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Wir bringen Polen zurück nach Europa

WARSCHAU – Der jüngste Aufruf des französischen Präsidenten Emmanuel Macron zur Reform der Europäischen Union ist ein Signal der Hoffnung für den gesamten Kontinent. Trotz unserer Meinungsunterschiede sind wir uns in den Kernfragen einig. Macron hat grundsätzlich Recht mit seinen Äußerungen, was Europa tun müsse, um weiter erfolgreich zu sein. Wir müssen die EU neu beleben, indem wir sie demokratischer und gerechter machen und ihren inneren Zusammenhalt stärken. Und wir müssen Europa gegenüber den Feinden stärken, die es schwächen wollen: populistischen Kräften im Innern und den diese unterstützenden ausländischen Mächten.

Kommen Populisten wie die in Polen regierende Partei für Recht und Gerechtigkeit (PiS) an die Macht, träumen sie davon, Zwietracht unter den demokratischen Oppositionsparteien zu sähen. Doch wir haben ihre zynische Strategie überwunden, indem wir im Vorfeld der Wahlen zum Europaparlament im Mai die Europäische Koalition oppositioneller Kräfte gegründet haben. Dieses neue demokratische Bündnis, dessen Vorsitzender ich bin, liegt bereits in den Meinungsumfragen vorn und ist dabei, die PiS zu besiegen – zuerst im Mai und anschließend bei den polnischen Parlamentswahlen im kommenden Herbst.

Beide Wahlen sind von entscheidender Bedeutung. Polen braucht eine neue Regierung, die den Rechtsstaat respektiert und innerhalb der EU eine positive Rolle spielt. Und Europa braucht ein Polen, das zwar für seine eigenen Interessen eintritt, aber auch stark für die für die Zukunft der EU unverzichtbaren demokratischen Werte kämpft.

Polen kennt die von Macron so gut herausgestellten Bedrohungen – eine europafeindliche Einstellung und Angriffe auf den Rechtsstaat – aus eigener Erfahrung. Obwohl die Polen zu den europafreundlichsten Menschen in der EU gehören, vergiftet Jarosław Kaczyński, Parteivorsitzender der PiS und faktisches Oberhaupt der polnischen Regierung, unsere Beziehungen zu dieser. Die derzeitige Regierung hat Polen innerhalb der EU derart marginalisiert, dass seine Stimme kaum noch Gewicht hat. Dies ist der Grund, warum alle vernünftigen polnischen Politiker die Rückkehr unseres Landes auf eine angesehene und aktive Position innerhalb der europäischen Strukturen im Interesse der nationalen Sicherheit Polens für lebensnotwendig erachten.

Doch dazu wird es nicht kommen, wenn wir die PiS in diesem Jahr nicht besiegen. Erringt die PiS eine zweite Amtszeit, könnte Kaczyński die letzten Dosen seines fremdenfeindlichen Giftes verabreichen, indem er Polens Justiz und Medien völlig den Launen seiner Partei unterwirft. Kann ein Land ohne unabhängige Justiz in der EU bleiben? Ich glaube nicht.

Eine neue, von der Europäischen Koalition geführte Regierung würde sich um eine Beteiligung an Macrons Initiativen zur Reform der EU bemühen. Wir stimmen Macron zu, dass die EU mit anderen Weltmächten auf eine Weise konkurrieren kann, wie es kein einzelner Mitgliedstaat kann. Wir stimmen ebenfalls zu, dass die EU ihre Außengrenzen stärken, ihre demokratischen Prozesse gegen ausländische Manipulation schützen und in Forschung und Innovation auf einem Niveau ähnlich dem der USA und Chinas investieren muss.

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Darüber hinaus müssen die einzelnen Mitgliedstaaten und die EU als Ganze anfangen, ihre Wirtschafts-, Verteidigungs- und Bildungspolitik miteinander zu koordinieren. Unsere aktuellen Schwächen in diesem Bereich verschaffen ausländischen Akteuren einen Vorteil und steigern das Risiko, dass diese weitere Teile der europäischen Industrie übernehmen werden.

Doch bin ich nicht überzeugt, dass Macrons Vorschlag zur Schaffung neuer EU-Behörden der beste Weg ist, um diese Probleme in Angriff zu nehmen. Die EU hat bereits mehr als 30 davon. Weitere Behörden bedeuten mehr Bürokratie – ein Ergebnis, das kaum dazu beitragen dürfte, Begeisterung für Europa zu wecken. Eine einfachere Lösung bestünde darin, bestehende EU-Institutionen zu stärken und dafür zu sorgen, dass sie über eine ausreichende Finanzausstattung verfügen.

Macron hat recht, wenn er sagt: „Es geht bei Fortschritt und Freiheit darum, von seiner Arbeit leben zu können.“ Doch jeder administrative Versuch, die EU-Arbeitskosten anzugleichen, würde zu Arbeitsplatzverlusten in Polen und anderswo in Mitteleuropa führen und die Kapitalzuflüsse reduzieren, die dazu beitragen, die Löhne zu steigern, und die Region befähigen, zu den wohlhabenderen Ländern aufzuschließen. Die produzierende Industrie würde dann immer noch jene Länder verlassen, die nicht ausreichend konkurrenzfähig sind, aber sie würde statt nach Mitteleuropa in andere Teile der Welt abwandern.

Allerdings hat Macron unzweifelhaft Recht, wenn er die Wichtigkeit der europäischen Verteidigungs- und Sicherheitspolitik betont. Sollten wir in Polen die Macht erlangen, wird die Europäische Koalition eine strategische Debatte unter den europäischen Regierungen einleiten, um wirksame institutionelle Maßnahmen zu entwickeln und die Verteidigungsressourcen der EU auszuweiten. Die EU braucht einen robusten Verteidigungshaushalt und eine Abstimmung der Produktion innerhalb der europäischen Verteidigungsindustrie, um zu garantieren, dass wir die von uns unternommenen Missionen bewältigen können.

In diesem Punkt sollte die EU mehr Initiative bezüglich ihrer weiteren Zusammenarbeit mit der NATO zeigen. Sie sollte darauf zielen, die transatlantischen Beziehungen zu bekräftigen und die operativen Verbindungen zwischen den Militärkapazitäten beider Organisationen zu stärken. Der Schlüssel zu unserem gemeinsamen Erfolg ist die Verteidigungsfähigkeit – transatlantisch wo immer möglich, und europäisch wenn nötig.

Auch sollten wir die wichtige Aufgabe nicht vergessen, die europäische Integration zu vollenden. Wir sollten die Länder des westlichen Balkans bei uns begrüßen, wenn sie soweit sind. Und wir sollten die europäischen Aspirationen der Ukraine respektieren, die von großer strategischer Bedeutung für Polen und die EU ist. Die europäische Solidarität sollte bis in die ukrainischen Städte reichen; tut sie das nicht, wird Europa nie ein sicheres Ganzes sein.

Vor 30 Jahren überwanden die Polen ihre inneren Spannungen und sprachen sich mit überwältigender Deutlichkeit gegen den Kommunismus und die Unterwerfung gegenüber der Sowjetunion aus. Dies führte letztlich zum Fall der Berliner Mauer und zum Ende des Kommunismus in Europa. Heute müssen wir angesichts einer populistischen Regierung, die uns spalten will, weiterhin so geeint für die Sache der Demokratie und gegen einen gesetzlosen Autoritarismus eintreten, wie wir das 1989 getan haben.

Macrons Ruf nach einer europäischen Erneuerung kommt zur rechten Zeit. Wir sind entschlossen, Polen an seinen ihm zustehenden Platz innerhalb eines demokratischen Europas zurückzuführen, und bereit, unsere gemeinsame Aufgabe der Reform der EU in Angriff zu nehmen.

Aus dem Englischen von Jan Doolan

https://prosyn.org/JzsASmude