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Der allzu schweigsame Amerikaner

NEW YORK – Nun ist es offensichtlich, dass vor allem die USA verantwortlich sind, dass die als Doha-Runde bekannten, zehn Jahre währenden multilateralen Handelsgespräche heuer nicht abgeschlossen werden können. Die USA lehnten sogar den verzweifelten Versuch des Generaldirektors der Welthandelsorganisation, Pascal Lamy, ab, die Mitgliedsstaaten zur Unterstützung einer völlig verwässerten Übereinkunft zu bewegen, –  von Kritikern als Doha Light und Doha Koffeinfrei bezeichnet – die hauptsächlich aus ein paar Zugeständnissen an die am wenigsten entwickelten Länder besteht.  

Obwohl man es mit manchen Kleindarstellern zu tun hat, die man als Schurken besetzen könnte, hat der amerikanische Botschafter bei der WTO, Michael Punke, die Rolle des Mr. No des Welthandels übernommen. Aber Punke ist nicht das Problem. Amerikas ablehnende Haltung hat ihren Ursprung in höchsten Regierungskreisen, angefangen bei Präsident Barack Obamas Führungsschwäche.

Seit dem Beginn seiner Präsidentschaft ist Obamas Verteidigung eines liberalen Handelsregimes unzureichend. Wiederholt äußerte er, dass Exporte gut für die USA  seien, weil sie Jobs schaffen. Aber die Exporte der USA sind die Importe anderer Länder. Deshalb läuft Obamas Argumentation darauf  hinaus, anderen mitzuteilen, dass sie ihre  Jobs verlieren. Er muss den Amerikanern erklären, dass auch Importe gut sind: er kann  sein Publikum sicher bitten, an die Jobs bei UPS zu denken, in deren Frachtflugzeugen,  Zügen und Lastkraftwagen die Importwaren in das Landesinnere gebracht werden.  

Das Hauptproblem besteht allerdings darin, dass Obama nicht in der Lage ist, der von Angst getriebenen Feindseligkeit der US-Gewerkschaften gegenüber dem Handel etwas entgegenzusetzen oder beruhigende Maßnahmen zu ergreifen. Ebenso wenig ist er bereit, den Wirtschaftslobbys entgegenzutreten, die die Doha Runde in Geiselhaft nehmen, um anderen Ländern noch mehr Zugeständnisse zu entlocken, obwohl sie wissen, dass die Handelsgespräche damit in das Bermudadreieck der US-Präsidentenwahlen im Jahr 2012 gezogen werden.

Dennoch ist an dem Widerstand der ängstlichen Gewerkschaften und gierigen Wirtschaftslobbys wenig dran, was Obama nicht mit überzeugenden Argumenten entkräften könnte. Außerdem ist die amerikanische Öffentlichkeit keineswegs so strikt gegen den Handel, wie die renommierte Meinungsforscherin Karlyn Bowman jüngst aufzeigte. Das hat teilweise damit zu tun, dass heute in praktisch jedem Bundesstaat viele Jobs – nicht nur bei UPS – vom Handel abhängen. Der Protektionismus könnte sich am Ende als Wahl-Dinosaurier erweisen.

Jedenfalls haben die großen Staatsmänner der Geschichte ihre Sporen immer damit verdient, aus prinzipiellen Gründen gegen den politischen Strom zu schwimmen. Würde Obama weniger schreiben und mehr lesen, wüsste er, dass mindestens zwei historische Beispiele couragierter Führungskraft im Bereich des Handels seine Bewunderung und Nachahmung verdienen.

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Bei dem einen Beispiel handelt es sich um die Abschaffung der Einfuhrzölle auf Getreide in England durch Premierminister Robert Peel im Jahr 1848. In der entscheidenden Abstimmung, die ihn um seine politische Karriere brachte, erreichte Peel nur 106 Stimmen seiner konservativen Partei, während 222 Abgeordnete der Tories gegen ihn stimmten. Er setzte sich zwar durch, aber verlor die Unterstützung seiner eigenen Partei. Lord Ashley bemerkte in seinem Tagebuch: „[Peel] führte die Tories und folgte den Whigs.”

Das andere Beispiel ist Winston Churchill, der als konservativer Abgeordneter aus der nordenglischen Industriestadt Oldham in das Parlament gewählt wurde. Nachdem er sich im Jahr 1904 zum Freihandel bekannt hatte, musste er seine Partei verlassen. Danach nahm er die Einladung der Liberal Association von Nordwest-Manchester an und schloss sich den Liberalen an.

Churchill trat auch für freie Einwanderung ein und wandte sich strikt gegen das Ausländergesetz von 1904 (teilweise, weil er darin Anklänge von Antisemitismus erkannte, der aus Angst vor einer „Ausländerinvasion“ durch den Zustrom jüdischer Einwanderer aus Osteuropa entstand). Churchill war ein Politiker mit Prinzipien, der ebenso wie Peel gegen seine Partei kämpfte, aber im Gegensatz zu Peel diesen Kampf überstand und später in der epischen Schlacht gegen die Nazis einen noch größeren politischen Triumph feierte.

Von dieser „Zivilcourage“ wie es John F. Kennedy in seinem gleichnamigen Buch ausdrückte sollte sich Obama in einer Zeit inspirieren lassen, da präsidentielle Führungskraft in entscheidenden wirtschaftlichen Fragen in Washington höchst gefragt ist. Obamas Wahlslogan lautete „Ja, wir können es“ und nicht „Wir können zwar, aber wir werden nicht.“  Nun, da er es mit einer von ökonomischer Ignoranz geplagten Wirtschaft zu tun hat, schlage ich ihm einen besseren Slogan vor: Nec aspera terrent, oder „Widrigkeiten schrecken uns nicht.“

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