MANILA – Heute ist die Erde über 1 Grad Celsius wärmer als in vorindustriellen Zeiten, und die schrecklichen Folgen ihres Fiebers sind bereits spürbar. Allein in diesem Jahr haben aufeinander folgende Wirbelstürme karibische Inseln verwüstet, Monsun-Überschwemmungen mehrere zehn Millionen Menschen in Südasien vertrieben und Waldbrände auf fast jedem Kontinent gewütet. Den Planeten vom Abgrund zurückzuziehen könnte nicht dringlicher sein.
Diejenigen von uns, die an vorderster Front des Klimawandels leben – auf Archipeln, kleinen Inseln, küstennahen Tiefebenen und schnell desertifizierenden Ebenen – können es sich nicht leisten, abzuwarten, welche Folgen ein weiteres Grad Erwärmung haben könnte. Es sind jetzt bereits zu viele Leben und Lebensgrundlagen verlorengegangen. Menschen werden entwurzelt, und lebensnotwendige Ressourcen werden immer knapper. Gleichzeitig sind diejenigen, die die schlimmsten Konsequenzen des Klimawandels erleiden müssen, auch die, die am wenigsten dazu beigetragen haben.
Darum haben die Philippinen ihren Vorsitz des Climate Vulnerable Forum (CVF) – einer Allianz von 48 Ländern, die besonders vom Klimawandle betroffen sind –, genutzt, um sich dafür einzusetzen, dass das Pariser Klimaabkommen von 2015 die Erderwärmung explizit auf 1,5 Grad Celsius über vorindustriellen Werten festlegt. Für uns ist 1,5 Grad Celsius nicht nur eine symbolische oder eine anzustrebende Zahl, die in internationalen Vereinbarungen erwähnt wird, sondern es ist eine existenzielle Grenze. Wenn die globalen Temperaturen über diesen Wert hinaus steigen, werden die Orte, die wir unser Zuhause nennen – und viele andere auf diesem Planeten – unbewohnbar oder verschwinden gar ganz.
Als wir 2009 den Zielwert 1,5 Grad Celsius einführten, stießen wir auf erheblichen Widerstand. Klimawandelleugner, also diejenigen, die die Wissenschaft der menschengemachten Erderwärmung leugnen, tun alle Anstrengungen, gegen den Anstieg der Erdtemperaturen zu kämpfen, als vergeblich und unnötig ab. Aber sogar wohlmeinende Klimabefürworter und Politiker haben sich oft gegen das 1,5-Grad-Celsius-Ziel gestellt, mit dem Argument, es sei wissenschaftlich bewiesen, dass Menschen bereits genügend Treibhausgase erzeugt hätten, um die Erreichung dieses Ziels praktisch unmöglich zu machen.
Aber an dieser Front ist die Wissenschaft nicht so eindeutig, wie man meinen mag. Laut einem kürzlich in Nature veröffentlichten Aufsatz ist das „Kohlebudget”, also die Menge an CO2-Äquivalenten, die wir emittieren können, bis wir die Schwelle von 1,5-Grad-Celsius erreichen, etwas größer als gedacht.
Diese Erkenntnis ist jedoch kein Anlass für Selbstzufriedenheit, wie einige Kommentatoren (nicht Wissenschaftler) zu glauben scheinen. Es bedeutet nicht, dass vorherige Klimamodelle zu schwarzseherisch gewesen seien oder dass wir beim Kampf gegen den Klimawandel entspannter vorgehen können. Stattdessen sollte uns der Aufsatz inspirieren, schneller, bewusster und entschlossener vorzugehen, um sicherzustellen, dass die Treibhausgasemissionen in einigen Jahren abnehmen und wir bis Mitte des Jahrhunderts einen Nettowert von Null Emissionen erreichen werden.
Wir würden diese Maßnahmen konkret aussehen? Globale Emissionen müssten jedes Jahr auf 4 – 6 Prozent reduziert werden, bis sie Null Prozent erreichen. Gleichzeitig müssten Wälder und Agrarlandschaften wiederhergestellt werden, so dass sie größere Mengen von Kohlendioxid auffangen und binden können. Die vollständige Entkarbonisierung unserer Energie- und Transportsysteme innerhalb von vier Jahrzehnten ist eine Herkulesaufgabe, aber es ist nicht unmöglich.
Abgesehen von den Folgen für die Umwelt würden derartige Anstrengungen große wirtschaftliche Vorteile mit sich bringen, den Mittelstand in den entwickelten Ländern stärken, Hunderte Millionen Menschen in den Entwicklungsländern von Armut befreien sowie die Schaffung von Arbeitsplätzen begünstigen. Die Energiewende wird zu massiven Effizienzeinsparungen führen und gleichzeitig die Widerstandskraft von Infrastruktur, Versorgungsketten und städtischen Diensten in Entwicklungsländern verbessern, insbesondere in den schwachen Regionen.
Gemäß einem im vergangenen Jahr vom Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen veröffentlichten Bericht könnte die Aufrechterhaltung der Schwelle von 1,5 Grad Celsius und die Schaffung einer kohlenstoffarmen Wirtschaft das globale Bruttoinlandsprodukt um 12 Billionen US-Dollar anheben, im Vergleich zu einem Szenario, in welchem die Welt bei der aktuellen Politik und den aktuellen Zusagen zur Emissions-Reduzierung bleibt.
Der Aufsatz bestätigt, dass das Ziel von 1,5 Grad Celsius erreichbar ist. Er wurde von anerkannten Klimaexperten verfasst und in einer der besten Fachzeitschriften nach intensiver Überprüfung durch die wissenschaftliche Gemeinschaft veröffentlicht. Aber es ist nur ein Aufsatz. Wir müssen noch viel mehr über unsere Fähigkeit lernen, die Erderwärmung zu kontrollieren. Darum wird er bereits von führenden Wissenschaftlern diskutiert. Ihre Reaktionen werden auch in anerkannten Fachzeitschriften veröffentlicht. So funktioniert wissenschaftliche Arbeit, und deswegen können wir der Klimaforschung – und ihren dringlichen Warnungen – vertrauen.
Im nächsten Jahr veröffentlicht der Weltklimarat seine eigene Analyse der gesamten Wissenshaft zum Thema Schwellenwert 1,5 Grad Celsius, die der umfassendste Überblick über die Forschung zu werden verspricht. Aber wir können es uns nicht leisten, auf diese Analyse zu warten, bevor wir tätig werden.
Die Mitglieder des CVF haben sich bereits verpflichtet, ihren Teil beizutragen. Wir haben bei der UN-Klimakonferenz in Marrakesch im vergangenen Jahr zugesagt, die Energiewende hin zu 100 Prozent erneuerbare Energien schnellstmöglich zu vollziehen. Unsere Emissionen gehören bereits jetzt zu den niedrigsten der Welt, aber unsere Klimaziele gehören zu den ehrgeizigsten der Welt.
Aber ob die Welt es schaffen wird, dem Klimawandel Einhalt zu gebieten, hängt letztlich davon ab, ob die größten und historischen Treibhausemittenten bereit sind, ihre moralische und ethische Verantwortung zu erfüllen, um energische Maßnahmen umzusetzen. Die globalen Temperaturen unterhalb des Grenzwerts von 1,5 Grad Celsius zu halten, ist vielleicht keine geophysikalische Unmöglichkeit. Aber um das Ziel zu erreichen, müssen wir sicherstellen, dass es auch nicht als politische und wirtschaftliche Unmöglichkeit betrachtet wird.
Aus dem Englischen von Eva Göllner.
MANILA – Heute ist die Erde über 1 Grad Celsius wärmer als in vorindustriellen Zeiten, und die schrecklichen Folgen ihres Fiebers sind bereits spürbar. Allein in diesem Jahr haben aufeinander folgende Wirbelstürme karibische Inseln verwüstet, Monsun-Überschwemmungen mehrere zehn Millionen Menschen in Südasien vertrieben und Waldbrände auf fast jedem Kontinent gewütet. Den Planeten vom Abgrund zurückzuziehen könnte nicht dringlicher sein.
Diejenigen von uns, die an vorderster Front des Klimawandels leben – auf Archipeln, kleinen Inseln, küstennahen Tiefebenen und schnell desertifizierenden Ebenen – können es sich nicht leisten, abzuwarten, welche Folgen ein weiteres Grad Erwärmung haben könnte. Es sind jetzt bereits zu viele Leben und Lebensgrundlagen verlorengegangen. Menschen werden entwurzelt, und lebensnotwendige Ressourcen werden immer knapper. Gleichzeitig sind diejenigen, die die schlimmsten Konsequenzen des Klimawandels erleiden müssen, auch die, die am wenigsten dazu beigetragen haben.
Darum haben die Philippinen ihren Vorsitz des Climate Vulnerable Forum (CVF) – einer Allianz von 48 Ländern, die besonders vom Klimawandle betroffen sind –, genutzt, um sich dafür einzusetzen, dass das Pariser Klimaabkommen von 2015 die Erderwärmung explizit auf 1,5 Grad Celsius über vorindustriellen Werten festlegt. Für uns ist 1,5 Grad Celsius nicht nur eine symbolische oder eine anzustrebende Zahl, die in internationalen Vereinbarungen erwähnt wird, sondern es ist eine existenzielle Grenze. Wenn die globalen Temperaturen über diesen Wert hinaus steigen, werden die Orte, die wir unser Zuhause nennen – und viele andere auf diesem Planeten – unbewohnbar oder verschwinden gar ganz.
Als wir 2009 den Zielwert 1,5 Grad Celsius einführten, stießen wir auf erheblichen Widerstand. Klimawandelleugner, also diejenigen, die die Wissenschaft der menschengemachten Erderwärmung leugnen, tun alle Anstrengungen, gegen den Anstieg der Erdtemperaturen zu kämpfen, als vergeblich und unnötig ab. Aber sogar wohlmeinende Klimabefürworter und Politiker haben sich oft gegen das 1,5-Grad-Celsius-Ziel gestellt, mit dem Argument, es sei wissenschaftlich bewiesen, dass Menschen bereits genügend Treibhausgase erzeugt hätten, um die Erreichung dieses Ziels praktisch unmöglich zu machen.
Aber an dieser Front ist die Wissenschaft nicht so eindeutig, wie man meinen mag. Laut einem kürzlich in Nature veröffentlichten Aufsatz ist das „Kohlebudget”, also die Menge an CO2-Äquivalenten, die wir emittieren können, bis wir die Schwelle von 1,5-Grad-Celsius erreichen, etwas größer als gedacht.
Diese Erkenntnis ist jedoch kein Anlass für Selbstzufriedenheit, wie einige Kommentatoren (nicht Wissenschaftler) zu glauben scheinen. Es bedeutet nicht, dass vorherige Klimamodelle zu schwarzseherisch gewesen seien oder dass wir beim Kampf gegen den Klimawandel entspannter vorgehen können. Stattdessen sollte uns der Aufsatz inspirieren, schneller, bewusster und entschlossener vorzugehen, um sicherzustellen, dass die Treibhausgasemissionen in einigen Jahren abnehmen und wir bis Mitte des Jahrhunderts einen Nettowert von Null Emissionen erreichen werden.
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Wir würden diese Maßnahmen konkret aussehen? Globale Emissionen müssten jedes Jahr auf 4 – 6 Prozent reduziert werden, bis sie Null Prozent erreichen. Gleichzeitig müssten Wälder und Agrarlandschaften wiederhergestellt werden, so dass sie größere Mengen von Kohlendioxid auffangen und binden können. Die vollständige Entkarbonisierung unserer Energie- und Transportsysteme innerhalb von vier Jahrzehnten ist eine Herkulesaufgabe, aber es ist nicht unmöglich.
Abgesehen von den Folgen für die Umwelt würden derartige Anstrengungen große wirtschaftliche Vorteile mit sich bringen, den Mittelstand in den entwickelten Ländern stärken, Hunderte Millionen Menschen in den Entwicklungsländern von Armut befreien sowie die Schaffung von Arbeitsplätzen begünstigen. Die Energiewende wird zu massiven Effizienzeinsparungen führen und gleichzeitig die Widerstandskraft von Infrastruktur, Versorgungsketten und städtischen Diensten in Entwicklungsländern verbessern, insbesondere in den schwachen Regionen.
Gemäß einem im vergangenen Jahr vom Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen veröffentlichten Bericht könnte die Aufrechterhaltung der Schwelle von 1,5 Grad Celsius und die Schaffung einer kohlenstoffarmen Wirtschaft das globale Bruttoinlandsprodukt um 12 Billionen US-Dollar anheben, im Vergleich zu einem Szenario, in welchem die Welt bei der aktuellen Politik und den aktuellen Zusagen zur Emissions-Reduzierung bleibt.
Der Aufsatz bestätigt, dass das Ziel von 1,5 Grad Celsius erreichbar ist. Er wurde von anerkannten Klimaexperten verfasst und in einer der besten Fachzeitschriften nach intensiver Überprüfung durch die wissenschaftliche Gemeinschaft veröffentlicht. Aber es ist nur ein Aufsatz. Wir müssen noch viel mehr über unsere Fähigkeit lernen, die Erderwärmung zu kontrollieren. Darum wird er bereits von führenden Wissenschaftlern diskutiert. Ihre Reaktionen werden auch in anerkannten Fachzeitschriften veröffentlicht. So funktioniert wissenschaftliche Arbeit, und deswegen können wir der Klimaforschung – und ihren dringlichen Warnungen – vertrauen.
Im nächsten Jahr veröffentlicht der Weltklimarat seine eigene Analyse der gesamten Wissenshaft zum Thema Schwellenwert 1,5 Grad Celsius, die der umfassendste Überblick über die Forschung zu werden verspricht. Aber wir können es uns nicht leisten, auf diese Analyse zu warten, bevor wir tätig werden.
Die Mitglieder des CVF haben sich bereits verpflichtet, ihren Teil beizutragen. Wir haben bei der UN-Klimakonferenz in Marrakesch im vergangenen Jahr zugesagt, die Energiewende hin zu 100 Prozent erneuerbare Energien schnellstmöglich zu vollziehen. Unsere Emissionen gehören bereits jetzt zu den niedrigsten der Welt, aber unsere Klimaziele gehören zu den ehrgeizigsten der Welt.
Aber ob die Welt es schaffen wird, dem Klimawandel Einhalt zu gebieten, hängt letztlich davon ab, ob die größten und historischen Treibhausemittenten bereit sind, ihre moralische und ethische Verantwortung zu erfüllen, um energische Maßnahmen umzusetzen. Die globalen Temperaturen unterhalb des Grenzwerts von 1,5 Grad Celsius zu halten, ist vielleicht keine geophysikalische Unmöglichkeit. Aber um das Ziel zu erreichen, müssen wir sicherstellen, dass es auch nicht als politische und wirtschaftliche Unmöglichkeit betrachtet wird.
Aus dem Englischen von Eva Göllner.