schaller1_ Alain PittonNurPhoto via Getty Images_protest Alain Pitton/NurPhoto via Getty Images

Klimagerechtigkeit versus Populismus

BERLIN – Die ersten Umfragen liegen vor. Bei den bevorstehenden Wahlen zum Europäischen Parlament könnten euroskeptische, rechtspopulistische Kräfte wie die italienische Lega, die französische Nationale Sammlungsbewegung (vormals Front National) und die Alternative für Deutschland bis zu 25 Prozent der Sitze erringen. Da derartige Parteien bereits in sieben Mitgliedsstaaten der Europäischen Union in Regierungskoalitionen vertreten sind und damit auch die Politikagenda auf nationaler und europäischer Ebene beeinflussen, ist die Gefahr für die Klimapolitik offenkundig.

Einer neuen Studie zufolge stellen sieben von 21 rechtspopulistischen Parteien in Europa klimawissenschaftliche Erkenntnisse explizit infrage, während 11 Parteien keinen Standpunkt vertreten oder einen inkonsistenten Ansatz verfolgen. In den letzten beiden Legislaturperioden stimmte die Mehrheit der rechtspopulistischen Parteien gegen jeden Vorschlag der EU in den Bereichen Klimapolitik und nachhaltige Energiepolitik.

Unterdessen beginnen die – in anderen Teilen der Welt bereits an Intensität zunehmenden -  Folgen der Untätigkeit auch in Europa spürbar zu werden. Die extreme Dürre im letzten Sommer trug zu den Waldbränden in Griechenland, Portugal und Schweden sowie zu den Ernteausfällen im Baltikum, Deutschland, Irland, den Niederlanden, Skandinavien und Schottland bei. Im Rhein erstickten die Fische. Die wirtschaftlichen Verluste, insbesondere in der landwirtschaftlichen Produktion und der nationalen Schifffahrt, erreichten ein Ausmaß von Milliarden Euro.

Dabei handelt es sich lediglich Vorboten dessen, was noch bevorsteht, wenn nicht unverzüglich drastische Maßnahmen ergriffen werden. Doch anstatt die Klimaproblematik in Angriff zu nehmen, versuchen die rechtspopulistischen Parteien durch das Schüren bestehender Frustrationen gegenüber den „herrschenden Eliten“ Unterstützung zu gewinnen. Beispielhaft anzuführen ist die Entscheidung des Vereinigten Königreichs über den EU-Austritt aus dem Jahr 2016 sowie in jüngerer Vergangenheit die Proteste der Gelbwesten in Frankreich.

In den Narrativen der Populisten spiegelt sich jedoch –  gewollt oder nicht – oftmals eine Fehldiagnose des europäischen Zustandes wider. Ja, die Ungleichheit ist dramatisch gestiegen, aber nicht als Folge einer übermäßig linken Politik. Das eigentliche Problem besteht in einem spaltenden ökonomischen Denken, das Wettbewerb als bestimmendes Merkmal menschlicher Beziehungen betrachtet. 

Die populistische Gewohnheit, progressive politische Strategien zu dämonisieren, darunter auch solche zur Förderung der Nachhaltigkeit, wird nur noch mehr Schaden anrichten. Allerdings wird das auch passieren, wenn man die Kritik der Populisten an der Klimapolitik ignoriert. Trotz ihres manipulativen Charakters ist sie nämlich oftmals Ausdruck legitimer Bedenken.

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So ist es beispielsweise nicht von der Hand zu weisen, dass die Klimadebatte bislang größtenteils technokratisch ablief und soziale Realitäten vielfach vernachlässigt wurden. Weil aber populistische Rhetorik den Eindruck verstärkt, dass Klimaschutzmaßnahmen ein Trick seien, von dem die Eliten profitieren, verschärft sie das Misstrauen gegenüber Regierungen, den Multilateralismus und sogar gegenüber der Wissenschaft und untergräbt so die Grundlagen wirksamer Maßnahmen.

Die politischen Parteien des Mainstreams – sowie auch die Verfechter des Klimaschutzes im Allgemeineren – müssen besser verstehen lernen, warum die Kritik der Populisten bei so vielen Menschen Anklang findet. Insbesondere müssen sie erkennen, dass Bestrebungen zur Förderung der Globalisierung und zur Bekämpfung des Klimawandels ohne umsichtiges  Management möglicherweise hohe – und ungerecht verteilte – Kosten verursachen. Genau diese Botschaft sollte der Protest der Gelbwesten auch aussenden, der von einer Erhöhung der Kraftstoffsteuer ausgelöst wurde, die nicht in eine umfassendere Sozialreform oder Umverteilungsstrategie eingebettet war. Um Vertrauen wiederaufzubauen, sollten politische Entscheidungsträger über Kompromisse sprechen und Unsicherheiten transparenter anerkennen.

Bis zu einem gewissen Grad wird diese Botschaft bereits beherzigt. Das Ziel der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung ebenso wie des in den Vereinigten Staaten vorgeschlagenen Green New Deal und der für einen gerechten Übergang eintretenden Bewegung „Just Transition” besteht darin, sicherzustellen, dass Klimastrategien nicht nur wirksam, sondern auch gerecht und in ganzheitliche politische Rahmenbedingungen eingebettet sind. Aber es sollte noch mehr getan werden. So sollte man beispielsweise im Rahmen einer europaweiten Energie-Kooperation neben der Verringerung von Energieimporten die Diversifizierung und Netzintegration zugunsten entlegener Gebiete und ärmerer Bevölkerungssegmente hervorheben.

Allerdings müssen wir uns bei aller Berücksichtigung legitimer Kritik den destruktiven Folgen der oftmals von Panikmache und Opportunismus geprägten  populistischen Narrative widersetzen. Dazu ist es erforderlich, dass Klimaschutzbefürworter alternative Narrative anbieten, die den Enthusiasmus für echten politischen und gesellschaftlichen Wandel fördern. Sie müssen die Wähler davon überzeugen, dass Klimaschutzmaßnahmen ein Mittel sind, um den Lebensstandard anzuheben, die soziale Gerechtigkeit zu fördern, eine gesunde Umwelt zu gewährleisten, die Wirtschaft zu modernisieren und die Wettbewerbsfähigkeit zu steigern.  

Die rechtspopulistischen Parteien könnten bei den Wahlen zum Europäischen Parlament im Mai durchaus an Boden gewinnen. Das heißt allerdings nicht, dass Klimaschutz auf der Strecke bleiben muss. Der Schlüssel zum Erfolg wird denjenigen gehören, die die  entscheidende Bedeutung von Klimaschutzmaßnahmen erkennen, wenn es darum geht, stabile, glaubwürdige Strategien auf Grundlage sozialer und wirtschaftlicher Gerechtigkeit zu fördern. Im Zentrum eines neuen politischen Narrativs in Europa könnte ein gerechter Klimaübergang helfen, Europa aus der populistischen Falle zu befreien.

Aus dem Englischen von Helga Klinger-Groier

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