WATERLOO/BRÜSSEL – Eine weitere bedeutende Verursacherin von Treibhausgasemissionen steht kurz davor, Biokraftstoffe zur „Dekarbonisierung“ einzusetzen. Die Schifffahrtsindustrie hat sich nun der Automobil- und Luftfahrtindustrie angeschlossen und betrachtet diese „sauberere“ Alternative zu fossilen Brennstoffen ebenfalls als Mittel, um ihre Emissionen zu reduzieren, ohne dabei ihre Aktivitäten nennenswert zu ändern. Die Vorteile von Biokraftstoffen werden jedoch oft überbewertet und ihre Kosten unterschätzt.
Die internationale Schifffahrt verbraucht jährlich mehr als 300 Millionen Tonnen fossile Brennstoffe – etwa 5 Prozent der weltweiten Ölproduktion. Die Branche ist für 3 Prozent der globalen Treibhausgasemissionen verantwortlich – und liegt damit über dem Niveau von Industrieländern wie Deutschland und Japan.
Die Schifffahrtsbehörde der Vereinten Nationen, die Internationale Seeschifffahrts-Organisation (IMO), möchte dies ändern. Im Jahr 2023 verpflichtete sie sich, die Emissionen der Schifffahrt bis 2030 um 20 Prozent (angestrebt werden 30 Prozent) und bis 2040 um 70 Prozent (angestrebt werden 80 Prozent) zu senken. Seitdem arbeitet die IMO mit ihren 176 Mitgliedstaaten an einem Regelwerk, das diese Ziele vorantreiben und die Emissionen der Schifffahrt bis 2050 „nahe Null“ bringen soll.
Doch die im April 2025 ablaufende Frist für ein endgültiges Rahmenwerk rückt näher, und die Verhandlungen im vergangenen Monat in London brachten nur begrenzte Fortschritte. Wie Constance Dijkstra, IMO-Politikmanagerin bei der Interessenvertretung Transport & Environment, feststellte, „wissen wir immer noch nicht, wie stark Schiffe ihre Emissionen reduzieren müssen und welche Kraftstoffe und Technologien als umweltfreundlich gelten werden.“ Die Antworten auf diese Fragen – darunter auch, ob Biokraftstoffe akzeptabel sind oder nicht – werden darüber entscheiden, ob es bedeutende Fortschritte geben wird oder zu einer ökologischen Katastrophe kommt.
Zum jetzigen Zeitpunkt plant die IMO die Einführung eines „globalen Kraftstoffstandards“, der vorschreibt, dass Schiffe während des Übergangs zu emissionsfreien Alternativen emissionsärmere Kraftstoffe verwenden. Einige IMO-Mitglieder – insbesondere Brasilien – vertreten die Ansicht, Biokraftstoffe sollten im Mittelpunkt dieser Initiative stehen. Als bedeutender Produzent von Biokraftstoffen aus Nutzpflanzen würde Brasilien von einem derartigen Ansatz erheblich profitieren. Nachhaltig ist daran jedoch nichts.
Sollten Biokraftstoffe in den globalen Kraftstoffstandard der IMO aufgenommen werden, prognostiziert eine aktuelle Studie, dass sie bis 2030 von bis zu 36 Prozent der weltweiten Schifffahrt genutzt werden könnten, bis 2035 von 59 Prozent und bis 2040 von 76 Prozent. Da Biokraftstoffe aus Abfällen nur einen geringen Prozentsatz der Nachfrage aus dem Schifffahrtssektor decken könnten, müsste die Produktion von auf Nutzpflanzen basierenden Biokraftstoffen aus Palmöl, Soja und Mais erheblich gesteigert werden.
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Für den Anbau dieser Pflanzen wären riesige Flächen erforderlich – bis 2030 etwa 35 Millionen zusätzliche Hektar, was der Fläche Deutschlands oder Simbabwes entspricht, so besagte Studie. Das könnte bedeuten, dass Waldflächen gerodet und damit die dort vorhandenen Kohlenstoffspeicher zerstört werden. Es könnte auch heißen, dass Flächen von der Nahrungs- und Futtermittelproduktion abgezogen werden. In der Praxis müsste jedoch wohl als Ausgleich eine Ausweitung der landwirtschaftlichen Nutzflächen erfolgen.
Die Auswirkungen derartiger indirekter Änderungen der Landnutzung würden Einsparungen bei den Emissionen aus fossilen Brennstoffen zunichte machen. Darüber hinaus warnt die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO), dass die Nutzung von Ackerland zur Gewinnung von Schiffs-Kraftstoff, anstatt zur Versorgung der Menschen, die Lebensmittelpreise in die Höhe treiben würde. Überdies würde man gefährdeten Bevölkerungsgruppen mit dieser Praxis die ausreichende Ernährung erschweren, und das zu einer Zeit, in der Hunger und Unterernährung bereits auf dem Vormarsch sind. Laut Weltbank kann ein Anstieg der globalen Lebensmittelpreise um nur 1 Prozent sage und schreibe zehn Millionen Menschen in extreme Armut stürzen.
Erschwerend kommt hinzu, dass die großflächige Produktion von Biokraftstoffen in Monokulturen Unmengen an Wasser und umweltschädlichen Düngemitteln verbraucht. Die daraus resultierende Umweltzerstörung bedroht die zukünftige Lebensmittelproduktion, woraus folgt, dass selbst die „vorübergehende“ Nutzung von Biokraftstoffen als Übergangskraftstoff langfristig zu größerer Ernährungsunsicherheit, schlechterer Gesundheit und zunehmender Armut führen würde. Doch die Nutzung von Biokraftstoffen könnte die Armut auch auf andere Weise verschärfen: Die wirtschaftlichen Vorteile der Biokraftstoffproduktion werden nämlich zum Nachteil kleiner landwirtschaftlicher Betriebe überproportional von großen Agrarunternehmen genutzt.
Angesichts all dessen ist es unabdingbar, dass die IMO Biokraftstoffe aus Nutzpflanzen aus ihrem finalen Rechtsrahmen ausschließt und sich stattdessen auf nachhaltige Alternativen wie E-Fuels und Windkraft konzentriert. Um die ausreichende Versorgung mit diesen Kraftstoffen zu gewährleisten und damit die Schifffahrtsindustrie die Ziele der IMO erreichen kann, sind frühzeitige Investitionen unerlässlich. Gleichzeitig bedarf es neben strenger Kraftstoffnormen auch einer ambitionierten CO2-Abgabe auf Schifffahrtsemissionen, um auf diese Weise Einnahmen zu generieren, die einen gerechten Übergang der Branche zu neuen Energielösungen erleichtern.
Die Frist für die Finalisierung dieser Maßnahmen im April rückt immer näher. Eine Dekarbonisierung der Schifffahrt ist zwar von größter Bedeutung, doch die Nutzung von Biokraftstoffen wäre diesem Ziel nicht förderlich, sondern würde die Gesundheit und das Wohlergehen der Menschen und des Planeten auf Jahre oder sogar Jahrzehnte hinaus gefährden. Die Schifffahrtsindustrie muss ihren Blick über Biokraftstoffe hinaus richten und in wirklich nachhaltige Energiequellen investieren – bevor sie uns in eine Katastrophe steuert.
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Despite the uncertainty surrounding global trade, there are some bright spots – namely, booming trade in services. And here, ironically, the United States is leading the way, running a services trade surplus with most major economies and generating millions of good jobs for American workers.
encourages the US government to acknowledge the country’s impressive success in exporting services.
Germany's prospective governing parties have now amended the country's constitutional "debt brake" in order to boost defense spending. But by limiting the amendment to military expenditure, they are squandering an opportunity to invest in the country's economic future.
warn that current plans to boost military spending will unnecessarily undercut other priorities.
Jennifer Clapp & Olivier De Schutter
urge the UN maritime regulator not to encourage the shipping industry to move from one unsustainable fuel to another.
WATERLOO/BRÜSSEL – Eine weitere bedeutende Verursacherin von Treibhausgasemissionen steht kurz davor, Biokraftstoffe zur „Dekarbonisierung“ einzusetzen. Die Schifffahrtsindustrie hat sich nun der Automobil- und Luftfahrtindustrie angeschlossen und betrachtet diese „sauberere“ Alternative zu fossilen Brennstoffen ebenfalls als Mittel, um ihre Emissionen zu reduzieren, ohne dabei ihre Aktivitäten nennenswert zu ändern. Die Vorteile von Biokraftstoffen werden jedoch oft überbewertet und ihre Kosten unterschätzt.
Die internationale Schifffahrt verbraucht jährlich mehr als 300 Millionen Tonnen fossile Brennstoffe – etwa 5 Prozent der weltweiten Ölproduktion. Die Branche ist für 3 Prozent der globalen Treibhausgasemissionen verantwortlich – und liegt damit über dem Niveau von Industrieländern wie Deutschland und Japan.
Die Schifffahrtsbehörde der Vereinten Nationen, die Internationale Seeschifffahrts-Organisation (IMO), möchte dies ändern. Im Jahr 2023 verpflichtete sie sich, die Emissionen der Schifffahrt bis 2030 um 20 Prozent (angestrebt werden 30 Prozent) und bis 2040 um 70 Prozent (angestrebt werden 80 Prozent) zu senken. Seitdem arbeitet die IMO mit ihren 176 Mitgliedstaaten an einem Regelwerk, das diese Ziele vorantreiben und die Emissionen der Schifffahrt bis 2050 „nahe Null“ bringen soll.
Doch die im April 2025 ablaufende Frist für ein endgültiges Rahmenwerk rückt näher, und die Verhandlungen im vergangenen Monat in London brachten nur begrenzte Fortschritte. Wie Constance Dijkstra, IMO-Politikmanagerin bei der Interessenvertretung Transport & Environment, feststellte, „wissen wir immer noch nicht, wie stark Schiffe ihre Emissionen reduzieren müssen und welche Kraftstoffe und Technologien als umweltfreundlich gelten werden.“ Die Antworten auf diese Fragen – darunter auch, ob Biokraftstoffe akzeptabel sind oder nicht – werden darüber entscheiden, ob es bedeutende Fortschritte geben wird oder zu einer ökologischen Katastrophe kommt.
Zum jetzigen Zeitpunkt plant die IMO die Einführung eines „globalen Kraftstoffstandards“, der vorschreibt, dass Schiffe während des Übergangs zu emissionsfreien Alternativen emissionsärmere Kraftstoffe verwenden. Einige IMO-Mitglieder – insbesondere Brasilien – vertreten die Ansicht, Biokraftstoffe sollten im Mittelpunkt dieser Initiative stehen. Als bedeutender Produzent von Biokraftstoffen aus Nutzpflanzen würde Brasilien von einem derartigen Ansatz erheblich profitieren. Nachhaltig ist daran jedoch nichts.
Sollten Biokraftstoffe in den globalen Kraftstoffstandard der IMO aufgenommen werden, prognostiziert eine aktuelle Studie, dass sie bis 2030 von bis zu 36 Prozent der weltweiten Schifffahrt genutzt werden könnten, bis 2035 von 59 Prozent und bis 2040 von 76 Prozent. Da Biokraftstoffe aus Abfällen nur einen geringen Prozentsatz der Nachfrage aus dem Schifffahrtssektor decken könnten, müsste die Produktion von auf Nutzpflanzen basierenden Biokraftstoffen aus Palmöl, Soja und Mais erheblich gesteigert werden.
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Für den Anbau dieser Pflanzen wären riesige Flächen erforderlich – bis 2030 etwa 35 Millionen zusätzliche Hektar, was der Fläche Deutschlands oder Simbabwes entspricht, so besagte Studie. Das könnte bedeuten, dass Waldflächen gerodet und damit die dort vorhandenen Kohlenstoffspeicher zerstört werden. Es könnte auch heißen, dass Flächen von der Nahrungs- und Futtermittelproduktion abgezogen werden. In der Praxis müsste jedoch wohl als Ausgleich eine Ausweitung der landwirtschaftlichen Nutzflächen erfolgen.
Die Auswirkungen derartiger indirekter Änderungen der Landnutzung würden Einsparungen bei den Emissionen aus fossilen Brennstoffen zunichte machen. Darüber hinaus warnt die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO), dass die Nutzung von Ackerland zur Gewinnung von Schiffs-Kraftstoff, anstatt zur Versorgung der Menschen, die Lebensmittelpreise in die Höhe treiben würde. Überdies würde man gefährdeten Bevölkerungsgruppen mit dieser Praxis die ausreichende Ernährung erschweren, und das zu einer Zeit, in der Hunger und Unterernährung bereits auf dem Vormarsch sind. Laut Weltbank kann ein Anstieg der globalen Lebensmittelpreise um nur 1 Prozent sage und schreibe zehn Millionen Menschen in extreme Armut stürzen.
Erschwerend kommt hinzu, dass die großflächige Produktion von Biokraftstoffen in Monokulturen Unmengen an Wasser und umweltschädlichen Düngemitteln verbraucht. Die daraus resultierende Umweltzerstörung bedroht die zukünftige Lebensmittelproduktion, woraus folgt, dass selbst die „vorübergehende“ Nutzung von Biokraftstoffen als Übergangskraftstoff langfristig zu größerer Ernährungsunsicherheit, schlechterer Gesundheit und zunehmender Armut führen würde. Doch die Nutzung von Biokraftstoffen könnte die Armut auch auf andere Weise verschärfen: Die wirtschaftlichen Vorteile der Biokraftstoffproduktion werden nämlich zum Nachteil kleiner landwirtschaftlicher Betriebe überproportional von großen Agrarunternehmen genutzt.
Angesichts all dessen ist es unabdingbar, dass die IMO Biokraftstoffe aus Nutzpflanzen aus ihrem finalen Rechtsrahmen ausschließt und sich stattdessen auf nachhaltige Alternativen wie E-Fuels und Windkraft konzentriert. Um die ausreichende Versorgung mit diesen Kraftstoffen zu gewährleisten und damit die Schifffahrtsindustrie die Ziele der IMO erreichen kann, sind frühzeitige Investitionen unerlässlich. Gleichzeitig bedarf es neben strenger Kraftstoffnormen auch einer ambitionierten CO2-Abgabe auf Schifffahrtsemissionen, um auf diese Weise Einnahmen zu generieren, die einen gerechten Übergang der Branche zu neuen Energielösungen erleichtern.
Die Frist für die Finalisierung dieser Maßnahmen im April rückt immer näher. Eine Dekarbonisierung der Schifffahrt ist zwar von größter Bedeutung, doch die Nutzung von Biokraftstoffen wäre diesem Ziel nicht förderlich, sondern würde die Gesundheit und das Wohlergehen der Menschen und des Planeten auf Jahre oder sogar Jahrzehnte hinaus gefährden. Die Schifffahrtsindustrie muss ihren Blick über Biokraftstoffe hinaus richten und in wirklich nachhaltige Energiequellen investieren – bevor sie uns in eine Katastrophe steuert.
Aus dem Englischen von Helga Klinger-Groier