BERLIN – Die diplomatischen Bemühungen um ein internationales Abkommen zur Abschwächung des Klimawandels unterliegen derzeit einem grundlegenden Wandel. Der diesen Bemühungen seit 1992 zugrunde liegende Top-Down-Ansatz wird allmählich durch ein Bottom-Up-Modell ersetzt. Statt des Versuchs, ein Abkommen auf Grundlage rechtlich verbindlicher Beschränkungen des Treibgasausstoßes zu erzielen, basiert der neue Ansatz vielmehr auf freiwilligen Zusagen einzelner Länder, ihren jeweiligen Beitrag zum Klimawandel einzudämmen.
Dabei handelt es sich in gewissem Sinne um ein Eingeständnis des Scheiterns, denn mit einem derartigen Ansatz wird man eine Begrenzung des weltweiten Temperaturanstiegs um weniger als 2 Grad Celsius, den von den Vereinten Nationen 2010 festgelegten Zielwert, wohl nicht erreichen. Doch angesichts des bislang schleppenden Fortschritts sind kleine pragmatische Schritte der einzelnen Länder möglicherweise weit produktiver als Versuche, ein umfassendes Abkommen zu erzielen, das für immer unerreichbar bleibt.
Den internationalen Verhandlern gelangen in den letzten fünf Jahren zwar beträchtliche Fortschritte, doch von einem Abkommen, mit dem man das 2-Grad-Ziel erreichen würde, ist man nach wie vor weit entfernt. Daher haben die Diplomaten aus Angst, das erneute Scheitern eines globalen Abkommen könnte den gesamten Verhandlungsprozess diskreditieren, ihre Ambitionen redimensioniert.
Insbesondere die Bemühungen um strenge Emissionsgrenzwerte werden stillschweigend fallengelassen. Das Hauptaugenmerk liegt nicht mehr auf ökologisch Wünschenswertem oder Maßnahmen zur Eindämmung des Klimawandels, sondern vielmehr auf dem politisch Machbaren - auf den Möglichkeiten und Einschränkungen des Verhandlungsprozesses, insbesondere im Hinblick darauf, eine umfassende Teilnahme an diesem Prozess sicherzustellen. Angesichts des schleppenden Fortschritts seit dem ersten UN-Klimagipfel im Jahr 1995, würde man es wohl als historischen Erfolg bejubeln, wenn überhaupt ein Abkommen zustande käme, in das alle Mitglieder des Rahmenübereinkommens über Klimaänderungen eingebunden sind.
Aus diesem Grund wird es im Vorfeld der Klimaschutzkonferenz in Paris im November und Dezember, auf die sich Spitzenpolitiker und Umweltminister nun vorbereiten, als nicht mehr realistisch betrachtet, alle großen Emittenten von ehrgeizigen und rechtlich verbindlichen Emissionssenkungen zu überzeugen. Die größten Umweltverschmutzer der Welt – allen voran China, Indien und die Vereinigten Staaten – haben klargestellt, dass sie alleine über die von ihnen zu ergreifenden Maßnahmen entscheiden werden. Nach der Festsetzung ihrer unilateralen Ziele ist es wohl kaum wahrscheinlich, dass sie an weiteren multilateralen Verhandlungen teilnehmen.
Natürlich würden dies nur wenige Diplomaten so unverblümt äußern. Dies käme einem Eingeständnis des Versagens der UN-Klimapolitik der letzten 20 Jahre gleich. Vielmehr neigt man dazu, den Bottom-Up-Ansatz nicht als Bruch mit dem Top-Down-Paradigma darzustellen, sondern als pragmatische Ergänzung, die auch Großemittenten berücksichtigt und aufgrund derer ein Rahmenwerk für Klimainitiativen von Akteuren auf subnationaler Ebene wie Großstädte und Unternehmen geschaffen wird.
In Wahrheit allerdings wird der Top-Down-Ansatz bereits verworfen. Denn schließlich besteht sein entscheidendes Merkmal nicht im politischen Rahmen, innerhalb dessen eine derartige Einigung erzielt wird (im System der UNO), sondern im übergeordneten politischen Ziel (der Vermeidung des gefährlichen Klimawandels). Und es steht jetzt schon fest, dass es bei den Verhandlungen in Paris nicht gelingen wird, das im Jahr 2010 festgelegte 2-Grad-Ziel – oder irgendeine andere strikte Grenze – zu erreichen.
Addiert man die Beiträge der über 160 Länder, die ihre freiwilligen Klimaschutz-Zusagen – die so genannten „Intended Nationally Determined Contributions” – bereits eingereicht haben, wird das Ausmaß des Fehlschlags evident. Selbst wenn alle Länder ihren Verpflichtungen rigoros nachkommen, befände sich die Welt auf einem Kurs in Richtung eines Temperaturanstiegs von mindestens 3 Grad.
Tatsächlich wird das erklärte Ziel des Abkommens von Paris lauten, den Versuch zu unternehmen, „das 2-Grad-Ziel in Reichweite zu halten.“ Die Diplomaten planen, „Mechanismen zur Ambitionssteigerung“ einzubeziehen, die Raum für eine kontinuierliche Erweiterung der Ambitionen bieten sollen. Aus Erfahrungen der Vergangenheit lässt sich allerdings schließen, dass derartige Mechanismen in den nächsten zehn Jahren wohl nicht zur Anwendung kommen. Ihre wichtigste Funktion besteht darin, enttäuschende Ergebnisse in freundlicherem Licht darzustellen und die Hoffnung auf eine ehrgeizigere Klimapolitik am Leben zu erhalten.
Dennoch besteht Anlass zu Optimismus: Pragmatismus erweist sich als wirkungsvoller als Idealismus. Nach über einem Jahrzehnt misslungener Versuche, strenge Emissionsgrenzen einzuführen, hat der Top-Down-Ansatz ganz klar ausgedient. Die Einführung eines Bottom-Up-Ansatzes durch die Hintertür ist das stillschweigende Eingeständnis, dass Länder nicht gezwungen werden können, sich an ein strenges, zentralisiertes Regime zu halten, auch wenn dies auf wissenschaftlichen Erkenntnissen beruht.
Die Einführung freiwilliger Maßnahmen hat bereits zu Fortschritten geführt, wie vor allem an den koordinierten Verpflichtungen der USA und China zu sehen ist. Da dieser Bottom-Up-Ansatz bestehende Gepflogenheiten berücksichtigt, wie souveräne Staaten auf internationaler Ebene agieren, verfügt er über das Potenzial eine positive Dynamik zu schaffen. Die meisten Regierungen räumen ihrem politischen Überleben und dem kurzfristigen wirtschaftlichen Erfolg Priorität ein. Sie werden zu den globalen Klimaschutzmaßnahmen nur beitragen, wenn sie wissen, dass ihre Hauptkonkurrenten ebenfalls so handeln.
Insgesamt markiert dieser Bottom-Up-Ansatz im Kampf gegen den Klimawandel also einen wichtigen Schritt nach vorne. Eine um 3 Grad wärmere Welt mag alles andere als ideal sein, aber sie ist immerhin besser als eine Welt, in der der Klimawandel außer Kontrolle geraten ist.
Aus dem Englischen von Helga Klinger-Groier
BERLIN – Die diplomatischen Bemühungen um ein internationales Abkommen zur Abschwächung des Klimawandels unterliegen derzeit einem grundlegenden Wandel. Der diesen Bemühungen seit 1992 zugrunde liegende Top-Down-Ansatz wird allmählich durch ein Bottom-Up-Modell ersetzt. Statt des Versuchs, ein Abkommen auf Grundlage rechtlich verbindlicher Beschränkungen des Treibgasausstoßes zu erzielen, basiert der neue Ansatz vielmehr auf freiwilligen Zusagen einzelner Länder, ihren jeweiligen Beitrag zum Klimawandel einzudämmen.
Dabei handelt es sich in gewissem Sinne um ein Eingeständnis des Scheiterns, denn mit einem derartigen Ansatz wird man eine Begrenzung des weltweiten Temperaturanstiegs um weniger als 2 Grad Celsius, den von den Vereinten Nationen 2010 festgelegten Zielwert, wohl nicht erreichen. Doch angesichts des bislang schleppenden Fortschritts sind kleine pragmatische Schritte der einzelnen Länder möglicherweise weit produktiver als Versuche, ein umfassendes Abkommen zu erzielen, das für immer unerreichbar bleibt.
Den internationalen Verhandlern gelangen in den letzten fünf Jahren zwar beträchtliche Fortschritte, doch von einem Abkommen, mit dem man das 2-Grad-Ziel erreichen würde, ist man nach wie vor weit entfernt. Daher haben die Diplomaten aus Angst, das erneute Scheitern eines globalen Abkommen könnte den gesamten Verhandlungsprozess diskreditieren, ihre Ambitionen redimensioniert.
Insbesondere die Bemühungen um strenge Emissionsgrenzwerte werden stillschweigend fallengelassen. Das Hauptaugenmerk liegt nicht mehr auf ökologisch Wünschenswertem oder Maßnahmen zur Eindämmung des Klimawandels, sondern vielmehr auf dem politisch Machbaren - auf den Möglichkeiten und Einschränkungen des Verhandlungsprozesses, insbesondere im Hinblick darauf, eine umfassende Teilnahme an diesem Prozess sicherzustellen. Angesichts des schleppenden Fortschritts seit dem ersten UN-Klimagipfel im Jahr 1995, würde man es wohl als historischen Erfolg bejubeln, wenn überhaupt ein Abkommen zustande käme, in das alle Mitglieder des Rahmenübereinkommens über Klimaänderungen eingebunden sind.
Aus diesem Grund wird es im Vorfeld der Klimaschutzkonferenz in Paris im November und Dezember, auf die sich Spitzenpolitiker und Umweltminister nun vorbereiten, als nicht mehr realistisch betrachtet, alle großen Emittenten von ehrgeizigen und rechtlich verbindlichen Emissionssenkungen zu überzeugen. Die größten Umweltverschmutzer der Welt – allen voran China, Indien und die Vereinigten Staaten – haben klargestellt, dass sie alleine über die von ihnen zu ergreifenden Maßnahmen entscheiden werden. Nach der Festsetzung ihrer unilateralen Ziele ist es wohl kaum wahrscheinlich, dass sie an weiteren multilateralen Verhandlungen teilnehmen.
Natürlich würden dies nur wenige Diplomaten so unverblümt äußern. Dies käme einem Eingeständnis des Versagens der UN-Klimapolitik der letzten 20 Jahre gleich. Vielmehr neigt man dazu, den Bottom-Up-Ansatz nicht als Bruch mit dem Top-Down-Paradigma darzustellen, sondern als pragmatische Ergänzung, die auch Großemittenten berücksichtigt und aufgrund derer ein Rahmenwerk für Klimainitiativen von Akteuren auf subnationaler Ebene wie Großstädte und Unternehmen geschaffen wird.
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In Wahrheit allerdings wird der Top-Down-Ansatz bereits verworfen. Denn schließlich besteht sein entscheidendes Merkmal nicht im politischen Rahmen, innerhalb dessen eine derartige Einigung erzielt wird (im System der UNO), sondern im übergeordneten politischen Ziel (der Vermeidung des gefährlichen Klimawandels). Und es steht jetzt schon fest, dass es bei den Verhandlungen in Paris nicht gelingen wird, das im Jahr 2010 festgelegte 2-Grad-Ziel – oder irgendeine andere strikte Grenze – zu erreichen.
Addiert man die Beiträge der über 160 Länder, die ihre freiwilligen Klimaschutz-Zusagen – die so genannten „Intended Nationally Determined Contributions” – bereits eingereicht haben, wird das Ausmaß des Fehlschlags evident. Selbst wenn alle Länder ihren Verpflichtungen rigoros nachkommen, befände sich die Welt auf einem Kurs in Richtung eines Temperaturanstiegs von mindestens 3 Grad.
Tatsächlich wird das erklärte Ziel des Abkommens von Paris lauten, den Versuch zu unternehmen, „das 2-Grad-Ziel in Reichweite zu halten.“ Die Diplomaten planen, „Mechanismen zur Ambitionssteigerung“ einzubeziehen, die Raum für eine kontinuierliche Erweiterung der Ambitionen bieten sollen. Aus Erfahrungen der Vergangenheit lässt sich allerdings schließen, dass derartige Mechanismen in den nächsten zehn Jahren wohl nicht zur Anwendung kommen. Ihre wichtigste Funktion besteht darin, enttäuschende Ergebnisse in freundlicherem Licht darzustellen und die Hoffnung auf eine ehrgeizigere Klimapolitik am Leben zu erhalten.
Dennoch besteht Anlass zu Optimismus: Pragmatismus erweist sich als wirkungsvoller als Idealismus. Nach über einem Jahrzehnt misslungener Versuche, strenge Emissionsgrenzen einzuführen, hat der Top-Down-Ansatz ganz klar ausgedient. Die Einführung eines Bottom-Up-Ansatzes durch die Hintertür ist das stillschweigende Eingeständnis, dass Länder nicht gezwungen werden können, sich an ein strenges, zentralisiertes Regime zu halten, auch wenn dies auf wissenschaftlichen Erkenntnissen beruht.
Die Einführung freiwilliger Maßnahmen hat bereits zu Fortschritten geführt, wie vor allem an den koordinierten Verpflichtungen der USA und China zu sehen ist. Da dieser Bottom-Up-Ansatz bestehende Gepflogenheiten berücksichtigt, wie souveräne Staaten auf internationaler Ebene agieren, verfügt er über das Potenzial eine positive Dynamik zu schaffen. Die meisten Regierungen räumen ihrem politischen Überleben und dem kurzfristigen wirtschaftlichen Erfolg Priorität ein. Sie werden zu den globalen Klimaschutzmaßnahmen nur beitragen, wenn sie wissen, dass ihre Hauptkonkurrenten ebenfalls so handeln.
Insgesamt markiert dieser Bottom-Up-Ansatz im Kampf gegen den Klimawandel also einen wichtigen Schritt nach vorne. Eine um 3 Grad wärmere Welt mag alles andere als ideal sein, aber sie ist immerhin besser als eine Welt, in der der Klimawandel außer Kontrolle geraten ist.
Aus dem Englischen von Helga Klinger-Groier