stiglitz295_Clemens Bilan - PoolGetty Images_georgieva Clemens Bilan/Pool/Getty Images

Putschversuch beim IWF

NEW YORK – Es sind derzeit Bemühungen im Gange, Kristalina Georgieva, die seit 2019 amtierende Geschäftsführende Direktorin des Internationalen Währungsfonds, abzulösen oder zumindest stark zu schwächen. Dieselbe Georgieva wohlbemerkt, deren herausragende Reaktion auf die Pandemie rasch für Mittel sorgte, um die betroffenen Länder über Wasser zu halten und der Gesundheitskrise zu begegnen, und die sich erfolgreich für die Ausgabe von Sonderziehungsrechten (SZR; die Währung des IWF) im Volumen von 650 Milliarden Dollar eingesetzt hatte, die für die Erholung von Ländern niedrigen und mittleren Einkommens so wichtig sind. Darüber hinaus hat Georgieva den Fonds so aufgestellt, dass er eine globale Führungsrolle bei der Reaktion auf die existenzielle Krise des Klimawandels übernehmen kann.

Für all diese Maßnahmen sollte man Georgieva applaudieren. Wo also liegt das Problem? Und wer steht hinter den Bemühungen, sie zu diskreditieren und loszuwerden?

Das Problem ist ein Bericht, den die Weltbank bei der Anwaltskanzlei WilmerHale in Auftrag gegeben hat und der den jährlichen Doing Business-Index der Bank betrifft, in dem Länder danach eingestuft werden, wie leicht sich dort Wirtschaftsunternehmen gründen und betreiben lassen. Der Bericht enthält Vorwürfe – oder präziser, „Andeutungen“ – über Unregelmäßigkeiten in den Indizes der Jahre 2018 und 2020 in Bezug auf China, Saudi-Arabien und Aserbaidschan.

Georgieva wurde für den Index 2018 angegriffen, in dem China auf Rang 78 eingestuft wurde (demselben Platz wie im Vorjahr). Doch wird angedeutet, dass China niedriger hätte eingestuft werden sollen und dass dies im Rahmen einer Einigung über die Unterstützung Chinas für eine Kapitalerhöhung unterblieb, um die sich die Bank damals bemühte. Georgieva war damals Chief Executive Officer der Weltbank.

Das einzig positive Ergebnis dieser Episode könnte die Abschaffung des Index sein. Schon vor einem Vierteljahrhundert, als ich Chefökonom der Weltbank war und Doing Business von einer separaten Sparte der Bank, der Internationalen Finanz-Corporation, veröffentlicht wurde, hielt ich Doing Business für ein schreckliches Produkt. Länder erhielten gute Bewertungen für niedrige Körperschaftsteuern und schwache Arbeitsmarktregeln. Die Zahlen waren stets wenig belastbar, wobei kleine Änderungen bei den Daten potenziell große Auswirkungen auf die Rankings haben konnten. Länder waren unweigerlich empört, wenn scheinbar willkürliche Entscheidungen sie in im Ranking abrutschen ließen.

Aus meiner Lektüre des WilmerHale-Berichts, direkten Gesprächen mit zentralen Beteiligten und meiner Kenntnis des Verfahrens insgesamt scheint mir die Untersuchung als ein Diffamierungsversuch. Georgieva agierte die ganze Zeit über absolut professionell und tat genau, was ich selbst auch getan hätte (und während meiner Zeit als Chefökonom gelegentlich tun musste): diejenigen, die für mich arbeiteten, zu drängen, sicherzustellen, dass ihre Zahlen angesichts der inhärenten Beschränkungen der Datenlage korrekt oder so genau wie möglich waren.

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Shanta Devarajan, der Leiter der Einheit, der die Erstellung von Doing Business beaufsichtigte und 2018 direkt an Georgieva berichtete, bestreitet, jemals unter Druck gesetzt worden zu sein, die Daten oder Ergebnisse zu ändern. Die Mitarbeiter der Bank taten genau, was Georgieva angewiesen hatte: Sie überprüften die Zahlen und nahmen dann winzige Änderungen vor, die zu einer geringfügig besseren Bewertung führten.

Der WilmerHale-Bericht selbst ist in mehrerer Hinsicht merkwürdig. Er hinterlässt den Eindruck, es habe ein quid pro quo gegeben: Die Bank habe versucht, Kapital aufzubringen, und Ranking-Verbesserungen angeboten, um hierbei Hilfe zu erhalten. Aber China war der begeistertste Unterstützer der Kapitalerhöhung; es waren die USA unter Präsident Donald Trump, die diese verschleppten. Wenn das Ziel gewesen wäre, die Kapitalerhöhung sicherzustellen, hätte der beste Weg dazu darin bestanden, Chinas Ranking abzusenken.

Der Bericht enthält zudem keine Erklärung dafür, warum er nicht die vollständige Aussage der einzigen Person – Devarajan – mit Kenntnis aus erster Hand darüber enthält, was Georgieva damals sagte. „Ich habe Stunden damit zugebracht, den Anwälten der Weltbank meine Seite der Geschichte zu erzählen, und sie haben nur die Hälfte davon in den Bericht aufgenommen“, so Devarajan. Stattdessen stützt sich der Bericht weitgehend auf versteckte Andeutungen.

Der wahre Skandal sind der WilmerHale-Bericht selbst und die Weise, wie Weltbank-Präsident David Malpass darin ungeschoren davonkommt. Der Bericht spricht eine weitere Episode an – einen Versuch zur Höherstufung Saudi-Arabiens im Doing Business Index 2020 –, aber kommt zu dem Schluss, dass die Führung der Bank nichts mit dem Geschehen zu tun gehabt hätte. Dabei fuhr Malpass damals nur ein Jahr, nachdem saudische Sicherheitskräfte den Journalisten Jamal Khashoggi ermordet und zerstückelt hatten, nach Saudi-Arabien, und pries dessen Reformen auf Basis von Doing Business.

Wes Brot ich ess, so scheint es, des Lied ich sing. Glücklicherweise haben investigative Journalisten deutlich schlimmeres Verhalten aufgedeckt, darunter einen ungeschminkten Versuch von Malpass, die Methodik von Doing Business zu verändern, um China im Ranking herabzustufen.

Wenn sich der WilmerHale-Bericht also am besten als Diffamierungsversuch beschreiben lässt, was ist dann sein Motiv? Es gibt wenig überraschend einige, die mit der Richtung unzufrieden sind, die der IWF unter Georgievas Leitung eingeschlagen hat. Einige sind der Ansicht, er solle bei seinen Leisten bleiben und sich nicht mit dem Klimawandel befassen. Einigen missfällt die stärker progressive Ausrichtung, die weniger Gewicht auf Sparen legt und mehr auf Armut und Entwicklung, und die ein größeres Bewusstsein für die Beschränkungen der Märkte erkennen lässt.

Viele Finanzmarktakteure sind unzufrieden, dass der IWF nicht mehr so energisch als Schuldeneintreiber zu agieren scheint – ein zentraler Kritikpunkt meines Buches Die Schatten der Globalisierung. Bei der Umstrukturierung der argentinischen Schulden, die 2020 begann, hat der Fonds klar die Grenzen dessen aufgezeigt, was das Land zahlen konnte, d. h. welcher Teil der Schulden tragbar war. Weil viele private Gläubiger wollten, dass das Land mehr zahlen sollte, änderte diese simple Aktion den Verhandlungsrahmen.

Dann sind da langjährige institutionelle Rivalitäten zwischen IWF und Weltbank, die nun durch die Debatte darüber verschärft werden, wer einen geplanten neuen Fonds zum „Recycling“ der neu ausgegebenen SZR von den hochentwickelten Volkswirtschaften an die ärmeren Länder verwalten sollte.

Man kann zu diesem Mix noch den isolationistischen Strang der amerikanischen Politik hinzuzählen – wie ihn der von Trump ernannte Malpass verkörpert –, verbunden mit einem Wunsch, Präsident Joe Biden zu schaden, indem man einer Regierung, die bereits vor so vielen Herausforderungen steht, ein weiteres Problem beschert. Und dann sind da die normalen Persönlichkeitskonflikte.

Doch politische Intrigen und bürokratische Rivalität sind das Letzte, was die Welt in einer Zeit braucht, in der die Pandemie und ihre wirtschaftlichen Folgen so viele Ländern Schuldenkrisen beschert haben. Mehr denn je braucht die Welt derzeit Georgievas stetige Hand am Steuer des IWF.

Aus dem Englischen von Jan Doolan

https://prosyn.org/mpJPUF0de