fuhr18_Alexis RosenfeldGetty Images_oceans Alexis Rosenfeld/Getty Images

Marines Geo-Engineering wird Ozeane oder Klima nicht retten

BERLIN/ZÜRICH: Ohne die Ozeane und ihre vernetzten, empfindlichen Ökosysteme, von denen wir viele kaum verstehen, gäbe es auf der Erde kein Leben. Die Meeresökosysteme bilden nicht nur die Lebensgrundlage für Milliarden von Menschen, sondern sind auch die Lungen unseres Planeten. Sie produzieren rund 50 % des Sauerstoffs, den wir atmen, und absorbieren zugleich 30 % der Treibhausgasemissionen und fast die gesamte damit verbundene überschüssige Wärme. Die legendäre Ozeanografin Sylvia Earle hat es kurz und bündig so formuliert: „Kein Wasser, kein Leben. Kein Blau, kein Grün“.

In den letzten Jahrzehnten jedoch sind die Weltmeere durch Klimawandel, Verschmutzung, Lebensraumzerstörung, Übersäuerung und Überfischung massiv unter Druck geraten. Und nun sind diese empfindlichen Ökosysteme einer neuen Bedrohung ausgesetzt: den hochriskanten Versuchen, die Ozeane durch technologische Eingriffe zu manipulieren. Diese als marines Geo-Engineering bezeichneten Bemühungen könnten die vom Menschen verursachte Schädigung der Ozeane noch verstärken und damit die lebenserhaltenden Systeme unseres Planeten gefährden. Um die Gesundheit der Ozeane zu schützen, müssen Bürger und Wissenschaftler weltweit die politischen Entscheidungsträger drängen, diese Technologien einzuschränken.

Das marine Geo-Engineering umfasst Techniken wie das Impfen des Ozeans mit Eisen zur Förderung des Wachstums von kohlenstoffabsorbierendem Phytoplankton und die Erhöhung des Reflexionsvermögens von Wolken durch Besprühen mit Salzwassernebel und wird von seinen Befürwortern oft als mögliche Lösung für den Klimawandel angepriesen. Bezeichnend ist freilich, dass keiner dieser Ansätze die Grundursache des Klimawandels angeht: die fossilen Brennstoffe. Tatsächlich investieren maßgebliche Umweltverschmutzer und Großkonzerne bereits in diese Maßnahmen, um ihre üblichen Praktiken beizubehalten.

In Wahrheit funktionieren die marinen Geo-Engineering-Technologien entweder nicht, sind nicht großmaßstäblich einsetzbar oder so gefährlich, dass sie niemals zum Einsatz kommen sollten. Nehmen wir zum Beispiel die Kalkung der Meere: Diese Technik zielt darauf ab, die Fähigkeit des Ozeans zur Aufnahme von Kohlendioxid zu steigern, indem dem Ozean große Mengen alkalischer Substanzen zugeführt werden.

Eine Analyse legt nahe, dass die Kalkung des Ozeans in dem zur Senkung des CO2-Gehalts der Atmosphäre erforderlichen Umfang den Einsatz fast aller aktiven Großschiffe der Welt erfordern würde. Da die meisten Schiffe mit fossilen Brennstoffen angetrieben werden, wäre dies allein schon wegen der resultierenden Treibhausgasemissionen kontraproduktiv.

Die Gewinnung der erforderlichen Mengen an alkalischen Stoffen würde zudem eine deutliche Ausweitung der stark umweltbelastenden Bergbauindustrie erfordern. Einer Schätzung zufolge wären dafür 3000 Terawattstunden Strom und zusätzliche zehn Milliarden Tonnen verarbeitetes Gestein erforderlich, was die Gesamtproduktion der weltweiten Kohleindustrie während der letzten 250 Jahre übersteigen würde.

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Während bekannt ist, dass die Übersäuerung der Ozeane das Leben im Meer bedroht, sind die biologischen und ökologischen Auswirkungen der Ozeankalkung noch nicht gründlich erforscht. Sie dürften jedoch ebenso schädlich sein. Schnelle Veränderungen in der chemischen Zusammensetzung des Wassers würden wahrscheinlich Arten schädigen oder töten, die sich unter stabilen, spezifischen Umweltbedingungen entwickelt haben. Die Einbringung und unvorhersehbare Ausbreitung mineralischer Partikel würde das Wasser verunreinigen, das Sonnenlicht blockieren und Plankton und andere Meeresorganismen ersticken. Die Folge wäre eine Störung der für die Speicherung von CO2 in der Tiefsee so wichtigen biologischen Kohlenstoffpumpe.

Eine weitere mit erheblichen Risiken verbundene Geo-Engineering-Technik ist die Aufhellung von Meereswolken. Hierbei wird zur Erhöhung des Reflexionsvermögens der Wolken Meerwasser in die Atmosphäre gepumpt. In großem Maßstab dürfte dies zur Verschiebung von Niederschlags- und Monsunmustern führen und damit Dürren und Wirbelstürme potenziell verschärfen. Die Meeresökosysteme könnten durch vermehrte Salzablagerungen auf der Meeresoberfläche, die die Kohlenstoffabsorption verlangsamen und den Lichteinfall und die Meerestemperaturen verringern, stark beeinträchtigt werden. Bei großflächiger Umsetzung ließe sich die Aufhellung der Meereswolken nicht kurzfristig stoppen, da der Schock der Beendigung zu einem plötzlichen Temperaturanstieg mit unvorhersehbaren und potenziell katastrophalen Folgen führen würde.

Vor diesem Hintergrund ist die jüngste Entscheidung der kalifornischen Stadt Alameda zu begrüßen, ein für dort geplantes Experiment zur Aufhellung von Meereswolken nicht zu gestatten. Sie spiegelt das wachsende Bewusstsein von Öffentlichkeit und Behörden für die Gefahren wider, die von diesen Technologien ausgehen – selbst wenn sie noch in den Kinderschuhen stecken –, und sollte anderen Städten, Provinzen und Ländern als Vorbild dienen.

Angesichts der zunehmenden Belastung unserer Ozeane müssen wir alle Formen der Meeresverschmutzung bekämpfen. Wie der Internationale Seegerichtshof in einem bahnbrechenden Urteil im Mai erklärte, gehören dazu auch Treibhausgase. Aber wir können uns nicht mit Geo-Engineering aus der Klimakrise herauswinden. Marine Geo-Engineering-Technologien zielen im Wesentlichen darauf ab, eine Form der Umweltverschmutzung (CO2) durch eine andere zu ersetzen – ein klarer Verstoß gegen das Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen. Auf diese Weise lenken sie uns von der dringenden Notwendigkeit ab, aus den fossilen Brennstoffen auszusteigen.

Erschreckenderweise scheinen die internationalen Institutionen nicht in der Lage zu sein, die Entwicklung und Kommerzialisierung des marinen Geo-Engineerings zu bremsen, obwohl im Rahmen des UN-Übereinkommens über die biologische Vielfalt seit 2010 de facto ein Moratorium für diese Technologien gilt.

Die Vertragsparteien des Londoner Protokolls haben die Notwendigkeit einer wirksamen globalen Regulierung in einer Erklärung vom Oktober 2023 bekräftigt. Darin erkannten sie die Möglichkeit an, dass marine Geo-Engineering-Technologien „weit verbreitete, langanhaltende oder schwerwiegende schädliche Auswirkungen“ haben können, und warnten vor ihrem Einsatz.

Ein weiterer Grund zur Besorgnis sind Versuche, marine Technologien zur Entnahme von CO2 aus der Atmosphäre zu Geld zu machen, noch bevor ihre Wirksamkeit und Auswirkungen nachgewiesen werden können. Schon jetzt verkaufen Unternehmen und Start-ups in diesem aufstrebenden Bereich Kohlenstoffgutschriften und geben damit dem Profit den Vorrang vor der Vorsorge. Schlimmer noch: Einige dieser Start-ups werden finanziell von Fossilbrennstoffunternehmen unterstützt.

Die Ozeane sind die wichtigsten Verbündeten der Menschheit im Kampf gegen den Klimawandel. Wir können es uns nicht leisten, diese lebenswichtigen, komplexen Ökosysteme zu manipulieren – und schon gar nicht, wenn uns dies von der dringenden Notwendigkeit ablenken würde, aus den fossilen Energieträgern auszusteigen. Um die Ökosysteme zu schützen, die alles Leben auf der Erde erhalten, müssen wir Experimente zum marinen Geo-Engineering einschränken und den Einsatz dieser Technologien verhindern.

Aus dem Englischen von Jan Doolan

https://prosyn.org/jCdqRMRde