buruma216_Mark LeechOffside via Getty Images_euro1988football Mark Leech/Offside via Getty Images

Kriegsspiele und tribale Leidenschaften

NEW YORK – Als England im vergangenen Monat die Niederlande im Halbfinale der Fußball-Europameisterschaft besiegte, feierten britische Sportkommentatoren dies als „historischen“ Sieg, der „unser aller Leben verändern“ werde. Sportjournalisten sind bekannt für Übertreibungen - das ist ihr Job - aber diese Äußerungen wirkten lächerlich. Kleinere Länder wie die Niederlande betrachten diese Wettbewerbe oft als seltene Gelegenheit, auf der Weltbühne zu glänzen, aber hat das Vereinigte Königreich eine derartige Bestätigung wirklich nötig? Offenbar schon.

Der in Ungarn geborene Schriftsteller Arthur Koestler unterschied bekanntlich zwischen gewöhnlichem Nationalismus und Fußballnationalismus. Letzterer war seiner Meinung nach der stärkere. Obwohl Koestler stolzer eingebürgerter Bürger des Vereinigten Königreichs war, blieb er ein Leben lang begeisterter Anhänger des ungarischen Fußballs.

Fußballnationalismus präsentiert sich fahnenschwenkend, tribal und häufig aggressiv. Nahaufnahmen im Fernsehen von stämmigen Männern auf den Zuschauerrängen, die sich mit gefletschten Zähnen auf die nackte Brust klopfen und brüllende Laute von sich geben, erinnern uns daran, dass wir und die Affen von einem gemeinsamen Vorfahren abstammen.

Tribale Gefühle nähren sich aus kollektiven Animositäten. Bei Spielen gegen Deutschland singen einige britische Fußballfans immer noch „Ten German Bombers“, während sie ihre Arme ausbreiten, um Flugzeuge der Royal Air Force zu imitieren. Als die Niederlande im Halbfinale der Fußball-Europameisterschaft 1988 - das passenderweise in Hamburg stattfand – die BRD besiegten und damit den Titel holten, war der Jubel auf den Amsterdamer Straßen noch größer als im Mai 1945, als das Land von der Nazi-Besatzung befreit wurde. Vielleicht half das auch, einem lange unterdrückten Gefühl ein Ventil zu verschaffen. Die antideutschen Ressentiments schwächten sich danach nämlich recht schnell ab.

Als die tschechoslowakische Eishockeymannschaft im Jahr 1969 - also nur ein Jahr nach dem Einmarsch sowjetischer Panzer in Prag - die Sowjetunion bei den Eishockey-Weltmeisterschaften schlug, löste der Sieg stürmische Jubelfeiern aus, die sich anschließend in heftige Proteste umkehrten. Ein amerikanischer Diplomat sagte, er habe „die Tschechen noch nie so glücklich gesehen.“ Offensichtlich hatte die Stadt seit der Niederlage der Nazis im Jahr 1945 keine vergleichbare Freude mehr erlebt.

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