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Das Versagen und die Versäumnisse der Zentralbanken

TUBINGEN – Die Inflationsraten in den westlichen Volkswirtschaften werden sinken. Dafür sprechen in erster Linie technische Gründe infolge des Basiseffekts und vorläufig niedrigere Energiepreise. Aber die Preissteigerungsraten werden auf inakzeptabel hohem Niveau verharren, so dass wir noch lange von Preisniveaustabilität entfernt bleiben. Hierfür sprechen die inzwischen über den Zielen der Zentralbanken liegenden Inflationserwartungen, höhere Löhne, fortwährende geopolitische Spannungen, die wieder zu einer Störung der Lieferketten führen können und strukturelle Faktoren wie die demografische Entwicklung und die Grenzen der Globalisierung oder sogar ein Prozess der De-Globalisierung. Damit bleibt die Inflation für längere Zeit eine Belastung für unsere Volkswirtschaften und unsere Gesellschaften.

Das ist die Zeit nicht nur entschiedenen geldpolitischen Handelns, sondern auch einer besseren und klareren Kommunikation der Zentralbanken. Sie müssen dringend aufklärend und erklärend wirken   warum wir eine Inflationsphase durchleben, welches die Folgen sind und was dagegen getan werden muss und getan wird. Diese Kommunikation darf nicht nur gegenüber Marktteilnehmern erfolgen. Genauso wichtig, wenn nicht sogar wichtiger, ist die Kommunikation mit den Bürgerinnen und Bürgern. Denn sie sind die wichtigsten Verbündeten der Zentralbanken im Kampf gegen Inflation und in der Verteidigung der Zentralbank-Unabhängigkeit.

Zu dieser Kommunikation gehört ein erhebliches Stück an Einsicht, Selbstkritik und Demut. Denn die Zentralbanken unterlagen falschen Diagnosen, beurteilten die Episode von Preisstabilität als eine Phase inakzeptabel niedriger Inflation und wollten die Inflation beleben. Ihre über mehrere Jahrzehnte andauernde asymmetrische Geldpolitik, die tendenziell zu immer niedrigeren Zinsen führte, hat nicht nur ihren potenziellen Handlungsspielraum eingeengt, sondern zu erheblichen Marktverzerrungen geführt. Der Ausstieg aus dieser im Ergebnis schädlichen ultra-expansiven Politik mit Niedrigzinsen und massiver Bilanzausweitung wurde immer wieder verschoben.

Die Zentralbanken erkannten viel zu spät die inflationstreibenden Kräfte. Sie hielten den deutlichen Preisschub zunächst für vorübergehend, der aus ihrer Sicht kein Handeln erforderte. Wichtige wirtschaftliche und monetäre Indikatoren wurden dabei vernachlässigt oder übersehen und es wurden in die Irre führende Signale an die Märkte und die Öffentlichkeit gegeben, dass die Zinsen mittelfristig – bis 2024 - niedrig gehalten werden. Die Fehldiagnosen und das zu späte Handeln gegen die Schockinflation erforderten dann schockartige Zinserhöhungsschritte, auf die die Marktteilnehmer nicht vorbereitet waren und zu den bekannten Verwerfungen führten.

Das hat die ehemals als Helden gefeierten Zentralbanker in ihrer Glaubwürdigkeit erheblich beschädigt, auch weil sie sich anderen Politikfeldern zuwandten, die nichts oder nur wenig mit ihrem Kernmandat zu tun haben, Preisstabilität zu gewährleisten. Wenn schon der eigene Analyserahmen und die fachliche Urteilskraft der Zentralbanken zu Fehlern führen, wie glaubwürdig und wirksam sind dann noch wirtschafts- und finanzpolitische Empfehlungen an die Regierungen? Diese Frage stellt sich   insbesondere für den Euroraum.

Die Zentralbanken müssen heraus aus ihrem monetären Elfenbeinturm und sich befreien von der gegenseitigen Selbstbestätigung in Zentralbankkonferenzen. So interessant Vorträge an Universitäten und Forschungseinrichtungen sein mögen, so dienen sie doch in erster Linie der Bestätigung der eigenen Wichtigkeit. Der Diskurs in wissenschaftlichen Zirkeln hilft nicht, die breite Öffentlichkeit zu erreichen und sie für sich zu gewinnen. Dazu ist die Sprache zu akademisch und zu technisch. Gerade die EZB hatte sich im Rahmen ihrer Strategieüberprüfung dafür ausgesprochen, sich mehr einer   bürgernahen Sprache zu bedienen. Ohne allzu sehr zu vereinfachen ging es darum, der Öffentlichkeit mit allgemeinverständlichen Worten komplexe Sachverhalte zu erklären. Daraus ist – zumindest bisher – nichts geworden. Die Sprache hat sich seit der strategischen Überprüfung im Jahr 2021 nicht zum Besseren verändert. Sie ist nicht bürgernäher geworden. Zu weit sind die Zentralbanken von der Öffentlichkeit abgedriftet.

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Ein besonderes Problem stellt sich gerade für die EZB. Sie ist für die Geldwertstabilität im europäischen Währungsraum mit 20 Ländern verantwortlich. Aber wer nimmt wahr, was und wie die EZB kommuniziert? Wer sind die Adressaten? Die EZB ist zu weit von den Bürgern entfernt. Das liegt nicht nur daran, dass sie in erster Linie in englischer Sprache kommuniziert und jede Kommunikation – schriftlich oder mündlich - eine Übersetzung in die jeweilige Landessprache erfordert. Da es keine wirkliche europäische Öffentlichkeit gibt, ist die Kommunikation mit den Bürgern die Aufgabe der nationalen Zentralbanken, auch wenn das nicht ausdrücklich kodifiziert ist. Doch hier ist ein erhebliches Defizit zu konstatieren. Soweit in der Vor-Euro-Phase eine verständliche Kommunikation der nationalen Zentralbanken mit den Bürgern bestand und die öffentliche Akzeptanz der Notenbank sehr hoch war, ist davon nichts mehr zu spüren.

Wenn die EZB zu weit von den Bürgern entfernt ist, so haben sich die nationalen Zentralbanken seit Einführung des Euro vor fast einem Vierteljahrhundert von den Bürgern entfremdet. Sie haben die Rolle des Informationsvermittlers auf nationaler Ebene nie aufgenommen, was auch daran lag, dass die EZB-Ratsentscheidungen nicht immer einmütig getroffen wurden. Aber gerade dann hätte man für öffentliche Unterstützung einer von der Mehrheit abweichenden Position werben können. Das wäre sicher in der Startphase der EZB problematisch gewesen, jedoch nicht mehr mit zunehmendem Reifegrad.

Umso wichtiger ist es jetzt in einer Zeit hoher Inflation zu versuchen, diese ehemalige Bindung, soweit sie bestand, wieder aufzunehmen. Das heißt aber auch „Ballast“ abzuwerfen, Kapazitäten frei zu machen, sich vollkommen auf den Kernauftrag der Zentralbank zu konzentrieren und in einer Kommunikationsoffensive mit welchen Mitteln auch immer an die Bürger heranzutreten. Die Bereitschaft dazu scheint allerdings nicht besonders ausgeprägt. Denn die Zentralbanken müssen sich selbst ihrer Verantwortung stellen, sich mit ihren weitreichenden Fehleinschätzungen und Vorfestlegungen im Rahmen ihrer neuen Strategien selbstkritisch auseinandersetzen und daraus Lehren für die Zukunft ziehen. Das ist unvermeidlich, wenn Vertrauen und Glaubwürdigkeit wieder aufgebaut werden sollen. Derzeit sieht es allerdings nicht danach aus, als wollten die Zentralbanken diese schwere Last aufarbeiten.

Bisher hat nur die australische Notenbank ihre politischen Fehler und ihre verwirrende Kommunikation eingestanden. Ein Beispiel, dem andere folgen sollten, auch wenn der Schaden nicht wieder gutzumachen ist. 

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