Jose Bove gegen die Armen

Von allen Seiten ertönt der Ruf nach mehr Auslandshilfe, einer Erleichterung der Schuldenrückzahlung oder nach vollständigem Schuldenerlass. Rockstars, Globalisierungsgegner, religiöse Organisationen, verschiedene andere Fürsprecher der Entwicklungsländer und die UNO schließen sich diesen Forderungen lautstark an.

Die "Geschichte", die diese Bewegung für eine Ausweitung der Auslandshilfe erzählt, ist einfach und sympathisch. Die globalen Unterschiede des Pro-Kopf-Einkommens sind zu extrem, die Globalisierung verschärft diese Ungleichheit der Einkommen noch weiter, die Armen werden immer ärmer und viele hungern, um ihre Schulden zahlen zu können. Daher bedarf es vermehrter Hilfsleistungen und eines weiter gehenden Schuldenerlasses, da die Reichen der Welt ihren Reichtum nur auf Kosten der Armen vermehren. Auslandshilfe und Schuldenerlass werden arme Länder aus ihrer Armut befreien.

Diese Geschichte ist beinahe zur Gänze falsch. Alles was daran stimmt ist, dass die Unterschiede beim Pro-Kopf-Einkommen tatsächlich extrem sind. Der Rest ist schlichtweg falsch. Die Globalisierung ist nicht schuld an der Armut in der Dritten Welt. Schuld sind vielmehr korrupte und unfähige Regierungen in den Entwicklungsländern.

Es gibt nicht den geringsten Beweis, dass eine weitere Öffnung des Handels die Armut verstärkt, aber die Globalisierungsgegner lassen sich durch Fakten nicht beirren. Bei größerem Handelsvolumen profitieren beide Handelspartner. Selbst wenn die Globalisierung die Ungleichheit förderte - und hier steht ein großes "wenn", denn bis jetzt wurde dieser Beweis noch nicht erbracht - so vermindert sie trotzdem die Armut. Durch die Globalisierung erhöht sich das Einkommen auf beiden Seiten, sowohl bei Armen als auch bei Reichen. Bei den Reichen in größerem Ausmaß, das stimmt, aber auch die Armen profitieren. Die Alternative der Globalisierungsgegner wäre beide Seiten ärmer zu machen. Dadurch verringerte man möglicherweise die Ungleichheit, aber alle wären ärmer. Was bitte ist daran sympathisch?

Es stimmt nicht, dass die armen Länder noch ärmer geworden sind. Es gibt viele Länder, von Südkorea über Costa Rica bis hin zu Botswana, die sich selbst aus der Armut befreit haben. Andere Länder, wie beispielsweise Nigeria oder Venezuela vergeudeten ihren immensen Reichtum an Bodenschätzen. Venezuela hat übrigens erst kürzlich protektionistische Maßnahmen ergriffen.

Es gibt keinen Beweis, dass vermehrte Auslandshilfe für Entwicklungsländer dazu beigetragen hätte, ihre Wirtschaftsleistung zu verbessern und sie nachhaltig aus der Armut zu befreien. Vermehrte Auslandshilfe leistet vielmehr der Korruption Vorschub, denn mehr Hilfe bedeutet auch mehr Ressourcen, um die sich die Eliten streiten.

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Das Gleiche gilt auch für den Schuldenerlass: Dadurch werden Länder nur ermutigt, noch mehr Kredite aufzunehmen, wovon oftmals nur lokale Eliten profitieren. In einem in letzter Zeit oft zitierten Buch von William Easterly - einem ehemaligen Wirtschaftsberater der Weltbank und Experten in Sachen Auslandshilfe und Entwicklung - sind unzählige schockierende Geschichten über lokale Eliten nachzulesen, die sich an Mitteln der Auslandshilfe bereichern. Die Koalition der Befürworter vermehrter Auslandshilfe sollte dieses Buch sorgfältig studieren.

Diejenigen, denen es wirklich um die Beseitigung der Armut geht, sollten die Schuldigen dort suchen, wo sie auch zu finden sind, nämlich in den Regierungen und Bürokratien vieler Entwicklungsländer, vor allem in Afrika und Lateinamerika. Bis jetzt legte man bei Auslandshilfe wenig Augenmerk auf die Rechtschaffenheit der Regierungen in den Empfängerländern und förderte keineswegs die "guten Regierungen". Geberländer haben typischerweise immer ihre ehemaligen Kolonien bevorzugt, ohne auf den Charakter der Regime zu achten.

Einer der schlimmsten Missetäter in dieser Hinsicht ist Frankreich. Statistiken belegen, dass eine hypothetische ehemalige französische Kolonie mit einem diktatorischen Regime und verwerflicher Politik gewöhnlich mehr Hilfe von Frankreich erhielt, als ein Land, das keine französische Kolonie war, aber darum kämpfte, eine akzeptable Politik zu betreiben. Mit anderen Worten: Frankreich stellt seine Hilfe, ungeachtet der dort herrschenden politischen Verhältnisse, fast ausnahmslos seinen ehemaligen Kolonien zur Verfügung.

Die Auslandshilfe der Vereinigten Staaten unterliegt heute zu sehr dem Einfluss der Nahostpolitik, während sie sich früher an den Gegebenheiten des Kalten Krieges orientierte. Politische Allianzen sind nämlich als bestimmender Faktor der Auslandshilfe oft von größerer Bedeutung als die Qualität der Politik in den Empfängerländern. Die einzigen Geberländer, die ihre Hilfe vernünftig aufteilten, sind die skandinavischen Länder. In Prozentzahlen ausgedrückt ist ihre Hilfe zwar gering, gemessen an der pro-Kopf-Rate liegen sie aber an der Spitze. Einer der Gründe dafür ist, dass diese Länder niemals Kolonien hatten und auch keine Rücksicht auf politische Bündnisse zu nehmen brauchten.

Bevor man mehr Auslandshilfe leistet oder über einen Schuldenerlass nachdenkt, müssen zwei Bedingungen erfüllt sein. Die erste ist die "institutionelle Bedingung". Auslandshilfe sollen nur Regierungen erhalten, die ernsthafte Maßnahmen zur Reduktion der Misswirtschaft, zur Bekämpfung der Plünderung öffentlichen Eigentums und der Korruption in die Wege geleitet haben.

Es gibt durchaus vernünftige Mittel, um Korruption zu messen. Wir wissen, welche Länder korrupt sind und welche nicht. Diese Beweise sollten von den Geberländern rigoroser dazu benützt werden, eine Selektion unter den Empfängerländern vorzunehmen.

Unglücklicherweise sind die meisten der ärmsten Länder mit dem größten Hilfsbedarf auch die korruptesten. Daher muss es eine zweite Bedingung geben. In diesen Ländern sollte die Hilfe keinesfalls über öffentliche Kanäle fließen, sondern von ausländischen Hilfsorganisationen, die nichts mit lokalen Eliten und Regierungen zu tun haben, verteilt werden.

Schließlich gibt es auch noch politische Strategien, die wesentlich nutzbringender sind als Auslandshilfe. In erster Linie wäre dies die Aufhebung der Schutzbestimmungen für Bauern in reichen Ländern. Die schlimmsten Feinde der armen Länder sind die Bauern in reichen Ländern. Die Zerschlagung der französischen Bauernlobby, die die Reformen der Gemeinsamen Agrarpolitik der EU unterminiert, sollte das oberste Ziel der europäischen Koalition für die Armen sein. Aber die Globalisierungsgegner machen sich stattdessen Sorgen um den Charme französischer Agrarstädte, den sie durch die Globalisierung, also durch die Landwirtschaft armer Länder, bedroht sehen.

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