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Könnte Kamala Harris der nächste Richard Nixon sein?

NEW HAVEN: In diesem Monat vor fünfzig Jahren trat Richard Nixon als US-Präsident zurück. Da derzeit alle Augen auf die Präsidentschaftswahlen im November gerichtet sind, bietet dieser Jahrestag Gelegenheit zur Betrachtung der der politischen Führung in den USA innewohnenden Widersprüche.

Nixons Missbrauch der Exekutivgewalt stand in scharfem Kontrast zu seinen außenpolitischen Erfolgen. Als bekennender Antikommunist überraschte er die Welt 1972 mit seiner Reise nach China. Nixons Dreiecksstrategie isolierte die ehemalige Sowjetunion wirksam und trug letztlich zur Beendigung des Kalten Krieges bei.

Könnte ein derartiger Durchbruch erneut gelingen? Der sich abzeichnende Konflikt der Supermächte USA und China lässt einen weiteren strategischen Durchbruch mit Sicherheit wünschenswert erscheinen. Die beiden Länder befinden sich auf einem durch politisch motivierte falsche Narrative angeheizten Kollisionskurs, und eine realistische Lösung ist nicht in Sicht. Es bräuchte nicht viel – einen Zwischenfall in der Straße von Taiwan oder im Südchinesischen Meer oder eine Verschärfung der amerikanischen Containment-Politik –, um eine Eskalation des Konflikts auszulösen.

Es ist unwahrscheinlich, dass Donald Trump, sollte er im November die Wahl gewinnen, den US-chinesischen Konflikt lösen wird. Wie schon in seiner ersten Amtszeit will er dabei bei Zöllen ansetzen. Trump hat vorgeschlagen, die US-Zölle auf chinesische Importe auf 50-60 % zu erhöhen, nachdem er sie während seiner ersten Amtszeit von 3 % Anfang 2018 auf 19 % im Jahr 2020 angehoben hatte.

Wie schon bei Trumps früheren Zöllen würde auch dieser Versuch nach hinten losgehen. Zunächst einmal sind die Zölle eine Steuer für chinesische Exporteure, die die Preise für die US-Verbraucher erhöhen. Laut jüngsten Untersuchungen des Peterson Institute of International Economics würden sich die zusätzlichen Kosten durch die von Trump vorgeschlagenen neuen Zölle auf mindestens 1,8 % des BIP belaufen, was fast das Fünffache der durch seine erste Zollrunde verursachten Kosten wäre.

Zweitens verringern, wie ich schon seit langem betone, gegen China gerichtete Zölle das Handelsdefizit der von einem Mangel an Ersparnissen gekennzeichneten US-Volkswirtschaft insgesamt nicht. Sie verlagern es lediglich auf andere, größtenteils teurere ausländische Produzenten. Genau das geschah nach Trumps ersten Zöllen: Das bilaterale Ungleichgewicht mit China schrumpfte, aber die gestiegenen Defizite gegenüber Mexiko, Vietnam, Kanada, Südkorea, Taiwan, Indien, Irland und Deutschland glichen das mehr als aus.

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Kamala Harris hingegen scheint nicht die Absicht zu haben, die Zölle zu erhöhen. Aber sie scheint geneigt, Joe Bidens Doktrin des „kleinen Hofes mit hohem Zaun“ zu unterstützen, die der chinesische Präsident Xi Jinping als „umfassende Eindämmung, Einkreisung und Unterdrückung“ Chinas bezeichnet hat. Dies würde eine Fortsetzung der von Biden verhängten Zölle (die weitgehend von Trump übernommen wurden), gezielten Sanktionen, De-Risking- und Friendshoring-Strategien beinhalten. Der chinafeindliche Ansatz, den Harris von Biden erbt, ist zwar weniger aggressiv als Trumps potenzielle Megazölle, würde aber kaum zu einer Entspannung der Beziehungen führen.

Die beiden Kandidaten dürften wahrscheinlich auch unterschiedliche Ansichten zu Taiwan haben. In einem Interview mit Bloomberg Businessweek betonte Trump Ende Juni einen eher transaktionalen Ansatz zur Verteidigung Taiwans gegen China. Er argumentierte, dass Taiwan quasi als Versicherungsprämie „für die Verteidigung durch uns zahlen sollte“. Die gleiche Haltung – dass reiche Länder für den Schutz durch die USA zahlen sollten – hat Trump bereits früher gegenüber Europa, der NATO und sogar Japan eingenommen.

Ich bin nicht für einen söldnerartigen Ansatz in der amerikanischen Außenpolitik. Aber ich muss zugeben, dass Trumps Taktik die Last der Abschreckung Chinas durchaus von den USA auf Taiwan verlagern könnte. Dies könnte insofern eine positive Entwicklung sein, als es die direkten Spannungen zwischen den beiden Supermächten verringert. Ein strategisches Rezept zur Konfliktlösung wäre es aber noch lange nicht.

Während weder Trump noch Harris dazu neigen, den Konflikt zwischen den USA und China zu beenden, gibt es eine Wendung, die auf die Möglichkeit eines Nixon’schen Durchbruchs mit China hindeutet: Harris’ Entscheidung für den Gouverneur von Minnesota, Tim Walz, als Kandidaten für das Amt des Vizepräsidenten.

Wie der ehemalige US-Präsident George H.W. Bush, der 1974-75 Leiter des US-Verbindungsbüros in Peking war, hat Walz eine besondere Verbindung zu China. Er reiste erstmals 1989 als Lehrer dorthin; das war während der tragischen Ereignisse auf dem Platz des Himmlischen Friedens, die seine Ansichten über das prägten, was er später als Chinas „undenkbare“ Tendenzen bezeichnete. Walz entschied sich sogar, am 4. Juni 1994 zu heiraten, dem fünften Jahrestag der Tiananmen-Tragödie.

Angesichts dieser Erfahrung konzentrierte sich Walz während seiner Zeit als Kongressabgeordneter (2007-2019) auf chinesische Menschenrechtsfragen. Er unterstützte eine Resolution zum 20. Jahrestag des Juni 1989, und auch chinesischen Aktivisten wie Chen Guangcheng, Liu Xiaobo und für die Demokratie eintretenden Gruppen in Tibet und Hongkong zugutekommende Maßnahmen des Kongresses.

Neben seiner Besorgnis über die Menschenrechte und die chinesische Militäraggression im Südchinesischen Meer hat Walz jedoch auch die Bedeutung einer nachhaltigen Beziehung zwischen den USA und China hervorgehoben und argumentiert, dass ein Dialog unerlässlich sei und „unbedingt stattfinden muss“. Mit anderen Worten, er würde einen Pragmatismus einbringen, den die zunehmend sinophobe Haltung der USA gegenüber China schmerzlich vermissen lässt.

Vizepräsidenten gestalten selten große politische Initiativen. Aber in diesem Fall erhöhen Walz’ Ansichten über China die Chancen einer Nixon-ähnlichen Initiative durch eine Harris-Regierung. Harris und Walz teilen die Besorgnis über die chinesische Menschenrechtslage und die Spannungen im Südchinesischen Meer. Zugleich jedoch erkennen sie die dringende Notwendigkeit einer Kurskorrektur in der problematischen US-chinesischen Beziehung an.

Diese differenzierte Sichtweise würde es ihnen eine vernünftige Politik ermöglichen. Sie würde sie ermutigen, eine Wiederaufnahme der Beziehungen zu priorisieren, statt bei jedem Reibungspunkt in der konfliktreichen Beziehung zwischen beiden Ländern stur auf ihrem Standpunkt zu beharren. Das war es, was Nixon 1972 dazu brachte, seine ideologischen Vorurteile beiseite zu schieben und in einen Dialog mit China einzutreten. Walz könnte den Ausschlag für Harris’ China-Politik geben.

Viele der heutigen geostrategischen Umstände ähneln auf unheimliche Weise dem Klima des Kalten Krieges vor einem halben Jahrhundert. Wer wäre besser in der Lage als eine umsichtige neue US-Präsidentin, eine gefährliche Dynamik mit einer anderen Supermacht zu entschärfen, die Beziehung von einer Feindschaft in ein Wettbewerbsverhältnis zu verwandeln und statt auf Konflikteskalation auf Konfliktlösung zu setzen?

Unter Trump und Biden hat sich Amerikas China-Problem nur immer weiter verschärft. Wenn Harris im November die Wahl gewinnt, muss das nicht so weitergehen.

Aus dem Englischen von Jan Doolan

https://prosyn.org/M3QO8HUde