burke1_Alexis RosenfeldGetty Images_dead coral Alexis Rosenfeld/Getty Images

Wie der nächste Goldrausch gesteuert werden kann

WASHINGTON, DC – Der Sitz der internationalen Meeresbodenbehörde (IMB) befindet sich oberhalb der Strandpromenade im Hafen der jamaikanischen Hauptstadt Kingston. Gegenüber in der Bucht liegt jene Stelle, wo „Calico Jack” Rackham einst als Warnung an  andere Piraten des 18. Jahrhunderts gehängt wurde. Heute bestimmt diese kleine Behörde der Vereinten Nationen die Geschicke der Meere – oder, genauer gesagt, des nicht ganz fünf Kilometer unter der Oberfläche liegenden Meeresbodens -  und ist der Öffentlichkeit trotzdem weitgehend unbekannt. Das könnte sich allerdings rasch ändern, wenn China beschließt, sich gegen die US-Importzölle mit Ausfuhrbeschränkungen für seltene Erden zur Wehr zu setzen.

Etwa 71 Prozent der Erdoberfläche befinden sich unter Wasser und der Meeresboden (oder Meeresgrund) ist  - insbesondere in tiefen internationalen Gewässern - reich an seltenen Erden und anderen gefragten mineralischen Rohstoffen. Die Meeresbodenbehörde verwaltet die Abbau- und Schürfrechte an über 50 Prozent des weltweiten Tiefseebodens und die 168 Mitgliedsstaaten haben das Recht, sich um Zugang zu den dort lagernden Bodenschätzen zu bewerben.  Angesichts des Risikos katastrophaler Umweltfolgen könnten jedoch alle Länder zu den Verlierern zählen, wenn dieser Wettbewerb ohne die gebotene Sorgfalt fortgesetzt wird.

Unterseeische Bodenschätze lagern sich in Tiefsee-Ebenen tendenziell in kartoffelförmigen Gesteinsbrocken an, die in kochend heißem Wasser aus Spalten am Meeresgrund entweichen  und an den Flanken erloschener Unterwasservulkane – so genannter Tiefseeberge – verkrusten. In diesen Formationen ist die Konzentration mineralischer Rohstoffe insgesamt viel höher als in Erzen, die an Land vorkommen.  

Doch trotz all dieses natürlichen Reichtums gibt es derzeit weltweit nur ein einziges aktives Bergbauprojekt am Meeresgrund, nämlich vor der Küste Papua Neuguineas, das momentan allerdings wegen finanzieller Schwierigkeiten auf Eis liegt. Das zeigt, wie schwierig es nach wie vor ist, in der dunklen, eiskalten Tiefsee unter hohem Wasserdruck zu operieren, in einem Umfeld, das zu über 80 Prozent noch immer nicht kartografisch erfasst und erforscht ist.

Dennoch glauben sowohl kommerzielle Organisationen als auch Meeresforscher, dass neue Technologien den Tiefseeabbau innerhalb des nächsten Jahrzehnts so gut wie unumgänglich machen werden. Zahlreiche Innovationen, wie beispielsweise bessere Satellitenaufnahmen des Meeresbodens und Robotertauchboote verbessern den Zugang zum Meeresboden. Darüber hinaus führen die Technologien des digitalen Zeitalters und die globale Energiewende zu einem starken Anstieg der Nachfrage nach Materialien, die in der Tiefsee reichlich vorhanden sind. Dazu zählen neben den seltenen Erden auch Kobalt, Mangan und Tellur, die immer breitere Anwendung finden, wie etwa in Akkus, Magnetresonanzgeräten, Sonnenkollektoren und Leitsystemen für Waffen.

Der Wettstreit um diese zunehmend wertvollen Materialien verschärfte sich allerdings schon  vor der jüngsten Eskalation der chinesisch-amerikanischen Handelsspannungen. Aufgrund seiner erheblichen Ressourcen im eigenen Land und reichlich vorhandener Verarbeitungsanlagen, verfügt China über einen komparativen Vorteil im Bereich kritischer mineralischer Ressourcen. Überdies investiert China seit langem in anderen wichtigen Produktionsländern wie der Demokratischen Republik Kongo, auf die etwa 65 Prozent der weltweiten Kobaltproduktion und die Hälfte der gesamten Reserven  entfallen.

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Im Gegensatz dazu müssen die Vereinigten Staaten viele Hightech-Mineralien importieren. Dementsprechend hat die US-Regierung kürzlich 35 Mineralien als von entscheidender Bedeutung für die wirtschaftliche und nationale Sicherheit des Landes eingestuft und eine  neue Strategie angekündigt, die unter anderem den verstärkten Abbau im eigenen Land vorsieht.

Im Hinblick auf die Ressourcen am Meeresgrund besteht kein Wettstreit zwischen diesen beiden geopolitischen Rivalen. Man rechnet damit, dass China gut abschneiden wird, wenn die Meeresbodenbehörde nächstes Jahr neue Bergbaurichtlinien veröffentlichen und ihr erstes Genehmigungsverfahren für den Abbau mineralischer Bodenschätze in internationalen Gewässern in Angriff nehmen wird. Die Vereinigten Staaten werden allerdings nicht einmal am Tisch sitzen, weil sie keine Vertragspartei des Seerechtsübereinkommens der Vereinten Nationen (und daher in der Meeresbodenbehörde offiziell nicht vertreten) sind. Eine kleine Gruppe von US-Senatoren hat den Beitritt zu diesem Vertrag lange Zeit aus undurchsichtigen ideologischen Gründen blockiert -  eine Vorgehensweise, hinsichtlich derer man womöglich bald zur Einsicht kommt, dass man sie sich eigentlich nicht leisten kann.  

Doch ungeachtet der Frage, ob US-Unternehmen dabei sind oder nicht, lässt sich feststellen, dass wirtschaftlicher Fortschritt nicht kostenlos vonstatten geht. Die Gewinnung und Verarbeitung der für digitale Technologien und saubere Energie benötigten Rohstoffe hat unvermeidliche Auswirkungen auf die Umwelt. Sämtliche Bergbauaktivitäten – so auch der umweltbelastende Prozess der Gewinnung mineralischer Rohstoffe aus Gestein – wirken zerstörerisch und es lässt sich zu diesem Zeitpunkt noch nicht sagen, ob sich der Abbau in der Tiefsee weniger zerstörerisch oder noch destruktiver gestalten wird als an Land.

Was auf den ersten Blick wie eine kahle und unwirtliche Einöde erscheint, ist tatsächlich eines der größten Biome auf dem Planeten, das von fantastischen Wesen wie dem Seeteufel, dem Vampirtintenfisch und uralten Korallen bewohnt wird, die seit der Bronzezeit existieren. Im Rahmen einer kürzlich unter der Leitung der Universität von Hawaii durchgeführten Erkundung der Clarion-Clipperton-Zone, eines riesigen internationalen Unterwassergebiets, das sich von Hawaii bis Mexiko erstreckt, wurde eine üppige Tier- und Pflanzenwelt am Tiefseeboden dokumentiert, von der mehr als die Hälfte der Wissenschaft bislang gänzlich neu war.

Überdies hat die Forschung kürzlich entdeckt, dass mikrobielle Organismen in der Tiefsee möglicherweise eine bedeutende Rolle bei der Regulierung des Weltklimas spielen. Einige dieser Formationen und Organismen brauchten Millionen Jahre für ihr Wachstum. Diese Ordnung durcheinanderzubringen oder diese Unterwasserwelt mit dem durch den Bergbau entstehenden Sediment zu bedecken, könnte alles dauerhaft zerstören. Es ist wenig bekannt über die Rolle, die diese Arten und Tiefsee-Mikroben in den Bereichen Fischerei, Weltklima und bei anderen Prozessen in Ökosystemen spielen, die sowohl das Leben im Wasser als auch an Land unterstützen.  

Die internationale Gemeinschaft sollte sich zum Ziel setzen, die Versorgung mit den benötigten mineralischen Rohstoffen auf die bestmögliche und am wenigsten zerstörerische Weise sicherzustellen, ob dies nun in der Demokratischen Republik Kongo oder in der Tiefsee – oder wahrscheinlich an beiden Orten – geschieht. Wir sollten zumindest die Vor- und Nachteile ermitteln und verstehen, bevor folgenschwere Entscheidungen getroffen werden, um so die möglichen Konsequenzen abzuwägen, bevor sie nicht mehr rückgängig zu machen sind. Klar ist, dass China und die USA (so sie sich überreden lassen, aus dem Abseits herauszutreten) eine führende Rolle bei diesen Bemühungen spielen müssen.

Als die industrielle Revolution begann, konnte niemand wissen, dass der Klimawandel eines ihrer Endergebnisse sein würde. Im Digitalzeitalter muss die Welt bei der Erschließung der Reichtümer am Meeresgrund jedoch viel umweltbewusster agieren.

Aus dem Englischen von Helga Klinger-Groier

https://prosyn.org/L50N2W5de