaushalt übersteigen werden). Die staatlichen Ausgaben für alles andere – von Militär und Bildung bis hin zu wissenschaftlicher Forschung und Nationalparks – sollen sinken. Um das Haushaltsproblem Amerikas in den Griff zu bekommen, sind daher drastische Kürzungen bei Sozialversicherung und Medicare erforderlich.
Natürlich würden höhere Steuereinnahmen das Defizit verringern. Aber selbst wenn man die Steuersenkungen des Jahres 2017 vollständig auslaufen ließe – eine Politik, die weder Trump noch Harris unterstützen – würde dies angesichts des prognostizierten Ausgabenanstiegs nicht ausreichen, um zu verhindern, dass die Verschuldung langfristig auf ein untragbares Niveau ansteigt. Laut Schuldenmodell des Committee for a Responsible Federal Budget würde eine vollständige Aufhebung der Steuersenkungen von 2017 in Verbindung mit der Besteuerung von Kapitalerträgen und Dividenden als gewöhnliches Einkommen die erwartete Schuldenquote im Jahr 2050 lediglich um vier Prozentpunkte von 155 auf 151 Prozent senken.
Da mehrere fiskalpolitisch bedeutsame Ereignisse bevorstehen, sollten Trump und Harris dazu angehalten werden, sich dieses Themas anzunehmen. Zunächst einmal werden viele Bestimmungen der Steuersenkungen von 2017 im nächsten Jahr auslaufen. Wie stehen die Kandidaten zu einer Reform des Steuerrechts angesichts der fiskalpolitischen Herausforderungen des Landes?
Der Sozialversicherungs-Treuhandfonds wird 2035 insolvent sein, und im darauffolgenden Jahr soll der Medicare-Treuhandfonds erschöpft sein. Die Einschätzungen der jeweiligen Treuhänder variieren zeitlich in Abhängigkeit von einer Vielzahl von Faktoren, aber das Geld könnte früher ausgehen als derzeit prognostiziert.
Sowohl Trump als auch Harris haben sich gegen Kürzungen bei der Sozialversicherung und Medicare ausgesprochen, aber keiner von beiden hat die naheliegenden Folgefragen beantwortet: Wie können solche Kürzungen angesichts der ständig steigenden Staatsverschuldung vermieden werden? Und warum wäre es besser, auf solche Kürzungen zu verzichten? Es ist durchaus denkbar, dass Harris, falls sie im November gewinnt und 2028 wiedergewählt wird, eine massive Umstrukturierung dieser Programme vornehmen wird, falls die Treuhandfonds während ihrer Amtszeit zusammenbrechen sollten. Daher ist es von entscheidender Bedeutung zu fragen, wie sie eine derartige Aufgabe in Angriff nehmen würde.
Die Staatsverschuldung ist eines der drängendsten Probleme, vor denen die USA stehen. Falls sie nicht eingedämmt wird, könnte dadurch eine Haushaltskrise ausgelöst werden, in deren Verlauf das schwindende Vertrauen der Investoren zu einem starken Anstieg der Zinssätze führen würde. Das hätte wiederum volatile Aktienmärkte und noch höhere Zinszahlungen für den Staat zur Folge. Ebenso könnte ein ausuferndes Defizit zu einem abrupten Anstieg der erwarteten Inflation führen, wodurch die US-Notenbank unter Druck geriete, die Zinssätze zu erhöhen.
Eine derartige Krise könnte in der Zukunft eintreten, doch die Verschuldung schadet der Wirtschaft bereits seit Jahrzehnten. Laut CBO senkt jeder Dollar, um den das Bundesdefizit steigt, die privaten Investitionen um etwa 33 Cent. Infolgedessen verfügt Amerika über eine geringere Kapitalausstattung, der die Produktivität der Arbeitnehmer mindert, die Löhne drückt und wahrscheinlich die Erwerbsbeteiligung sinken lässt. Damit höhlt die steigende Verschuldung allmählich und stetig die Fundamente des Wohlstands aus.
Über diese direkten Schäden hinaus entstehen durch ein wachsendes Defizit Opportunitätskosten. Hohe Ausgaben für den Schuldendienst verringern den finanziellen Spielraum, der für Investitionen in die Landesverteidigung, wissenschaftliche Forschung und Maßnahmen zur Erweiterung der wirtschaftlichen Möglichkeiten benötigt wird.
Ein nüchterner Beobachter des Wahlkampfs 2024 würde zu dem Schluss kommen, dass es wenig gibt, worin sich Harris und Trump einig sind. In einem Punkt scheint jedoch Einigkeit zu herrschen: Während des Wahlkampfs und der Amtszeit des nächsten Präsidenten oder der nächsten Präsidentin soll eines der wichtigsten Themen, mit denen die USA konfrontiert sind, ignoriert und nicht angesprochen werden.
In Hinblick auf die wirtschaftliche Zukunft Amerikas besteht zwischen den beiden also weit mehr Einigkeit, als man auf den ersten Blick vermuten würde.
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Despite being a criminal, a charlatan, and an aspiring dictator, Donald Trump has won not only the Electoral College, but also the popular vote – a feat he did not achieve in 2016 or 2020. A nihilistic voter base, profit-hungry business leaders, and craven Republican politicians are to blame.
points the finger at a nihilistic voter base, profit-hungry business leaders, and craven Republican politicians.
Shell-shocked Europeans will be tempted to hunker down and hope that Donald Trump does not make good on his most extreme threats, like sweeping import tariffs and quitting NATO. But this would be a catastrophic mistake; Europeans must swallow their pride and try to capitalize on Trump’s craving for admiration.
outlines a strategy for EU leaders to win over the next US president and mitigate the threat he represents.
Anders Åslund
considers what the US presidential election will mean for Ukraine, says that only a humiliating loss in the war could threaten Vladimir Putin’s position, urges the EU to take additional steps to ensure a rapid and successful Ukrainian accession, and more.
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WASHINGTON, DC – US-Vizepräsidentin Kamala Harris hat diese Woche ein detailliertes politisches Grundsatzprogramm vorgelegt. Das Wort „Staatsverschuldung“ kommt darin nur ein einziges Mal vor. Bei der US-Präsidentschaftsdebatte in diesem Monat wurde das Wort „Verschuldung“ überhaupt nicht in den Mund genommen. Auch Wörter wie „Einnahmen“ und „Ausgaben“ oder „Haushalt“ kamen nicht vor.
Fairerweise sei angemerkt, dass Harris in ihrem Grundsatzprogramm das Haushaltsdefizit anspricht und es auch während der Debatte zweimal thematisierte, wobei sie argumentierte, dass die Steuerpläne des ehemaligen Präsidenten Donald Trump das Defizit noch vergrößern würden und ihre Politik in fiskalischer Hinsicht verantwortungsvoller sei. Aber abgesehen von der einen oder anderen kurzen Erwähnung lässt sich keiner der Kandidaten auf eine ernsthafte Diskussion über den katastrophalen haushaltspolitischen Kurs des Landes ein.
Amerikas Verschuldung befindet sich auf einem gefährlichen Kurs, und Schweigen ist keine Lösung. In den 1980er und 1990er Jahren lag die Schuldenquote der USA bei etwa 39 Prozent des BIP; bis 2010 hatte sie 60,6 Prozent erreicht. Das überparteiliche Congressional Budget Office (CBO) prognostiziert, dass die Staatsverschuldung über die nächsten Jahrzehnte stetig anwachsen wird, wobei sie bis 2025 dem Gesamtwert der Wirtschaftsleistung entsprechen wird und bis 2034 auf 122,4 Prozent des BIP weiter ansteigen soll.
Manche mögen argumentieren, dass es sich um irreführende Buchhaltung oder eine politisch motivierte Wirtschaftsanalyse handelt, wenn man die Schuld für das strukturelle Defizit entweder der Ausgaben- oder der Einnahmenseite zuweist, da dieses Defizit ja eine Differenz darstellt (Einnahmen minus Ausgaben). Ich bin anderer Meinung. Amerikas fiskalisches Ungleichgewicht wird nicht durch zu geringe Steuereinnahmen, sondern durch zu hohe Staatsausgaben verursacht.
Zwischen 1974 und 2023 lagen die Steuereinnahmen im Durchschnitt bei 17,3 Prozent des BIP, während die Staatsausgaben im gleichen Zeitraum durchschnittlich 21 Prozent des BIP betrugen. Bis 2034 werden die Steuereinnahmen laut Prognose des Congressional Budget Office (CBO) mit 18 Prozent des BIP leicht über diesem Durchschnitt liegen, die Staatsausgaben mit 24,9 Prozent des BIP jedoch deutlich höher. Die steigende Staatsverschuldung ist somit auf Ausgaben zurückzuführen, die voraussichtlich schneller wachsen werden als die Einnahmen.
Darüber hinaus werden in den nächsten zehn Jahren laut Prognosen nur drei Ausgabenkategorien einen Anstieg verzeichnen: Sozialversicherung, Medicare und Zinszahlungen für ausstehende Schulden (die in diesem Jahr voraussichtlich den Verteidigungshaushalt übersteigen werden). Die staatlichen Ausgaben für alles andere – von Militär und Bildung bis hin zu wissenschaftlicher Forschung und Nationalparks – sollen sinken. Um das Haushaltsproblem Amerikas in den Griff zu bekommen, sind daher drastische Kürzungen bei Sozialversicherung und Medicare erforderlich.
Natürlich würden höhere Steuereinnahmen das Defizit verringern. Aber selbst wenn man die Steuersenkungen des Jahres 2017 vollständig auslaufen ließe – eine Politik, die weder Trump noch Harris unterstützen – würde dies angesichts des prognostizierten Ausgabenanstiegs nicht ausreichen, um zu verhindern, dass die Verschuldung langfristig auf ein untragbares Niveau ansteigt. Laut Schuldenmodell des Committee for a Responsible Federal Budget würde eine vollständige Aufhebung der Steuersenkungen von 2017 in Verbindung mit der Besteuerung von Kapitalerträgen und Dividenden als gewöhnliches Einkommen die erwartete Schuldenquote im Jahr 2050 lediglich um vier Prozentpunkte von 155 auf 151 Prozent senken.
Da mehrere fiskalpolitisch bedeutsame Ereignisse bevorstehen, sollten Trump und Harris dazu angehalten werden, sich dieses Themas anzunehmen. Zunächst einmal werden viele Bestimmungen der Steuersenkungen von 2017 im nächsten Jahr auslaufen. Wie stehen die Kandidaten zu einer Reform des Steuerrechts angesichts der fiskalpolitischen Herausforderungen des Landes?
Der Sozialversicherungs-Treuhandfonds wird 2035 insolvent sein, und im darauffolgenden Jahr soll der Medicare-Treuhandfonds erschöpft sein. Die Einschätzungen der jeweiligen Treuhänder variieren zeitlich in Abhängigkeit von einer Vielzahl von Faktoren, aber das Geld könnte früher ausgehen als derzeit prognostiziert.
Sowohl Trump als auch Harris haben sich gegen Kürzungen bei der Sozialversicherung und Medicare ausgesprochen, aber keiner von beiden hat die naheliegenden Folgefragen beantwortet: Wie können solche Kürzungen angesichts der ständig steigenden Staatsverschuldung vermieden werden? Und warum wäre es besser, auf solche Kürzungen zu verzichten? Es ist durchaus denkbar, dass Harris, falls sie im November gewinnt und 2028 wiedergewählt wird, eine massive Umstrukturierung dieser Programme vornehmen wird, falls die Treuhandfonds während ihrer Amtszeit zusammenbrechen sollten. Daher ist es von entscheidender Bedeutung zu fragen, wie sie eine derartige Aufgabe in Angriff nehmen würde.
Die Staatsverschuldung ist eines der drängendsten Probleme, vor denen die USA stehen. Falls sie nicht eingedämmt wird, könnte dadurch eine Haushaltskrise ausgelöst werden, in deren Verlauf das schwindende Vertrauen der Investoren zu einem starken Anstieg der Zinssätze führen würde. Das hätte wiederum volatile Aktienmärkte und noch höhere Zinszahlungen für den Staat zur Folge. Ebenso könnte ein ausuferndes Defizit zu einem abrupten Anstieg der erwarteten Inflation führen, wodurch die US-Notenbank unter Druck geriete, die Zinssätze zu erhöhen.
Eine derartige Krise könnte in der Zukunft eintreten, doch die Verschuldung schadet der Wirtschaft bereits seit Jahrzehnten. Laut CBO senkt jeder Dollar, um den das Bundesdefizit steigt, die privaten Investitionen um etwa 33 Cent. Infolgedessen verfügt Amerika über eine geringere Kapitalausstattung, der die Produktivität der Arbeitnehmer mindert, die Löhne drückt und wahrscheinlich die Erwerbsbeteiligung sinken lässt. Damit höhlt die steigende Verschuldung allmählich und stetig die Fundamente des Wohlstands aus.
Über diese direkten Schäden hinaus entstehen durch ein wachsendes Defizit Opportunitätskosten. Hohe Ausgaben für den Schuldendienst verringern den finanziellen Spielraum, der für Investitionen in die Landesverteidigung, wissenschaftliche Forschung und Maßnahmen zur Erweiterung der wirtschaftlichen Möglichkeiten benötigt wird.
Ein nüchterner Beobachter des Wahlkampfs 2024 würde zu dem Schluss kommen, dass es wenig gibt, worin sich Harris und Trump einig sind. In einem Punkt scheint jedoch Einigkeit zu herrschen: Während des Wahlkampfs und der Amtszeit des nächsten Präsidenten oder der nächsten Präsidentin soll eines der wichtigsten Themen, mit denen die USA konfrontiert sind, ignoriert und nicht angesprochen werden.
In Hinblick auf die wirtschaftliche Zukunft Amerikas besteht zwischen den beiden also weit mehr Einigkeit, als man auf den ersten Blick vermuten würde.
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Aus dem Englischen von Helga Klinger-Groier