COPENHAGEN – Der alte Spruch „Geschichte wiederholt sich nicht, aber sie reimt sich oft“ ist eine treffende Beschreibung der sich entwickelnden Beziehungen zwischen dem Westen und seinen Rivalen. Während des Kalten Krieges war die Sowjetunion dank ihrer militärischen Stärke eine globale Supermacht. Heute scheinen Russlands Streitkräfte in einem desolaten Zustand zu sein, aber das Land hat sich zu einer Energiesupermacht entwickelt, die ihre riesigen Erdgasreserven als Waffe einsetzen kann. In ähnlicher Weise erinnert die heutige Auseinandersetzung zwischen dem Westen und Russland über die Ukraine an die Konfrontation zwischen Autoritarismus und Demokratie im Kalten Krieg.
Angesichts des bevorstehenden Winters könnte der vom Kreml verhängte Stopp der Gaslieferungen an die Europäische Union schwerwiegende Folgen haben und die größte Energiekrise seit 50 Jahren auslösen. Die Erhöhung der Gaslieferungen aus den Vereinigten Staaten, dem Vereinigten Königreich und Norwegen wird zwar kurzfristig die Abhängigkeit der EU von russischen Lieferungen verringern, ist aber keine langfristige Lösung.
Der Einsatz von Energieressourcen als Waffe unterstreicht die Notwendigkeit einer neuen Art von Bündnis zwischen den Demokratien der Welt. Auf dem Gipfeltreffen zur Energiesicherheit im Ostseeraum, das vor zwei Monaten in Dänemark stattfand, haben Deutschland, Polen, Litauen, Lettland, Estland, Finnland, Schweden und die Europäische Kommission einen vorläufigen Entwurf dafür vorgelegt, wie eine engere Energiekoordination aussehen könnte. Alle anwesenden Länder unterzeichneten eine Erklärung, in der sie sich verpflichten, ihre Offshore-Windenergiekapazitäten in den nächsten acht Jahren um fast das Siebenfache zu erhöhen. Bis 2030 sollen allein die Offshore-Windparks in der Ostseeregion in der Lage sein, 19,6 Gigawatt pro Jahr zu erzeugen, genug, um den Strombedarf von 28,5 Millionen europäischen Haushalten zu decken (was in etwa der Gesamtzahl der Haushalte in allen Ostseeländern außer Deutschland und Russland entspricht).
Das Gipfeltreffen war ein historischer politischer Schritt, der zeigt, dass die Geopolitik der Energie an der Schwelle zu einer großen Veränderung steht. In den letzten zehn Jahren sind die Kosten für Wind- und Sonnenenergie in den meisten Ländern unter die Kosten für fossile Brennstoffe gefallen. Das rasche Wachstum der erneuerbaren Energien wird zwei tiefgreifende Folgen haben. Erstens wird die Fähigkeit der brennstoffexportierenden Länder, Energieressourcen als Waffe einzusetzen, geschwächt. Zweitens wird in dem Maße, in dem die geopolitische Bedeutung der Brennstoffressourcen abnimmt, die Bedeutung von kritischen Rohstoffen wie Seltene Erden, Mineralien und Metalle zunehmen.
In den letzten zwei Jahrzehnten hat sich China eine weltweite Vormachtstellung bei der Gewinnung und Veredelung von Mineralien und Metallen gesichert. China fördert heute 58 % der weltweiten Seltenen Erden, 85 % dieser Rohstoffe werden in China weiterverarbeitet. Damit hat China die Kontrolle über wichtige Teile der Lieferketten, die für den Bau von Windturbinen, Solarzellen und Elektrofahrzeugen benötigt werden. Zum Vergleich: Der Anteil Saudi-Arabiens an der weltweiten Ölproduktion liegt bei nur 11 %.
Chinas Vorherrschaft ist an sich schon besorgniserregend, doch was die Sache noch schlimmer macht, ist die Tatsache, dass das Land dafür bekannt ist, seine Ressourcen als Waffe einzusetzen. Nachdem 2010 ein chinesischer Trawler in den Gewässern um die umstrittenen Senkaku-Inseln mit einem Schiff der japanischen Küstenwache zusammengestoßen war, stoppte China seine Exporte von Seltenen Erden nach Japan. Daraufhin unternahm Japan Schritte, um seine Abhängigkeit von China zu verringern, indem es unter anderem mit Bergbauunternehmen zusammenarbeitete, um neue Quellen für dieselben Materialien zu finden, und indem es seine inländischen Raffineriekapazitäten ausbaute.
Europa, die USA und andere Demokratien sollten die Lehren aus dem Zwischenfall auf den Senkaku-Inseln im Jahr 2010 ziehen und eine neue Allianz schmieden, um die Versorgung mit Energie und wichtigen Rohstoffen zu sichern. Wir wissen bereits, dass solche missionsorientierten Bündnisse funktionieren: Die NATO ist seit vielen Jahrzehnten ein wirksames Bollwerk der Demokratie, des freien Handels und der Sicherheit, und die Internationale Energieagentur – die von den OECD-Mitgliedern nach dem Ölschock von 1973 gegründet wurde – hat sich als wirksames Mittel gegen den Gebrauch von Öl als Waffe durch die OPEC erwiesen.
Eine neue Energie- und Rohstoffallianz könnte zunächst Japan, Australien, Neuseeland, Südkorea und jene lateinamerikanischen Demokratien einbeziehen, die eine regelbasierte globale Ordnung unterstützen. Nach dem Vorbild der IEA würde sie eine gemeinsame Analysekapazität entwickeln, um regelmäßige Prognosen über die Versorgung mit kritischen Rohstoffen und die Nachfrage nach ihnen zu erstellen. Und so wie die IEA-Mitglieder Öl-Notreserven in Höhe von mindestens 90 Tagen der Nettoölimporte halten, würden die Mitglieder der neuen Allianz Vorräte an strategisch wichtigen Rohstoffen anlegen.
Die Allianz würde auch Standards für die Qualität von veredelten kritischen Rohstoffen und für nachhaltige, ethische Bergbaupraktiken festlegen. Solche Standards sind der effektivste Weg, um die Rohstoffgewinnung in Entwicklungsländern zu reformieren, wo der Betrieb oft durch Umweltzerstörung und unmenschliche Arbeitsbedingungen beeinträchtigt wird.
Schließlich würden die Mitglieder des Bündnisses im Rahmen der G7, der G20 und der Welthandelsorganisation auf ein marktbasiertes internationales Handelssystem für kritische Rohstoffe drängen. Sie würden die Forschung koordinieren und fördern, um die Nachfrage nach Mineralien zu diversifizieren. Und sie würden neue öffentlich-private Partnerschaften gründen, um eine Pipeline von anstehenden Abbau- und Raffinerieprojekten aufzubauen.
Kritische Rohstoffe und Energieressourcen können nicht nur den grünen Wandel vorantreiben, sondern auch zu einer Quelle des Friedens, der Zusammenarbeit und der Stabilität werden. Wenn wir auf den Lehren aus dem Ölschock von 1973 aufbauen, können wir sicherstellen, dass sich die Geschichte nicht wiederholt. Das Ergebnis wäre eine weitere Tragödie, keine Farce, wie Karl Marx glaubte. Es kann nur vermieden werden, wenn sich die Demokratien der Welt zusammentun und alles Notwendige tun, damit wesentliche Wirtschaftsgüter nicht weiter als Waffe eingesetzt werden.
Übersetzung: Andreas Hubig
COPENHAGEN – Der alte Spruch „Geschichte wiederholt sich nicht, aber sie reimt sich oft“ ist eine treffende Beschreibung der sich entwickelnden Beziehungen zwischen dem Westen und seinen Rivalen. Während des Kalten Krieges war die Sowjetunion dank ihrer militärischen Stärke eine globale Supermacht. Heute scheinen Russlands Streitkräfte in einem desolaten Zustand zu sein, aber das Land hat sich zu einer Energiesupermacht entwickelt, die ihre riesigen Erdgasreserven als Waffe einsetzen kann. In ähnlicher Weise erinnert die heutige Auseinandersetzung zwischen dem Westen und Russland über die Ukraine an die Konfrontation zwischen Autoritarismus und Demokratie im Kalten Krieg.
Angesichts des bevorstehenden Winters könnte der vom Kreml verhängte Stopp der Gaslieferungen an die Europäische Union schwerwiegende Folgen haben und die größte Energiekrise seit 50 Jahren auslösen. Die Erhöhung der Gaslieferungen aus den Vereinigten Staaten, dem Vereinigten Königreich und Norwegen wird zwar kurzfristig die Abhängigkeit der EU von russischen Lieferungen verringern, ist aber keine langfristige Lösung.
Der Einsatz von Energieressourcen als Waffe unterstreicht die Notwendigkeit einer neuen Art von Bündnis zwischen den Demokratien der Welt. Auf dem Gipfeltreffen zur Energiesicherheit im Ostseeraum, das vor zwei Monaten in Dänemark stattfand, haben Deutschland, Polen, Litauen, Lettland, Estland, Finnland, Schweden und die Europäische Kommission einen vorläufigen Entwurf dafür vorgelegt, wie eine engere Energiekoordination aussehen könnte. Alle anwesenden Länder unterzeichneten eine Erklärung, in der sie sich verpflichten, ihre Offshore-Windenergiekapazitäten in den nächsten acht Jahren um fast das Siebenfache zu erhöhen. Bis 2030 sollen allein die Offshore-Windparks in der Ostseeregion in der Lage sein, 19,6 Gigawatt pro Jahr zu erzeugen, genug, um den Strombedarf von 28,5 Millionen europäischen Haushalten zu decken (was in etwa der Gesamtzahl der Haushalte in allen Ostseeländern außer Deutschland und Russland entspricht).
Das Gipfeltreffen war ein historischer politischer Schritt, der zeigt, dass die Geopolitik der Energie an der Schwelle zu einer großen Veränderung steht. In den letzten zehn Jahren sind die Kosten für Wind- und Sonnenenergie in den meisten Ländern unter die Kosten für fossile Brennstoffe gefallen. Das rasche Wachstum der erneuerbaren Energien wird zwei tiefgreifende Folgen haben. Erstens wird die Fähigkeit der brennstoffexportierenden Länder, Energieressourcen als Waffe einzusetzen, geschwächt. Zweitens wird in dem Maße, in dem die geopolitische Bedeutung der Brennstoffressourcen abnimmt, die Bedeutung von kritischen Rohstoffen wie Seltene Erden, Mineralien und Metalle zunehmen.
In den letzten zwei Jahrzehnten hat sich China eine weltweite Vormachtstellung bei der Gewinnung und Veredelung von Mineralien und Metallen gesichert. China fördert heute 58 % der weltweiten Seltenen Erden, 85 % dieser Rohstoffe werden in China weiterverarbeitet. Damit hat China die Kontrolle über wichtige Teile der Lieferketten, die für den Bau von Windturbinen, Solarzellen und Elektrofahrzeugen benötigt werden. Zum Vergleich: Der Anteil Saudi-Arabiens an der weltweiten Ölproduktion liegt bei nur 11 %.
Chinas Vorherrschaft ist an sich schon besorgniserregend, doch was die Sache noch schlimmer macht, ist die Tatsache, dass das Land dafür bekannt ist, seine Ressourcen als Waffe einzusetzen. Nachdem 2010 ein chinesischer Trawler in den Gewässern um die umstrittenen Senkaku-Inseln mit einem Schiff der japanischen Küstenwache zusammengestoßen war, stoppte China seine Exporte von Seltenen Erden nach Japan. Daraufhin unternahm Japan Schritte, um seine Abhängigkeit von China zu verringern, indem es unter anderem mit Bergbauunternehmen zusammenarbeitete, um neue Quellen für dieselben Materialien zu finden, und indem es seine inländischen Raffineriekapazitäten ausbaute.
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Europa, die USA und andere Demokratien sollten die Lehren aus dem Zwischenfall auf den Senkaku-Inseln im Jahr 2010 ziehen und eine neue Allianz schmieden, um die Versorgung mit Energie und wichtigen Rohstoffen zu sichern. Wir wissen bereits, dass solche missionsorientierten Bündnisse funktionieren: Die NATO ist seit vielen Jahrzehnten ein wirksames Bollwerk der Demokratie, des freien Handels und der Sicherheit, und die Internationale Energieagentur – die von den OECD-Mitgliedern nach dem Ölschock von 1973 gegründet wurde – hat sich als wirksames Mittel gegen den Gebrauch von Öl als Waffe durch die OPEC erwiesen.
Eine neue Energie- und Rohstoffallianz könnte zunächst Japan, Australien, Neuseeland, Südkorea und jene lateinamerikanischen Demokratien einbeziehen, die eine regelbasierte globale Ordnung unterstützen. Nach dem Vorbild der IEA würde sie eine gemeinsame Analysekapazität entwickeln, um regelmäßige Prognosen über die Versorgung mit kritischen Rohstoffen und die Nachfrage nach ihnen zu erstellen. Und so wie die IEA-Mitglieder Öl-Notreserven in Höhe von mindestens 90 Tagen der Nettoölimporte halten, würden die Mitglieder der neuen Allianz Vorräte an strategisch wichtigen Rohstoffen anlegen.
Die Allianz würde auch Standards für die Qualität von veredelten kritischen Rohstoffen und für nachhaltige, ethische Bergbaupraktiken festlegen. Solche Standards sind der effektivste Weg, um die Rohstoffgewinnung in Entwicklungsländern zu reformieren, wo der Betrieb oft durch Umweltzerstörung und unmenschliche Arbeitsbedingungen beeinträchtigt wird.
Schließlich würden die Mitglieder des Bündnisses im Rahmen der G7, der G20 und der Welthandelsorganisation auf ein marktbasiertes internationales Handelssystem für kritische Rohstoffe drängen. Sie würden die Forschung koordinieren und fördern, um die Nachfrage nach Mineralien zu diversifizieren. Und sie würden neue öffentlich-private Partnerschaften gründen, um eine Pipeline von anstehenden Abbau- und Raffinerieprojekten aufzubauen.
Kritische Rohstoffe und Energieressourcen können nicht nur den grünen Wandel vorantreiben, sondern auch zu einer Quelle des Friedens, der Zusammenarbeit und der Stabilität werden. Wenn wir auf den Lehren aus dem Ölschock von 1973 aufbauen, können wir sicherstellen, dass sich die Geschichte nicht wiederholt. Das Ergebnis wäre eine weitere Tragödie, keine Farce, wie Karl Marx glaubte. Es kann nur vermieden werden, wenn sich die Demokratien der Welt zusammentun und alles Notwendige tun, damit wesentliche Wirtschaftsgüter nicht weiter als Waffe eingesetzt werden.
Übersetzung: Andreas Hubig