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Wir sind jetzt alle Klimaflüchtlinge

NEW YORK – Der moderne Mensch, der in ein klimatisches Zeitalter – das Holozän – hineingeboren wurde, hat nun die Grenze in ein anderes – das Anthropozän – überschritten. Doch statt eines Moses, der der Menschheit in dieser neuen und gefährlichen Wildnis vorangeht, führt derzeit eine Bande von Wissenschaftsverleugnern und Umweltverschmutzern die Menschheit in die Irre und in immer größere Gefahr. Wir sind inzwischen alle Klimaflüchtlinge und müssen einen Weg in Sicherheit abstecken.

Das Holozän war das geologische Zeitalter, das vor mehr als 10.000 Jahren begann und sich durch günstige klimatische Umstände auszeichnete, die die menschliche Zivilisation, so wie wir sie kennen, stützten. Das Anthropozän ist eine neue geologische Ära mit Umweltbedingungen, wie sie die Menschheit noch nie erlebt hat. Unheilverkündender Weise ist die Erdtemperatur inzwischen höher als während des Holozäns, was durch das Kohlendioxid bedingt ist, das die Menschheit durch Verbrennen von Kohle, Öl und Gas sowie durch die wahllose Umwandlung der Wälder und Steppen unserer Welt in Agrarbetriebe und Weideflächen in die Atmosphäre entlassen hat.

Schon jetzt leiden und sterben Menschen in diesem neuen Umfeld, und Schlimmeres wird folgen. Laut Schätzungen hat der Hurrikan Maria in Puerto Rico im vergangenen September mehr als 4000 Menschenleben gekostet. Hurrikane hoher Intensität werden häufiger, und starke Stürme verursachen vermehrte Überschwemmungen. Gründe hierfür sind der zunehmende Wärmetransfer, der von dem sich erwärmenden Wasser der Ozeane ausgeht, der höhere Feuchtigkeitsanteil der wärmeren Luft und der Anstieg des Meeresspiegels – die alle durch den von uns Menschen ausgelösten Klimawandel verschärft werden.

Erst im letzten Monat kamen in Vororten Athens durch einen verheerenden Waldbrand, der durch eine Dürre und hohe Temperaturen angeheizt wurde, mehr als 90 Menschen ums Leben. In ähnlicher Weise wüten in diesem Sommer in weiteren heißen und neuerdings trockenen Gegenden – u. a. in Kalifornien, Schweden, Großbritannien und Australien – riesige Waldbrände. Im vergangenen Jahr war es Portugal, das verheert wurde. Weltweit wurden in diesem Sommer an vielen Stellen Hitzerekorde gemessen.

Die Art und Weise, in der die Menschheit unbekümmert die Grenzen des Holozäns überschritten und dabei wie eine Figur in einem Horrorfilm alle offensichtlichen Warnsignale missachtet hat, ist zutiefst unverantwortlich. 1972 kamen Regierungsvertreter aus aller Welt in Stockholm zusammen, um die zunehmenden Umweltbedrohungen zu behandeln. Im Vorfeld der Konferenz veröffentlichte der Club of Rome Die Grenzen des Wachstums; darin wurden erstmals die Idee eines „nachhaltigen“ Wachstumspfads und die Risiken der Überschreitung der uns durch die Umwelt gesetzten Grenzen thematisiert. Zwanzig Jahre später schrillten die Alarmglocken in Rio de Janeiro, wo die Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen zum Erdgipfel zusammengekommen waren, um das Konzept „nachhaltiger Entwicklung“ zu verabschieden und drei wichtige Umweltverträge zu unterzeichnen, um die von uns Menschen ausgelöste globale Erwärmung aufzuhalten, die Artenvielfalt zu schützen und Landverödung und Wüstenbildung zu stoppen.

Nach 1992 ignorierten die USA – das mächtigste Land der Welt – demonstrativ die drei neuen Verträge und signalisierten damit anderen Ländern, dass auch sie ihre Anstrengungen zurückfahren könnten. Der US-Senat ratifizierte die Verträge zum Klimawandel und zur Wüstenbildung, aber tat nichts zu ihrer Umsetzung. Und er weigerte sich sogar, den Vertrag zum Schutz der Artenvielfalt zu ratifizieren, und zwar u. a., weil Republikaner aus den Staaten im Westen der USA darauf beharrten, dass Landbesitzer berechtigt seien, mit ihrem Eigentum zu machen, was immer sie wollten, ohne internationale Einmischung.

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In jüngerer Zeit hat die Welt die Ziele für nachhaltige Entwicklung (im September 2015) und das Pariser Klimaabkommen (im Dezember 2015) verabschiedet. Doch die US-Regierung ignoriert auch die Ziele für nachhaltige Entwicklung vorsätzlich und rangiert, was die staatlichen Bemühungen zu ihrer Umsetzung angeht, an letzter Stelle unter den G20-Ländern. Und Präsident Donald Trump hat seine Absicht zu einem Ausstieg der USA aus dem Pariser Klimaabkommen zum frühestmöglichen Zeitpunkt – d. h. 2020, vier Jahre nach Inkrafttreten des Vertrages – erklärt.

Und es wird noch schlimmer. Der menschgemachte CO2-Anstieg hat seine volle erwärmende Wirkung noch nicht entfaltet, was auf die beträchtliche Verzögerung seiner Auswirkungen auf die Temperaturen der Ozeane zurückzuführen ist. Auf der Basis der gegenwärtigen CO2-Konzentration in der Atmosphäre (408 ppm) ist eine zusätzliche Erwärmung um rund 0,5 ºC schon jetzt unvermeidlich, und wenn sich die Verbrennung fossiler Brennstoffe wie bisher fortsetzt und die CO2-Konzentrationen weiter steil ansteigen, wird es noch viel wärmer. Um das Ziel des Pariser Abkommens einer Begrenzung der Erwärmung auf „deutlich unter 2 ºC“ gegenüber vorindustriellem Niveau zu erreichen, muss die Welt bis etwa 2050 eine entschiedene Umstellung von Kohle, Öl und Gas auf erneuerbare Energien und von der Entwaldung zur Aufforstung und Wiederherstellung verödeter Flächen vollziehen.

Warum also hält die Menschheit stur an einem Kurs fest, der in die sichere Tragödie führt?

Der Hauptgrund ist, dass unsere politischen Institutionen und die Großkonzerne die zunehmenden Gefahren und Schäden vorsätzlich ignorieren. In der Politik geht es darum, an die Macht zu kommen und diese zu erhalten, und um die Annehmlichkeiten des Amtes, aber nicht um das Lösen von Problemen, selbst über Leben und Tod entscheidenden Umweltproblemen. Bei der Führung eines Großunternehmens geht es um die Maximierung des Shareholder-Value, nicht darum, die Wahrheit zu sagen oder es zu vermeiden, dem Planeten großen Schaden zuzufügen. Gewinnstrebende Investoren sind Eigentümer der wichtigen Medien oder üben durch ihre Anzeigenkäufe zumindest einen Einfluss auf diese aus. Daher erhält eine kleine, aber sehr mächtige Gruppe das auf fossilen Brennstoffen basierende Energiesystem weiter aufrecht und setzt dabei den Rest der Menschheit wachsenden Gefahren heute und in der Zukunft aus.

Trump ist nur der letzte nützliche Idiot, der nach der Pfeife der Verschmutzer tanzt. Unterstützt wird er von den Republikanern im US-Kongress, die ihren Wahlkampf durch Spenden von Umweltsündern wie Koch Industries finanzieren. Trump hat die US-Regierung mit Lobbyisten aus der Industrie besetzt, die jede Umweltschutzbestimmung in Reichweite systematisch zerschlagen. Zuletzt hat Trump einen früheren Anwalt des Mega-Umweltverschmutzers Dow Chemical für die Leitung des „Superfund“-Programms der US-Umweltschutzbehörde EPA zur Beseitigung von Altlasten nominiert. Das Ganze sprengt jede Vorstellungskraft.

Wir brauchen eine neue Art der Politik, die bei einem klaren globalen Ziel ansetzt: der Umweltsicherheit für die Bevölkerung unseres Planeten durch Erfüllung des Pariser Klimaabkommens, Schutz der Artenvielfalt und die Verringerung der Umweltverschmutzung, die jedes Jahr Millionen von Menschen tötet. Diese neue Politik muss auf wissenschaftliche und technische Experten hören und nicht auf ihr Eigeninteresse verfolgende Wirtschaftslenker und narzisstische Politiker. Klimatologen versetzen uns in die Lage, die zunehmenden Gefahren zu erfassen. Ingenieure sagen uns, wie wir die rasche Umstellung auf kohlenstofffreie Energien bis 2050 bewältigen können. Ökologen und Agronomen zeigen uns, wie man mehr und bessere Agrarprodukte auf weniger Land anbauen und zugleich die Entwaldung stoppen und in der Vergangenheit verödete Flächen renaturieren kann.

Eine derartige Politik ist möglich. Tatsächlich sehnt sich die Bevölkerung danach. Eine große Mehrheit des amerikanischen Volkes beispielsweise will die globale Erwärmung bekämpfen, im Pariser Klimaabkommen bleiben und erneuerbare Energien nutzen. Doch je länger eine kleine, ignorante Elite die Amerikaner und den Rest der Menschheit zwingt, ziellos in der politischen Wildnis umherzuwandern, desto wahrscheinlicher ist es, dass wir in einer Wüste enden werden, aus der es kein Entkommen gibt.

Aus dem Englischen von Jan Doolan

https://prosyn.org/12Nn5aDde