Menschenrechte werden wegverhandelt

NEW YORK – Den Unterhändlern bei den Handelsgesprächen in Singapur gelang es jüngst nicht, eine Einigung über die lang erwartete Transpazifische Partnerschaft (TPP) zu erzielen. Sie werden bald eine weitere Gelegenheit finden, das potenziell umfangreichste regionale Freihandelsabkommen der Welt unter Dach und Fach zu bringen. Doch angesichts ernsthafter Bedenken, wonach wichtige menschenrechtliche Auswirkungen in diesem Abkommen keine Berücksichtigung finden, ist das kein Grund zu feiern.

An den TPP-Gesprächen nehmen neben den Vereinigten Staaten und Kanada zehn weitere Pazifik-Anrainerstaaten teil, die eine gemeinsame jährliche Produktionsleistung von etwa 26 Billionen Dollar oder rund 40 Prozent des globalen BIPs aufweisen. Der wirtschaftliche Einfluss dieser Länder spiegelt sich in deren Ambitionen wider. Die Gespräche gehen über traditionelle Handelsfragen hinaus, die nur in 5 der 29 vorgeschlagenen Kapitel ihren Niederschlag finden. Verhandelt wird über eine breite Palette von Investitions- und Regulierungsfragen, von denen viele Millionen Menschen betroffen sein werden -  und das nicht immer in positiver Weise.

Ob die Liberalisierung des Handels den Schwächsten hilft oder ihnen schadet, ist eine komplexe Frage. Doch sollte uns diese theoretische Debatte nicht davon abhalten, die Bedingungen des Abkommens wie sie derzeit auf dem Tisch liegen, einer gründlichen Abschätzung hinsichtlich ihrer menschenrechtlichen Folgen zu unterziehen. Eine derartige Bewertung sollte durchgeführt werden, bevor man bei den TPP-Verhandlungen in relevanten Punkten eine endgültige Einigung erzielt und man sollte dabei nicht übersehen, wie die einzelnen Klauseln in der Praxis umgesetzt werden sollen. Unglücklicherweise haben die TPP-Mitgliedsländer diesbezüglich nicht nur keinerlei Aktivitäten gesetzt, sie haben unabhängige Organisationen auch noch aus diesem Bewertungsprozess ausgeschlossen, indem sie den Zugang zu den Textentwürfen verweigern.

Ein Blick von außen ist umso wichtiger, wenn dieses Freihandels- und Investitionsabkommen, wie Joseph Stiglitz anmerkt, eher „ein gesteuertes Handelssystem“ ist, „bei dem Konzerninteressen an erster Stelle stehen.”  Tatsächlich deutet der Schwerpunkt der TPP auf Regulierungsstrategien darauf hin, dass Geschäftsinteressen Vorrang vor Menschenrechten haben werden.

Während von manchen Vorschlägen (wie beispielsweise gegen das Hai-Finning) gewisse Interessensgruppen profitieren würden, ist es jedoch wahrscheinlich, dass viele weitere Punkte  verbreitet Ungemach auslösen werden. Nach außen gedrungene Entwürfe der Texte über geistiges Eigentum zeigen das hartnäckige Bemühen der USA,  Patentschutz für Pflanzen und Tiere zu fordern, womit sie über das „ Übereinkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums” der Welthandelsorganisation hinausgehen. Die Haltung der USA könnte den Zugang der Landwirte zu produktiven Ressourcen weiter einschränken und so das Recht auf Nahrung in Mitleidenschaft ziehen. Überdies würden derartige Vorschläge auch die Möglichkeiten der Staaten einschränken, wenn sie sich grundlegenderen menschenrechtlichen Fragen im Zusammenhang mit Nahrung widmen.

Diese Interessenskollisionen verstoßen gegen Grundprinzipien des Völkerrechts, wonach nämlich die Handelsabkommen von Ländern nicht im Widerspruch zu deren Verpflichtungen aus Menschenrechtsverträgen stehen dürfen.  Deshalb ist auch vor der Unterzeichnung eines TPP-Abkommens eine Folgenabschätzung hinsichtlich der Menschenrechte durchzuführen - und notwendige zusätzliche Schutzklauseln sind hinzuzufügen. 

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Eine derartige Folgenabschätzung würde auch die öffentliche Debatte über die zur Diskussion stehenden Fragen forcieren. Obwohl Handelsgespräche Diskretion erfordern, um politischer Effekthascherei durch die Teilnehmer vorzubeugen, verhindert die derzeitige Geheimhaltung rund um die TPP-Gespräche, dass wichtige menschenrechtliche Argumente vorgebracht werden können.  Dieses Recht, gehört zu werden – vor allem zu einem Thema von derart weitreichender Relevanz – ist ebenfalls von grundlegender Bedeutung. Transparenz und Inklusivität sollten Voraussetzungen jedes Abkommens sein. Tatsächlich wäre eine menschenrechtliche Folgenabschätzung nicht so schwierig durchzuführen: in den im Jahr 2011 dem UN-Menschenrechtsrat vorgelegten Leitlinien wird dargelegt, wie es funktioniert.

Die Angelegenheit ist dringend. Da die derzeitige Runde der TPP-Verhandlungen ihrem Ende entgegensieht, schwinden auch die Chancen für eine offene und rigorose Folgenabschätzung. Doch selbst in diesem späten Stadium wäre es für  die an den Verhandlungen teilnehmenden Länder noch immer möglich, eine Folgebewertung in Auftrag zu geben, die mit Berichterstattungspflichten verknüpft werden könnte.

Die Verzögerung im Hinblick auf eine endgültige Einigung sollte als letzte Chance verstanden werden, möglicherweise tiefgreifende Ungerechtigkeiten noch zu korrigieren. Dabei handelt es sich um das absolute Mindestmaß, das man von den Verhandlungsteilnehmern erwarten muss.  Wenn ihnen, wie sie behaupten, wirklich etwas daran liegt, die TPP zu einem Modell für die Weltwirtschaft des 21. Jahrhunderts zu machen, sollten sie auch echte Führungskompetenz an den Tag legen. Die TPP-Unterhändler sollten die Rechte aller von dem Abkommen Betroffenen berücksichtigen und im öffentlichen Interesse handeln und nicht nur die speziellen Interessen der Wirtschaftsakteure im Auge haben, die am meisten davon profitieren.

Aus dem Englischen von Helga Klinger-Groier

https://prosyn.org/3LNSqMmde