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Die globalen Auswirkungen von EU-Zöllen auf chinesische Elektrofahrzeuge

NEW YORK – Am 12. Juni hat die Europäische Union neue provisorische Abgaben auf chinesische Elektrofahrzeuge (EV, electric vehicles) verhängt. Das Niveau dieser Zölle wird auf Schätzungen beruhen, wieviel staatliche Unterstützung die jeweiligen EU-Exporteure erhalten. Die neuen Zölle beruhen auf einer monatelangen Untersuchung der chinesischen Finanzsubventionen, und sie werden zusätzlich zu den bereits bestehenden 10%igen EU-Abgaben erhoben. Sie sind „provisorisch“, weil sie gesenkt werden können, wenn die chinesischen Hersteller belegen, dass sie weniger Unterstützung erhalten als angenommen. Außerdem kann es sein, dass die neuen Zölle nicht erhoben werden, wenn sich die EU mit China darauf einigen kann, weniger EV nach Europa zu exportieren.

Die neuen Zölle entsprechen der höchsten EU-Schätzung über die Gesamtsubvention pro Fahrzeug, die chinesische Hersteller über die gesamte Lieferkette hinweg von allen Regierungsebenen erhalten. Die Ermittler haben alle chinesische EV-Hersteller um Kooperation gebeten – und unter jenen, die damit einverstanden waren, drei ausgewählt: BYD, Geely und SAIC. Dann haben sie nicht nur die Unterlagen dieser Firmen genau studiert, sondern auch Insider und Branchenexperten befragt.

Davon ausgehend, dass die Subventionsquote bei BYD 17,4%, bei Geely 20% und bei SAIC 38,1% beträgt, haben die Ermittler die Zölle entsprechend festgesetzt. Alle anderen EV-Hersteller, die kooperiert haben, werden mit Abgaben in Höhe von 21% (dem gewichteten Durchschnitt der drei) belegt, während Hersteller, die einer Zusammenarbeit nicht zustimmen wollten, mit 38,1% belastet werden.

Die Ergebnisse der EU-Untersuchungen bieten Einsicht in die wahre Natur der US-amerikanischen „Anti-Subventions-Zölle“ auf chinesische EV in Höhe von 100%. Diese US-Zollquote, die im letzten Monat (ohne ernsthafte Untersuchung) angekündigt wurde, ist so viel höher als jede vernünftige Schätzung der tatsächlichen chinesischen Subventionen, dass ihre protektionistische Natur offensichtlich ist.

Selbst vor Präsident Joe Bidens 100%iger Abgabe auf chinesische EV lagen die US-Zölle auf chinesische Importe – die unter Donald Trump verhängt, aber von Biden übernommen wurden – bereits auf einem Niveau, das dem der berüchtigten US-Smoot-Hawley-Zölle der 1930er ähnelt. 2020 hat eine Kommission der Welthandelsorganisation (mit Experten aus Ländern außerhalb der USA und China) bestimmt, dass diese Zölle mit den rechtlichen Verpflichtungen der USA innerhalb der WHO nicht in Einklang stehen. Aber sowohl die Trump- als auch die Biden-Regierung hat die WHO-Regeln ignoriert.

Die meisten Regierungen haben sich über diese US-Politik nicht öffentlich geäußert – teils weil die Zölle die relative Wettbewerbsfähigkeit ihrer eigenen Produkte im gleichen Markt verbessert haben (entsprechend der Verringerung der Wettbewerbsfähigkeit der chinesischen Hersteller). Nachdem Trump die Zölle verhängt hatte, sind die Importe aus China massiv zurückgegangen, während jene aus Mexiko, Indien, Vietnam und vielen anderen Ländern gestiegen sind.

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Einige Kommentatoren scheinen zu glauben, Zölle von 30% seien nicht genug, um die chinesischen EV-Exporte einzudämmen, da Chinas Kostenvorteile so groß seien. Aber diese Annahme ist aus mindestens zwei Gründen falsch.

Erstens haben unterschiedliche Märkte unterschiedliche Standards für Sicherheit und andere Eigenschaften. Deshalb müssen Autohersteller ihre Bauweise oft entsprechend ändern, und dies verringert die Verkaufszahlen pro Modell in den jeweiligen Märkten. (Beispielsweise betonen die chinesischen Standards die Sicherheit der Fußgänger und anderer außerhalb des Fahrzeugs, während die US-Vorschriften hauptsächlich jene des Fahrers und der anderen Personen im Auto berücksichtigen.) Zweitens müssen alle Modelle eine bestimmte Verkaufszahl erreichen, um profitabel zu sein. Also könnten Zölle, die die erwarteten Verkaufszahlen verringern, den Anreiz, in diesen ausländischen Markt zu exportieren, völlig wegfallen lassen.

Einige chinesische EV-Hersteller könnten erwägen, die Herstellung in die USA auszulagern, was US-Arbeitsplätzen und -Steuereinnahmen zugute käme. Aber da die US-Überprüfungen ausländischer Investitionen von chinesischen Unternehmen als chinafeindlich wahrgenommen werden, könnte es passieren, dass viele Hersteller den US-Markt einfach völlig aufgeben.

Die größten Opfer der US-Zölle (neben chinesischen Exporteuren und amerikanischen Verbrauchern) sind Hersteller aus kleineren Ländern, die nun verstärkt davon ausgehen müssen, dass größere Länder straflos protektionistische Maßnahmen verhängen können.

Da EV beim weltweiten Übergang hin zu einer Nettonullwirtschaft ein wichtiges Werkzeug sind, sind gewisse Subventionen besser als gar keine. Eine weltweit effiziente Subventionsquote für Herstellung und Verkauf von EV muss höher ausfallen, wenn es keine ausreichend hohe globale Kohlenstoffsteuer gibt. Die EU und die USA verhängen wahrscheinlich lieber Zölle auf ausländische Waren, als ihre eigene EV-Herstellung zu subventionieren, weil beide bereits unter starker Verschuldung leiden.

Die neuen Zölle werden den Aussichten der chinesischen EV-Hersteller sicherlich schaden –sowohl hinsichtlich ihrer Gewinne als auch der Arbeitsplätze im Land. Aber auch für europäische und amerikanische Haushalte sind sie schlecht, da sie die Preise erhöhen (weil inländische Hersteller weniger Wettbewerbsdruck spüren) und die Abkehr von schmutzigen traditionellen Automobilen verzögern.

Gleichzeitig werden die neuen Zölle im Rest der Welt zu zwei gegensätzlichen Tendenzen führen: Indem sie chinesische EV aus den Märkten der USA und der EU fernhalten, können sie die chinesischen Exporte in andere Regionen steigern. In diesen Ländern profitieren die Kunden, und der dortige Übergang hin zu sauberen Transportmitteln wird erleichtert. Unter den Staaten mit kleiner, auf das Inland ausgerichteter Automobilindustrie – wie Australien oder Neuseeland – wird es keine offensichtlichen Verlierer geben. Aber in jenen, wo dieser Sektor groß ist, wird sich der Wettbewerbsdruck sogar noch verstärken, und diese Länder könnten in Versuchung geraten, es den USA und der EU nachzumachen.

Die Welt würde viel stärker davon profitieren, wenn die Großmächte einen Weg finden würden, ein gemeinsames klimafreundliches Subventionsprogramm für EV und eine gemeinsame Steuer auf Kohlenstoffemissionen auszuhandeln. Stattdessen könnten wir nun in einen selbstzerstörerischen Teufelskreis geraten.

Aus dem Englischen von Harald Eckhoff

https://prosyn.org/id6mnmJde