OXFORD: Ich gebe zu: Ich mache es auch. Wie die meisten westlichen Frauen mache ich es regelmäßig, und jedes Mal mischt sich ein schlechtes Gewissen in das Vergnügen. Es ist schwer, auf sein Gewissen zu hören, wenn man sich einer derart unglaublichen Versuchung ausgesetzt sieht.
Wovon ich rede? Natürlich von billiger, trendiger Mode. Ich besuche ein Zara-Geschäft – oder Hampamp;M, oder jetzt, da ich den Sommer über in Großbritannien bin, das erstaunliche Primark – und schnappe mir Artikel, die schick aussehen, praktisch Wegwerfartikel und so schockierend billig sind, dass man zwei Mal hinsehen muss.
Ich muss mich meiner Sucht stellen, und dasselbe gilt für alle Frauen wie mich.
Die Mode hat ein neues Gesicht bekommen – durch das Aufkommen von Einzelhandelsketten, die gute Designer einstellen, um für sie genau im Trend liegende Wegwerfkleidung und -accessoires zu entwerfen. Diese Entwicklung hat die westlichen Frauen von der Tyrannei einer Modeindustrie befreit, die in der schlechten alten Zeit den Stil diktierte und Frauen zwang, schwer in die Aktualisierung ihrer Garderobe zu investieren, um dann anschließend fröhlich den gesamten Inhalt ihres Kleiderschranks für veraltet zu erklären – immer wieder, ohne dass ein Ende in Sicht war.
Dann kamen die Stiltempel der Massenproduktion, und seitdem haben westliche Frauen die scheinbar köstliche und befreiende Option, diese winzigen leichten Sommerkleider im floralen Retrolook der 80er Jahre, die man diesen Sommer unbedingt haben muss und die sich nächstes Jahr schon wieder erschreckend altbacken ausnehmen werden, für nur zwölf Dollar zu bekommen. Sie – wir – können in klassische Kleidungsstücke investieren, die nicht so schnell altern, und diese preiswerten, trendigen Wegwerfklamotten mal eben so mitnehmen, wenn uns danach ist.
Diese Läden lösen zudem ein psychologisches Problem für uns, denn man kann ausführlich shoppen – ein Vergnügen, das dank unserer evolutionären Entwicklung als Sammler durchaus fest im weiblichen Gehirn angelegt sein könnte –, ohne sich zum Ende der Übung schlecht zu fühlen, weil man zu viel ausgegeben hat.
Doch dieses für westliche Frauen so befreiende System ist im wahrsten Sinne des Wortes auf dem Rücken der Frauen in den Entwicklungsländern aufgebaut. Wie schaffen es Primark und seine Wettbewerber in den Einkaufszentren und Ladenstraßen, solche schicken Kleider so billig anzubieten? Ganz einfach: indem sie Frauen in Bangladesh, China, Mexiko, Haiti und anderswo Hungerlöhne zahlen und sie unterdrücken.
Wir alle wissen, dass Billigkleidung für gewöhnlich unter ausbeuterischen Bedingungen in Sweatshops hergestellt wird – und zwar gewöhnlich von Frauen. Und wir wissen, oder sollten wissen, dass Frauen in Sweatshops überall auf der Welt davon berichten, dass sie eingesperrt werden, dass man ihnen über lange Zeiträume hinweg verbietet, zur Toilette zu gehen, und dass sie sexuellen Belästigungen, gewerkschaftsfeindlicher Gewalt und anderen Formen von Zwang ausgesetzt sind.
Doch wie bei jedem Familiengeheimnis, das uns, wenn wir uns direkt damit befassen, Unbehagen verursacht, schauen wir westlichen Frauen lieber weg.
In den USA führten Boykotte von in Sweatshops hergestellten College-T-Shirts zu faireren Fertigungspraktiken, und der meist von weiblichen Verbrauchern geleitete Boykott von Kaffee und landwirtschaftlichen Produkten hat bewirkt, dass viele große Supermärkte Produkte aus fairem Handel in ihr Programm aufgenommen haben. Und schon früher haben wohlhabendere Frauen die Sweatshops wirksam boykottiert: In viktorianischer Zeit erblindeten viele verarmte Frauen bei der Herstellung kunstvoller Spitzen für reiche Frauen – bis die Abscheu der Kundinnen bessere Arbeitsbedingungen erzwang. Heute dagegen gibt es keine bedeutende, von Frauen in der entwickelten Welt ausgehende Bewegung, um diese weltweite Ausbeutung durch Billighersteller zu stoppen – obwohl unser Geld das einzige Mittel ist, das stark genug ist, die Hersteller zur Änderung ihres Verhaltens zu zwingen.
Der Grund dafür ist einfach: Wir mögen die Dinge, so wie sie sind.
Freilich wird es immer schwerer für uns, unsere „Aus den Augen, aus dem Sinn“-Mentalität aufrecht zu erhalten. Denn man muss es ihnen zugute halten: Die Frauen in den Entwicklungsländern – einige der am schlimmsten ausgebeuteten und genötigten Frauen auf Erden – erheben ihre Stimme.
So berichtete die Financial Times am 23. Juni, dass „Hunderte von Bekleidungsfabriken in Bangladesh, die westliche Käufer wie Marks ampamp; Spencer, Tesco, Walmart und Hampamp;M beliefern, allmählich unter schwerem Polizeischutz wieder öffneten … nach tagelangen gewalttätigen Protesten zehntausender Arbeiter, die höhere Löhne verlangten.“ Tausend Polizisten setzten Gummigeschosse und Tränengas gegen die Arbeiter ein, und Hunderte wurden verletzt, aber sie gaben nicht klein bei.
Die meisten der zwei Millionen Menschen, die in Bangladeshs Bekleidungsindustrie arbeiten, sind Frauen, und sie sind – bei einem Monatsverdienst von 25 Dollar – die am niedrigsten bezahlten Textilarbeiter der Welt. Doch jetzt verlangen sie eine Erhöhung ihres Monatslohns auf fast das Dreifache, auf 70 Dollar. Ihre Anführer verweisen darauf, dass die Arbeiterinnen beim gegenwärtigen Lohnniveau weder sich selbst noch ihre Familien ernähren können.
Ökonomen prognostizieren, dass die Streiks und Unruhen in Bangladesh eskalieren werden, und dasselbe gilt für Vietnam. Selbst Investmentbanker werden in der Financial Times mit den Worten zitiert, die Löhne für die Textilarbeiterinnen in diesen Ländern seien „unhaltbar niedrig“.
Die Fabriken in Bangladesh sind wieder geöffnet – zumindest für den Augenblick. Doch die Regierung erwägt derzeit eine Erhöhung des Mindestlohns. Falls es hierzu kommt, hat eine der am stärksten unterdrückten Erwerbstätigengruppen einen großen Sieg errungen – einen Sieg, der noch weitgehend symbolisch ist, aber andere Textilarbeiterinnen weltweit inspirieren wird, aufzustehen und zu protestieren.
Wir westlichen Frauen sollten uns zwingen, diese Geschichte zu verfolgen und Wege zu finden, das Richtige zu tun, indem wir unsere Konsummuster ändern. Es ist längst Zeit, unsere Unterstützung für Frauen zu zeigen, die aufs Offenkundigste unter systematischer, weltweiter, kosteneffektiver Geschlechterdiskriminierung leiden – in einer Weise, die die meisten von uns nicht mehr durchmachen müssen. Lassen Sie uns eine Fair-Trade-Wirtschaft unterstützen und uns weigern, in Läden zu kaufen, die von Aktivisten wegen ihrer unfairen Beschäftigungspraktiken ins Visier genommen werden (weitere Informationen finden Sie unter http://www.worldwatch.org/node/1485).
Falls die Frauen, die überall auf der Welt in Sweatshops geknechtet sind, es schaffen, diesen entscheidenden Kampf zu gewinnen, wird das schicke Kleid bei Primark vielleicht mehr kosten. Doch die Frauen, die daran nicht genug verdienen für Essen und Unterkunft für sich selbst und ihre Kinder, kostet es schon jetzt zu viel.
Diese hinreißenden Sandaletten für drei Dollar das Paar? Angesichts der menschlichen Kosten ist ihr Preis wirklich zu gut, um wahr zu sein.
OXFORD: Ich gebe zu: Ich mache es auch. Wie die meisten westlichen Frauen mache ich es regelmäßig, und jedes Mal mischt sich ein schlechtes Gewissen in das Vergnügen. Es ist schwer, auf sein Gewissen zu hören, wenn man sich einer derart unglaublichen Versuchung ausgesetzt sieht.
Wovon ich rede? Natürlich von billiger, trendiger Mode. Ich besuche ein Zara-Geschäft – oder Hampamp;M, oder jetzt, da ich den Sommer über in Großbritannien bin, das erstaunliche Primark – und schnappe mir Artikel, die schick aussehen, praktisch Wegwerfartikel und so schockierend billig sind, dass man zwei Mal hinsehen muss.
Ich muss mich meiner Sucht stellen, und dasselbe gilt für alle Frauen wie mich.
Die Mode hat ein neues Gesicht bekommen – durch das Aufkommen von Einzelhandelsketten, die gute Designer einstellen, um für sie genau im Trend liegende Wegwerfkleidung und -accessoires zu entwerfen. Diese Entwicklung hat die westlichen Frauen von der Tyrannei einer Modeindustrie befreit, die in der schlechten alten Zeit den Stil diktierte und Frauen zwang, schwer in die Aktualisierung ihrer Garderobe zu investieren, um dann anschließend fröhlich den gesamten Inhalt ihres Kleiderschranks für veraltet zu erklären – immer wieder, ohne dass ein Ende in Sicht war.
Dann kamen die Stiltempel der Massenproduktion, und seitdem haben westliche Frauen die scheinbar köstliche und befreiende Option, diese winzigen leichten Sommerkleider im floralen Retrolook der 80er Jahre, die man diesen Sommer unbedingt haben muss und die sich nächstes Jahr schon wieder erschreckend altbacken ausnehmen werden, für nur zwölf Dollar zu bekommen. Sie – wir – können in klassische Kleidungsstücke investieren, die nicht so schnell altern, und diese preiswerten, trendigen Wegwerfklamotten mal eben so mitnehmen, wenn uns danach ist.
Diese Läden lösen zudem ein psychologisches Problem für uns, denn man kann ausführlich shoppen – ein Vergnügen, das dank unserer evolutionären Entwicklung als Sammler durchaus fest im weiblichen Gehirn angelegt sein könnte –, ohne sich zum Ende der Übung schlecht zu fühlen, weil man zu viel ausgegeben hat.
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Doch dieses für westliche Frauen so befreiende System ist im wahrsten Sinne des Wortes auf dem Rücken der Frauen in den Entwicklungsländern aufgebaut. Wie schaffen es Primark und seine Wettbewerber in den Einkaufszentren und Ladenstraßen, solche schicken Kleider so billig anzubieten? Ganz einfach: indem sie Frauen in Bangladesh, China, Mexiko, Haiti und anderswo Hungerlöhne zahlen und sie unterdrücken.
Wir alle wissen, dass Billigkleidung für gewöhnlich unter ausbeuterischen Bedingungen in Sweatshops hergestellt wird – und zwar gewöhnlich von Frauen. Und wir wissen, oder sollten wissen, dass Frauen in Sweatshops überall auf der Welt davon berichten, dass sie eingesperrt werden, dass man ihnen über lange Zeiträume hinweg verbietet, zur Toilette zu gehen, und dass sie sexuellen Belästigungen, gewerkschaftsfeindlicher Gewalt und anderen Formen von Zwang ausgesetzt sind.
Doch wie bei jedem Familiengeheimnis, das uns, wenn wir uns direkt damit befassen, Unbehagen verursacht, schauen wir westlichen Frauen lieber weg.
In den USA führten Boykotte von in Sweatshops hergestellten College-T-Shirts zu faireren Fertigungspraktiken, und der meist von weiblichen Verbrauchern geleitete Boykott von Kaffee und landwirtschaftlichen Produkten hat bewirkt, dass viele große Supermärkte Produkte aus fairem Handel in ihr Programm aufgenommen haben. Und schon früher haben wohlhabendere Frauen die Sweatshops wirksam boykottiert: In viktorianischer Zeit erblindeten viele verarmte Frauen bei der Herstellung kunstvoller Spitzen für reiche Frauen – bis die Abscheu der Kundinnen bessere Arbeitsbedingungen erzwang. Heute dagegen gibt es keine bedeutende, von Frauen in der entwickelten Welt ausgehende Bewegung, um diese weltweite Ausbeutung durch Billighersteller zu stoppen – obwohl unser Geld das einzige Mittel ist, das stark genug ist, die Hersteller zur Änderung ihres Verhaltens zu zwingen.
Der Grund dafür ist einfach: Wir mögen die Dinge, so wie sie sind.
Freilich wird es immer schwerer für uns, unsere „Aus den Augen, aus dem Sinn“-Mentalität aufrecht zu erhalten. Denn man muss es ihnen zugute halten: Die Frauen in den Entwicklungsländern – einige der am schlimmsten ausgebeuteten und genötigten Frauen auf Erden – erheben ihre Stimme.
So berichtete die Financial Times am 23. Juni, dass „Hunderte von Bekleidungsfabriken in Bangladesh, die westliche Käufer wie Marks ampamp; Spencer, Tesco, Walmart und Hampamp;M beliefern, allmählich unter schwerem Polizeischutz wieder öffneten … nach tagelangen gewalttätigen Protesten zehntausender Arbeiter, die höhere Löhne verlangten.“ Tausend Polizisten setzten Gummigeschosse und Tränengas gegen die Arbeiter ein, und Hunderte wurden verletzt, aber sie gaben nicht klein bei.
Die meisten der zwei Millionen Menschen, die in Bangladeshs Bekleidungsindustrie arbeiten, sind Frauen, und sie sind – bei einem Monatsverdienst von 25 Dollar – die am niedrigsten bezahlten Textilarbeiter der Welt. Doch jetzt verlangen sie eine Erhöhung ihres Monatslohns auf fast das Dreifache, auf 70 Dollar. Ihre Anführer verweisen darauf, dass die Arbeiterinnen beim gegenwärtigen Lohnniveau weder sich selbst noch ihre Familien ernähren können.
Ökonomen prognostizieren, dass die Streiks und Unruhen in Bangladesh eskalieren werden, und dasselbe gilt für Vietnam. Selbst Investmentbanker werden in der Financial Times mit den Worten zitiert, die Löhne für die Textilarbeiterinnen in diesen Ländern seien „unhaltbar niedrig“.
Die Fabriken in Bangladesh sind wieder geöffnet – zumindest für den Augenblick. Doch die Regierung erwägt derzeit eine Erhöhung des Mindestlohns. Falls es hierzu kommt, hat eine der am stärksten unterdrückten Erwerbstätigengruppen einen großen Sieg errungen – einen Sieg, der noch weitgehend symbolisch ist, aber andere Textilarbeiterinnen weltweit inspirieren wird, aufzustehen und zu protestieren.
Wir westlichen Frauen sollten uns zwingen, diese Geschichte zu verfolgen und Wege zu finden, das Richtige zu tun, indem wir unsere Konsummuster ändern. Es ist längst Zeit, unsere Unterstützung für Frauen zu zeigen, die aufs Offenkundigste unter systematischer, weltweiter, kosteneffektiver Geschlechterdiskriminierung leiden – in einer Weise, die die meisten von uns nicht mehr durchmachen müssen. Lassen Sie uns eine Fair-Trade-Wirtschaft unterstützen und uns weigern, in Läden zu kaufen, die von Aktivisten wegen ihrer unfairen Beschäftigungspraktiken ins Visier genommen werden (weitere Informationen finden Sie unter http://www.worldwatch.org/node/1485).
Falls die Frauen, die überall auf der Welt in Sweatshops geknechtet sind, es schaffen, diesen entscheidenden Kampf zu gewinnen, wird das schicke Kleid bei Primark vielleicht mehr kosten. Doch die Frauen, die daran nicht genug verdienen für Essen und Unterkunft für sich selbst und ihre Kinder, kostet es schon jetzt zu viel.
Diese hinreißenden Sandaletten für drei Dollar das Paar? Angesichts der menschlichen Kosten ist ihr Preis wirklich zu gut, um wahr zu sein.